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befand. In der Nacht vom 23. zum 24. October a. St. 1865 wurde der Ueberfall ausgeführt. Die Kirgisen wurden vollständig überrascht, ihre Auls waren unbewacht und fielen sämmtlich in die Gewalt der Feinde, die sich einer kannibalischen Schlächterei überließen. Nach offiziellen russischen Angaben fielen 300 Menschen dem heimtückischen Anfall zum Opfer. Entsetzt flohen die Kirgisen nach allen Seiten auseinander, ohne an die Rettung ihres Viehstandes und ihrer sonstigen Habe denken zu können. Was sich wegschaffen ließ, schleppten die Kalmüken davon, das Uebrige verbrannten sie. Ihre Beute an Vieh bestand aus 100,000 Schafen, 6000 Stück Hornvieh, 1300 Pferden und 600 Kameelen. Anderthalbtausend Hunde irrten seit jener verhängnißvollen Nacht herrenlos in der Gegend umher, viele vor Hunger toll geworden. Die Schaaren derselben waren noch im Dezember so groß und frech, daß kein einzelner Reiter es wagen durfte, in ihren Bereich zu kommen, aus Furcht zerrissen und zerfleischt zu werden.

Wie die russische Regierung diese außergewöhnliche Grenzverletzung eines unter der Aegide der Pekinger Regierung handelnden Haufens aufgenommen hat, ist aus dem Bericht unseres Obersten nicht ersichtlich und uns auch anderweitig nicht bekannt geworden. Die Erzählung des Genannten ist überhaupt hier zu Ende. Nach den letzten ihm zugegangenen Nachrichten waren die Dungenen von Tschugutschak noch immer belagert in ihrer Moschee, und es war die Absicht ihrer Gegner, sie auszuhungern. Von der ganzen Ili-Provinz waren nur noch drei Punkte in der Gewalt der Mandschu. So war die Lage des Dungenen-Aufstandes am Anfange des für uns so bedeutungsvollen Jahres 1866.

Naturgemäß erhebt sich nun die Frage: Was ist das eigentliche Ziel oder was wird der Erfolg dieser großartigen Bewegung sein? Bevor wir auf diese Frage Antwort zu geben versuchen, richten wir unsere Blicke nach einem anderen Theile des Reiches der Mitte, der nicht minder seit Jahren von einer heftigen inneren Gährung erschüttert wird. Die Dungenen oder Choi-Choi sind allerdings, wie oben gesagt wurde, am engsten geschaart in den Nordwestprovinzen Kansu und Schänsi, aber sie bewohnen, in freilich weniger geschlossener Reihe, auch die südlich angrenzenden Provinzen Sütschuan und Junnan, ja sie scheinen sporadisch sogar über das ganze Reich vertheilt zu sein, wenigstens treffen wir eine Gemeinde derselben z. B. in Canton. Nun ist aber nach englischen Berichten auch in der Südwestprovinz Chinas, in Junnan, seit wenigstens 10 Jahren ein muhamedanischer Aufstand im Gange, und wiewohl es nirgends direct bezeugt wird, darf man wohl zwischen diesem und der bis jetzt geschilderten

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Verschiedene: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Zweiter Band. Dietrich Reimer, Berlin 1867, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_II.djvu/169&oldid=- (Version vom 1.8.2018)