Sonnenlicht und Sonnenkraft

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Autor: L. Büchner
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Titel: Sonnenlicht und Sonnenkraft
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 699–700, 702
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Sonnenlicht und Sonnenkraft.

Von Prof. Dr. L. Büchner.

Wenn wir heute lesen, daß so viele Völker des Altertums, wie Inder, Ägypter, Phönizier, Perser, Römer, Peruaner u. s. w., die Sonne als einen Gott angesehen und ihr göttliche Verehrung erwiesen haben, und daß dieses ganz oder teilweise bei manchen wilden oder halbwilden Völkern, wie Negritos, Ainos, Tungusen, Lappen, Samojeden u. s. w., bis auf den heutigen Tag der Fall ist, so lächeln wir wohl über solche Einfalt, da wir wissen, daß die Sonne kein Gott, sondern nichts anderes ist als dasjenige, als welches sie bereits der griechische Philosoph Anaxagoras im 5. Jahrhundert vor Christus mit einer für seine Zeit bewunderungswerten Voraussicht bezeichnete, d. h. ein „feuriger Klumpen“. Freilich paßt der Ausdruck „Klumpen“ schlecht für einen Körper, der so groß ist, daß man beinahe anderthalb Millionen solcher Kügelchen, wie unsere Erde eines ist, daraus drehen könnte, und deren Größe auch schon Anaxagoras im Widerspruch mit den Naturphilosophen seiner Zeit als eine den Augenschein weit überragende bezeichnet hatte. Wenn nun aber die Zeitgenossen des großen Philosophen seine Meinung nicht anerkennen wollten, ihn vielmehr mit der Anklage der Gotteslästerung aus Athen vertrieben und fortfuhren, die Sonne für einen Gott oder wenigstens als von einem Gotte geführt und gehalten anzusehen, so hatten sie dazu genügenden Grund in dem wohlthätigen Einfluß, den der strahlende Himmelskörper auf das ganze menschliche Leben und Dasein übte. Hätten sie wissen können, was wir heute wissen, daß nämlich die Sonne nicht bloß ein wohlthätiger Himmelskörper, sondern auch die letzte Ursache für alle auf der Erde wirksamen Kräfte und alle auf derselben vor sich gehenden Bewegungen ist, so würden sie wohl darin einen noch mächtigeren Beweggrund ihrer Sonnenverehrung gefunden haben.

Mag es nun Instinkt, Ahnung oder Zufall gewesen sein, was die Ursache für die so weit verbreitete Anbetung der Sonne als einer Gottheit geworden ist, man kann nicht leugnen, daß unter den verschiedenen religiösen Naturdiensten des Altertums keiner eine so große innere Berechtigung gehabt hat wie gerade der Sonnendienst. Ist es doch heute keinem wissenschaftlichen Zweifel mehr unterworfen, daß nach Maßgabe des großen Gesetzes von der Erhaltung oder Unsterblichkeit der Kraft die Strahlen der Sonne in der That jenen unerschöpflichen Behälter bilden, aus welchem der gesamte Kraftvorrat der Erde sein Dasein herleitet. Wollte heute die Sonne aufhören zu leuchten, so würde – auch ganz abgesehen davon, daß Leben ohne Licht überhaupt unmöglich ist – sehr bald ein mit jeder Art von Leben unverträglicher Stillstand aller Kraftwirkungen oder Kraftumwandlungen eintreten. Beinahe jeder Schulknabe weiß heute, daß die Kraft als solche nur eines Wesens ist, und daß die uns bekannten Einzelkräfte nur verschiedene Formen oder Erscheinungsweisen dieser einzigen Urkraft sind. Alle Kräfte ohne Ausnahme können nach dem Grundsatz der Aequivalenz oder Gleichwertigkeit ineinander umgewandelt werden oder auseinander hervorgehen. Niemals kann dabei die geringste Menge von Kraft verloren gehen oder zu „nichts“ werden oder aber umgekehrt aus nichts, d. h. ohne daß eine andre Art von Kraft ihr vorangegangen wäre, entstehen. So geheim oder verborgen mitunter auch die Wege sein mögen, auf denen Kraft kommt oder geht, so ist man bei genauerer Nachforschung [700] doch jedesmal imstande gewesen, diese Wege aufzudecken und sich zu überzeugen, daß es sich bei der Verwandlung der Kräfte überall nur um einen Wechsel der Form, nicht aber um einen solchen des Inhaltes handelt. Schwindet die Kraft in einer Form, so erscheint sie dafür sicher in einer anderen; und wo sie in neuer Form erscheint, da sind wir auch sicher, daß eine ihrer andern Erscheinungsformen verbraucht ist.

Unter allen Naturkräften, welche wir kennen, ist nun aber die Wärme die allgemeinste und verbreitetste Form von Kraft. Sie kann nicht bloß aus allen uns bekannten Kräften gewissermaßen hervorgelockt, sondern auch in alle zurückverwandelt werden. Wo man früher Kraft recht augenscheinlich verloren glaubte, da war sie gewiß in Wärme übergegangen. Besonders wichtig ist die Beziehung der Wärme zur Bewegung oder zur mechanischen Kraft, für welche Beziehung zahllose Beispiele vorliegen und von welcher auch die große Entdeckung der Erhaltung der Kraft ihren Ausgangspunkt genommen hat. Daher man jetzt die Begriffe von „Kraft“, „Bewegung“ und „Wärme“ in physikalischem Sinne für gleichbedeutend ansieht.

Gerade von dieser wichtigen und gewissermaßen die Grundlage aller andern Kräfte bildenden Wärmekraft sendet nun aber die Sonne trotz des überaus geringen uns zukommenden Anteils an ihrer Gesamtwirkung alljährlich so riesige Mengen zur Erde nieder, daß man damit eine über die ganze Erdoberfläche gelagerte Eisrinde von 30 Metern Dicke würde zu schmelzen imstande sein. In einem Zeitraum von etwa sechzehnhundert Jahren würde die Sonnenwärme hinreichen, um alles Wasser der Oceane verdampfen zu lassen, wenn dasselbe keinen neuen Zufluß erhalten würde.

Daß diese gewaltige Wärmemenge einem ebenso gewaltigen Vorrat von Arbeit oder Kraft entspricht oder entsprechen muß, dürfte nach dem oben Gesagten klar sein; man hat diese Kraftmenge auf die ungeheuere Zahl von 228 Billionen Pferdekräften berechnet. Man hat weiter berechnet, daß die Wärme einiger Quadratmeter der Sonnenoberfläche hinreichen würde, um alle Dampfmaschinen, welche auf der ganzen Erde im Betrieb sind, zu unterhalten.

Wenn auch die Erde nicht alle ihr auf diese Weise von der Sonne zuströmende Kraft zu ihren Zwecken verbraucht, sondern eine große Menge davon wieder als Wärme in den kalten Weltraum zurückstrahlt, so findet doch der größte Teil eine sehr praktische Verwendung und Aufspeicherung, welche sich schon in den Vorbedingungen des Lebens in einer Weise geltend macht, daß ohne sie Leben überhaupt eine Unmöglichkeit wäre. Der für das Bestehen aller luftatmenden Wesen unbedingt notwendige Kreislauf des Luftmeeres und dessen ununterbrochene Strömungen verdanken ihr Dasein ebensowohl der Sonne, wie die für die Existenz aller im Wasser lebenden Tiere nicht minder notwendige Beförderung der Luft durch alle Tiefen der Gewässer mit Hilfe der die Meere nach allen Richtungen durchfurchenden Meeresströmungen, oder der für alles Leben auf der Erde unentbehrliche Kreislauf der Gewässer. Denn die Sonnenkraft ist es, welche bewirkt, daß das durch ihre Strahlen verdampfte Wasser in die Luft steigt, sich in Wolken sammelt und als Regen, Schnee, Tau, Reif, Hagel u. s. w. wieder niederfällt, um Quellen, Bäche, Flüsse und Ströme zu speisen. Wenn man nur die durch allgemeine Wasserverdunstung an der Erdoberfläche geleistete Arbeit der Sonne künstlich nachahmen wollte, so würde man dazu soviel Brennmaterial verwenden müssen, wie nötig wäre, um eine ganze Billion Dampfmaschinen, jede von sechzehn Pferdekräften, in Bewegung zu halten.

Wenn somit schon Leben überhaupt ohne diese von der Sonne abhängigen Vorbedingungen auf der Erdoberfläche undenkbar ist, so wird diese Abhängigkeit von ihrer mächtigen Herrschaft noch viel deutlicher, wenn wir das Leben selbst ins Auge fassen. Wir sind, geradeso wie die Quellen, Bäche und Flüsse, von denen die Rede war, Sonnenkinder oder lichtgeborene Wesen, und zwar, nicht bloß in bildlichem, sondern in ganz wörtlichem oder mechanischem Sinne. Wenn wir hungrig sind, ist es die Sonne, welche uns speist. Wenn wir durstig sind, ist es die Sonne, welche uns tränkt. Wenn wir Arbeit verrichten, einerlei, ob körperlich oder geistig, ist es wiederum dieselbe Sonne, welche die dafür erforderliche Kraft liefert oder leiht.

Denn wenn wir uns – um dies im einzelnen deutlich zu machen – die Frage vorlegen: woher kommt die Kraft unserer Muskeln, mit denen wir körperliche, oder die Kraft unseres Gehirns, mit dem wir geistige Arbeit verrichten? – so lautet die Antwort des Physiologen: aus dem Blute, welches allen Organen unseres Körpers ununterbrochen die ernährenden Stoffe zuführt und ohne dessen steten Zu- und Abfluß deren normale Thätigkeit keinen Augenblick würde bestehen können.

Fragen wir weiter: woher kommt das Blut? – so lautet die Antwort: aus dem Milch- oder Speisesaft.

Fragen wir weiter: woher kommt der Speisesaft? – so lautet die Antwort: aus den Speisen, welche entweder pflanzlicher oder tierischer Art sein können. Da nun aber die Fleischfresser oder Fleischesser von den Pflanzenfressern leben und daher tierisches Leben in letzter Linie ohne pflanzliches eine Unmöglichkeit ist, so erscheint die Pflanze als letzte und einzig wirkliche Quelle aller auf der Erde vorhandenen Nahrung.

Fragen wir nun endlich: woher kommt die Pflanze? – so lautet die Antwort so bestimmt wie möglich: unmittelbar von der Sonne!

Denn Licht und Wärme sind die Nahrung der Pflanze. Unter dem Einfluß dieser zwei mächtigen Naturkräfte, welche aber nur eine einzige Kraft bilden, da Licht nur eine besondere Form der Wärme darstellt, zersetzt die Pflanze bekanntlich die Kohlensäure der atmosphärischen Luft derart, daß der Sauerstoff frei und der Kohlenstoff in dem Gewebe der Pflanze, deren Hauptbestandteil er bildet, festgelegt wird. Oder – mit anderen Worten – die lebendige Kraft der Sonnenstrahlen wird in die ruhende oder Spannkraft der von der Pflanze erzeugten Stoffe umgewandelt. Diese Stoffe nähren nun das Tier. Tier und Pflanze nähren den Menschen – abgesehen davon, daß der durch den geschilderten Prozeß des Pflanzenwachstums freigemachte Sauerstoff das unentbehrliche Lehenselement aller luftatmenden Wesen bildet.

Also genießen wir in der Pflanze oder dem Tier, das von ihr gelebt hat, ein Stück Sonnenwärme oder Sonnenlicht oder Sonnenkraft und erzeugen damit alle Kraft unseres Leibes und Lebens. Wir können daher mit vollem Recht sagen, daß die Sonne, indem sie unsere Speisen erzeugt, auch die einzige und letzte Quelle aller von unserem Körper entwickelten Kräfte, Bewegungen und Thätigkeiten ist. Wir sind – um es zu wiederholen – im wahren und vollen Sinne des Wortes Sonnenkinder.

Vielleicht könnte jemand den Einwand erheben, daß, wenn wir uns (mittelbar oder unmittelbar) von Pflanzen nähren würden, welche allenfalls in einem Treibhause mit Hilfe künstlicher Wärme und künstlichen Lichtes erzeugt worden wären, wir eine Arbeit oder Kraft entwickeln würden, welche nichts mit der Sonne zu thun hätte. Aber eine sehr einfache Ueberlegung zeigt, daß alle jene Mittel oder Stoffe, mit deren Hilfe wir das Treibhaus erwärmen und erleuchten möchten, wie Holz, Torf, Kohle, Gas oder Petroleum, in letzter Linie nur von der Sonne geborgt oder geliehen sein können. Namentlich sind jene riesigen Steinkohlenfelder im Innern unserer Erde, welche uns jetzt das meiste Brenn- und Leuchtmaterial (mittelbar oder unmittelbar) liefern, und ohne welche unsere ganze Kulturentwicklung in Frage gestellt sein würde, nichts anderes als das Werk jener vorweltlichen Sonnenstrahlen, welche vor Millionen von Jahren über den ehemaligen Steinkohlenwäldern brüteten. Die Kraft, welche die Dampfmaschine treibt oder die schnaubende Lokomotive mit ihrer angehängten Last spielend über die Schienen dahinjagt, ist nichts anderes als ein Tropfen Sonnenwärme oder Sonnenlicht, der ehemals in eine Pflanze umgewandelt, alsdann in die Erde eingesargt, mit Schutt, Steinen und Lehm bedeckt und heute wieder durch die Hand des Menschen dem dunkeln Schoß der Erde entrissen wurde, um von neuem in Licht und Wärme umgewandelt zu werden. Daher die Lokomotiven von den Gelehrten mit Recht den poetischen Namen der „Sonnenrosse“ erhalten haben.

Auch mechanische, chemische oder elektrische Kräfte, mittels deren wir allenfalls versuchen möchten, das Treibhaus zu erwärmen und zu beleuchten, müssen entweder unmittelbar oder auf dem Wege der Kraftumwandlung von der Ur- oder Grundkraft der Sonne abstammen, welche die Atome des Weltäthers in Bewegung setzt und in allerletzter Linie wahrscheinlich gleichbedeutend ist mit der der Sonne innewohnenden Gravitation oder Anziehungskraft.

„Alle Kräfte der Erde, alle Aeußerungen des Lebens,“ sagt der berühmte englische Physiker Tyndall ebenso poetisch wie wahr, [702] „sind nur Modulationen einer und derselben himmlischen Melodie – – die Sonnenstrahlen kommen als Wärme zu uns und verlassen uns auch als solche. Aber zwischen ihrer Ankunft und ihrem Weggang entstehen daraus die mannigfaltigen Kräfte unseres Planeten; und sie sind ohne Ausnahme eigentümliche Formen der Sonnenkraft oder ebensoviele vorübergehende Verwandlungen, welche sie auf ihrem Wege von ihrem Ursprung zum Unendlichen durchmacht.“

Somit huldigten die alten Aegypter bereits einer vollständig richtigen Vorstellung, als sie auf den Sonnentempel in Philä die Worte als Inschrift setzten: „Sie (die Sonne) ist es, welche alles gemacht hat, was ist; und nichts giebt es, das ohne sie jemals gemacht worden wäre.“

Wir schließen diesen Aufsatz mit den begeisterten Worten des französischen Naturforschers Onimus:

„Die moderne Wissenschaft ist das schönste der Gedichte – – der menschliche Geist befindet sich im Angesicht der Entdeckungen und Verallgemeinerungen der modernen Wissenschaft, wie Rumford sagt, ohne Aufhören im Angesicht eines Wunders, welches selbst Miltons Phantasie in Schatten stellt. Es ist so großartig und erhaben, daß derjenige, welcher sich ihm hingiebt, einer gewissen Charakterstärke bedarf, um nicht geblendet zu werden. Die Winde, die Flüsse, alle Erscheinungen der Natur wie der Kunst sind die Kinder eines Teiles der Sonnenkraft. Derselbe Sonnenstrahl, welcher auf unssere Erdkugel fällt, erzeugt, ehe er in der Form der Wärme in den Weltraum zurückkehrt, den befruchtenden Tau, die duftende Blume mit ihren glänzenden Farben, den Baum, welcher heute die Luft von Kohlensäure reinigt und morgen unsere Maschinen treibt oder uns widerstandsfähig gegen die Unbilden der Witterung macht. Ja, alles dieses stammt aus der nämlichen Quelle ebenso wie alle Erzeugnisse menschlicher Civilisation. Sonnenkraft ist die Kraft, welche mir gestattet, mich zu bewegen und zu empfinden, ebenso wie die Bewegung des Blutes in meinen Adern oder die Beweguug meines Armes, welcher in diesem Augenblick meine Feder führt, oder der Gedanke, welchen ich wiederzugeben versuche, oder das Vergnügen, welches ich empfinde, indem ich diese Arbeit mit den Worten meines Vaters schließe: ,Ueberall Verwandlung – nirgendwo Vernichtung. In der organischen wie in der physischen Welt, in den lebendigen wie in den toten Körpern ist ununterbrochene Bewegung. Vollkommene Ruhe giebt es nicht. Alles verwandelt sich, und aus dem Schoß des Staubes erblüht ununterbrochen neues Leben.“