Der Dichter des Frühlings

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Autor: Max Ring
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Titel: Der Dichter des Frühlings
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aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 806-809
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Der Dichter des Frühlings.

Auf seinem Krankenlager in Potsdam lag ein preußischer Officier, Namens Ewald von Kleist. Vor einigen Tagen hatte er aus einer an sich geringfügigen Ursache einen Zweikampf mit einem seiner Cameraden bestanden und dabei eine schwere Wunde am Arme erhalten, die sich unter der Behandlung eines rohen Feldscheers noch verschlimmerte. Gepeinigt von seinen Schmerzen, mißmuthig über die auszustehende Langeweile, da ihm jede anstrengende Beschäftigung untersagt war, ruhte er entkräftet auf dem Bette, den ihm eigenthümlichen hypochondrischen Gedanken nachhängend. Da klopfte es zuerst leise, dann lauter an der Thür; auf das schwache „Herein!“ des Kranken erschien ein junger Mann mir freundlichem Gesicht, sanften, theilnehmenden Mienen und herzgewinnendem Gruß. Der Fremde trug einen braunen Rock mit einfacher Stickerei, seidene Beinkleider und dergleichen schwarze Strümpfe. Das sorgfältig gepuderte Haar bildete zu beiden Seiten zwei zierliche Locken und endete in einen Haarbeutel. Haltung und Kleidung verrieth den angehenden Geistlichen oder jungen Gelehrten, obgleich der frische Glanz der munteren Augen und ein schalkhafter Zug um die rothen Lippen nichts weniger als einen Pedanten bekundeten, sondern weit eher einen heiteren Geist und einen fröhlichen Gesellschafter erkennen ließen.

Der junge Mann stellte sich selbst dem Officier als Candidat Gleim und Erzieher im Hause des Obristen von Schulze vor; sein Kommen entschuldigte er mit der Theilnahme, welche die Familie des Obersten und besonders die Damen an dem Schicksale des Verwundeten nahmen. Er selbst verschwieg nicht das Interesse, welches ihm ein Lieutenant einflößen mußte, der nach Allem, was er über ihn gehört, eine Ausnahme unter seinen damaligen Standesgenossen bildete, indem Kleist eine wirklich gelehrte Bildung genossen, mehrere Jahre die Universität in Königsberg besucht, sich ungewöhnlicke Kenntnisse im Lateinischen und Griechischen erworben und auch für die damals erst aufblühende deutsche Poesie eine große Vorliebe gezeigt hatte, letzterer Umstand trug am meisten dazu bei, den Candidaten Gleim für den verwundeten Officier einzunehmen, da er selbst in seinen Mußestunden den Musen huldigte und allerliebste, scherzhafte Liedchen sang, die ihm die Anerkennung seiner Freunde erwarben. Außerdem war Gleim ein echter Patriot und ein begeisterter Verehrer des großen Friedrich, der damals in Preußen regierte und die Welt mit Bewunderung erfüllte.

Kein Wunder, daß die beiden jungen Männer trotz der Verschiedenheit ihrer Stellung schnell mit einander bekannt und befreundet wurden. Der Kranke beklagte sich besonders darüber, daß er nicht lesen dürfe, und nahm daher hocherfreut das Anerbieten des Cantidaten an, ihm vorzulesen.

„Soll ich,“ fragte Gleim, „Ihnen aus dem Cäsar vorlesen, den ich hier auf dem Tische aufgeschlagen finde?“

„Lassen wir den Cäsar,“ entgegnete der Verwundete. „Sie würden mich verbinden, wenn Sie mir ein Liedchen vorlesen wollten, das Sie selbst gedichtet. Ich habe so viel Gutes von Ihrem Talent gehört, daß ich begierig bin, eine Probe zu hören. – Sie müßten,“ setzte Kleist scherzhaft hinzu, „kein echter Dichter sein, wenn Sie nicht ein kleines Manuscript in der Tasche trügen, oder Ihre Gedichte auswendig wüßten.“

„Wo denken Sie hin!“ rief der muntere Gleim. „Ich werde mich hüten, Ihre Leiden durch meine schlechten Verse noch zu vermehren.“

„Im Gegentheil. Apollo ist nicht nur der Gott der Lieder, sondern auch der Vater Aesculap’s, der alle Schmerzen heilt. Vielleicht gelingt es Ihnen besser, als meinem Arzt, unter dessen Behandlung mein Zustand sich eher verschlimmert, als verbessert hat.“

„Wenn dies mir glücken sollte, so wäre ich hinlänglich belohnt. Man heilt das Fieber mit Spinnweben und Sägespänen; vielleicht wohnt meinen Versen eine ähnliche medicinische Kraft bei. Darum will ich es auf einen Versuch ankommen lassen.“

[807] Mit diesen Worten zog Gleim etwas verschämt aus den weitläufigen Taschen seines gestickten Rockes ein kleines Buch hervor, in welches er seine Verse einzutragen pflegte, wie Kleist ganz richtig vorausgesetzt hatte. Mit wohltönender Stimme las er ihm verschiedene heitere Liedchen und unter anderen folgende anakreontische Strophen vor:

Tod, kannst Du Dich auch verlieben?
Warum holst Du denn mein Mädchen?
Hole lieber ihre Mutter,
Ihre Mutter sieht Dir ähnlich! –
Frische, rosenrothe Wangen,
Schöngefärbt von meinem Kusse,
Blühen nicht für blasse Knochen!
Tod, was willst Du mit dem Mädchen?
Mit den Zähnen ohne Lippen
Kannst Du es ja doch nicht küssen!

Herzlich lachte der Kranke über den komischen Einfall und besonders über den Schluß des Gedichtes so heftig und ausgelassen, daß durch die Erschütterung die Wunde des Armes von Neuem aufbrach und eine heftige Blutung eintrat. Der erschrockene Gleim klagte sich als die Ursache des Unfalls an und eilte, so schnell er nur vermochte, nach dem nächsten Arzt, der auch sogleich erschien und die nöthigen Anordnungen traf. Bei der Abnahme des alten Verbandes, den der bornirte Feldscheer entweder schlecht angelegt oder vernachlässigt hatte, zeigten sich bereits die Spuren des Brandes, der unfehlbar ohne diesen Vorfall weiter gegriffen und den Verlust des Gliedes, wo nicht des Lebens nach sich gezogen hätte.

„Preisen Sie den Zufall,“ sagte der Doctor, „oder vielmehr die Wunder der Poesie, der Sie Ihr Leben schulden. Ohne das Gedicht und seine Wirkung hätten Sie wahrscheinlich sterben müssen. Jetzt aber stehe ich dafür, daß Sie schon in wenig Wochen wieder ausgehen und den Arm gebrauchen werden. Auch der Blutverlust ist mir nur willkommen, da dadurch die Heftigkeit des Fiebers gemildert und die Heilung der entzündeten Wunde nur beschleunigt wird.“

„Gott Lob!“ rief der erschrockene Candidat, der sich noch immer nicht von seinem Entsetzen erholen konnte und sich laut als die unschuldige Ursache des traurigen Ereignisses angeklagt hatte. „Ich hätte auch niemals mehr ein Lied dichten können, wenn meine Verse den Tod eines so trefflichen Mannes veranlaßt hätten.“

„Beruhigen Sie sich!“ lächelte der Kranke. „Ich preise Sie als meinen Wohlthäter; denn der Dichtkunst und Ihnen verdanke ich meine Genesung. Die Poesie wird fortan meine Geliebte, und ihr Jünger Gleim mein Freund sein.“

Der wiedergenesene Kleist hielt Wort und wurde der Freund des liebenswürdigen Gleim und der Sänger des Frühlings, der Dichter so manches schönen deutschen Liedes. Seine Muse war ein liebenswürdiges Mädchen, Wilhelmine von Golz, die er bei einem Besuche in Ostpreußen kennen gelernt hatte. Leider war dieses Verhältniß kein glückliches und steigerte nur die dem Dichter angeborene Schwermuth. Von einem Verwandten erhielt Kleist die Nachricht, daß seine Geliebte von ihrer Mutter zu einer ihr widerlichen, aber sehr vortheilhaften Verbindung gezwungen sei. Briefe, die er deshalb an Wilhelmine richtete, wurden von ihren wachsamen Angehörigen unterschlagen, so daß sie sich von Kleist verrathen glaubte und schließlich ihre Einwilligung zu der verhaßten Heirath gab. In seiner Verzweiflung war ihm der Wiederausbruch des Krieges jetzt doppelt willkommen, aber auch hier verfolgte ihn das Mißgeschick. In den Jahren 1744 und 45 machte Kleist den Feldzug in Böhmen mit; zu seinem größten Leidwesen sah er sich jedoch zu einer ihm unwillkommenen Unthätigkeit verdammt, indem er nach der Uebergabe von Prag bei der Besatzung dieser festen Stadt bleiben mußte. Bei dem unglücklichen Rückzuge der Preußen aus Böhmen wurde auch Kleist von manchem schweren Unfall getroffen. Fünf Tage und fünf Nächte sah sich das kleine Corps, zu dem er gehörte, von einer sechsfachen Uebermacht des Feindes bedrängt und schwebte in fortdauernder Gefahr, auf gefährlichen Gebirgswegen und in kaum zugänglichen Defiléen aufgerieben zu werden. Dennoch schlug sich das tapfere Häuflein seitswärts durch das Riesengebirge glücklich nach Schlesien durch, nur daß es in den engen Pässen seine Bagage gänzlich einbüßte. Kleist selbst mußte, von den übergroßen Anstrengungen angegriffen, schwer krank in Hirschberg zurückbleiben, wo ihn wieder ein ungeschickter Feldscheer durch einen unzweckmäßigen Aderlaß hart an den Rand des Grabes brachte. Sobald er genesen, folgte er seinem Regimente nach Brieg, wo er sich nach und nach wieder erholte und ein Jahr verweilte, ehe er nach Potsdam zurückkehrte.

Mitten im Getümmel des rauhen Krieges war er der Poesie treu geblieben, hatte er manches schöne Lied gedichtet, das er seinem Gleim mittheilte. Durch ihn war er mit anderen und bereits berühmten Dichtern, wie Ramler, Uz und vor Allen mit Lessing bekannt geworden, die den poetischen Officier in seinem Streben aufmunterten. Von ihnen angeregt schrieb er sein „Landleben“, das er aus Gleim’s Rath umtaufte und unter dem Namen „der Frühling“ veröffentlichte. Nicht leicht machte ein deutsches Gedicht, und noch dazu von einem unbekannten Verfasser, ein so großes Aufsehen. Ursprünglich nur für seine Freunde gedruckt, erlebte es in kurzer Zeit vier Auflagen, die es hauptsächlich der Reinheit seiner Sprache, dem natürlichen Gefühl und den glücklichen Bildern des Dichters verdankte. Von allen Seiten erhielt Kleist Zeichen des Beifalls und der Anerkennung; selbst der Präsident der Akademie, Herr von Maupertuis, erkundigte sich nach dem poetischen Officier, in der Absicht, ihn zum Mitgliede derselben vorzuschlagen.

Trotz dieses schnell erworbenen Dichterruhms fühlte sich Kleist nicht glücklich: wiederholte Kränklichkeit verstimmte ihn, das müßige Garnisonleben sagte ihm nicht zu, das Avancement ging nur langsam von Statten, und er sah sich vielfach zurückgesetzt, so daß er ernstlich daran dachte, seinen Abschied zu nehmen und um die Stelle eines Forstmeisters sich zu bewerben, wobei er seine Liebe zur Natur, die wie ein rother Faden durch sein ganzes Leben läuft, zu befriedigen hoffte. Waren ihm doch die liebsten Stunden in Potsdam die, welche er auf einsamen Spaziergängen zu seiner „poetischen Bilderjagd“ benutzen durfte. Aber der Dichter mußte vor dem Soldaten zurückstehen, sobald die Trommel schallte und der große König rief. Kleist folgte diesem in das Lager bei Pirna, wo die sächsische Armee vor der preußischen Tapferkeit und dem Genie Friedrich’s die Waffen strecken mußte. Sein kriegerischer Ehrgeiz war erwacht, und er brannte vor Begierde sich auszuzeichnen; er wünschte sich nichts mehr, als „nur einmal mit zweihundert Mann commandirt zu sein, und dann von zweitausend Oesterreichern angegriffen zu werden.“ – „Wenn ich mich ergäbe,“ fügte er hinzu, „möchte mich der König immer zum Schelme machen lassen. – Aber zu etwas Großem werd’ ich nie kommen; es sind nur Wenige, denen so etwas aufgehoben ist.“

Ein andermal schreibt er seinem Gleim: „Sie schreiben mir, daß es Ihnen graut, Nachricht zu erhalten, daß ich im Kriege getödtet ober verwundet worden. Sie müssen sich gewöhnen, diese Nachricht einmal mit kaltem Blute zu lesen, oder zu hören. Wenn es geschehen sollte – woran ich aber sehr zweifle, denn ich hab’ in gewissen Stücken gutes Glück – oder Unglück, ich weiß nicht, wie ich es nennen soll – so sollen Sie es lesen, und ich will Ihnen meinen Tod selber ankündigen. Ich will, wenn ich eine Action vermuthe, vorher an Sie schreiben und meinem Kerl befehlen, daß er den Brief, im Fall ich bleiben sollte, sogleich auf die Post bringe, sonst aber nicht. Der Brief wird anfangen: „Im Fall Sie dies Schreiben erhalten, so bin ich todt etc.“ Der Einfall ist doch lustig, daß man seinen Tod selber meldet; aber ich glaube, es wird nichts daraus, und Sie werden den Brief nicht bekommen. Geschieht es aber, so bin ich wohl daran. Ich bin so viel glücklicher, als wenn ich Sie überlebte. Ich freue mich auf den Tod, wie ein Schiffer nach Sturm und Ungewitter auf den Hafen.“

Im Verlaufe des Krieges kam Kleist nach Leipzig, wo er mit seinem Freunde Lessing zusammentraf. Von diesem aufgemuntert, faßte er daselbst den Plan zu einem Trauerspiele „Seneca“, von dem er nur einige Scenen schrieb. Die Nachrichten vom Kriegsschauplatze regten ihn indeß immer von Neuem wieder auf und erfüllten sein muthiges Herz mit Sehnsucht, an den Gefahren seiner Waffenbrüder Theil zu nehmen. „Während die ganze Armee in beständiger Gefahr ist,“ klagt er ärgerlich, „bin ich ruhig und mache Verse. Dabei schlaf’ ich doch nur alle Sonntage einmal aus, sonst exercire ich immer von Morgens vier Uhr bis gegen Abend; ich möchte statt dessen zehnmal lieber Gefahr haben.“ – Unter solchen Verhältnissen mußte es ihm doppelt unangenehm sein, daß ihm auf besonderen Befehl des Königs die Direction des Feldlazareths übertragen wurde, ein ehrenvolles Amt, das er als Beweis des ihm geschenkten Vertrauens nicht zurückweisen konnte. „Ich bin untröstlich,“ ruft er bei neuen Siegesnachrichten, „daß ich [808] hier sein muß; komme ich zu nichts Rechtem in diesem Kriege, so nehme ich gleich nach dem Kriege den Abschied und gehe Kohl zu pflanzen. Ich habe so viel Ehre, wie alle die, die besser geachtet werden als ich, und muß hinter der Mauer sitzen!“

Endlich ging sein Herzenswunsch in Erfüllung. – „Mein Gebet ist erhört,“ schreibt er an Gleim aus Leipzig den 2. Mai 1758, „wir marschiren den 11. hujus hier aus, zum Corps des Prinzen Heinrich. Mir ist, als wenn ich im Himmel wäre, und ich bin nun mit meinem Schicksale, das mich durch die Versetzung aus der Potsdamschen Garnison geführt hat, sehr zufrieden. Ich glaube zwar nicht, daß ich bleiben werde, indessen ist es doch möglich. In diesem Falle geben Sie doch die 200 Thaler, die über 1000 sind, an Herrn Ramler und Lessing, jedem die Hälfte. Oder vielmehr geben Sie sie ihnen gleich, sie sollen sie mir einmal, im Fall ich lebe, wiedergeben, wenn sie recht reich geworden sind. Ja, geben Sie sie ihnen jetzt gleich; ich habe genug, wenn ich tausend Thaler behalte. Die tausend Thaler schicken Sie, wofern ich sterben oder todtgeschossen werden sollte, an meine Schwester, verwittwete Kleist, geborne Kleist, zu Cunitz über Stargard und Neu-Stettin.“

Auf dem Marsche nach Hof dichtete Kleist seine berühmte „Hymne“, die er, wie er selbst sagte, seinen Soldaten zu verdanken hatte. Diese pflegten nämlich jeden Morgen, ehe sie ihre Lieder zum Lobe des großen Friedrich anstimmten, ein geistliches Lied zu singen. Kleist wurde von dem schlichten Gesange der dem Tode entgegenziehenden Krieger so tief ergriffen, daß ihm die Thränen in die Augen traten. Um sie nicht sehen zu lassen, eilte er voraus und dichtete, indem er der aufgehenden Sonne entgegenritt, das bekannte Lied:

Groß ist der Herr! die Himmel ohne Zahl
Sind Säle seiner Burg;
Sein Wagen Sturm und donnernde Gewölk’
Und Blitze sein Gespann.
Die Morgenröth’ ist nur der Wiederschein
Von seines Kleides Saum;
Und gegen seinen Glanz ist Dämmerung
Der Sonne flammend Licht.

Aus der kriegerischen Stimmung jener Tage ging auch das Gedicht „Cissides und Paches“ hervor, in welchem er den Muth und die Tapferkeit zweier edler Helden verherrlichte. Während er aber den Musen huldigte, wurde Friedrich der Große von den Oesterreichern unter Daun bei Hochkirch überfallen. Zu anschaulicher Weise schildert Kleist die Schreckensnacht, indem er seinen Bericht mit den Worten schließt: „Geduld, ihr stolzen Sieger! ihr sollt bezahlt werden; Alles ist bei uns bis zur Raserei aufgebracht.“ Er selbst theilte gewissermaßen das Schicksal seines angebeteten Königs; die Russen waren auf seinem Gute gewesen und hatten, nach ihrer gewohnten Weise, ihm Alles genommen. „Nun bin ich,“ schreibt er an Gleim, „mit meinen armen Bauern und Geschwistern ganz ruinirt. Ich habe immer gedacht, noch einmal zu Hause zu sterben, wenn ich’s im Krieg nicht würde, aber nun –“

Bald fand Kleist jedoch die Gelegenheit, sich an dem übermüthigen Feinde zu rächen und seine Tapferkeit zu beweisen. Mit seinem Bataillon zur Deckung des Dorfes Plauen gegen die vordrängenden Oesterreicher commandirt, fügte er den Gegnern sehr erhebliche Verluste zu und führte seinen Auftrag in einer Weise aus, die ihm die Anerkennung seiner Vorgesetzten und selbst die Friedrichs des Großen erwarb. Sein Haß gegen die Russen wurde noch durch die unmenschliche Behandlung gesteigert, die sein nächster Verwandter von ihnen erfuhr. „Die Russen,“ meldet er tief betrübt, „haben meiner alten Mutter Bruder, einen ehrwürdigen Greis, Namens Manteuffel, mit mehr als dreißig Wunden auf seinem Gute ermordet und sein Haus geplündert. Ein sehr trauriger Fall für mich. Er war Einer von Denen, die ich von meiner ganzen Familie am meisten verehrt habe; er war die Redlichkeit und der Verstand selber und die Zuflucht der Armen in der ganzen Gegend. Er hatte ein schneeweißes Haupt und ein so ehrwürdiges Ansehen, daß ein Wolf ihn respectirt hätte, nur kein Russe. Ich kann mich der Thränen nicht enthalten, wenn ich an ihn denke.“

Mit Freude begrüßte er daher den Tag der Schlacht, wo ihm die Gelegenheit geboten wurde, sich an dem grausamen Feinde zu rächen und unter den Augen seines angebeteten Monarchen auszuzeichnen. Kleist stürmte mit Todesverachtung gegen die Batterien der Russen bei Kunnersdorf; er achtete nicht die Wunde an seinem rechten Arm und focht mit der linken Hand. Ein Grenadierbataillon, das sich ihm entgegenstellte, wurde zu Boden geschlagen. Hoch zu Pferde führte er die tapfere Schaar gegen die vierte Batterie, nachdem er drei bereits erobert hatte. Er selbst nahm den Fahnenjunker beim Arme, der schon drei gewonnene Standarten trug, und drang gegen die Feuerschlünde vor, die Tod und Verderben ihm entgegenschleuderten. Eine Musketenkugel traf ihn, aber mit jeder Wunde verdoppelte sich sein Siegeseifer. Nur wenige Schritte von dem ersehnten Ziele entfernt, zerschmetterte ein Kartätschenschuß sein rechtes Bein, so daß er sogleich vom Pferde sank. Die Seinigen eilten ihm zu Hülfe, er aber wies sie mit dem Rufe zurück: „Kinder, verlaßt Euern König nicht!“

Zwei seiner Krieger trugen ihn endlich aus dem Schlachtgetümmel und übergaben ihn einem Wundarzt; eben beschäftigt, ihm das Bein zu verbinden, ward dieser selbst durch den Kopf geschossen und fiel todt neben dem verwundeten Kleist zu Boden. Ein Trupp plündernder Kosaken fand ihn in diesem elenden Zustande; beutegierig warfen sie sich über den Unglücklichen, dem sie alle seine Kleider, selbst das Hemde raubten. Sie hätten ihn getödtet, wenn sie ihn nicht für einen Polen gehalten hätten, da er sie in dieser Sprache, die er von Jugend auf kannte, anredete. So begnügten sie sich nur, den Ausgeplünderten in einen nahen Sumpf zu werfen, worin er einige Stunden ohne Bewußtsein lag. Vorüberziehende russische Husaren hatten Mitleid mit dem Ohnmächtigen, zogen ihn in’s Trockene, bereiteten ihm auf Stroh neben ihrem Wachtfeuer ein Lager und erquickten den Verschmachtenden mit Brod und Wasser. Als sie am nächsten Morgen ihn verlassen mußten, bedeckten sie ihn noch mit einem warmen Mantel und beschenkten ihn mit etwas Gelde. Aber ein zweiter Kosakenhaufe plünderte ihn von Neuem aus und ließ ihm nichts als das nackte Leben. –

Von Schmerzen gebeugt, ohne Schutz und Hülfe lag Kleist mehrere Stunden am Wege, bis er einen russischen Officier, von Stackelberg, erblickte und anrief, indem er diesem seinen Rang zu erkennen gab. Der edle Feind ließ ihn sogleich zu Wagen nach Frankfurt an der Oder bringen, wo er zum ersten Male ordentlich verbunden wurde. Auf die Bitte des dortigen Professors Nicolai wurde der Verwundete in dessen Haus gebracht, wo er zwar die sorgfältigste Pflege genoß, aber an Erschöpfung und Blutverlust in der Nacht vom 22. zum 23. August 1759 starb. – Seine Leiche wurde von den feindlichen Officieren und den Professoren der Universität zu Grabe begleitet. Als der Sarg aufgehoben wurde, fehlte der Degen, den Kleist so muthvoll getragen. Herr von Stackelberg bemerkte den Mangel und gab seinen eigenen Degen mit den Worten: „Nein, ein solcher Krieger darf nicht ohne dieses Ehrenzeichen beerdigt werden!“ – Ein Denkmal, das ihm die Freimaurer-Loge in Frankfurt a. d. O. setzte, bezeichnet die geweihte Stätte, wo der Dichter des Frühlings ruht. Den Schmerz über seinen Verlust drückt aber am besten der berühmte Lessing in einem Briefe an Gleim aus: „Ach, liebster Freund, es ist leider wahr. Er ist todt. Wir haben ihn gehabt. Er ist in dem Hause und in den Armen des Professors Nicolai gestorben. Er ist beständig, auch unter den größten Schmerzen, gelassen und heiter gewesen. Er hat sehr verlangt, seine Freunde noch zu sehen. Wäre es doch möglich gewesen! Meine Traurigkeit über diesen Fall ist eine sehr wilde Traurigkeit. Ich verlange zwar nicht, daß die Kugeln einen andern Weg nehmen sollen, weil ein ehrlicher Mann dasteht. Aber ich verlange, daß der ehrliche Mann – sehen Sie, manchmal verleitet mich der Schmerz, auf den Mann zu zürnen, den er angeht. Er hatte schon drei, vier Wunden; warum ging er nicht? Es haben sich Generale mit wenigern und kleinern Wunden unschimpflich bei Seite gemacht. Er hat sterben wollen. Vergeben Sie mir, wenn ich ihm zu viel thue. Er wäre auch an der letzten Wunde nicht gestorben, sagt man; aber er ist versäumt worden. Versäumt worden! Ich weiß nicht, gegen wen ich rasen soll. Die Elenden, die ihn versäumt haben!“

Max Ring.