Wußte sie doch, daß für sie dort nur ein vorübergehender Zufluchtsort sei und daß sie denselben früher oder später verlassen mußte.
Aufmerksam betrachtete sie der Alte und fragte dann achselzuckend: „Warum gehst du nicht auf Arbeit, anstatt halb zu verhungern? Du bist doch so groß und kräftig.“
„Ach, tagelang sucht’ ich nach Arbeit und konnte keine finden“, erwiderte sie und erhob unter Tränen die Augen. „Im Waschhause sprach ich vor, aber sie schlossen es mir vor der Nase zu. Seitdem kam mir kein Bissen über die Lippen.“
„Fandest du auch keinen Dienst?“
„Wer nähme mich in diesen Lumpen?“
Dabei zeigte sie mit trübem Lächeln auf ihre zerfetzte Kleidung.
„Im Dienst hab’ ich sie so abgerissen, daß eine ordentliche Herrschaft mich nicht einmal mehr zum Wassertragen gebrauchen kann.“
Das schlechte Zeugnis erwähnte sie nicht, um sich jedenfalls die Gunst des braven Mannes zu erhalten, der sich zuerst ihrer Not erbarmte und ihr einen Löffel warmer Suppe reichte.
Er aber versank ein Weilchen in Nachdenken. Augenscheinlich wollte er seine Unterstützung nicht auf die einmalige Hilfe beschränken. Vielmehr suchte er nach irgend einer Beschäftigung, die er dieser halb verhungerten, aber trotzdem nicht dem Laster verfallenen Bettlerin anvertrauen könnte.
Gabriela Zapolska: Käthe. Berlin o. J., Seite 376. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zapolska_K%C3%A4the.djvu/376&oldid=- (Version vom 1.8.2018)