die Frau v. Reichmann zu meiner künftigen Versorgerin bestimmt sei. Dieser gütigen Dame schien ich zu gefallen; sie fragte, wie lange ich hier zu bleiben gedächte. Die Dichter sind kühn: ich sagte, daß es mein Vergnügen sein würde, wenn ich den Winter hier zubringen könnte, daß aber meine jetzige Wohnung schon besetzt sei. Sie bot mir eins von ihren Zimmern an; welche schöne Bestürzung für mich! Ich ergriff dieses Wort, flog nach Halberstadt und lebte daselbst 30 Tage, freuden- und liederreich für mich. Drei Mal kränzte mich die Freundschaft, und, von ihrer Hand gewunden, ist der Lorber grüner, als wenn ein Fürst ihn zu winden befiehlt. Damals entwarf man den ersten Plan zur Herausgabe meiner Gesänge, der Hr. v. Spiegel und Gleim hielten darüber eine Unterredung, die ich nur im Vorbeigehen behorchte.[1] Ich ging zurück nach Magdeburg und fand für mich das Haus des Commandanten sowie das Herz der Frau v. Reichmann offen. Freund Bachmann wand mir den vierten Lorber und gab meiner Muse eine goldene Feder in die Hand[2], um der andächtigen Prinzessin Amalie eine Passionscantate auszuarbeiten. Ich weiß nicht, ob mir dieses heilige Lied gelungen ist; ich war noch zu ungeübt in den Tönen des hohen Harfenspiels. Mich verließ der Odengeist, um einer frommen Traurigkeit Platz zu machen; die Ehre, für den Geschmack der Schwester des Königs gesungen zu haben, ist ein glänzender Theil meines Glücks. Der Hofprediger Sack übergab mir den Plan dazu, Amalie selbst entwarf ihn, und ich befahl meiner Muse, nicht oft auszuweichen von dem vorgezeichneten Pfade der Prinzessin. „Sie belebt durch ihre musikalische Kunst meine Arien!“ dieser Gedanke allein wäre groß genug, mich wegen eines Zeitraums von 15 durchquälten Jahren trösten zu können. Mein Glück steigt bis zum hohen Gipfel herauf: ich genieße einer uneingeschränkten Freiheit, meine Mahlzeiten sind am Tische des Commandanten, ich kenne die Sorgen des Lebens nicht mehr. Mein Sohn wird von dem großmüthigen Kottwitz erzogen, und um meine Tochter bekümmern sich meine berlinischen Freunde; mich hört die Königin, die Prinzen und Prinzessinnen[3], und meine Freunde bleiben mir getreu. Ich bedarf nicht der Hülfe des Arztes, und es hängt von mir ab, welchen Gesang, welches Buch, oder welchen Spazirgang ich wählen will. Glücklicher bin ich als der lydische König, der das Orakel zu Delphos befragen ließ, ihm ganze goldene Lasten zum Geschenk gab und, als er gefangen wurde, seine Fußketten schickte. O, ich erinnere mich oft an ihn und an den Ausspruch des weisen Atheniensers, der die Sterblichen auf das Ende der Dinge sehen hieß. Die Vorsehung
- ↑ Gleim besorgte nachher, vereint mit Sulzer, die erste Sammlung ihrer Gedichte, welche auf Pränumeration herauskam, und durch welche die Dichterin, nach Abzug aller Kosten, 2500 Thaler in Golde gewann.
- ↑ Siehe den hiernächstfolgenden Brief aus Magdeburg an Oeser. (WS: Zeitgenossen, S. 20)
- ↑ Die Königin ließ die Dichterin mehrmals zu sich einladen, und es war ein neues Wunder, daß ein seit 11 Monaten aus dem tiefsten Staube hervorgezogenes Weib vor den ersten Personen des königlichen Hauses mit einer Gegenwart des Geistes bestand und mit einer Dreistigkeit, welche ebenso ehrfurchtsvoll als gefällig war. Sie wußte ihre Reden zu schmücken ohne der Schmeichelei beschuldigt werden zu können. (S. das Leben der Dichterin, herausgegeben von der Frau v. Kl.)
Anna Louisa Karsch: Leben der A. L. Karschin, geb. Dürbach. F. A. Brockhaus, Leipzig 1831, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitgnossen_3_3_Karsch.djvu/028&oldid=- (Version vom 1.8.2018)