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Hiemit hätten wir denn also einen ungefähren, wenn auch nur sehr flüchtigen Ueberblick über das, auf unserer Erde verbreitete Menschengeschlecht, und es ist jetzt vielleicht nützlich, noch einen Rückblick auf das Ganze zu werfen. Das aber können wir am Besten aus der Vogelperspektive.

Betrachten wir also von dieser aus die zu unsern Füßen liegende wunderliche Welt mit ihrer sehr gemischten menschlichen Bevölkerung, so gelangen wir zu dem überraschenden Resultat, daß wir in ihr nur ein Chaos von Meinungen und Leidenschaften finden, die sich einander – mögen die Hüllen, in denen sie stecken, noch so bunt und verschieden sein – doch in ihrer Wirkung vollständig gleich bleiben. Nicht zehn Menschen neben einander haben eine Ansicht über die allereinfachsten Verhältnisse – mögen es nun australische Wilde oder deutsche Räthe sein – über Gesetze, über Religion, über Sitten, über Kleidung, über Nahrung, über gesellschaftliches Zusammenleben, mit einem Wort, über irgend ein wirkliches Naturgesetz ihres Daseins. Und das kribbelt und wimmelt durch einander, bald feindlich, bald freundlich, liebt sich hier, bekriegt sich da – ob nackt, mit dem Wurfspeer in der Faust, oder mit bunten Aufschlägen und Kanonen, – drängt sich mit dem Nachbar nach Herzenslust.

Und ist es deßhalb draußen anders wie bei uns? – Tout comme chèz nous – ob unter Palmen, ob unter Kiefern. Nur andere Namen hat es draußen in der Welt und sieht vielleicht ein wenig anders aus, aber von allem, über das wir uns im Ausland lustig machen, finden wir ganz Aehnliches gewiß im eigenen Vaterland, wenn wir nur sehen und verstehen wollen. Deßhalb sollten wir äußerst vorsichtig sein, wie wir uns über andere Sitten und Gebräuche lustig machen, und wer weiß, ob der Wilde z. B. nicht mehr an uns zu belachen fände, als wir an ihm.

Aber was hilft das Reden – wir treiben’s doch so fort. Monarchien schelten auf Republiken, Republiken auf Monarchien, der Bauer auf den Bürger, wie der Bürger auf den Bauern und den hochweisen Magistrat, und das reibt und arbeitet gegen einander, daß man wirklich oft nicht begreift, wie sich das kleine geschäftige Menschenvolk nicht schon lange gegenseitig aufgerieben hat. Aber eine Keimkraft liegt auch in ihm, die unverwüstlich ist, und während der Tod mit seiner langen erbarmungslosen Sense langsam und Schritt für Schritt vorwärts tritt, regelmäßig wie die Uhr zum Hieb ausholt und ganze Reihen niedermäht, treibt schon wieder dicht hinter ihm ein neues, junges, fröhliches Leben frisch und rasch empor. Der Tod vernichtet deßhalb auch nicht etwa; nur Raum für jungen Nachwuchs

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Gerstäcker: Zur Naturgeschichte des Menschen. In: Hausblätter, 1860, 1. Band. Adolph Krabbe, Stuttgart 1860, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zur_Naturgeschichte_des_Menschen-Gerstaecker-1860.djvu/12&oldid=- (Version vom 1.8.2018)