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Bücherbesprechungen.
J. Krohn, Kalevalan toisinnot. Die Kalewala-Varianten. Les variantes du Kalevala. Angezeigt von K. Krohn.

Die Materialien des finnischen Nationalepos geordnet nach Inhalt und Sangort. Letztere Serie: die Gesänge aus Finnland, Olonetz, Ingermanland und bei den Esthen. Heft I. Helsingfors 1888. S. V., 172, Gross-Oktav mit drei Spalten Petit und Nonpareille. Preis 6 Fmk. (= 5 Rmk.). Bei der finnischen Litteraturgesellschaft portofrei zu erhalten.

In ästhetischer Hinsicht eins der bedeutendsten volkstümlichen Geistesprodukte, welches die folkloristischen Forschungen unseres Jahrhunderts zu Tage gebracht haben, ist ohne Zweifel die von Elias Lönnrot aus finnischen Volksgesängen zusammengestellte Kalevala. Der gelehrten deutschen Welt ist dieses 22 800 Verse umfassende Epos schon längst durch die wörtliche Übersetzung A. Schiefners zugänglich gewesen und vor kurzem ist es durch die gelungene poetische Übertragung H. Pauls dem Verständnisse des grösseren Publikums näher gerückt worden.

Jedoch auch in rein wissenschaftlicher Hinsicht für die Erforschung des Entstehens der volkstümlichen Epen (Homer, Nibelungenlied etc.) überhaupt ist die finnische Kalevala von grösster Bedeutung, indem die aus dem Munde des Volkes vernommenen und unmittelbar niedergeschriebenen Lieder, welche Lönnrot bei seiner Zusammenstellung vorgelegen haben, uns fast alle erhalten sind. Durch die Herausgabe dieser Originalhandschriften, deren Zeilenzahl eine halbe Million, mit den hinzugenommenen esthnischen eine Million übersteigt, will jetzt die finnische Litteraturgesellschaft, welcher das finnische Nationalwerk immer zunächst am Herzen gelegen hat, den wissenschaftlichen Forderungen unserer Zeit entgegenkommen ohne auf Mühe und Kosten zu rechnen. Besonders hervorzuheben ist, dass sie sich nicht begnügt hat mit der blossen Herausgabe der schon vorhandenen älteren Sammlungen, welche leider mit höchst spärlichen Orts- und Personalangaben versehen und oft durch Auslassung der dem Sammler schon bekannten Zeilen verkürzt sind, sondern sie hat in den zwei letzten Jahrzehnten eine neue, sorgfältige Lese in denselben Gegenden veranstaltet, damit durch die Gesänge der Nachkommen diejenigen der schon verstorbenen Generation in den Handschriften aufgefunden werden könnten.

Empfohlene Zitierweise:
Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_242.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)