Skizzen aus Ungarn

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Titel: Skizzen aus Ungarn
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aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 805-806
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Skizzen aus Ungarn.

Bereits zum zweiten Male im Laufe dieses Jahrhunderts hat Ungarn die theilnehmenden Blicke Europa’s auf sich gezogen und gleichzeitig eine bedeutungsvolle Stellung in der Entscheidung der allgemeinen Geschicke eingenommen; einmal durch den Waffenkampf, den es mit unerschütterlichem Muthe und seltener Energie gegen zwei mächtige Kaiserreiche bestanden, dann heute durch seinen ausdauernden gesetzlichen Widerstand gegen die Versuche Oesterreichs, seine verbrieften, Jahrhunderte alten Rechte zu zertrümmern. Und heute wie damals begleiten die Sympathien aller Aufgeklärten die Anstrengungen einer Nation, welche „freudig setzt ihr Alles“ an den Kampf um ihre Rechte.

Nicht nur große, die Entwickelung der gesammten Menschheit fördernde Geschichtsepochen finden ihre Repräsentanten in den Männern, welche die Geschicke des Jahrhunderls zu leiten berufen sind; auch die weniger bedeutenden Stadien in dem Bildungsgange einzelner Völker erhalten ihren prägnanten Ausdruck in dem Charakter ihrer Parteihäupter und Führer. In diesem Sinne kann nun wohl der Kampf Ungarns in diesem und im vorigen Decennium kaum schärfer charakterisirt werden, als durch die Eigenthümlichkeit jener beiden Männer, welche die Bewegung leiteten: Ludwig Kossuth und Franz Déak. Beide begeisterte Patrioten hatten eben dasselbe schöne Ziel im Auge, den Ruhm und das Glück des Vaterlandes; Beide wurden getragen, nicht bloß von dem Beifall der großen Menge, sondern von der Kraft und Stimmung der ganzen Nation; und doch, wie verschieden im Uebrigen ihr ganzes Wesen und die Mittel, welche sie in Bewegung setzten; wie verschieden – hoffentlich! – der Ausgang ihres Strebens! Der Eine idealer Schwärmer, Enthusiast und Doctrinair, vermochte es wohl, durch sein begeistertes Wort die Nation zu entflammen, für die höchsten Ziele zu gewinnen und zu unerhörten Anstrengungen mit sich fortzureißen; die positive Lage der Verhältnisse zu überblicken, die von allen Seiten aufthürmenden Schwierigkeiten an der rechten Stelle anzufassen, Umstände und Persönlichkeiten in seiner nächsten Nähe zu beherrschen und damit das begonnene Werk zu Ende zu führen, war er nicht im Stande, und – wäre auch wohl Niemand im Stande gewesen. Der Andere, ein ruhiger, ernst überlegender, praktischer Staatsmann, steht auf eng umgrenztem ebenem Boden, von wo er, festen Blickes und sichrer Hand, eines der ihm entgegenstehenden Hindernisse nach dem andern wegräumend, nie eine neue Position einnehmend, ehe er dieselbe zu behaupten versichert ist, Streich auf Streich auf den ermattenden Gegner führt. Und auch ihm folgt seine Nation, aber nicht unbewußt, und er weiß sehr wohl, wie weit; er kennt nicht blos seine Freunde, seine eignen Hülfsmittel, er kennt auch seinen Gegner, dessen Macht und dessen Blößen; die eine nicht zu unterschätzen, die andern zu benutzen und selbst jede zu vermeiden, darin beruht seine Stärke und dies sichert ihm den endlichen Sieg.

Franz Déak.

Es verräth offenbar Gedankenlosigkeit, Franz Déak den Charakter eines „Staatsmannes“ absprechen mit ihn zum bloßen „Advocaten“ seiner Partei herabsetzen zu wollen. Wo es sich zunächst um eine juristische Streitfrage, gleichviel ob zwischen Einzelnen oter ganzen Völkern handelt, da ist offenbar der Führer der Partei vorerst ihr Advocat; schlimm genug Oesterreichs Sache, daß ihre Vertheidiger vor dem scharfen Rüstzeug des Ungarn nicht Stand zu halten vermögen. Wenn aber gleichzeitig über die Befähigung des Staatsmannes geurtheilt werden soll, dann kann ohne Frage nur der unter den gegebenen polilischen Verhältnissen mögliche und erreichbare Erfolg entscheiden. Und daß dieser heute bereits von dem ungarischen „Advocaten“ gewonnen ist, beweist am Besten die entsetzliche Verlegenheit seines Gegners. Aus einer Position nach der andern verdrängt, von einem Theile der eignen Anhänger bereits verlassen, ohne Zutrauen zu sich selbst, ohne Kraft im Innern, ohne Sympathien auswärts, stehen bereits heute Oesterreichs Minister dem „Advocaten“ gegenüber vollständig geschlagen da, noch ganz ungewiß, wohin und auf welchem Wege der Rückzug anzutreten. Wie viel mehr oder was anders hätte wohl überhaupt erreicht werden können?

Der parlamemarische Ruhm Déak’s datirt keineswegs aus der jüngsten Zeit. Bereits seit dem Jahre 1832 ist er Mitglied des ungarischen Landtages, zuerst vom Zaláer Comitat, in dem seine Familie ihren Wohnsitz hat, im letzten Jahre von der Stadt Pesth gewählt. Am 17. October 1803 in Kechida, einem kleinen Dorfe in dem genannten Comitate, geboren, hat er seine Bildung auf der Hochschule in Raab erworben, wo er Jurisprudenz studirte und sich dann in seiner Heimath als Advocat niederließ. Nachdem er bereits auf dem ersten Reichstage die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt, trat er 1847 als Führer der gemäßigten Opposition auf, wurde 1848 in das von Ludwig Bathyany gebildete ungarische Ministerium als Justizminister berufen, konnte indeß der radicalen Partei unter Kossuth, Szemère, Madarars etc. nicht Stand halten und legte, als auch die Versuche, durch Vermittelung der Krone eine Einigung zu erzielen, gescheitert waren, am 17. September 1848 seinen Posten nieder. Seit der Zeit hat er, zurückgezogen von allen öffentlichen Angelegenheiten, nur seinem Fachberufe gelebt, bis ihn der October 1860 wieder auf den Schauplatz rief.

Was Déak vor Vielen seiner Landsleute vorheilhaft auszeichnet, [806] ist sein freier Blick über die speciellen Interessen Ungarns hinaus. Von allgemeiner gediegener Bildung, hat er bereits bei seinem ersten Auftreten gegenüber den aristokratischen und particularistischen Bestrebungen der damaligen Parteien für Aufhebung der Steuerfreiheit des Adels, für die Befreiung der Bauern von den drückenden Frohnen, für Gleichstellung aller Bürger vor dem Gesetze gesprochen; seit 1847 fanden seine unausgesetzten Bemühungen allgemeinen Erfolg und praktischen Ausdruck in dem von ihm entworfenen, aus sieben Punkten bestehenden Programm der liberalen Partei, in dem sich unter andern auch vollständige Preßfreiheit und Förderung der Volkserziehung finden. In der letzteren namentlich und in der Culturentwickelung überhaupt erkennt er das Fundament von Ungarns Zukunft, und erst in den jüngsten Tagen, unter dem schweren Druck der gegenwärtigen Verhältnisse, hat er eine ernste Aufforderung an seine Landsleute gerichtet, in der er ihnen, und vor Allen auch den Frauen, den Werth der Wissenschaft und tüchtiger Bildung, der in vielen, selbst höheren Kreisen leider noch nicht genügend erkannt werde, eindringlich an’s Herz legt, wahrlich ein schönes Document für den Werth des Mannes selbst.

Im Uebrigen kann Déak kaum eine besonders glänzende Begabung zugesprochen werden, und seine Landsleute überschätzen ihn ohne Zweifel (wie so Vieles, was Ungarn gehört). Klarer, ruhiger Blick, scharfe Beobachtungsgabe, logische, wenn auch etwas zu breit ausgeführte Deduktion, Schlagfertigkeit, vor Allem aber eiserne Consequenz und unerschütterliche Treue des Charakters zeichnen ihn als Parteiführer und als Redner aus; dagegen mangelt ihm Fülle der Anschauungen, Schwung der Phantasie und jene Formvollendung, welche neben dem „pectus“, allerdings dem ersten Erforderniß des Redners, erst den Koryphäen der Tribüne bildet. Wo es sich um Abwägung des Für und Wider, des Gesetzlichen und Ungesetzlichen, des Zweckmäßigen und erreichbar Möglichen handelt, da ist er an seinem Platze, und sein berühmter Adreßentwurf und die denselben begründenden Reden können als Meisterstücke bezeichnet und den classischen Reden eines Brougham und Peel auf diesem Gebiete an die Seite gestellt werden. Déak gehört zu jener Classe von Rednern, die leichter zu überzeugen, als zu überreden im Stande sind; hinreißen oder gar rühren wird er wohl nie; er bildet auch in dieser Beziehung den schärfsten Gegensatz zu Kossuth. Seine Ausdrucksweise ist weniger gewählt als treffend, seine Gesticulationen sind mehr energisch als anmuthig, wie im Allgemeinen die ungarischen Redner, die im gewöhnlichen Tagesanzuge, Ueberzieher und Hut neben sich, vom Platze aus sprechen; nicht den gewinnenden Eindruck machen, den wir von unseren deutschen Rednern verlangen; selbst der sonst formvollendete Präsident Ghyzy ist weit entfernt von dem Aplomb eines Gagern oder der Eleganz eines Simson. Déak selbst könnte von deutschen Notabilitäten noch am ehesten mit Bincke verglichen werden, mit dem er auch das fast eigensinnige Beharren am „Rechtsboden“ theilt, und dem er auch an Schlagfertigkeit gleichkommt; dagegen erreicht er ihn allerdings nicht in Bezug auf die bereits erwähnte Fülle der Anschauungen, die den deutschen Nestor auf allen Gebieten zu Hause und in allen Sätteln gerecht zu sein befähigt; eben so fehlt ihm (und zwar zu seinem Vortheile) jener Uebermuth und die entsetzliche Nonchalance und Effecthascherei, die den edlen Freiherrn selbst die Rolle des Clown nicht verschmähen läßt, um nur Erfolg zu erzielen. Déak ist auch als Redner, wie in seinem ganzen Privatleben, von außerordentlicher Anspruchslosigkeit und Einfachheit, genießt aber eben deshalb eine unbegrenzte Popularität, die sich oft in rührenden Zügen kund giebt. Sein Aeußeres würde eher auf einen behäbigen Gutsbesitzer, mit einem Anflug an den „jovialen Lebemann“, als auf einen scharfsinnigen Advocaten und gewiegten Staatsmann schließen lassen; die meisten bisher von ihm vorhandenen Portraits sind nicht getroffen, wir glauben deshalb mit unserer sehr ähnlichen Abbildung den Lesern der Gartenlaube einen Dienst zu erweisen.

Ob Déak noch eine große Rolle in dem bevorstehenden Drama der Begebenheiten zugedacht ist, möchte ich bezweifeln; er hat weder das Zeug zu einem Minister, noch zu einem „berühmten Manne“. Wenn er seinen Zweck, Ungarns Rechte zu erkämpfen, erreichen sollte, so würde er vermuthlich in die Stille des Privatlebens zurücktreten, aber ihn freilich dann auch der schönste Lohn begleiten, der ewige Dank und die Anerkennung seiner Nation.