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aneinander stießen. Er zeichnete mit Silberstift und Kohle auf Pergament und präpariertem Zedernholz. Er machte das Wachs mit Olivensaft flüssig, malte mit ihm auf Elfenbein und rosenfarbener Terrakotta und machte es mit heißem Eisen wieder fest. Holztafeln und Marmor und Leinwand erstrahlten im Wunder der Schönheit, wenn sein Pinsel darüber fuhr; und das Leben, das sein eigenes Bildnis sah, war still und wagte nicht zu reden. Alles Leben fürwahr gehörte ihm, von den Händlern, die auf dem Marktplatz saßen, bis zu dem Schäfer, der in einen Mantel gehüllt auf dem Berge lag; von der Nymphe, die im Lorbeergebüsch verborgen lag, und dem Faun, der des Mittags auf dem Rohre bläst, bis zu dem König, den in langgestreckter, mit grünen Gardinen behangener Sänfte Sklaven auf ölglänzenden Schultern trugen und mit Pfauenfedern fächelten. Männer und Frauen, mit Lust oder Schmerz im Antlitz, wandelten an ihm vorüber. Er schaute auf sie, und ihr Geheimnis wurde seines. Durch Form und Farbe schuf er eine neue Welt.

Und ebenso gehörten ihm alle kleineren Künste. Er bearbeitete die Gemme mit der Drehscheibe, und aus dem Amethyst wurde das Purpurbett des Adonis, und durch den geäderten Sardonyx jagte Artemis mit ihrer Meute. Er schlug das Gold zu Rosen und reihte sie zu Halsbändern oder Armspangen. Er schlug das Gold zu Kranzgewinden für den Helm des Eroberers oder zu Palmblättern für das tyrische Gewand, oder zu Masken für die Toten königlichen Geschlechts. Auf die Rückseite des silbernen Spiegels grub er Thetis, getragen von ihren Nereiden, oder die liebeskranke Phaedra mit ihrer Amme, oder Persephone, die der Erinnerung müde ist, mit Mohnblüten im Haar. Der Töpfer saß in seinem

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Oscar Wilde: Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben. Insel, Leipzig 1907, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Gespr%C3%A4che_von_der_Kunst_und_vom_Leben.pdf/67&oldid=- (Version vom 1.8.2018)