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der Gemeinde besonders ankommt. Es ist damit keineswegs ausgesprochen, daß Lehre und Taufe den Haushaltern über Gottes Geheimnisse und ihrem Wirkungskreise ferne liegen: die Lehre, welche zur Leitung der Gemeinde nöthig ist, und die Taufe, welche innerhalb der Gemeinde geschieht, also hauptsächlich die Kindertaufe, gehört ja dennoch dem Amte des HErrn. Ja, es resultirt dem Amte aus seiner Stellung innerhalb der Gemeinde – abgesehen von bestimmten Befehlen JEsu für seine ganze Kirche – Recht und Pflicht, auch nach außen hin vor allen zu wirken und die Wirksamkeit anderer zu leiten. – Ich erwähne dies nur, um anzudeuten, daß es ein richtiger Unterschied zwischen dem allgemeinen geistlichen Priesterthum und dem Amte sei, wenn jenem in gewissem Maße Lehre und Taufe, diesem aber allein außer Lehre und Taufe das heilige Mahl und die Seelsorge (die Beichte und Absolution) zugesprochen wird. Daß dem römischen Priester aus dem Abendmahl die römische Messe, aus der Beichte ein Beichtzwang und ein Sacrament der Buße geworden, ist, versteht sich, eine üble Wendung der anfänglich guten Praxis, welche niemand billigen wird, der ein Freund der Wahrheit ist.

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 In dem bisher Gesagten ist allerdings zugegeben, daß das allgemeine Priesterthum der Christen in einigem Zusammenhang mit dem heiligen Amte stehe. Man kann sagen, daß das allgemeine Priesterthum der Boden sei, in welchen das Samenkorn des Amtes gelegt worden, aus dem der fruchtbare Baum des Amtes hervorgewachsen sei. Aber das Amt und das geistliche Priesterthum ist nicht Eins und Dasselbe, es ist auch jenes nicht eine bloße Entwicklung von diesem; wer dieses hat, hat nicht eben damit auch jenes, kann es deshalb auch nicht andern übertragen, die es in diesem Falle ohnehin schon selbst hätten und höchstens die Erlaubnis brauchten, damit vor andern hervorzutreten. Das allgemeine Priesterthum gibt, wenn die Befähigung da ist, wohl das Recht das Bischofsamt zu begehren (ὀρέγεσϑαι), aber es ertheilt nicht das Bischofsamt, sondern das Bischofsamt theilt sich selbst mit – im Einklang mit den Gemeinden, denen es dienen will, – und Bischöfe setzen ist, wie es auch factisch allenthalben steht, jus episcopale. Die Gemeinde soll nicht theilnahmlos zusehen, im Gegentheil, – sie nimmt und hat großen Antheil, sie bethätigt sich durch Zeugnis, Wunsch, Bitte, Verlangen, auch wohl, wenn das Ministerium es für die Gemeinde und die Wahrheit zuträglich findet, durch Wahl; aber berufen und durch den Beruf das Amt mittheilen kann sie ohne Mitwirkung eines rechtgläubigen Ministeriums nicht[1]. Luther behauptet wohl das Gegentheil, er sagt sogar den Böhmen, sein Rathschlag, durch gemeine Stimmen der Gemeinde Prediger zu wählen, sei biblisch, nicht neu, sondern ganz alt, apostolisch. Aber den Beweis ist er schuldig geblieben, da das Zeugnis, welches die ersten Gemeinden den Presbyter setzenden Apostelschülern Timotheus und Titus für die Wahlkandidaten zu übergeben hatten, noch lange keine Wahl, noch lange kein Wahlrecht begründet. Er thut deswegen ganz wohl, sein Novum aus dem Nothstand


  1. Hieher Melanchthon’s Loci p. 372. ff., Corpus doctrinae (1569) fol. 290. Baier’s Theologia histor. p. 329.: Haec quidem consuetudo, qua electio ministrorum ecclesiae ad clerum et populum pertinet, duravit in ecc[l]esia etiam post concilium Nicaenum tempore bene longo. Auch Joh. Gerhard sagt, daß kein Stand der Kirche ausgeschloßen sei von der Wahl.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/111&oldid=- (Version vom 1.8.2018)