So verschieden ist es im menschlichen Leben!

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Textdaten
Autor: Kurt Tucholsky
unter dem Pseudonym
Peter Panter
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Titel: So verschieden ist es im menschlichen Leben!
Untertitel:
aus: Die Weltbühne. Jahrgang 27, Nummer 15, S. 542-543
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 14. April 1931
Verlag: Verlag der Weltbühne
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Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Die Weltbühne. Vollständiger Nachdruck der Jahrgänge 1918–1933. Athenäum Verlag, Königstein/Ts. 1978. Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
Andere Version: So verschieden ist es im menschlichen Leben –! in: Lerne lachen ohne zu weinen, S. 347-360
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[542] So verschieden ist es im menschlichen Leben!

von Peter Panter

Neulich habe ich alte Jahrgänge des ‚Brenner‘ gelesen, einer Zeitschrift, die in Innsbruck erschienen ist und wohl noch erscheint... Das war eine merkwürdige Lektüre.

Es gibt eine Menge verhinderter Katholiken, meist sind es Juden, denen ist die katholische Kirche nicht katholisch genug, oder sie erscheint ihnen überhaupt nicht als katholisch. Ich mag mich mit dieser Kirche nicht gern auseinandersetzen; es hat ja keinen Sinn, mit einer Anschauungsweise zu diskutieren, die sich hat strafrechtlich schützen lassen. Mit so unhonorigen Gegnern trete ich nicht gern an. Was aber jene verhinderten Katholiken angeht, die es gern sein möchten, es aber nicht sein können und die darunter leiden, wie nur ein Mensch leiden kann: es sind das nicht nur die forschen Konvertiten, die da toben. Es ist noch etwas andres.

Da ist eine ganze Literaturgattung, die schlägt der Welt ununterbrochen das Neue Testament auf den Kopf und wundert sich, daß es nicht gut klingt. Das höchste Pathos blüht hier; kaum einer kann gewaltigere Töne finden als der, der aufzeigt: Siehe, die Welt lebt [543] nicht, wie Christus es gelehrt hat. Es gibt nur noch ein Pathos, das höher ist: das ist das Pathos über Christus hinweg.

Im ‚Brenner‘ nun, dessen Sauberkeit, Tapferkeit und Reinheit nicht bezweifelt werden kann, gehts hoch her. Und dabei ist mir etwas aufgefallen.

Da ist zum Beispiel Theodor Haecker, ein Schriftsteller von beachtlichem Format, wenn man nicht genau hinsieht. Wenn man aber genauer hinsieht, dann zeigt sich unter dem Lärm der donnernden Moralpauken ein kleiner Mann, der es dem Hermann Bahr aber ordentlich gibt, und, auf einmal, Hosianna, Amen und Ite missa est, sind wir mitten im fröhlichen Gezänk eines Literaturcafés. Frommer Schwannecke. Es scheint, als ob diese Sorte Literaten sich erst religiös sichern müssen, bevor sie loshacken. Sie haben nie begriffen, daß es christlich, mehr: daß es philosophisch wäre, zu schweigen und vorüberzugehn. Ja, wenn ein Gläubiger aufschreit und dem Wahnwitz der Welt einen Spiegel entgegenhält, von dem jene nachher sagt, es sei ein Zerrspiegel, weil sie nicht glauben kann, daß sie so gemein aussähe! Wer dieses aber allmonatlich, regelmäßig und mit hitziger Wonne tut: der ist kein Christ, und wenn er zehnmal den ganzen Kierkegaard übersetzt hat. Der ist genau dasselbe wie Hermann Bahr, nur mit umgekehrtem Vorzeichen. Und schließlich ist psychopathische Lebensuntüchtigkeit noch kein Christentum, und „das Böse“ ist kein Schimpfwort. Wenn einer mit seinem Leben und nun gar mit dem Leben nicht fertig wird, so wird der Anblick dadurch nicht schöner, daß er sich auf die Bibel beruft. Die geheime Wonne, dem andern aber ordentlich einen zu versetzen, wird hier durch Moralinsäure legalisiert und durch eine verfälschte Himmelssüßigkeit, die nach Sacharin schmeckt und durchaus von dieser Erde stammt. Das Ziel ist vielleicht gut; die Kämpfer sind es mitnichten. Und die Hälfte ihrer Religion besteht in der Verachtung der Ungläubigen; das hält warm und ist ein schönes seelisches Unterfutter.

Viel Rauch um diesen Brenner. Schade um die reine Flamme.

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Der Zustand der gesamten menschlichen Moral läßt sich in zwei Sätzen zusammenfassen: We ought to. But we don’t.

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Wenn Stefan Zweig einen erkälteten Magen hat –: schreibt er sich dann etwas auf die eigne Bauchbinde –?

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Das Englische ist eine einfache, aber schwere Sprache. Es besteht aus lauter Fremdwörtern, die falsch ausgesprochen werden.

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Scharfe Sozialkritiker sind in ihren Nicht-Vaterländern sehr beliebt, nur dürfen es grade keine Kommunisten sein. Sonst aber hat es der Deutsche gern, wenn der Amerikaner die amerikanische Kultur demoliert; wir haben uns immer sehr für die Freiheit der andern interessiert.

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Man kann jeden schreibenden Menschen bis ins Mark daran erkennen, wie er das Wort „ich“ setzt. Manche sollten es lieber nicht setzen. Hitler setzt es. „Wenn ich in Deutschland spreche, so strömen mir die Menschen zu ...“ Der Ton ist vom Kaiser entlehnt, und das Ganze hat etwas Gespenstisches: denn dieses „ich“ ist überhaupt nicht da. Den Mann gibt es gar nicht; er ist nur der Lärm, den er verursacht.

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Die einen haben nichts zu essen und machen sich darüber Gedanken, das kann zur Erkenntnis ihrer Lage führen: und das ist dann Marxismus; die andern haben zu essen und machen sich keine Gedanken darüber: und das ist dann die offizielle Religion. So verschieden ist es im menschlichen Leben!