Sind die Aerzte entbehrlich?

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Carl Ernst Bock
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Sind die Aerzte entbehrlich?
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 225-226
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[225]

Bausteine zu einer naturgemäßen Selbstheillehre.

II.
Sind die Aerzte entbehrlich?

Ja! die Aerzte sind entbehrlich, welche die kranke Menschheit durchaus nur mit sogenannten Arzneimitteln oder durch einseitige Heilmethoden kuriren wollen; die Aerzte sind aber zur Zeit noch ganz unentbehrlich, welche Krankheiten verhüten oder den Kranken den naturgemäßen Weg zeigen, auf welchem diese entweder ihre Gesundheit wieder erlangen oder, ist das Uebel unheilbar, doch die wenigsten Nachtheile davon haben können. Aber wahrlich dieser Weg führt nicht durch die Apotheke, nur manchmal neben einer einzigen Büchse derselben, neben der mit betäubenden Mitteln vorbei. Ich höre im Geiste, lieber Leser, wie Du mir höhnisch lächelnd einwirfst: aber wie viele Kranke sind nicht schon durch Aerzte und Medicin gesund worden und was für Männer – Halt! urtheile nicht eben so falsch, wie die Aerzte selbst und schreibe nicht Alles, was in Dir geschieht, wenn Du Medicin eingenommen hast, nur dieser zu. Bedenke, daß Dein Körper von Natur so eingerichtet ist, daß er die meisten Krankheitsprocesse, am leichtesten bei richtigem diätetischen Verhalten, aus eigenen Mitteln allmälig tilgt und glaube mir, die meisten dieser Kranken sind nur trotz des Arztes und obschon sie Arznei nahmen gesund worden. Der Arzt bringt nur da scheinbar durch seine Arzneien Hülfe, wo in der That die Natur das Uebel hebt; höchstens kann der Arzt durch Angabe des richtigen Verhaltens des Kranken der Natur die Heilung etwas erleichtern. Aber China[WS 1] gegen Wechselfieber! rufen alle Aerzte wie aus einem Munde; da sieht man doch klar und deutlich, daß eine bestimmte Krankheit durch ein bestimmtes Mittel gehoben werden kann, und was bei einer Krankheit möglich ist, das muß doch bei den andern auch zu ermöglichen sein. Also suche man nur fleißig, damit man die richtigen Mittel gegen andere Krankheiten endlich auch erhasche. Falsch! Grundfalsch! Die China kurirt die eigentliche Krankheit, kaltes Fieber genannt, nicht, sondern hebt nur die auffälligste und beschwerlichste Erscheinung desselben, den sogenannten Fieberanfall (Frost und Hitze), und dies können auch eine Unzahl anderer, selbst sympathetischer und mystischer Mittel fast ebenso gut, wie die China. Wollte man die China für ein spezifisches Mittel gegen Wechselfieber ansehen, dann müßte man auch andere Arzneien, welche lästige Symptome einer Krankheit in den Hintergrund drängen, für spezifische erklären, z. B. Opium gegen Krebs und andere schmerzhafte Uebel, Champagner gegen Hypochondrie bei Männern, Schooshündchen, ein Ball oder ein neues Kleid gegen hysterische Weinkrämpfe bei Weibern u. s. w. Ich warne Euch hiermit vor Aerzten, die immer nur Recepte verschreiben, oder gar Alles, selbst aus der Entfernung, über einen Leisten kuriren. Paßt einmal auf die Recepte eines solchen Arztes auf und Ihr werdet bald finden, daß derselbe nur etwa 15 bis 20 Formeln bei 8 bis 10 Mitteln im Gebrauche hat, um die verschiedensten Krankheiten zu kuriren, daß er nur manchmal statt des Milchzuckers einfachen Zucker, anstatt des gemeinen Wassers destillirtes und statt eines braunen Saftes einen grünen nimmt.

Traut den Aerzten ja nicht, die Euch nach oberflächlicher Befragung, nachdem sie den Puls gefühlt und die Zunge besehen, aus der Apotheke etwas Stärkendes für die Nerven, für den Magen und andere Theile verschreiben wollen, die durch Arzneien die schlechten Säfte des Blutes zu tilgen, verschleimte Organe auszufegen oder von Innen nach Außen, von Oben nach Unten und von Vorn nach Hinten abzuleiten streben und die Euch Mittel, deren Titel mit anti- anfängt, wie antiscrophulöse, antihämorrhoidalische, antigichtische, antirheumatische, antisyphilitische, antiphlogistische, antiscorbutische u. s. w. beibringen wollen. Nur Denen schenkt Euer Vertrauen, die Euch genau untersuchen, Eueren Körper befühlen, beklopfen [226] und behorchen, Euch hinsichtlich Eurer Lebensweise bis in’s Kleinste examiniren, und Euch in Bezug auf Essen und Trinken, Wohnung und Kleidung, Bewegung und Ruhe, Wärme und Kälte u. s. w. Aufklärung und Verhaltungsmaßregeln geben, die dem Ausspruche Wunderlich’s beistimmen: „wo die Receptensucht aufhört, fängt die Therapie an“, oder mit Grießelich behaupten: „die edelste Aufgabe der Heilkunst bestehe darin, sich selber überflüssig zu machen. Solche Aerzte nun nennt man rationelle oder vernünftige, von ratio, die Vernunft, und die neuere Heilkunde, welche durch die richtige Einsicht in den gesunden und kranken, lebenden und todten menschlichen Körper solche Heilkünstler zu bilden strebt, heißt die rationelle oder physiologische Medicin. Dieser Wissenschaft wird es gar nicht einfallen, auf gut Glück diese oder jene Heilmethode bei Krankheiten zu probiren oder immer und immer wieder die seit Jahrhunderten von den Verfertigern der Heilmittellehren empfohlenen, aber schon längst als ganz nutzlos erfundenen Arzneimittel in Gebrauch zu ziehen, da sie durch die Mithülfe der Naturwissenschaften weiß, wie naturwidrig dieses Gebahren ist. Sie strebt dagegen darnach die Unordnungen in der Oeconomie des menschlichen Körpers und deren Ursachen zuvörderst richtig zu erkennen und lehrt dann dieselben zu vermeiden oder auf naturgemäßem Wege allmälig wieder in Ordnung zu bringen; sie zeigt uns auch, wie die meisten Krankheiten ohne Medicamente, nur bei gehöriger Einwirkung der richtigen Lebensbedürfnisse in Gesundheit übergehen oder, wo dies nicht geschieht, wie dann auch alle Arzneimittel und Heilungsversuche erfolglos bleiben.

Laßt Euch das Wirken eines rationellen Haus-Arztes in Kürze beschreiben. Zuvörderst würde derselbe Euch über das Klima und den Ort, welchen Ihr eben bewohnt, solche Aufklärung geben, welche zur Erhaltung Eurer Gesundheit beitrüge; sodann müßte er Euch in der Wahl und Einrichtung der Wohnung unterstützen und hier vorzüglich die gesündeste Stube zum Schlafzimmer und zum Aufenthalte für die Kinder auswählen; ja sogar die Geräthschaften der Küche und die Beschaffenheit der Abtritte dürften nicht unbeachtet von demselben bleiben. Was Euere eigene Person betrifft, so würde Euch ein solcher Arzt auf diejenigen Euerer Gewohnheiten (z. B. in Bezug auf Essen und Trinken, Kleidung, geistige und körperliche Thätigkeit u. s. w.), welche nach und nach die Gesundheit untergraben können, aufmerksam machen und zugleich die passenden Mittel und Wege zur Kräftigung Eures Körpers angeben. Sein Hauptaugenmerk würde aber auf die Kinder gerichtet sein und diese müssen von demselben nicht blos in körperlicher, sondern, – wie die Schulen zur Zeit beschaffen sind, – auch in geistiger Beziehung streng überwacht werden. Alle die genannten Pflichten des Arztes würde freilich ein jeder verständige Erwachsene recht gut selbst übernehmen können, wenn er in der Schule sich selbst hätte kennen lernen oder wenn er sich nach den Schuljahren um die Natur und die Einrichtung seines Körpers bekümmert hätte. Wie die Sachen aber jetzt stehen, brauchen fast alle Menschen bis in ihr spätestes Alter noch einen ärztlichen Vormund, und der Arzt darf nicht blos auf den kranken Körper angewiesen sein.

Ich werde später dem Leser noch weiter auseinander zu setzen suchen, wie von einem rationellen Arzte recht gut bei Kindern die so oft tödtlich ablaufenden Krankheiten, als Bräune, Lungenentzündung, Brechdurchfall und hitziger Wasserkopf (Hirnkrämpfe) vermieden werden können; wie krumme und lahme Beine, Buckel und blöde Sinne nicht zu existiren brauchten; wie Blutarmuth (Bleichsucht) und Lungenschwindsucht seltener sein könnten. Für das höhere Lebensalter würde ein richtiger Arzt aber insofern von schützendem Einflusse sein können, als er dem Auftreten von Gicht und Rheumatismus, von Hypochondrie und Hysterie, von Nervenschwäche und Unterleibsbeschwerden, von Lähmungen und selbst dem Schlagflusse entgegen zu treten im Stande ist. Was machen aber die Aerzte und die Laien jetzt? Sie warten beide, selbst wenn sie eine Krankheit schon deutlich herannahen sehen, bis die genannten Uebel sich zu einem solchen Grade ausgebildet haben, daß von einer völligen Wiederherstellung der Gesundheit gewöhnlich gar nicht mehr die Rede sein kann und dann wandern die meisten Patienten aus der Hand des einen Quacksalbers in die vieler anderer, um endlich durch die dunklen Kräfte der Somnambülen[WS 2], der Wunderdoctoren und Geheimmittel zehn bis zwanzig Jahre zu früh in das dunkle Grab gestoßen zu werden. Die meisten Aerzte beruhigen sich dann damit, daß sie sich Mühe gegeben und Alles gethan, um es, wie Goethe dem Mephistopheles von der Medicin sagen läßt, am Ende gehen zu lassen, wie’s Gott gefällt. Hätten sie es doch lieber gleich vom Anfange gehen lassen, aber wie’s Gott gefällt. Uebrigens gibt es doch auch noch einzelne Aerzte, die darüber Gewissensbisse bekommen, daß sie dem Verstorbenen vor seinem Tode nicht noch einige Blutigel ge- und dieses oder jenes Medicament versetzt haben. Sie gleichen jenem Landarzte, der bei innern Krankheiten zuletzt, wenn kein Mittel mehr anschlagen wollte, noch einen Zahn auszog. Höre also auf meinen wohlgemeinten Rath, lieber Leser, nimm Dir einen rationellen Arzt so lange Du gesund bist und laß Dich von demselben vor Krankheit beschützen, denn zur Zeit der Noth ist, wie Du doch endlich von selbst merken solltest, die Macht des Arztes eine sehr geringe, die der Arzneien aber eine blos eingebildete.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Chinarinde und das daraus gewonnene Chinin wird seit dem 17. Jahrhundert zur Behandlung von Wechselfieber (Malaria) verwendet.
  2. schlafwandelnde Person