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Ueber die diesjährige Kunstausstellung zu Dresden

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Textdaten
Autor: Johann Gottlob von Quandt
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Titel: Ueber die diesjährige Kunstausstellung zu Dresden
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aus: Zeitung für die elegante Welt
Herausgeber: Leopold Voß
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1818
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Katalog der Ausstellung siehe Verzeichniß der am Augustustage den 3. August 1818 in der Königlich Sächsischen Akademie der Künste öffentlich ausgestellten Kunstwerke
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[1901,1902]
Ueber die diesjährige Kunstausstellung zu Dresden.

Wer es ernst und gut mit der Kunst meint, dem ist eine Ausstellung, wie die der Akademie in Dresden, nicht blos ein Gegenstand der Belustigung, sondern des Nachdenkens und der Prüfung. Daß aber der große Haufe, und selbst solche, welche die Stimme führen, nur zur Unterhaltung sehn und reden wollen, davon geben sogar Abhandlungen über die diesjährige Ausstellung sprechende Beweise. Solchen Menschen fällt es aber nicht ein, daß die Kunst zu den wichtigsten Angelegenheiten der Menschheit gehört, und daß, wie an der Straßburger Domuhr das Hervortreten der verschiedenen zwölf Apostel die Stunden des Tages andeutet, das Vor- und Rückschreiten der Kunst die Zeit an der großen Weltuhr anzeigt.

Die Arbeiten der jungen Künstler geben uns Gelegenheit zu bemerken, daß es in unsern Tagen nicht mehr hinreicht, blos Wohlgefälliges zu liefern, daß Bestimmtheit, Richtigkeit und Seele gefordert wird; und was gefordert ist, muß ein Bedürfniß, unsere Zeit also wohl vorgeschritten seyn. Es ist die treffliche Einrichtung getroffen worden, daß die Schüler, welche durch Fleiß und Geist sich auszeichnen, Prämien erhalten. Diese Veranstaltung war schon längst zu wünschen, und von einer so einsichtsvollen Direktion, wie die der Dresdner Akademie , zu erwarten. Eben so sicher können wir hoffen, daß es dem Herrn Hofmarschall Grafen Vitzthum Eckstätt, dessen Leitung sich unsere Akademie erfreut, gefallen wird, auf eine ermunternde Weise die Namen derer bekannt zu machen, welche die Auszeichnung erhielten. Es würde hierdurch den jungen Künstlern nicht nur ihr Eintritt in die Welt günstig vorbereitet, sondern auch gezeigt, welche Zweige der Kunst vorzüglich bei uns gedeihen, woraus wir denn auf die Anlagen und die Richtung unserer Nation und Zeit Folgerungen ziehen könnten. Ich glaubte zu bemerken, daß Historien- und Portraitmalerei in Hinsicht technischer Entwickelung dem Landschaftsfache weit vorausgeeilt, letzteres aber auf einem gewissen Punkte, wohin des würdigen Prof. Klengels und des verstorbenen Zings Manieren die Landschaftsmalerei [1903] geführt, fest stehn geblieben war. Hingegen ist Schönaus schwülstige und Casanova’s schauspielerische Manier ganz verschwunden, aber leider! auch des alten Grafs ernster, kräftiger Styl. Doch ist es auch sehr zu loben, wenn junge, talentvolle Männer einen eigenen, ihren Anlagen, der Natur und unserer Zeit angemessenen Weg betreten. Dies zu bemerken, gab uns das Portrait Sr. Heiligkeit des Papstes Pius VII. im Kostüm der Audienzertheilung an ein gekröntes Haupt, ganze Figur in Lebensgröße, von C. Christian Vogel, Pensionair der Akademie, Gelegenheit. Dieser verdienstvolle Künstler, der sich früher zum Grafschen Styl hinneigte, hat diesen mit einem neuen vertauscht.

Alle einzelne Gegenstände in diesem Bilde sind mit einer bewundernswürdigen Geschicklichkeit und Wahrheit dargestellt. Indem das Auge durch lebendige Farben gereizt und erfreut wird, macht zugleich das Ganze einen sehr schönen harmonischen Eindruck. Vielleicht blieb uns in malerischer Hinsicht nur das einzige zu wünschen übrig, daß die Fleischtinten etwas kräftiger hätten seyn sollen, welche fast an das Weichliche gränzen. Hätte der treffliche Künstler, wie in andern Theilen, die Wirkung der Wahrheit aufgeopfert, die Lagen des weißen Untergewandes des Papstes weniger groß gehalten, mehr Bewegung in den Faltenwurf gelegt, und den Reflexen keinen so metallnen Schimmer verliehen, so würde er unsern ganzen Beifall verdient haben.

Die schön geformten Hände lassen uns vermuthen, daß Vogel ein geübter Zeichner seyn muß; die schwere Bekleidung ließ es nicht zu, daß der Künstler die Kenntniß des menschlichen Körpers sonst zeigen konnte.

[1912] Was die Auffassung des Charakters anbelangt, so scheint sich der Künstler streng an die Natur gehalten, sie im Einzelnen genau beobachtet und treu nachgebildet zu haben. So wahr das Portrait nun auch den einzelnen Zügen und Formen nach seyn mag, so geben diese doch keine Gesammtanschauung des Charakters. Dieses ist weit weniger ein Vorwurf, den ich gesonnen bin dem wackern Künstler, als vielmehr der allgemeinen Richtung der Kunst in unsern Tagen zu machen, welcher jeder in der Zeit Lebende mehr oder weniger unterworfen ist. Wenn die Wahrnehmung des Wirklichen, also der realen Natur, nur auf das Einzelne gerichtet ist, wie es die Richtung der neueren Kunst zu seyn scheint, ohne zu einer Allgemeinanschauung eines Gegenstandes hinzuführen, so wird die Darstellung immer unzusammenhängend und charakterlos ausfallen. Das Genie geht von der Idee, oder bei in der Wirklichkeit gegebenen Gegenständen von der Gesammtanschauung des Objekts aus, von einem Allgemeinen zu dem Einzelnen über, und entwickelt so den Inhalt des Gegenstandes. Das Talent reiht homogene Merkmale an einander, und fügt so allmählig den ganzen Bestand einer Idee ober eines Gegenstandes zusammen. Gesellt sich aber nicht die Vollständigkeit zu dem Verfahren des Genies, so werden dessen Werke immer unvollkommen bleiben, und wenn auch der Phantasie ansprechend scheinen, den Verstand unbefriedigt lassen. Dringt durch alle Einzelnheiten das Talent nicht bis zur Idee vor, gelangt es nicht durch das Besondere zum Allgemeinen, durch Wahrnehmungen der einzelnen Bestandtheile nicht zu einer Anschauung des Ganzen, so werden die Werke des Talents nie charakterisch, nie ergreifend seyn. Jeder von diesen Wegen führt zu einem hohen Ziele der Vollkommenheit, vorausgesetzt, daß die eine oder die andere Kraft in hohem Grade vorhanden und wirksam ist. Daher wissen wir oft nicht, ob wir den Portraiten des Raphael oder denen des Alb. Dürer den Vorzug geben sollen; denn ohne Zweifel war Raphael das größte Bildnergenie, Albr. Dürer zuverlässig das größte Bildnertalent. So stand ich oft zweifelnd in der Gallerie Corsini bald vor dem Portrait Julius II. [1913,1914] von Raphael, bald vor dem Bildnisse eines Kardinals von Alb. Dürer, und wußte nicht, welches das vollkommenste Werk von beiden sey; jenes schien ganz Geist, dieses ganz Wahrheit zu seyn. Der Deutschen Nationalgut ist Talent, der Italiener Erbtheil Genie. Mag der Geflügelte sich über die Erde emporschwingen, und in weitem Umkreise blühende Welttheile mit einem Blicke überschauen, und mühelos, einem Gotte ähnlich, mit jedem Athemzuge eine Schöpfung beleben; das stille, kräftige, beharrliche Talent, von Glaube, Liebe, Hoffnung begleitet, durchwandert Schritt vor Schritt den weiten Kreis der Erde, nichts bleibt ihm unbekannt, es gelangt allmählig, aber zuverlässig zum Ziele. Der deutsche Künstler geht diesen schönen, sichern Weg, er berathet sich mit der Natur, und sie enthüllt vor seinen Liebesblicken alle ihre Reize. Darum ist unser trefflicher Landsmann zu preisen, daß er den von der Natur ihm vorgeschriebenen Weg, den des Talents, betrat, und das Herrliche, was er leistete, gibt uns die Versicherung, daß er mit Muth, Beharrlichkeit und Fleiß den Gipfel ersteigen wird, auf welchem vor ihm so viele deutsche Männer anlangten.

Welchen Einfluß das wissenschaftliche Streben auf die Kunst in neuerer Zeit gehabt hat, zeigte Göthe, mit seinem alles durchdringenden Geiste, in einer Abhandlung über Blumenmalerei. Der Blumenpflege nahmen reiche, durch ihren ausgebreiteten Handel mit fernen Welttheilen in Verbindung stehende Holländer sich an. Dieses harmlose Geschäft war zugleich ein Ausruhn von ernster Arbeit, und ein Mittel, den erworbenen Wohlstand und ausgebreiteten Verkehr bemerkbar und gegen Mitbewerber geltend zu wachen. Eben so heiter und im bessern Sinne nur oberflächlich behandelten die Blumenmaler ihr Fach. Zu Verzierungen und Gemälden wurden Blumen an einander gereiht oder gruppirt, aber immer war es nur der wohlgefällige Eindruck, den diese zarten Wesen aus den äußern Sinn machten, den der Blumenfreund suchte und der Blumenmaler auffaßte. Was anfänglich die Liebhaberei gesammlet, herbeigeschafft hatte, fing an die Wissenschaft zu ordnen, dadurch gewannen die Gärtner an Blumen und Kräutern ein neues Interesse, und eine genauere Beobachtung der einzelnen charakteristischen und gemeinsamen Merkmale wurde erfordert. Die Blumenmaler ihrer Seits mußten diesen wissenschaftlichen Bestrebungen folgen, wollten sie sich den Beifall und die Theilnahme der Blumenfreunde in Zukunft sichern. Sie waren genöthigt, diese zarten Naturgeschöpfe mit dem geschärften Blicke des Botanikers zu betrachten, und mit dem für Form und Farbe geläuterten Sinn des Malers aufzufassen, um beide Rücksichten befriedigend in ihren Gemälden zu vereinigen. Die Lösung dieser so schwierigen Aufgabe war Moritz Tettelbach vollkommen gelungen. Ein Strauß frischer Wiesenblumen stand vor uns, als waren sie in Morgenfrühe eben erst gebrochen. Da waren wilde Rosen von sanfter Wangenröthe, welche sich ganz dem Licht geöffnet hatten. Schirmförmig breitete sich die zarte Blüthe der Garbe (Achillaea Millefolium L.) aus, im wetteifernden Wuchs hatte jedes Schwesterblümchen so weit sich hervorgedrängt, wie das andere. Der Künstler wußte diese Pflanze zu benutzen, um sein Bild zu runden. Dieser perspektivische Kunstgriff war ihm um so nöthiger, well in einem so kleinen Raume keine Haltung anzubringen möglich war, wenn er nicht, wie Johann von Huysum, Johann David de Heem, und besonders Weller von der Wahrheit abweichen, und durch eine künstliche Farbenperspektive das Auge täuschen wollte. Die Ausladungen des Straußes bildeten zarte, schwankende Kräuter und noch manches bescheidene, verschämte Blümchen senkte sein Köpfchen nach unten. Da war nichts vergessen, kein Staubfaden, keine Ader, kein Härchen. Genauigkeit und Vollständigkeit war mit Weichheit und Anmuth verbunden. Die Schwierigkeit der Gouachemalerei schien ganz beseitigt zu seyn. – So müssen Blumen gemalt werden! –

[1917,1918] Der alte würdige Professor Klengel hatte uns nicht nur mir mehrern freundlichen Bildern in seinem Fache der Kunst erfreut, sondern uns auch durch ein Bild einer andern Art angenehm überrascht Es war eine Dorfschule. Das Helldunkel, welches in einer großen, von wenig Fenstern erhellten Stube und von Dünsten gemischten Luft herrscht, war dem Maler meisterhaft gelungen. Die Stellungen der Kinder sind ausdrucksvoll und äußerst naiv. Das Kinderleben ist mit so viel Sinn aufgefaßt, daß wir uns bei’m Anblick dieser Darstellung in jenen Kreis versetzt fühlen, wo eine kleine Noth und kleine Freuden das ganze Leben noch ausfüllen. Hart am Ofen ist die Strafbank, und dort am Fenster die hohe Schulbank voll fleißiger Kinder. An einer Tonne steht ein Knabe und schwitzt über einem schwierigen Rechenexempel, und kleinere Kinder spielen zu den Füßen der Frau Schulmeisterin, deren Spinnrad zu dem lauten Lesechor schnurrt.

Solche Idyllen lassen wir uns gefallen, und solche Scenen aus dem Landleben mit Sinn für Natürlichkeit und Einfachheit der Sitten, mit Beobachtungsgabe aufgefaßt, und einer Kunstfertigkeit, wie die Niederländer sie besaßen, dargestellt, werden den Kunstfreunden immer Freude machen. Auch dieses kleine Bild, voll Geist und Wahrheit, ist ein Beleg des durch die Poesie allgemein verbreiteten bessern Geschmacks. Wenn französische und deutsche Dichter vormals, im Gefühl der verlornen Unschuld, einer Schäferwelt bedurften, um den reinen Naturzustand der Menschheit, für welchen sie kein Maß und Vorbild in sich fanden, zu schildern, und den Schauplatz weit, weit nach Arcadien verlegten, diese Schäfer und Schäferinnen einfältig, statt unschuldig, geziert, statt natürlich, überreizt, überfeinert und matt, statt gefühlvoll, seelenvoll, kräftig sprechen und handeln ließen, so stellen uns die Maler in ihren idyllischen Bildern lächerlich gezierte und geschmacklos ausgeputzte Menschen vor die Augen, an welchen wir mit Mühe die reine Naturform wieder erkennen können. Engherzigkeit war in der Idylle und die Schnürbrust in ländlichen Gemälde zu Hause. Wateau fühlte die Verkehrtheit seines Zeitalters und persiflirte durch seine Gemälde den herrschenden Geschmack; lächerlich aber genug war es, daß kein Mensch den Spott merkte, sondern Jedermann Spaß für Ernst nahm. Andere, wie z. B. van der Werf und Boucher, verwechselten Liederlichkeit mit Naturunschuld, und in den niederländischen Bauerstücken ist zwar eine bewundernswürdige Wahrheit zu finden, welche uns aber nur Rohheit für Natur gibt. Den Conversationsstücken fehlte es gewöhnlich so sehr an Leben, daß die innere und zartere Seite des Menschen nicht hervortreten konnte. Deutschen Dichtern gelang es, das rein Menschliche in einfachen, ja beschränkten Lebensverhältnissen mit einer liebenswürdigen Sittenreinheit zu schildern. Das gleiche hat hier Klengel, als Maler, gethan, und wir wünschen nicht nur ihm einen glücklichen Erfolg, sondern auch sinnvolle Nachfolger.

[1919,1920] Auf die Historienmalerei im höherm Sinne, daß heißt diese, welche nicht sowohl ein geschichtliches Factum, als vielmehr einen Moment der ewig neu sich entfaltenden Menschheit, in Raum und Zeit, darstellt, äußert die Richtung der Poesie am entschiedensten ihren mächtigen Einfluß. Dichter und Maler wenden sich zu romantischen Stoffen hin, die ihrer übersinnlichen Natur nach sich der Darstellung, wenn auch nicht ganz entziehn, doch über die Grenzen des Wahrnehmbaren hinausstreben, und eine Thätigkeit des Geistes bei dem Beschauer erfordern und einen Künstler voraussetzen, welcher den Gedanken über die sinnliche Erscheinung des Bildes hinaus zu verfolgen und fortzusetzen vermag, so daß die Idee gleichsam nur vorübergehend in der Darstellung plastische Form annimmt, fortschreitend sich aber wieder vergeistigt, zu ihrer übersinnlichen Natur zurückkehrt und das Materielle in der Kunst geistig auflöst. Dahingegen verschwinden solche Aufgaben in der Kunstwelt allmählig ganz, welche ihrer Natur nach zur Verkörperung hinstreben, wo die Idee in der Anschauung ganz auf und übergeht, und das Kunstwerk dem Inhalte und der Sphäre der Idee völlig gleich ist. Solche ihrer Natur nach plastische Stoffe liefert vorzüglich das Heidenthum, jene romantischen. mystischen, sentimentalen, das Christenthum. Aeußerst interessant war es also, daß ein so denkender und unterrichteter Künstler, wie Prof. Ferdinand Hartmann, eine in unsern Tagen so seltene Aufgabe, aus der Mythologie, gewählt hatte, und uns dadurch zeigte, wie ein neuerer Künstler sie behandeln muß. Die Idee soll im Bilde angeschaut werden, das Kunstwerk die Idee ganz in sich aufnehmen, der Phantasie nichts zu ergänzen, der Betrachtung nichts auszuführen übrig bleiben.

Der Gegenstand des Gemäldes ist Hylas, welcher von den Nymphen in den Quell hinabgezogen wird, aus welchem er Wasser zu schöpfen ging. In dieser Fabel scheint es mir, als sey die Idee des ewigen Bündnisses zwischen der Natur und dem Menschen ausgesprochen. Hylas widerstrebt, allein die Nymphen überwinden ihn, sein Wille unterliegt einem mächtigern. Die eine der Nymphen hält ihn bei’m Arme fest, und macht ihn so wehrlos, sie ist ganz Ausdruck der innigsten Liebe. Die andere, mit einer weißblühenden zarten Wasserpflanze bekränzt, breitet die Arme nach ihm aus, die Farben der Unschuld und Hoffnung sind in ihr Haar geflochten, anziehend und geistreich mischt sich liebende Besorgniß und Hoffnung in ihren Zügen, sie ist die zarte Sehnsucht selbst. Bis zur Leidenschaft wird der Ausdruck in der dritten Nymphe gesteigert. Sie hält ihren Liebling umschlungen und will ihn in die Fluthen hinabstürzen. Das Ringen der Mädchen, das Widerstreben des Jünglings gab dem Künstler Gelegenheit, Leben und Bewegung in die Gruppirung zu legen und sogar gewagte Stellungen anzubringen, durch welche er sich als kenntnißreicher akademischer Zeichner bewährte. Vortheilhafter für artistische Zwecke konnte dieser Gegenstand wohl nicht aufgefaßt werden, allein, wie es wir scheint, wohl günstiger für eigentliche Darstellung der Idee. Denn eben dieser Kampf zwischen Hylas und den Nymphen, der zu einer kunstreichen Gruppirung dem Bildner Veranlassung gab, läßt uns nothwendig in Zweifel, wer hier siegen wird, und sollte man nicht vermuthen, daß wohl ein Mann, wenn es auf Körperkraft ankommt, drei Mädchen überwinden könnte? – Warum widerstrebt aber Hylas den Nymphen, und folgt nicht willig der freundlichen Lockung? Ist Hylas das Bild des Menschen, der durch Liebesmacht und Zauber angezogen, in den Bronnen der Natur hineinsinkt, so wäre ein sich Hingeben in die Arme der Nymphen, der Idee, welche in der Fabel ausgesprochen wird, wohl noch angemessener gewesen, und der große deutsche Dichter sagt in seinem Fischer:

      Halb zog sie ihn, halb sank er hin –

Selbst wenn die Mythe von Hylas weiter nichts, als eine verschönernde, heitere Einkleidung einer traurigen Begebenheit wäre, so sollte doch auch in der bildlichen Darstellung alles vermieden seyn, was uns daran erinnert, daß Hylas ertrank; aber eben diese Vorstellung wird durch das bange Sträuben des Mannes nur zu sehr in uns angeregt. Daß wir über die Art, wie der Künstler die Fabel auffaßte, verschiedener Meinung mit ihm sind, kann den Werth eines Kunstwerks von so entschiedenen Schönheiten nicht trüben. Es stellt uns eine einfache Begebenheit höchst natürlich und zugleich interessant vor die Augen, beschäftigt den Geist durch die bestimmte und tiefgefühlte Charakteristik der drei Mädchen, durch welche drei Momente des Gemüths uns personifizirt und zugleich handelnd entgegentreten, und ergötzt den Sinn durch Schönheit der Formen und Farben. Besonders meisterhaft ist die Nymphe im Vorgrund, auf welche die Beleuchtung am hellsten fällt, gemalt.

[1926] Wir gehen zu einem Gegenstand ganz anderer Art über. Die Scene ist aus einem Religionskriege. Schon dadurch werden wir in eine bestimmte und neuere Zeit versetzt, und von dem Zeitlosen, Allgemeinmenschlichen abgezogen. In dem Schauspiele, die Hussiten vor Naumburg, ist es blos auf einen tüchtigen Schreck, um durch einen unerwarteten glücklichen Ausgang desto mehr zu überraschen, angelegt. Prof. Rösler bekam den Auftrag, diese Scene, wo die Kinder, vom Viertelsmeister Wolf angeführt, in das Lager der Hussiten kommen, zu malen, und er hat das große Verdienst, mit wahrem Dichtergemüth sich den geistigen Stoff zu seiner Darstellung selbst erschaffen zu haben; denn der Verfasser gab ihm blos die rohen historischen Materialien dazu. Wie der Künstler diese Begebenheit auffaßte, ist sie erst zu einem poetischen Gegenstande geworden. Die Sieghaftigkeit des Glaubens ist die Idee, welche der [1927,1928] geistreiche Maler seiner Darstellung zu Grunde legte, und so wird sogleich das gemein-historische Bild in eine höhere, allgemeinere, religiöse Sphäre erhoben. In dieser aber vergeistigt sich alles, entzieht sich alles der sinnlichen Wahrnehmung, und strebt über die bildliche Darstellung hinaus. Der Maler mußte also zur Allegorie seine Zuflucht nehmen, und durch Andeutung das Körperliche mit dem Geistigen verknüpfen. Dies ist ihm auch vollkommen gelungen.

Es naht sich der Zug der Kinder, welche nicht recht wissen, was ihnen bevorsteht; gehorsam sind sie ihrem Anführer gefolgt. Die rohen Krieger drohen, aber die Unschuld der Kinder macht sie wehrlos. Procopius, eine große, aber verwilderte Natur, kämpft mit sich selbst; die Menschlichkeit behält das Uebergewicht. Noch ist alles furchtbar ungewiß, aber fromme Zuversicht soll uns tröstliche Gewißheit geben. Der Gott vertrauende redliche Wolf zittert nicht, er faltet die Hände, er erhebt den Blick. Fest, wie sein Gemüth, wie seine kräftige Gestalt, steht der Glaube in ihm, er ist symbolisch der Glaube selbst. Und zwei schöne himmlische Kinder gehen vor ihm her, Liebe und Hoffnung, das eine mit einem grünen Zweige, das andere in morgenrothen Gewande. Wo Glaube, Liebe und Hoffnung walten, ist der Sieg gewiß, selbst in Tod und Noth. Da aber hier drei christliche Tugenden, welche nur geistig sich anschaun, sichtlich blos andeuten lassen, personificirt erscheinen mußten, so ist dies Bild als ein religiös mystisches zu betrachten, durch welches die Idee nie ganz verkörpert, nicht ganz zur plastischen Gestalt werden kann. Ja ein zukünftiger Moment, der des Sieges des Glaubens über Fanatismus, der Liebe über Rohheit, der Hoffnung über Furcht, soll verbreitet im Gegenwärtigen liegen, und gleichsam durch dieses prophetisch angedeutet werden. An ein Kunstwerk dieser Art haben wir doppelte Ansprüche zu machen. Für’s erste, daß es verständlich sey, und sodann, abgesehen von dem geistigen Gehalt, als Bild befriedige. Beides ist dem Maler vollkommen gelungen, gewiß wird jedem die Idee durch das Bild klar, und das Bild führt zugleich den Beschauer in ein höheres Gebiet geistiger Anschauung hinüber. Das einzelne ist ansprechend, ja rührend. Die Kinderphysiognomien sind höchst naiv, und was fast noch kein Maler, außer Raphael, vermochte, in die schuldlosen, unentwickelten Züge der Kinderköpfe einen bestimmten Ausdruck zu legen und jeden individuell zu charakterisiren, hat Prof. Rösler bewundernswürdig geleistet. Die Schüchternheit der kleinen Mädchen, der Trotz einiger Knaben, die Sorglosigkeit der Jüngsten, und die Bangigkeit der Verständigern, gewährt das mannigfaltigste, sinnigste Schauspiel für Auge und Geist. So sind auch die Gesichter des Kriegsvolks sehr wahr und treffend aufgefaßt und dargestellt. Nur eins wünschten wir anders, nämlich folgendes, daß Procopius nicht zwischen dem Viertelsmeister Wolf, der zur Rechten in der Mitte seiner eigenen Kinder steht, und der Hauptgruppe des Kinderzugs zur Linken, welcher von Naumburg heranrückt, stünde. Wolf wird dadurch zu sehr von den Kindern getrennt, welche er doch anführt. Auch wollen Kenner behaupten, worüber ich nicht zu entscheiden wage, daß der Augenpunkt zu hoch angenommen sey. Ein hoher Standpunkt, scheint mir, war wohl nöthig anzunehmen, um ein so reichhaltiges Gewühl von Menschen bequem überschauen zu lassen. Da diese Bemerkungen der Würdigung des eigentlich geistigen Gehaltes keinen Abbruch thun, so durfte ich sie wohl um so unbefangener anführen.

Wir Deutsche haben, unserer mehr geistigen als sinnlichen Natur zufolge, mehr Sinn für religiöse, mystische und allegorische Gegenstände, und schon die trefflichen Werke unserer vaterländischen alten Maler beweisen es. Um so verdienstlicher war es vom Prof. Rösler, daß er dieser Neigung und der Richtung unserer Zeit sich hingab, welche nach jenen Zeiten deutscher, geistiger und weltlicher, Selbständigkeit hinweist, als noch in That und Lied und Bild frei das Gemüth dem angebornen Drange nach ewigen und überirdischen Dingen folgte, und dennoch sich von dem Irrthume so vieler Trefflichen nicht hinreißen ließ, welch, das Aeußere, Zufällige der Form von dem Wesentlichen nicht unterscheiden, und nichts weniger als unrecht verstanden, altdeutsch uns ein recht echt deutsches Kunstwerk gab.

Um den Kreis der Kunst ganz zu durchlaufen, bleibt uns noch übrig, einen Blick auf das Portrait zu werfen.

Der Portraitmaler stellt uns entweder den Charakter einer Person durch sein Werk, oder einen bestimmten Charakter durch eine bestimmte Person dar. Das eine oder das andere können wir von ihm fordern, wenn wir ihn als Künstler, nicht blos als Nachahmer eines realen Gegenstandes betrachten. In diesem Falle wird die Individualität in ein Allgemeineres aufgelöst, und das Portrait ist sodann als eine ideales Charakterbild und wahres Kunstwerk zu betrachten. In jenem Falle aber ist das Portrait nur als eine Charakterschilderung [1929,1930] anzusehn; hier wirb nicht ein Individuum Symbol einer ganzen Sphäre, sondern es ist ein Einzelnes, in seiner Individualität ausgefaßt und dargestellt. Jene Portraite verlangen eine idealere Behandlung, diesen ist größte Aehnlichkeit unerläßlich. Der anonyme Verf. des Aufsatzes im Kunstbl. über die Portraite des Pros. Mathäi in der diesjährigen Ausstellung scheint dies nicht gewußt oder nicht bedacht zu haben. Ihm scheint es völlig unbekannt zu seyn, daß lange vor Mathäi die Maler der Bolognesischen Schule, unter diesen insbesondere Domenichino, und unter den Schülern des großen Raphaels, Giulio Romano, Portraite im Styl und äußerer Anordnung ideal behandelten. Keineswegs wollten diese Künstler eine bestimmte historische Person, noch einen rein idealen Gegenstand darstellen, sie benutzten ein gegebenes Individuum, um durch charakteristische Darstellung desselben eine ganze Classe zu bezeichnen. Sie stimmten die Umgebungen harmonisch mit dem Hauptgegenstande ihres Werkes, und so entstanden Bilder, welche zugleich Portraite und Charakterdarstellungen waren. Da die Sappho in Dresden und Leipzig durch ein geistreiches dramatisches Werk Mode geworden ist, so bildete sich der ungenannte Verfasser ein, daß jenes von Mathai geistreich aufgefaßte Portrait das Bild der Dichterin des Alterthums wäre. Zur Berichtigung dieses Irrthums kann ich versichern, daß daran der Künstler nicht gedacht hat, sondern durch eine interessante Individualität an den großartigen, begeisterten Styl Domenichinos erinnert und angeregt wurde, ein Werk in dieser Art hervorzubringen. Es soll dies Bild also weder eine Muse, noch eine Dichterin seyn, die Umgebungen sind folglich keine bereichernde Attribute, sondern mit einem geistreichen Blick in Harmonie gesetzte Theile des Ganzen. Sogar an dem Kolorit des Gemäldes haben Domenichinos Werke, als Vorbildner, Antheil, und als ein gelungener Versuch, die Portraitmalerei in ihre vorige Würde wieder einzusetzen, zu welcher sie italienische Meister erhoben hatten, verdient dieses Bild große Achtung. Als Gemälde ist das darauf folgende Portrait wirklich bewundernswürdig. Bei großer Einfachheit und Harmonie der Farben, ist es doch warm und kräftig kolorirt, wie denn überhaupt alles in diesem Bilde in einem edlen, ernsten und großen Styl gehalten ist, der an die florentinische Schule erinnert. Einen sehr lieblichen Eindruck machte das freundlich-schöne Kind, welches von der Mutter Schoß heiterm Spiel zuzueilen scheint. Das dritte Portrait war ebenfalls sehr verdienstlich. Es machte einen sehr anmuthsvollen Eindruck, wie denn überhaupt alles in diesem Bilde wir viel Geschmack angeordnet und darauf angelegt war, diese Wirkung hervorzubringen. Der schwarze Sammt des Kleides und das dunkle schöngeflochtene Haar der Dame gaben einen reizenden Gegensatz zu dem zarten Teint. Die Gestalt löst sich in einer bequemen und dabei Würde und Gewandtheit zeigenden Stellung vortheilhaft von dem Hintergrunde, den ein großer, prächtig gefalteter Vorhang schließt. Das ganze Bild wird von einem sanften Licht umflossen, welches von oben hereinfällt. Vielleicht ließ sich der Maler durch die Anmuth des Gegenstandes verleiten, sein Gemälde zu weich, fast zu verflossen zu behandeln, ein Fehler, in welchen dieser Meister sonst nicht verfällt.

Gegen das Ende der Ausstellung erfreute uns Prof. Matthäi noch durch zwei sehr gelungene Portraite, das eine, eines Mannes von Stand und Bildung. Klarheit und Ruhe drückt sich in den Zügen aus, und der ländliche Aufenthalt, in welchem er sich befindet, begünstigt die Heiterkeit des Gemüths und den ungestörten Genuß klassischer Dichter. In der Ferne sieht man an einem schönen Flusse, der ein reiches Thal durchströmt, ein geräumiges Schloß. Den Besitzer erblicken wir im Vorgrunde, mit dem Horaz in der Hand, an einen Baum gelehnt.

Das andere Gemälde stellt uns eine würdige, heitere Matrone dar. Sie sitzt in der feierlichen Halle eines festen alten Stammhauses. Es ließen sich noch viele Bilder von großen Verdiensten anführen, welche diese Ausstellung schmückten. Da es aber nur zunächst meine Absicht war, meine Meinung im Gegensatz zu den Behauptungen auszusprechen, welche in dem erwähnten Aufsatze im Kunstblatte aufgestellt waren, um dadurch einen unwürdigen Verdacht zu widerlegen und zu zeigen, daß ich nicht der Verfasser einer Abhandlung bin, wie mir Schuld gegeben wurde, durch welche verdienstvolle Künstler beleidigt, achtungswerthe Personen gekränkt wurden, so sey es für diesmal genug. Ich habe meine Absicht erreicht und hiermit durch die That bewiesen, daß ich nicht im Stande bin, ungerecht zu tadeln, noch zu schmeicheln, und zugleich feig meinen Namen zu verhehlen.

Quandt jun.