Sittah, die Zigeunerin
1.
Im Hochgebirg von Cumberland,
Zu Füßen einer Felsenwand,
Streckt wegesmüd und sonn–ermattet,
Von wenig Kiefern nur beschattet,
Ein Trupp Zigeuner sich zur Nacht
Vor ihnen breitet seine Fluth
Ein Bergsee bis an Schottlands Grenze,
Des Seees märchenhafte Schöne
Ergreift selbst die Zigeunersöhne,
Für deren Auge die Natur
Der Anblick eines Freundes nur,
Und nichts Besondres mehr erachtet,
Bis, wenn er dann urplötzlich fehlt,
Die Lieb’ uns doppelt stark beseelt.
Doch seltner spiegeln jetzt und blasser
Und herwärts, von dem See zur Kluft,
Weht kühler schon die Abendluft.
Da nimmt das Träumen schnell ein Ende,
Geschäftig regen sich die Hände,
Schafft Holz herbei, und Laub und Moos.
Der Eine sucht in seiner Tasche
Doch eines Andern Tabacksasche
Schon wirft die Flamme rothe Lichter
Auf ihre bräunlichen Gesichter;
Schon rupft man das gestohlne Huhn,
Und eilt, es in den Topf zu thun;
Greift einer nach dem Tambourin,
Ob immer hungrig und ermüdet,
Sie fliegen all zum Tanze hin;
Die Augen glühn, die Pfeifen dampfen,
Und während sie den Boden stampfen,
Des Pachters Huhn im Topfe kocht.
Der Tanz ist aus; bei frohem Mahle
Beschließen sie den frohen Tag,
Trinkt Jeder, was er trinken mag.
Ihn theilen an derselben Stell’,
Doch läßt sich mehr als Wasser schlürfen
Sie trinken, mit dem Trunk der Rehe,
Die Lust in’s tiefste Herz hinein,
In ungetrübter Gottesnähe,
Und frei, wie Hirsch und Reh zu sein.
2.
Sind die Zigeuner ausgeflogen.
Als Kesselflicker, Rattenfänger,
Hanswurst, Prophet und Bänkelsänger, –
Der Eine rechts, der Andere links,
Nur eine Alte, welk und braun,
Auf deren Antlitz, vielerfahren,
Sich List und Herzensgüte paaren,
Schön-Sittah’s Anzug zu vollenden.
Zwölf Jahre mocht’ die Kleine zählen,
Und während das Zigeunerweib
Sich eilt ihr schwarzes Haar zu strählen,
„Die Flechte noch, – mein Herzenskind,
Dann auf, in’s nächste Dorf, geschwind,
Dort mach’, auf jedem Pachterhofe,
Dich flugs an Tochter oder Zofe;
Die Heirathslustge bei der Hand,
Und sag ihr, noch in diesem Jahre,
Führ’ sie der Liebste zum Altare.
Kann sein, es leuchtet ihr nicht ein,
Ob eine junge Pachtersfrau
Vielleicht um Kinder, im Gebet
Seit lange schon vergeblich fleht, -
So sag der Aermsten, unumwunden,
Daß eh’ der Kuckuck wiederkehre,
Ein Kindlein ihr geboren wäre; –
Sie mag dann sehn ihr Glück zu haschen, –
Die Alte spricht’s, die Kleine lauscht,
Die letzte Flechte wird beendet,
Und als sie Gruß und Kuß getauscht,
Hat Sittah sich in’s Dorf gewendet.
Ihr unfehlbares Schicksal lehrte, –
Erfahren hat man’s nie genau;
Doch als sie Abends heimwärts kehrte
Und dicht an eines Abgrunds Rand,
In heitrem Muth vorüberschritt, –
Nahm sie ein volles Täschchen mit.
Die Dornen hatten sie geritzt,
Der weite Weg ihr Blut erhitzt,
Für wenig Wasser hingegeben.
So eilt den Felsweg sie entlang;
Da fordert schier, am Bergeshang,
Ein Brombeerstrauch mit schwarzen Beeren,
Die Lust ist groß davon zu pflücken,
Und abwärts gleitend auf dem Rücken,
Labt sie sich mit des Durstes Gier, – –
Da weicht der Boden unter ihr.
Selbst an des Felsens harten Wänden
Sich krampfhaft anzuklammern sucht, –
Sie stürzt hinunter in die Schlucht.
3.
Der Graf, mit seinem Dienertroß,
Das Kind, besinnungslos, gefunden.
Doch wenig Wein auf Brust und Stirn,
Läßt bald die Pulse wieder schlagen,
Zu neuem Lebenslauf getragen.
4.
Die Jahre fliehn; der Spielgenoß
Von Hirsch und Reh, von Quell und Wind,
Ist jetzt, auf seines Retters Schloß,
Schön, und erkoren Lieb’ und Land
Sieht man um Sittah’s Herz und Hand
Des Landes stolzen Adel werben.
5.
Aus Küch’ und Keller lärmt es laut,
Bei Gläserklang und Liederschalle
Trinkt man das Wohl der jungen Braut.
Schon an der Festestafel oben,
Hat Sittah lächelnd sich erhoben,
Und grüßt der Gäste lauten Schwarm; –
Da plötzlich schallen wilde Töne
Im Hofe drunten am Portal,
Ziehn durch den hochzeitlichen Saal.
Saust in der Luft das Tambourin,
Da treten halbvergeßne Bilder
Sie ruht, wie sonst in tiefen Schluchten
Und hört dem Waldesrauschen zu,
Sie blickt, auf’s Neu, von Felsenbuchten
Auf Meeressturm und Meeresruh;
An denen einst ihr Auge hing,
Und möchte wieder danach greifen,
Wie Kinder nach dem Schmetterling.
Sie hört des Birkhuhns Kreischen wieder,
Das längs der Haide, auf und nieder,
Unstät wie sie, zu wandern schien;
Sie möchte wieder, wieder wandern
So weit die Himmel Gottes blaun,
Da, allgemach, erstirbt die Weise,
Und glühend, ohne Blick und Wort,
Schleicht Sittah aus dem Saal und leise
6.
Die Braut ist alsobald verschwunden,
Umsonst durchspäht man Flur und Wald,
Sie hat die Grenze schon gefunden,
Und ihrer Brüder Aufenthalt.
Hat sie ihr Brautgewand zerfetzt,
Und löst die langgetragnen Fesseln,
Wie ihre schwarzen Flechten jetzt.
Schon lagert Alt und Jung im Kreise
Hallt fort von Fels zu Felsenwand:
„Zur Wüste wieder will der Löwe,
Der Aar zurück in seinen Horst,
Und wir allein in Schlucht und Forst.
Ihr könnt den Sturzbach nimmer zähmen,
Die Wildheit ist sein Wesen nur; –
Es heißt uns Luft und Leben nehmen,