Sonnenaufgang (Die Gartenlaube 1899/15)
[482] Sonnenaufgang. (Zu dem Bilde S. 483.) Sonnenaufgang … Meeresstille … Liebesglück! Jedes dieser drei Worte, poetisch stimmend an sich, vereint ein köstlich Gedicht, aber die Liebe ist sein mächtigster Ton! Ja, ein Gedicht! Diesmal hat es der Malerpinsel geschaffen. Sollen wir’s dem Meister Gabrini nachplaudern, was er davon weiß, wie dem braunen Pasquale und der munteren Marziella mit einem Male ein Licht aufging, daß sie vom Herrgott eins fürs andere geschaffen worden sind?
Ja, wer weiß, wie es kam, daß Marziella schon vor Tagesanbruch auf den Beinen war, als der Pasquale vorüberging, zum Strand hinunter. Er hatte ihr lachend zugerufen, er wolle eine große Cernia [483] fangen für den Herrn Parrocho. Solch ein Riesenbarsch sei der Lieblingsfisch des Pfarrers und heute sein Namenstag. Ob sie mitkomme?
„Ein gutes Werk,“ meinte sie und gesellte sich, nichts besonderes dabei denkend, dem Burschen zu.
Das Meer war spiegeleben. Lautlos glitt das Boot hinaus. Sie schwatzten miteinander. Pasqualino vergaß darüber sein Angelzeug zu ordnen. Erblassend war der Morgenstern ins dunkle Meer gesunken und allmählich erst, dann rasch und rascher breitete sich die Dämmerung aus.
Mit einem Male ließ Pasqualino die Ruder sinken. Was sah er sie denn so sonderbar an? Es war ihr, als glänzte all das versunkene Sternenlicht in seinem Blicke … Sie saßen stille und schwiegen.
Im Osten, fern am Horizonte, ging’s wie ein leicht Erröten durch Duft und Dunst. Es ward heller. Langsam tauchte die Sonne aus den Fluten. Sieghaft durchbrach sie die Nebel, feurig, blendend. Alle Schatten wichen. Ein frischer Wind kam auf. Er weckte das schlafende Meer. Ein Kräuseln ging über die breite Fläche dahin. Das große Meer, es erzitterte … es lächelte. Auch Pasqualino lächelte … Marziella aber erfaßte heimliches, seligsüßes Schaudern. Jetzt – jetzt übergoß ein herrlicher Lichtglanz die ganze unendliche Weite. Unterm goldglühenden Sonnenkuß war ein neuer, beglückender Tag erstanden.
Leise, leise, als ob sie, das warme und farbenfrohe Leben einsaugend, atme, hob sich und senkte sich die Flut … und das sanft gewiegte Boot mit ihr. – Da schrak Marziella plötzlich auf. Das süße Bangen, das sie umfing, mußte ein Ende nehmen – „Pasquale,“ rief sie, „jetzt ist’s Tag! Wirf dein Garn aus!“
Pasquale sah nicht die Sonnenpracht am Himmel droben, noch dacht’ er der Fische im Wasser drunten. Ihm war eine andere Sonne aufgegangen, die blendete ihn – nicht das Tagesgestirn. Er selbst hing fest an den Angelhaken zweier Augen und – kam nimmer los.
Da griff Marziella eigenhändig zur Schnur und warf sie ins Wasser. Den sinkenden Bleiküglein nachblickend, kam’s ihr wie ein Aufatmen über die Lippen: „O, wie tief, wie tief ist doch das Meer …!“
„Ja,“ murmelte Pasquale, „aber tiefer noch ist die Liebe …“ Er machte eine Bewegung, als wollte er aufspringen.
„Aber was machst du?“ rief errötend Marziella, die das Wörtlein „Liebe“ mehr geahnt als gehört hatte … „Du verscheuchst ja die Fische …“
Und wirklich, da spielte die silberne Brut um die köderlose Angel, als ob ihn die Fische auslachten! Da war’s um die Selbstbeherrschung Pasquales geschehen. Lachend sprang er an Marziellas Seite. Die stimmte mit Herz und Seele ein, als er sie so neckisch beim rundlichen Kinn faßte. Was aber dann geschah, was er ihr sagte, soll lieber erraten als verraten sein.
Eines ward dem Guten klar: nie hatte St. Andrea, sein und aller Fischer Schutzheiliger, ihn so gesegnet wie eben. Eine Nixe hatte ja angebissen. Wenn die Schnur nur hielt, er wollte sich dies Meerweibchen fürs ganze Leben gefangen haben.
„Du?“ lachte Marziella schelmisch auf. „Wer eigentlich gefangen wurde, das wird sich später zeigen. Jetzt gieb Ruhe und sorge dafür, daß der Parrocho seine Cernia bekomme! Ob ich ihm alles beichte?“
„Die Cernia wird bald an der Angel zappeln, nur Geduld, und wenn wir sie dem frommen Herrn zusammen bringen, wird er merken, was los ist, uns segnen und sagen: ‚Jung birgt bei jung sich allezeit am besten.‘“
Sonnenaufgang – Meeresstille – dazu ein Lebensschifflein mit Zweien, die in Liebe sich fanden …
Ist das nicht friedfrohen Glückes Verheißung? A. Kellner.