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Seite:Zeitung für die elegante Welt 1818 Quandt.djvu/6

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Auf die Historienmalerei im höherm Sinne, daß heißt diese, welche nicht sowohl ein geschichtliches Factum, als vielmehr einen Moment der ewig neu sich entfaltenden Menschheit, in Raum und Zeit, darstellt, äußert die Richtung der Poesie am entschiedensten ihren mächtigen Einfluß. Dichter und Maler wenden sich zu romantischen Stoffen hin, die ihrer übersinnlichen Natur nach sich der Darstellung, wenn auch nicht ganz entziehn, doch über die Grenzen des Wahrnehmbaren hinausstreben, und eine Thätigkeit des Geistes bei dem Beschauer erfordern und einen Künstler voraussetzen, welcher den Gedanken über die sinnliche Erscheinung des Bildes hinaus zu verfolgen und fortzusetzen vermag, so daß die Idee gleichsam nur vorübergehend in der Darstellung plastische Form annimmt, fortschreitend sich aber wieder vergeistigt, zu ihrer übersinnlichen Natur zurückkehrt und das Materielle in der Kunst geistig auflöst. Dahingegen verschwinden solche Aufgaben in der Kunstwelt allmählig ganz, welche ihrer Natur nach zur Verkörperung hinstreben, wo die Idee in der Anschauung ganz auf und übergeht, und das Kunstwerk dem Inhalte und der Sphäre der Idee völlig gleich ist. Solche ihrer Natur nach plastische Stoffe liefert vorzüglich das Heidenthum, jene romantischen. mystischen, sentimentalen, das Christenthum. Aeußerst interessant war es also, daß ein so denkender und unterrichteter Künstler, wie Prof. Ferdinand Hartmann, eine in unsern Tagen so seltene Aufgabe, aus der Mythologie, gewählt hatte, und uns dadurch zeigte, wie ein neuerer Künstler sie behandeln muß. Die Idee soll im Bilde angeschaut werden, das Kunstwerk die Idee ganz in sich aufnehmen, der Phantasie nichts zu ergänzen, der Betrachtung nichts auszuführen übrig bleiben.

Der Gegenstand des Gemäldes ist Hylas, welcher von den Nymphen in den Quell hinabgezogen wird, aus welchem er Wasser zu schöpfen ging. In dieser Fabel scheint es mir, als sey die Idee des ewigen Bündnisses zwischen der Natur und dem Menschen ausgesprochen. Hylas widerstrebt, allein die Nymphen überwinden ihn, sein Wille unterliegt einem mächtigern. Die eine der Nymphen hält ihn bei’m Arme fest, und macht ihn so wehrlos, sie ist ganz Ausdruck der innigsten Liebe. Die andere, mit einer weißblühenden zarten Wasserpflanze bekränzt, breitet die Arme nach ihm aus, die Farben der Unschuld und Hoffnung sind in ihr Haar geflochten, anziehend und geistreich mischt sich liebende Besorgniß und Hoffnung in ihren Zügen, sie ist die zarte Sehnsucht selbst. Bis zur Leidenschaft wird der Ausdruck in der dritten Nymphe gesteigert. Sie hält ihren Liebling umschlungen und will ihn in die Fluthen hinabstürzen. Das Ringen der Mädchen, das Widerstreben des Jünglings gab dem Künstler Gelegenheit, Leben und Bewegung in die Gruppirung zu legen und sogar gewagte Stellungen anzubringen, durch welche er sich als kenntnißreicher akademischer Zeichner bewährte. Vortheilhafter für artistische Zwecke konnte dieser Gegenstand wohl nicht aufgefaßt werden, allein, wie es wir scheint, wohl günstiger für eigentliche Darstellung der Idee. Denn eben dieser Kampf zwischen Hylas und den Nymphen, der zu einer kunstreichen Gruppirung dem Bildner Veranlassung gab, läßt uns nothwendig in Zweifel, wer hier siegen wird, und sollte man nicht vermuthen, daß wohl ein Mann, wenn es auf Körperkraft ankommt, drei Mädchen überwinden könnte? – Warum widerstrebt aber Hylas den Nymphen, und folgt nicht willig der freundlichen Lockung? Ist Hylas das Bild des Menschen, der durch Liebesmacht und Zauber angezogen, in den Bronnen der Natur hineinsinkt, so wäre ein sich Hingeben in die Arme der Nymphen, der Idee, welche in der Fabel ausgesprochen wird, wohl noch angemessener gewesen, und der große deutsche Dichter sagt in seinem Fischer:

      Halb zog sie ihn, halb sank er hin –

Selbst wenn die Mythe von Hylas weiter nichts, als eine verschönernde, heitere Einkleidung einer traurigen Begebenheit wäre, so sollte doch auch in der bildlichen Darstellung alles vermieden seyn, was uns daran erinnert, daß Hylas ertrank; aber eben diese Vorstellung wird durch das bange Sträuben des Mannes nur zu sehr in uns angeregt. Daß wir über die Art, wie der Künstler die Fabel auffaßte, verschiedener Meinung mit ihm sind, kann den Werth eines Kunstwerks von so entschiedenen Schönheiten nicht trüben. Es stellt uns eine einfache Begebenheit höchst natürlich und zugleich interessant vor die Augen, beschäftigt den Geist durch die bestimmte und tiefgefühlte Charakteristik der drei Mädchen, durch welche drei Momente des Gemüths uns personifizirt und zugleich handelnd entgegentreten, und ergötzt den Sinn durch Schönheit der Formen und Farben. Besonders meisterhaft ist die Nymphe im Vorgrund, auf welche die Beleuchtung am hellsten fällt, gemalt.

(Der Beschluß folgt.)

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottlob von Quandt: Ueber die diesjährige Kunstausstellung zu Dresden. Leopold Voß, Leipzig 1818, Seite 1919,1920. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitung_f%C3%BCr_die_elegante_Welt_1818_Quandt.djvu/6&oldid=- (Version vom 10.11.2024)