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Ungebildeten in Wirklichkeit. Und so wollen wir human sein und die Kunst bitten, ihre schönen Augen wo andershin zu wenden. Das hat sie denn auch in der Tat schon getan. Das weiße zitternde Sonnenlicht, das man jetzt in Frankreich sieht, mit seinen seltsamen lila Klecksen und seinen ruhlosen violetten Schatten, ist das neueste Gebilde ihrer Phantasie, und im ganzen formt es die Natur sehr vorzüglich nach. Wo sie früher Corots und Daubignys gab, gibt sie uns jetzt feine Monets und hinreißende Pissaros. Es gibt in der Tat Augenblicke, freilich seltene, aber doch von Zeit zu Zeit wahrnehmbare, wo die Natur völlig modern wird. Natürlich ist sie nicht immer verläßlich. Die Sache ist die, sie ist in einer unglücklichen Lage. Die Kunst schafft einen unvergleichlichen, einzigen Effekt, und, wenn sie damit fertig ist, wendet sie sich andern Dingen zu. Die Natur dagegen denkt nicht daran, daß die Nachahmung die empfindlichste Form der Beleidigung werden kann, und bleibt dabei, diesen Effekt zu wiederholen, bis wir alle seiner ganz und gar überdrüssig sind. Kein wirklich Gebildeter zum Beispiel redet heutzutage je von der Schönheit des Sonnenuntergangs. Sonnenuntergänge sind ganz altmodisch. Sie gehören der Zeit an, wo Turner das neueste in der Kunst war. Sie zu bewundern, ist ein sicheres Zeichen von Provinzempfindung. Anderseits dagegen gibt es immer weiter Sonnenuntergänge. Erst gestern abend beschwor mich Frau Arundel, ich müsse ans Fenster gehen und den prachtvollen Himmel ansehen, wie sie es ausdrückte. Natürlich mußte ich es tun. Sie gehört zu den unsinnig hübschen Philisterweibchen, denen man nichts abschlagen kann. Und was sah ich? Nichts als einen sehr mäßigen Turner zweiten Ranges, einen Turner aus seiner schwachen

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Oscar Wilde: Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben. Insel, Leipzig 1907, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Gespr%C3%A4che_von_der_Kunst_und_vom_Leben.pdf/41&oldid=- (Version vom 1.8.2018)