anzusehn; hier wirb nicht ein Individuum Symbol einer ganzen Sphäre, sondern es ist ein Einzelnes, in seiner Individualität ausgefaßt und dargestellt. Jene Portraite verlangen eine idealere Behandlung, diesen ist größte Aehnlichkeit unerläßlich. Der anonyme Verf. des Aufsatzes im Kunstbl. über die Portraite des Pros. Mathäi in der diesjährigen Ausstellung scheint dies nicht gewußt oder nicht bedacht zu haben. Ihm scheint es völlig unbekannt zu seyn, daß lange vor Mathäi die Maler der Bolognesischen Schule, unter diesen insbesondere Domenichino, und unter den Schülern des großen Raphaels, Giulio Romano, Portraite im Styl und äußerer Anordnung ideal behandelten. Keineswegs wollten diese Künstler eine bestimmte historische Person, noch einen rein idealen Gegenstand darstellen, sie benutzten ein gegebenes Individuum, um durch charakteristische Darstellung desselben eine ganze Classe zu bezeichnen. Sie stimmten die Umgebungen harmonisch mit dem Hauptgegenstande ihres Werkes, und so entstanden Bilder, welche zugleich Portraite und Charakterdarstellungen waren. Da die Sappho in Dresden und Leipzig durch ein geistreiches dramatisches Werk Mode geworden ist, so bildete sich der ungenannte Verfasser ein, daß jenes von Mathai geistreich aufgefaßte Portrait das Bild der Dichterin des Alterthums wäre. Zur Berichtigung dieses Irrthums kann ich versichern, daß daran der Künstler nicht gedacht hat, sondern durch eine interessante Individualität an den großartigen, begeisterten Styl Domenichinos erinnert und angeregt wurde, ein Werk in dieser Art hervorzubringen. Es soll dies Bild also weder eine Muse, noch eine Dichterin seyn, die Umgebungen sind folglich keine bereichernde Attribute, sondern mit einem geistreichen Blick in Harmonie gesetzte Theile des Ganzen. Sogar an dem Kolorit des Gemäldes haben Domenichinos Werke, als Vorbildner, Antheil, und als ein gelungener Versuch, die Portraitmalerei in ihre vorige Würde wieder einzusetzen, zu welcher sie italienische Meister erhoben hatten, verdient dieses Bild große Achtung. Als Gemälde ist das darauf folgende Portrait wirklich bewundernswürdig. Bei großer Einfachheit und Harmonie der Farben, ist es doch warm und kräftig kolorirt, wie denn überhaupt alles in diesem Bilde in einem edlen, ernsten und großen Styl gehalten ist, der an die florentinische Schule erinnert. Einen sehr lieblichen Eindruck machte das freundlich-schöne Kind, welches von der Mutter Schoß heiterm Spiel zuzueilen scheint. Das dritte Portrait war ebenfalls sehr verdienstlich. Es machte einen sehr anmuthsvollen Eindruck, wie denn überhaupt alles in diesem Bilde wir viel Geschmack angeordnet und darauf angelegt war, diese Wirkung hervorzubringen. Der schwarze Sammt des Kleides und das dunkle schöngeflochtene Haar der Dame gaben einen reizenden Gegensatz zu dem zarten Teint. Die Gestalt löst sich in einer bequemen und dabei Würde und Gewandtheit zeigenden Stellung vortheilhaft von dem Hintergrunde, den ein großer, prächtig gefalteter Vorhang schließt. Das ganze Bild wird von einem sanften Licht umflossen, welches von oben hereinfällt. Vielleicht ließ sich der Maler durch die Anmuth des Gegenstandes verleiten, sein Gemälde zu weich, fast zu verflossen zu behandeln, ein Fehler, in welchen dieser Meister sonst nicht verfällt.
Gegen das Ende der Ausstellung erfreute uns Prof. Matthäi noch durch zwei sehr gelungene Portraite, das eine, eines Mannes von Stand und Bildung. Klarheit und Ruhe drückt sich in den Zügen aus, und der ländliche Aufenthalt, in welchem er sich befindet, begünstigt die Heiterkeit des Gemüths und den ungestörten Genuß klassischer Dichter. In der Ferne sieht man an einem schönen Flusse, der ein reiches Thal durchströmt, ein geräumiges Schloß. Den Besitzer erblicken wir im Vorgrunde, mit dem Horaz in der Hand, an einen Baum gelehnt.
Das andere Gemälde stellt uns eine würdige, heitere Matrone dar. Sie sitzt in der feierlichen Halle eines festen alten Stammhauses. Es ließen sich noch viele Bilder von großen Verdiensten anführen, welche diese Ausstellung schmückten. Da es aber nur zunächst meine Absicht war, meine Meinung im Gegensatz zu den Behauptungen auszusprechen, welche in dem erwähnten Aufsatze im Kunstblatte aufgestellt waren, um dadurch einen unwürdigen Verdacht zu widerlegen und zu zeigen, daß ich nicht der Verfasser einer Abhandlung bin, wie mir Schuld gegeben wurde, durch welche verdienstvolle Künstler beleidigt, achtungswerthe Personen gekränkt wurden, so sey es für diesmal genug. Ich habe meine Absicht erreicht und hiermit durch die That bewiesen, daß ich nicht im Stande bin, ungerecht zu tadeln, noch zu schmeicheln, und zugleich feig meinen Namen zu verhehlen.
Johann Gottlob von Quandt: Ueber die diesjährige Kunstausstellung zu Dresden. Leopold Voß, Leipzig 1818, Seite 1929,1930. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitung_f%C3%BCr_die_elegante_Welt_1818_Quandt.djvu/9&oldid=- (Version vom 13.11.2024)