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Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 4. Jg 1935, Heft 1

angemessenen Anteil am Jahresprodukt von Boden und Arbeit ihres Vaterlandes, d. h. vom "Sozialprodukt" jedes Jahres zu erhalten und dauernd gesichert zu finden; dieser Anspruch wäre seinem Wesen nach nur bedingt durch die dauernde Arbeitsbereitschaft, also den Willen und die Fähigkeit, mittätig zu sein, nicht ausschliesslich durch wirklich geleistete Arbeit, sofern diese zeitweilig nicht erreichbar ist. Dieser Anspruch wäre durchaus von anderer Art als das Recht auf Arbei ; während dieser durchaus individualistisch gedacht ist, so wäre jener durchaus kollektivistisch; er könnte bestehen und als wohl begründet seine Geltung haben, auch wenn dem Recht auf Arbeit dauernd die Anerkennung verweigert würde. In Deutschland hat das Recht auf Arbeit in der gesamten sozialen und Arbeiterbewegung, ebenso wie in den Verhandlungen und Schriften des Vereins für Sozialpolitik und der Gesellschaft für soziale Reform wie nicht minder in der gelehrten Literatur im Ganzen doch nur eine geringe Rolle gespielt, so dass der Verzicht kein nennenswertes Opfer bedeuten wüprde. In der folgerichtig dargestellten Form, wie unser Norweger das Recht auf Arbeit deutet, als förmlicher Anspruch gegen den Staat mit Klagerecht — ist es bisher noch kaum in die Erscheinung getreten.

Aus diesen und anderen Gründen bin ich der Meinung, dass gerade im Deutschen Reiche mit dem Recht auf Arbeit wenig zu machen ist. Die Bekämpfung des Übels ist nur als energische Fortsetzung der bewährten Sozialpolitik möglich. Und zwar ist es die Form der Versicherung, die dafür gegeben, und sie ist des Ausbaus, ist noch der Vervollkommnung fähig. — Bosse selber rühmt ihre Anwendung und Verallgemeinerung in Grossbritannien. Er hebt allgemein hervor, im Unterschiede von anderen Veranstaltungen, wie dem Arbeitsnachweis, komme die Versicherung der Verwirklichung des Rechts auf Arbeit bedeutend näher als andere und frühere Versuche, das Problem anzufassen; aber den Forderungen jenes Rechtes entspräche auch die Versicherung, "jedenfalls in ihrer gegenwärtigen Form" nicht.

Wenn die gegenwärtige Form nicht genügt — und dies muss offenbar auch für die deutsche Versicherung gegen die Arbeitslosigkeit gelten (Gesetz vom 16. 7. 1927 und die Abänderung vom 12. 10. 1929) —, so wird vielleicht eine zukünftige Form das leisten, was zur Verhütung eines so ungeheuren Übels sich leisten lässt, ohne dass das Wesen der kapitalistischen Unternehmung und der Lohnarbeit da von berührt wird.

Ein anerkannter Mangel dieser Versicherungen ist die ungenügende Ordnung der Gefahrenklassen. In England, wo man dem grossen Unterschiede bei der Begründung des Gesetzes dadurch entgegengekommen ist, dass man es zunächst auf Bauarbeiter

Empfohlene Zitierweise:
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 4. Jg 1935, Heft 1. Librairie Felix Alcan, Paris 1935, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_-_Jahrgang_4_-_Heft_1.pdf/79&oldid=- (Version vom 25.10.2022)