Seite:Zerstreute Blaetter V.djvu/299

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poetische Geist ertrug, indem es ihnen hölzerne Klötze an die Füsse band und Schellen an die Ohren: sie zählen, aber sie messen nicht genau: sie deklamiren und lassen der Sprache, der Strophe, dem Gedicht, dem Verse des Gedichts ihre natürliche Physiognomie und Mine. Entginge der Musik lyrischer Stücke damit etwas? Nichts weniger. Die wahre Musik hätte sich dieser mehrern Natur zu erfreuen, nicht zu betrüben. Sie selbst soll deklamiren; sie kann also tiefer und eigenthümlicher an die Seele reden, wenn sie ein lebendiges Wort- und Empfindungsgemälde auszudrücken hat, nicht einen mechanischen Rhythmus. Italien ist abermals Zeuge. Gesang und Sprache wird bei ihm viel mehr Eins, als bei uns; warum? die Italienische Poesie skandirt nicht, sondern sie deklamiret. Kurz, wenn Weckherlin die Englische Poesie in Allem auszudrücken suchte, so that er wohl, daß er sie hierinn verließ und seinen Vätern folgte. Die

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter (Fünfte Sammlung). Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1793, Seite 283. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_V.djvu/299&oldid=- (Version vom 1.8.2018)