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  so ist sie (die Ordination) selbst noch kein Adiaphoron. Daher steht es in keines Kirchendieners Belieben, ob er sich wolle ordiniren laßen oder nicht.“

 Für diese verschiedene Auffaßung berufen sich beide Theile auf die heilige Schrift. Pag. 89. verlangt P. Grabau von seinen Gegnern den exegetischen Beweis, daß die von beiden Theilen auf die Sache bezogenen Stellen 2. Tim. 2, 2. und Tit. 1, 15. keinen bleibenden Befehl der Apostel enthalten und daß sie nicht von Ordination durch Kirchendiener, sondern bloß von Erwählung durch die Gemeinde handeln. Hiebei verweist er auf 2. Tim. 1, 13. 14. Umgekehrt verlangen die sächsischen Pastoren p. 93. den Beweis, daß in jenen Stellen nicht bloß ein specieller Befehl des Apostels an Timotheus und Titus, sondern ein „allgemeiner Befehl an die ganze Christenheit zu suchen sei,“ Man kann jene beiden Stellen noch durch andere verstärken, aber man wird, so viel man auch herbeizieht, immer nicht von diesem Punkte wegkommen: „Ist, da wirklich kein außerordentlicher Generalbefehl vorhanden ist, aus allen den Stellen, welche Specialbefehle der Ordination enthalten, auf einen Generalbefehl der Apostel zu schließen, oder nicht?“ Die in den meisten Kirchen auf Erden bejahend gegebene Antwort und der noch allgemeinere, selbst in der lutherischen Kirche herrschende Usus können zum Ja geneigt machen. Aber kann man bei mangelndem Generalbefehl wirklich sagen: „Ja, aus den Specialbefehlen resultirt ein Generalbefehl?“ Hier sind wir auf dem eigentlichen Kampfplatz. – Grabau sagt ja, die Missourier nein. Für ihre Antwort berufen sich beide auf kirchliche Auctoritäten. Und in der That fehlt es beiden nicht. Man vergleiche p. 16. f. 61.; 70. 72. 75.

 Beide Theile fühlen im Verlauf des Streits, daß sie auf dem Wege der Zeugnisse zu keinem völligen Siege kommen. Die sächsischen Pastoren versuchen p. 72. 89. und zwar keineswegs unglücklich, nachzuweisen, wie eine von Luther und den ersten Lehrern der Kirche abweichende Ansicht in der Kirche aufkommen und Platz greifen konnte; und die Synode von Freistatt gesteht p. 89, ganz ehrlich, „daß darüber nicht bei allen Lehrern der Kirche eine gleiche Entschiedenheit gefunden wird, deshalb man sich stracks an Gottes Wort halten müße nach Vorgang der Symbole,“ welch letztere sie also mit ihrer, der Grabauischen Ansicht, für ganz vereinbar erkennt.

 Und so ists denn auch wirklich. Die alten Lehrer sind nicht einig, die Symbole haben keine allseitigen, durchweg genügenden Bestimmungen, die Schrift ist in den betreffenden Stellen nicht einmüthig aufgefaßt, – und die Lehre von der Ordination ist eben eine von denen, über welche man innerhalb der lutherischen Kirche je und je verschiedener Ansicht gewesen ist, auf deren einmüthiges Verständnis erst durch Satz und Gegensatz hinzuwirken ist.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/121&oldid=- (Version vom 18.8.2017)