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die Nasen ab. Die Sumatraner endlich verzehren ihre Kriegsgefangenen, in einem etwas summarischen Verfahren, ganz.

Interessanter ist jedoch für uns die andere Varietät, nämlich jene, schon zum Theil von der Civilisation berührten Wilden. An ihnen können wir nämlich nicht allein den Beginn der Kultur – der uns in unserer eigenen Geschichte zu fern liegt – mit größter Bequemlichkeit und als Augenzeugen studiren, sondern auch beobachten, wie sich nach und nach die einfache Sitteneinfalt dieser Kinder der Natur entwickelt und complicirt. Wir erkennen dabei zugleich, daß sie allmälig das werden, wozu wir sie haben wollen, nämlich zu Leuten, die einsehen, daß sie ohne eine Masse unnöthiger Bedürfnisse verständigerweise gar nicht mehr existiren können, und die deßhalb alles Mögliche thun, ihr naturwüchsiges Leben zu verleugnen. Daß ihnen die neue Sitte unter allen Umständen höchst ungeschickt steht und oft nur mit Gewalt einigermaßen angepaßt werden muß, daß die Leute selber unglücklich und elend werden und endlich langsam, aber sicher untergehen, kann dabei nicht in Betracht kommen. Die Civilisation kann nicht auf solche Wilde Rücksicht nehmen.

Vor dem Beginne der Civilisation haben diese Leute gewöhnlich eine, ihren Bedürfnissen entsprechende Religion, passende Gesetze, höchst einfache Regierungsformen und sind meist alle ehrlich, gastfrei und von heiterer Gemüthsart. Die Civilisation bringt ihnen vor allen Dingen den Branntwein – eine unumgänglich nothwendige Sache, denn man muß einen leicht zu beschaffenden Handelsartikel haben, ihnen ihr Land und ihre „Gerechtsame“ auf rechtliche Weise, d. h. so, daß später keine andere civilisirte Nation Einspruch dagegen erheben kann, abzukaufen. Mit dem Branntwein thut deßhalb die Kultur den ersten Schritt.

Der Indianer, der dabei bisher seine eigene Haut für eine naturgemäße und völlig genügende Bedeckung hielt, fängt jetzt an für europäische Kleidung empfänglich zu werden. Er trägt abgerissene Fracks, mit Strümpfen statt Aermeln, Chemisetten und Westen an den unmöglichsten Stellen und auf die unbegreiflichste Weise, Hosenträger um den Hals, Uhrketten durch die Nase, Sporen ohne Stiefel, Halsbinden ohne Hemd, und wollene Shawls um die Knie, liebt leidenschaftlich die rothe Farbe und klappernde Glaskorallen und gibt alle seine mühsam hergestellten Waffen und Werkzeuge um das entsetzliche Feuerwasser hin. Hierauf findet er sich, nach einem gelegentlichen Besuch bei den „Weißen“ gewöhnlich eines Morgens sehr früh naß und kalt in irgend einem räthselhaften Busch oder an der Straße

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Gerstäcker: Zur Naturgeschichte des Menschen. In: Hausblätter, 1860, 1. Band. Adolph Krabbe, Stuttgart 1860, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zur_Naturgeschichte_des_Menschen-Gerstaecker-1860.djvu/10&oldid=- (Version vom 1.8.2018)