die er meinetwegen unternahm, behorchte ich meine Mutter und ihn. Er warb um mich; die Mutter machte Schwierigkeiten wegen meiner Jugend; er bestritt ihre Gründe. Der Mutter Herz war gewonnen, sie wollte mich versorgt wissen. Er machte mir mit guter Art ein Geschenk von 2 Ringen, ich nahm sie mit einer treuherzigen Miene; wir wurden verlobt und in einem Monat war ich die Seinige. Ich ward Frau und wußte mir noch kein anderes Ansehen als das eines Kindermädchens zu geben. Mein Mann erkundigte sich vor unserer Verheirathung nicht nach meinem väterlichen Erbtheil; er unterließ dies aus einer angenommenen Großmuth, aber ich empfand in der Folge, daß mein Vermögen für ihn zu klein gewesen. Unsere Gemüther harmonirten schlecht; mein reiches schmelzendes Herz, meine Zärtlichkeit und seine Begierde nach Reichthümern waren viel zu sehr verschieden, als daß eine Glückseligkeit in unserer Vereinigung möglich war. Meine einzige Erquickung fand ich in Büchern, mit welchen der Hirtenknabe mich noch immer versorgte; denn ich lebte wieder in derjenigen Stadt, auf deren Wiesen Rinder vor mir hergingen. Nun hingegen waren meine Tage arbeitsam; ich zerzauste entweder mit einem Holzblatt voll krumgebogener Stacheln Wolle und bereitete sie der Spinnerin zu, oder ich drehte mit meiner Hand unaufhörlich ein kleines Rad, Garn aufzuwinden für den schnelllaufenden Weberspul. Hundert geistliche Lieder waren in meinem Gedächtniß; meine Geschäfte hinderten mich nicht, die schönsten davon zu singen. Vorzüglich waren Loblieder meine Wahl; ich fühlte Zufriedenheit, wenn ich sie sang und that mir selbst die Frage: sollte es wol möglich sein, ein Lied zu machen? Ich kannte noch keinen Poeten außer einigen zerstreuten Blättern von Johann Frank, der durch verschiedene Kirchengesänge sein Gedächtniß verewigt hat. Seine Lieder waren meine Lieblinge, und die Überbleibsel seiner weltlichen Gedichte schwebten mir noch vor; ich fand sie in meinen Mädchenjahren auf dem Söller des Hauses meines Oheims bestäubt und voneinandergerissen. Es waren Hochzeitgedichte, mit viel Mythologie gemischt; ich verstand ihren Inhalt nicht, aber sie kamen mir schön vor. Ich besinne mich auf den Anfang des einen Gedichts, das die Aufschrift führte: „Cupido, ein Korbmacher“, denn der Bräutigam hieß Korb; der Dichter sang also:
Frau Venus lud einmal auf ihren Kahn von Schnecken,
Den sie mit Teppichen von Purpur ließ bedecken,
Ein Haufen Nymphenvolk mit ihr zu fahren ein etc.
Ich vergaß das Übrige, und ich wundere mich, daß die Werke dieses Sängers so ganz verloren gingen. Ich fand unter Anderm auch die Auferstehung und Himmelfahrt des Messias, 2 prächtige Gedichte. Tausend Mal hieß ich den ehrlichen Frank einen göttlichen Mann und war nun bei der Zunahme meiner Kenntniß unwillig auf mich, daß ich jene Reime nicht in Verwahrung genommen hatte. Aber ich beschloß nun, selbst Versuche zu machen; ich wählte die Melodie irgend eines geistlichen Liedes, saß bei dem murrenden Rade und wiederholte den jetztgedichteten Vers so lange, bis er in meinem Gedächtniß haften blieb:
Mein Herz verschloß das Lied, bis nach den Werkeltagen
Der stille Sabbath kam, dann erst entwarf mein Kiel
Die heimliche Geburt, die mir allein gefiel!
Immer lag ein Buch unter dem Kopfkissen meines Kindes; ich
Anna Louisa Karsch: Leben der A. L. Karschin, geb. Dürbach. F. A. Brockhaus, Leipzig 1831, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitgnossen_3_3_Karsch.djvu/017&oldid=- (Version vom 1.8.2018)