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dazu. Ich sagte ihm in der Kürze meine Geschichte, und er führte mich an der Hand zu meiner Mutter. So viele Worte meiner Geschichte, so viel Vorwürfe waren es, wegen der allzu leichten Übergebung an die Schlittenfahrerin. Sie beklagte mich mit bewunderndem Kopfschütteln und brachte die Mittagsmahlzeit. Ich aß mit der Begier des verlorenen Sohns und dankte dem Himmel, daß ich nun wieder unabgetheiltes Brot bekam. Wenige Wochen nach diesem Tage gab meine Mutter ihrem Mann das dritte Kind, und ich hatte wieder meinen Posten bei der Wiege! Mein Trieb zum Bücherlesen schien hier völlig unterdrückt zu werden; es fehlte mir an Gelegenheit, und alle Klagen waren unnütz. Mein Stiefvater glaubte meine Bekehrung und überhäufte mich deshalb mit Lobsprüchen. Er ging so weit, daß er anfing, mich meiner Mutter vorzuziehen; denn die demüthige schmeichelnde Art, mit der ich ihm begegnete, besänftigte seinen Trotz. Es fielen täglich Zänkereien vor, und ich befand mich oft in Todesangst. Ach Gott! ich wußte nicht, daß in der Zukunft noch ganz andere Ungewitter auf mich warteten. Zitternd erflehte ich oft von meiner Mutter ihr Stillschweigen, um nur nicht den Jammer zu haben, daß dieser Mann zum ersten Mal Hand an sie gelegt hätte. Er war jähzornig, und ich fürchtete nichts Geringeres als Mord; doch bei aller seiner Bosheit hörte er die Vernunft, die ihm abrieth, seine beste Freundin zu mishandeln! Die Ursache der meisten Zänkereien war die eiserne und nahrungslose Zeit. Der Gram und die sumpfige Gegend gaben meinem Stiefvater ein bösartiges Fieber, er empfand ein unausstehliches Brennen, foderte Tag und Nacht frische Quellen und schwoll auf von allzu vielem Wassertrinken. Unter den bittersten Klagen, daß er sein Grab in einem so unberühmten Sande finden müsse, starb er. Indeß befand meine Mutter sich nicht in den besten Umständen; eine Frau mit 5 Kindern, ohne Versorger und nicht fähig, ihr Brot zu verdienen, ist beklagenswerth! Sie war überdies unaufhörlich krank. Funfzehn Sommer war ich alt und man hatte mich in Allem, was doch ein Frauenzimmer wissen muß, nicht unterrichtet. Die Wiege gab mir mein Tagewerk, ich war ein vernachlässigtes Mädchen; ein Unglück, von dem man die Spuren durch alle Tage seines Lebens gewahr wird. Meine Mutter trug sich mit einem ebenso verdrüßlichen Gemüthe als krankem Körper; das Fieber verließ sie keinen Tag; von 3 Kindern sollte ich die Erziehung übernehmen und bedurfte deren selbst. Der Ort, in welchem wir wohnten, war schlecht und ernährte keine Menschen, deren Umgang mir ersetzen konnte, was meiner Erziehung fehlte; unbesorgt wegen meines künftigen Schicksals wuchs ich gleich einer wilden unbeschnittenen Weinrebe herauf. Niemals konnte man mich zu den Schönheiten zählen, und dennoch fand sich unter den Jünglingen meines Vaterlandes einer, der mich suchte. Meine Mutter kam eines Tages mit ungewöhnlicher Munterkeit mir entgegen und sagte von einem jungen Menschen, der eben gekommen wäre, und in welchem sie mir meinen Bräutigam vorstellen würde. „Er ist schön, wohlgewachsen, angenehm“, rief sie mir zu, „und meine Freunde haben mir schon vor einiger Zeit gesagt, daß er Absichten hätte, mein Schwiegersohn zu werden, und ich fühle keinen Widerwillen“. Ich erstaunte über diese unerwartete Nachricht, und sie befahl mir, den Fremden wohl zu empfangen; ich gehorsamte und fand in der That so viel Einschmeichelndes an ihm, daß ich anfing, ihren Ausrufungen Recht zu geben. Ich werde Sie mit keiner langen Beschreibung aufhalten; ich wurde gewonnen, und bei der zweiten Reise,

Empfohlene Zitierweise:
Anna Louisa Karsch: Leben der A. L. Karschin, geb. Dürbach. F. A. Brockhaus, Leipzig 1831, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitgnossen_3_3_Karsch.djvu/016&oldid=- (Version vom 1.8.2018)