Sie sei sogar mit der kleineren Hälfte zufrieden, weil sie den Herrn mit der Bitte um solche Kleinigkeit nicht belästigen wolle.
Regungslos lauschte Käthe der Herrin. Wie? Diese selbst riet ihr zum Diebstahle? Denn Diebstahl war dies doch und weiter nichts, und „du sollst nicht stehlen!“ lautet das siebente Gebot.
Käthe ward ganz verwirrt im Kopfe und kaum noch konnte sie Julias Worte unterscheiden. Nur deren Sinn verstand sie und wußte, daß jene eine neue Lüge und Verirrung verlangte. Nein! Dazu böte sie niemals die Hand.
Und mit aller Achtung, aber voller Entschiedenheit lehnte sie Julias Verlangen ab und verteidigte sich ohne weitere Erklärungen nur gegen den Vorwurf des Ungehorsams.
„Der Herr würde mir zürnen oder mich verdächtigen und mir ein schlechtes Zeugnis geben. Nein, das kann ich nicht tun…“
Hier brach sie ab. Auf den Lippen aber schwebten ihr die Worte: „Denn das ist eine schwere Sünde!“ In diesem Hause jedoch, wo der Name Gottes niemals ausgesprochen wurde, hielt Käthe diese Begründung in ihrem gesunden Menschenverstande für überflüssig. Wußte sie doch, daß Julia den göttlichen Zorn weniger fürchtete, als den ihres Gatten.
Julia aber verharrte im Eigensinn eines schlecht erzogenen und dabei beschränkten Weibes auf ihrem Verlangen mit erhobener Stimme und immer lebhafter.
Gabriela Zapolska: Käthe. Berlin o. J., Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zapolska_K%C3%A4the.djvu/188&oldid=- (Version vom 1.8.2018)