Fast mechanisch schlüpfte sie vor den nächsten Altar, schlug ein Kreuz und versuchte zu beten. Dies wollte ihr aber durchaus nicht gelingen. Wie ein verhaspeltes Garn verwirrten sich ihre Gedanken. An ihren Eingeweiden nagte der Hunger und ein dichter Nebel verhüllte ihre Augen.
„Jetzt kannst du ruhig nach Hause gehen!“ sagte der alte Küster, ungeduldig mit dem Schlüsselbunde klirrend, den er in den von der Gicht gekrümmten Fingern hielt.
Und sofort erhob sich Käthe von der Lade, auf der sie saß und stellte den geleerten Teller beiseite.
Der vor ihr stehende Alte hatte sie bewußtlos und halb erstarrt auf dem Steinfußboden der Kirche vorgefunden. Eben wollte er die Kirche schließen, als er sie daliegen sah, wie ein Stück Holz. Mit Hilfe zweier Kirchendiener ließ er sie in sein Stübchen bringen und ermunterte sie dort nach langen Bemühungen.
Der Alte hatte ein gutes Herz. Ein Teller warmer Suppe und ein Stück Brot waren die besten Heilmittel für das entkräftete Mädchen. Daher teilte er mit Käthe sein Abendessen und goß es ihr fast mit Gewalt in den geschlossenen Mund.
Unter dem Einflusse der Wärme im Stübchen kam sie allmählich wieder zu sich und wollte sich nach kurzen Dankesworten still entfernen.
Gabriela Zapolska: Käthe. Berlin o. J., Seite 375. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zapolska_K%C3%A4the.djvu/375&oldid=- (Version vom 1.8.2018)