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aber das Recht und die Pflicht einer Gemeinde involvirt, sich selbst rechte Lehrer zu berufen. Die Schlüße, welche Luther aus ihnen macht, gehen zu weit und befriedigen keinen, der mit dem Hunger, göttliche Beweise zu finden, die beiden angeführten oder andere einschlägige Schriften des theuern Helden liest. Der Nothstand, in welchem die neuentstehenden lutherischen Gemeinden waren, bei denen sich keine übergetretenen Priester befanden, brachte ihn dahin, diese Schlüße zu thun, deren Unhaltbarkeit aber gegenwärtig, wo kein Nothstand jener Art vorhanden ist, jeder findet, der versucht, sie auf logischem Wege selbst zu machen. Die Behauptung, daß das heilige Amt ein Ausfluß der Gemeinde sei, beruht, so viel ich erkennen kann, auf keinem einzigen klaren Worte der Schrift, – und wird sich deshalb in der lutherischen Kirche auf die Länge kaum halten können. Die Behauptung aber, daß Christi Amt eine besondere Stiftung Christi innerhalb der Kirche und für sie sei, daß sich dies Amt durch die besondere, hervortretende Wirkung derer, die es hatten, auch fortgepflanzt habe, ist nicht bloß ohne alle Schlüße ganz einfach aus dem Wortlaut der Schrift zu beweisen, sondern rechtfertigt sich auch durch die Kirchengeschichte im Allgemeinen und durch den constanten Brauch der lutherischen Kirche im Besonderen. – Für Nothstände, in denen ein Ministerium oder Presbyterium nicht zu erreichen ist, könnten Luthers Verweisungen aufs allgemeine Priesterthum allerdings manchen ermuthigen, seine Vorschläge nachzuthun. Allein weder die Böhmen waren, noch sind die Nordamericaner im Fall, ein Ministerium nicht erreichen, einem kirchlichen Organismus sich nicht anschließen zu können; überhaupt wird der Nothfall genau genommen, höchst selten stattfinden (man frage die Erfahrung!), zumal Lehre und Nothtaufe, als das Unentbehrliche, dem Laien verstattet ist, und Luther, wenn auch nicht constant, und die Lehrer der lutherischen Kirche selbst drauf hinweisen, daß man im Mangel eines Pastors in Anbetracht des h. Abendmahls das: Crede et manducasti – zu üben habe.

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 Luther sagt, die päbstliche Ordination wolle nur zur Messe und zum Beichthören befähigen, Lehre und Taufe gestatteten auch die Römischen den Nichtordinirten. Da nun die Messe und am Ende auch die römische Beichte wider Gottes Wort sei, so ermächtige die päbstliche Ordination nur für Handlungen, welche überhaupt nicht Statt finden sollten. Es sei drum die päbstliche Ordination gar nicht nöthig; die Gemeindeglieder aber, welche kraft ihres geistlichen Priesterthums lehren und taufen dürften, könnten um so leichter für Abendmahl und Seelsorge aus ihrer Mitte Pastoren selbst erwählen; denn da sie das Größere – Lehre und Taufe – vermöchten, so könnten sie das Geringere – Abendmahl consecriren und Absolviren – nur desto gewisser. Allein ganz abgesehen davon, ob wirklich Abendmahl halten und Absolviren geringer sei, als Lehren und Taufen (ich würde aber alle diese Handlungen gleich stellen), verkennt denn doch Luther den Ursprung der römischen Praxis. Nach außen hin, gegen Heiden und Juden, stehen alle Getauften in der Pflicht, zu lehren, auch wohl zu taufen; das Presbyterat aber ist ein Amt innerhalb der Gemeinde und seine specifischen Geschäfte sind allerdings Abendmahlhalten und Seelsorge. Darum ist es nicht so gar ohne Sinn, wenn die Ordination dieses Amtes innerhalb der Gemeinde hauptsächlich zu den Geschäften Kraft und Vollmacht gibt, auf welche es für die Führung

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/110&oldid=- (Version vom 1.8.2018)