A. Wie sollte wachen, dem der Bauch Gott, sein Wille Gesetz, Ehrsucht die Führerin, Verwegenheit Kunst, Gewohnheit die Regel, ein Dunst Lohn, Possen Delicatessen, die Knechtschaft ein Ehrentitel, starre Trägheit das Ruhekissen, das Ende Verdammniß ist?
B. Erwache, Simon, wenn du nicht im Todtenschlaf träumest.
A. Im Todtenschlafe. Denn den so offenbaren Gott läugnen, eine feindliche Welt lieben, einen unförmlichen Zustand der Dinge loben, des so ungewissen und dennoch gewissen Todes vergessen, sich an dicker Finsterniß vergnügen und die unüberwundene Wahrheit abläugnen; einen sterblichen Ruhm anbeten, ein gegenwärtiges Unglück wegheucheln, und sich der schändlichsten Ketten rühmen; unser selbst in unsrer Brust stupid-unwissend seyn – das ist nicht Todesschlaf, es ist Erstarrung.
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter (Fünfte Sammlung). Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1793, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_V.djvu/140&oldid=- (Version vom 1.8.2018)