Die Sklaven

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Autor: Ernst Eckstein
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Titel: Die Sklaven
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aus: Die Gartenlaube, Heft 40–43, S. 680–684, 702–706, 719–723, 738–740
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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[680]

Die Sklaven.

Novelle von Ernst Eckstein.


Lucius Menenius und sein einziger Sohn Cajus waren beim Quästor Camillus zu Tisch geladen. Die Hausfrau, Plotina, weilte mit ihrer Tochter zu Bajä. Auch der getreue Klient und Vermögensverwalter des Lucius Menenius war seit Vormittag abwesend.

So kam es, daß sich die Sklaven etwas ungebundner als sonst dem Genuß ihrer Feierzeit hingaben. Nicht nur der Obersklave des Atriums, Heliodorus, und der unfreie Hausarzt – die beiden vornehmsten aus der Dienerschaft – sondern auch die Sklaven zweiten und dritten Rangs machten es sich von Herzen bequem und überließen sich einer harmlosen Fröhlichkeit.

Heliodorus lag auf dem eberfüßigen Ruhebett unter dem Säulengange des Peristyliums[1] und vertiefte sich eifrig in eine Buchrolle, die den Titel führte: „Liebes- und Leidensgeschichten“. Es waren die sechsunddreißig Novellen des griechischen Dichters Parthenios, die sämtlich einen sehr tragischen Ausgang hatten, so daß die leichtblütige Kammersklavin Lucretia, die der pathetische Heliodorus mehrfach einer Mitteilung aus dem Inhalt dieser Novellen gewürdigt hatte, den Dichter Parthenios für einen unglaublichen Schwärmer erklärte, da so viel Unglück auf einmal in dieser schönen sonnigen Welt gar nicht Raum habe.

Ninus, der unfreie Hausarzt, lehnte ein wenig ermüdet in den rotledernen Kissen eines gemeißelten Marmorsessels und schloß die Augen. Er war die ganze Nacht außer Bett gewesen, da einer der Küchensklaven sich schwer verbrüht hatte. Lucius Menenius hielt darauf, daß bei derartigen Fällen die Wartung unmittelbar durch den Leibarzt gehandhabt wurde; denn er war im altrömischen Sinn ein pater familias, ein Vater nicht nur für seine Kinder, sondern für die Gesamtheit der Hausgenossen, unbekümmert um Rang und Herkunft.

Ein Teil der übrigen Sklaven hatte sich plaudernd und scherzend um den Brunnen gelagert, andere hielten im Innern des Hauses Rast; noch andere saßen im Xystus, dem gartenähnlichen Hof hinter dem Peristylium, und ergötztem sich mit Gesang und Saitenspiel oder ließen die beiben prächtigen Wolfshunde über den Stock springen.

Aus der Thüre des Bibliothekzimmers trat ein zwanzigjähriger Jüngling von schöner Gestalt und großer Lebhaftigkeit der Gesichtszüge. Zwischen den Fingern hielt er eine Papyrusrolle von der nämlichen Größe und mit dem gleichen Rotschnitt versehen wie die Novellensammlung des Dichters Parthenios, die jetzt der Obersklave so eifrig studierte.

„Hier!“ sagte der Jüngling und schritt auf den Lesenden zu. „Endlich hab’ ich gefunden, was Du begehrst – Ovids ,Heilmittel‘! Irgend wer muß ohne mein Vorwissen unter den Bücherkästen gekramt haben. Das ,Heilmittel‘ – dessen Titel doch vollständig lautete ‚Heilmittel gegen die Liebe‘ – steckte höchst komischer Weise unter den medizinischen Abhandlungen. Sollte Ninus vielleicht im Taumel seiner Gelehrsamkeit . . .?“

Der Leibarzt schaute empor. Er hatte nur halb gehört.

„Du sagst, Geticus?“ frug er mit warmer tieftöniger Stimme.

In den Zügen des Jünglings malte sich etwas wie Feindseligkeit. Die wohlwollende Ruhe des Ninus verdroß ihn. Er war überhaupt seit lange schon eifersüchtig auf das gewaltige Ansehen, dessen sich dieser asiatische Grieche nicht nur bei der Familie des Hausherrn, sondern auch bei den Sklaven erfreute, die doch sonst nicht für geneigt galten, das Verdienst eines Unfreien anzuerkennen. Er warf den Kopf in den Nacken, zeigte sein schönes Gebiß und murmelte boshaft:

„Ich unterstellte, Du seist vielleicht gestern, als man den Knaben herauftrug, insgeheim hinter den Büchern gewesen, um Dir Belehrung zu holen . . .“

„Nein,“ versetzte der Leibarzt ruhig. „Brandwunden machen dem Kundigen keinerlei Schwierigkeit. Uebrigens, wenn ich denn wirklich einmal in die Lage käme, die heilwissenschaftliche Bibliothek des Lucius Menenius in Anspruch zu nehmen – ich habe ja meine eigene – so würde ich ganz gewiß nicht verabsäumen, mich ordnungsgemäß an den Bibliothekar zu wenden oder an Dich, seinen Gehilfen.“

Das Wort „Gehilfe“ war von dem Leibarzt ohne jede verletzende Absicht gesprochen worden. Geticus aber, der eine gar heftige Gemütsart hatte, fand darin eine tückische Anspielung auf die Zurechtweisung, die ihm neulich der sonst so gütige Lucius Menenius erteilt hatte, weil sich der Jüngling allerlei Eingriffe in die Obliegenheiten seines Vorgesetzten erlaubte. Er wandte sich also wieder zu Heliodorus, legte ihm das vielbewunderte „Heilmittel“ des römischen Dichters vorsichtig auf den Schoß und sagte mit einem höhnischen Seitenblick auf den Leibarzt:

„So, mein Freund, nun erquicke Dich! Nach der Mattherzigkeit des hellenischen Märchenerzählers muß das gesunde Latein der Ovidischen Prachtverse wie ein verjüngendes Bad wirken! Ueberhaupt, weshalb mußt Du denn Griechisch knabbern? Die Wahrheit und Kernhaftigkeit des Lateiners widerstrebt doch dem attischen Lügentum!“

„Junger Mensch,“ mahnte der Obersklave mit einer Gebärde der Abwehr, „versuche nicht, wider den Strom zu schwimmen! Die wahre Bildung erheischt von uns Kenntnis beider Litteraturen. Danke den Göttern, daß auch Du Griechisch gelernt, sonst nähmest Du wohl jetzt einen minder behaglichen Posten ein! Glaubst Du nicht auch, Ninus?“

„Gewiß, Heliodorus!“ versetzte der Leibarzt. „Das Hellenische ist ebensogut Weltsprache wie das Lateinische; ja, in den Bibliotheken der römischen Großen soll das Hellenische oft überwiegen.“

„Sehr mit Unrecht!“ schrie der Jüngling so laut, daß die Sklaven am Brunnen des Peristyls aufmerksam wurden. „Wir sind leider zu duldsam gegen die Eindringlinge! Wir beugen und ducken uns! Ging’ es nach mir . . .“

„So würdest Du den Homer mitsamt den Tragödien des Aeschylus und des Sophokles in die Flammen schleudern,“ fiel ihm der Obersklave ins Wort. „Wahrlich, Du bist, was Dein Name besagt: ein schnöder Barbar!“

„Und Ihr küßt dem Hellenentum die Sandalen!“ rief Geticus. „Denkt Euch dabei, was Ihr wollt – und es giebt ja wohl Ausnahmen –: aber ich hasse die Griechen als eine Bande von Schleichern und Duckmäusern! Allezeit höflich, aalglatt, olympisch, aber im Grund ihres Herzens verlogen und niederträchtig, so hab’ ich sie kennengelernt! Du verzeihst, Ninus – aber ich fügte sehr deutlich hinzu: ,es giebt ja wohl Ausnahmen.‘“

„Das hoff’ ich!“ erwiderte Ninus unerschüttert in seinem Gleichmut. „Inzwischen – täusche ich mich? Du scheinst mir ein wenig verstimmt. Fehlt Dir etwas?“

„Fehlen? Mir? Nichts fehlt mir! Nur, daß der Mensch zuweilen den Drang verspürt, sich ordentlich Luft zu schaffen!“

„So schaffe Dir Luft, Geticus! Oder noch besser: suche Dich zu beherrschen! Du bist gar zu erregbar. Möglicherweise taugt Dir das lange Vorlesen und das Abschreiben nichts. Falls Du es wünschest, sprech’ ich darüber mit Lucius Menenius.“

„Das thu’ lieber nicht!“ erwiderte Geticus, bebend vor Ingrimm. „Ich selbst bin mir Arzt genug, und das Abschreiben treib’ ich doch nur zum Vergnügen!“

„Ja, ja, er ist sehr geschickt mit dem Schreibrohr,“ sagte der Obersklave, der ihn beschwichtigen wollte. Dann, um dem Gespräch eine Wendung zu geben, setzte er freundlich hinzu: „Uebrigens – Dank für die Mühe!“

Er nahm das Werk des Ovid und rollte es auf.

„Ich freue mich sehr, dies allerliebste Gedicht nach so unendlicher Zeit wieder einmal mit Muße zu lesen. Mich dünkt, neben der ,Kunst zu lieben’ ist es die Krone von allem, was uns der Meister geschaffen hat. Du kennst es wohl auch, Ninus?“

Der Leibarzt bejahte.

„Nun, und was hältst Du davon?“

„Betreffs des Einzelnen teil’ ich durchaus Deine Bewunderung. Nur besitzt es, als Ganzes genommen, den großen Fehler, auf einem Irrtum zu fußen.“

„Wie meinst Du das?“ frug Heliodorus, dessen Schwäche es war, litterarisch-ästhetische Auseinandersetzungen herbeizuführen.

„Die Liebe,“ entgegnete Ninus, „von der man geheilt wird, scheint mir schlechtes Korinthermetall. Echte wahrhaftige Liebe stirbt nur mit dem Liebenden!“

„O, o, welche Phantastereien! Hör’ ich den kühlen verständigen [682] Arzt, dem die Gemahlin des Lucius Menenius ihr Leben verdankt, oder ein schwärmendes Mägdlein?“

„Du hörst einen ruhigen erfahrenen Mann, der dies behauptet, just weil er die Menschen und Diuge eifrig beobachtet hat. Eros hat viele Stiefgeschwister, die sich als vollbürtig ausgeben.“

Heliodorus legte die beiden Buchrollen weg und hob sich ein wenig in seinen Polstern. Das Thema interessierte ihn über die Maßen. Auch Geticus hatte sich bei den Worten des Ninus ruhig verhalten wie einer, der zuhört. Jetzt plötzlich schien etwas in ihm vorzugehen, was ihn von dannen trieb. Er warf den Kopf in den Nacken und schritt durch den Schmalgang rechts nach dem Xystus, während sich Heliodorus im stillen die Phrasen zurecht legte, mit denen er – siegesgewiß schon im voraus – die seltsamen Ansichten des Ninus zu überwinden gedachte.


Im Xystus, wo die Kammersklavin Koronis soeben ein oskisches Volkslied zur neunsaitigen Kithara gesungen und schallenden Beifall geerntet hatte, hielt sich Geticus nur gerade so lange auf, bis die fröhlich bechernden Sklaven durch eine neue Leistung ihrer Genossin gefesselt schienen. Dann verlor er sich unbemerkt nach dem Park.

Zwischen zwei kunstvoll geschnittenen Buxbaumhecken dahineilend, kam er ins Rosengehege, das hier und da schon in Blüte stand. Er spähte und forschte. Hinter den mannshohen Sträuchern glänzte es krokusfarben.

„Afra!“ rief er hinüber.

Die knospenbedeckten Zweige schoben sich rauschend zurück. „Was giebt’s?“ fragte ein reizendes junges Mädchen mit großen wunderbar leuchtenden Augen.

Bei dem Klang dieser Stimme und dem Lächeln der süß schwellenden Lippen schien auch der letzte Unmut im Herzen des jungen Sklaven verraucht zu sein. Er trat einen Schritt näher, winkte ihr mit der Hand seinen Gruß und flüsterte schmeichlerisch:

„Ich such’ Dich im ganzen Hause wie ein verlorenes Goldstück. Aber ich dachte mir’s fast, Du möchtest hier wieder dem Gärtner ins Handwerk pfuschen. Was treibst Du denn?“

Sie kam jetzt hervor auf den Weg. In der Rechten hielt sie eine zierliche Schere von gelbrotem Metall, in der Linken ein Dutzend Vollblüten.

„Ins Handwerk pfuschen?“ lachte sie spöttisch. „Man darf nicht behaupten, daß Du an übergroßer Feinheit der Ausdrücke stirbst! Wenn Du den Gärtner fragst, wird er Dich aufklären. Jäten, gießen, graben und die wilden Schößlinge kappen – das versteh’ ich so gut wie irgend einer von seinen Angestellten! Uebrigens – diesmal galt es mir nur eine freundliche Ueberraschung für Lucius Menenius.“

„Ah, für den Hausherrn!“ murmelte Geticus.

Das Mädchen beschaute die Rosen, wie ein begeisterter Kenner den Wein beschaut.

„Wenn Lucius Menenius nach Hause kommt,“ fuhr sie fort, „findet er diese Blüten auf dem Einfuß[2] neben der Lagerstatt. Er war letzthin viel in Anspruch genommen und hat kaum sich die Zeit gegönnt, einmal in den Xystus zu treten, geschweige denn in den Park. Er ahnt nicht, daß sein Gehege ihm schon so köstliche Ernte liefert. Eigene Zucht aber strahlt wie Feuer. Die Hand voll Blumen da wird ihm größere Freude gewähren als hundert Körbe voll pästischer Prunkrosen, die heute vielleicht beim Quästor Camillus über die Säle verstreut werden.“

Geticus blickte ihr starr in die Augen. „Er ist ja beneidenswert, unser Gebieter!“ sprach er bedächtig. „Afra sogar, die sonst so kaltherzige, windet ihm Opferkränze!“

„Kaltherzig?“ wiederholte das Mädchen. „Wer hat das von mir behauptet? Leichtes Blut hab’ ich und nehme nicht alles so ernst – wie Du zum Beispiel. Aber von da bis zur Kaltherzigkeit ist noch ein langer Weg. Für Lucius Menenius fühl’ ich sogar . . . wie soll ich mich ausdrücken? Wenn ich mir nur sein Antlitz vorstelle, so mild, so klug, so gütig und edel – siehst Du, dann quillt es mir heiß in der Brust auf, und ich danke voll Inbrunst der Göttin Diana, daß sie uns solch einen huldreichen Herrn beschert hat.“

Geticus zuckte die Achseln. „Wäre nicht Lucius Menenius hoch in den Fünfzigen und völlig ergraut, ich dächte, Du seist in den Mann verliebt.“

„Das bin ich auch!“ sagte die junge Sklavin mit großem Ernst. „Freilich in anderer Art, als Du meinst. Ist Lucius Menenius gegen uns alle nicht weit eher ein Vater und Freund als ein Gebieter? Giebt es ein besseres liebevolleres Herz?“

„Ja, er ist gütig . . . Ganz besonders gegen die Hübschen, Blonden und Blühenden . . .“

Die junge Sklavin warf ihm einen erstaunten Blick zu.

„Schäme Dich, Geticus! Das war ein häßlicher Scherz! Freilich, mir kommt es schon lange so vor, als hättest Du für das Glück, das uns die Götter in Lucius Menenius beschert haben, kein Verständnis. Die Gewohnheit stumpft ab, das Alltägliche scheint Dir notwendig. Aber so halte doch Umschau und erzähle mir dann, ob Du in ganz Rom noch ein einziges Haus findest, wo sich der Unfreie seines Mangels an Freiheit so wenig bewußt ist wie hier!“

„Nun, nun . . .“

„Schweig'! Du findest nicht eines! Wohl aber häufen sich letzthin wieder die Nachrichten von den abscheulichsten Grausamkeiten . . . Man schaudert, wenn man dergleichen nur hört! Bald ist ein unglückseliger Fußfolger, weil er den strauchelnden Herrn nicht rechtzeitig auffing, blutig gepeitscht und dann auf ein senfüberstreutes Laken gelegt worden, bald zerhackt man den Tafelbedienten in Stücke, weil ihm ein kostbares Murrha-Gefäß auf den Estrich fiel oder ein seltner Krystallbecher. Ach, und die elenden Feldsklaven, die bei Tage im glühenden Sonnenbrand stöhnen und keuchen, um dann bei Nacht in ihren halb unterirdischen Zwingern blöd an der Kette zu liegen wie tolle Hunde! Sind wir denn besser als diese Bejammernswerten? Haben wir Tugenden oder sonstige Vorzüge, die uns auf einen Gebieter wie Lucius Menenius ein Recht geben? Ich für mein Teil bescheide mich und erkenne mein Los – da ich nun doch einmal unfrei geboren bin – als ein unverdientes Geschenk der Unsterblichen an.“

„Afra,“ sagte der Sklave, „Du bist der verkörperte Widerspruch! Du schaust so entzückend klug aus Deinen Gazellenaugen und schwatzest so thöricht! Soll ich denn wirklich ob jeder Stunde, die ich hier ungeprügelt durchs Leben wandle, in helle Verzückung geraten? Mich dünkt, Menenius thut nur gerade, was sich gebührt; die andern aber sind Schufte. Uebrigens gar so huldvoll, wie Du ihn darstellst, ist er nun doch nicht. Mir zum Beispiel zeigt er nicht immer das lächelnde Mondgesicht, das Du ihm ansinnst.“

„Ich weiß,“ erwiderte Afra. „Aber Du selber bist schuld daran. Auch ein Vater darf streng sein ... Du mißbrauchst seine Güte ...“

„Ich? Wer behauptet das?“

„Menenius selbst. Ich hörte, wie er es vor einigen Tagen dem Leibarzt bemerkte. – Aber Du regst Dich auf! Komm, sei gut! Ich muß jetzt hinein und die Rosen in Wasser stellen. . . . Horch, da singen sie wieder den attischen Chorgesang! Misch’ Dich unter die Schar dieser Fröhlichen und vergiß Deinen Aerger! Beim Castor, es thut mir leid, wenn ich hier unwissentlich eine Wunde berührt habe . . .“

„Nein, bleib’!“ sagte er heftig. „Mit Deinen Rosen da hat’s noch Zeit!“

„Gut, ich bleibe, wenn Du nicht mehr so gespenstisch dreinschauen willst. Beruhige Dich doch! Es ist ja schauerlich, wie Du die Augen rollst! Das reine Gorgonenhaupt! Und Menenius war doch im Recht, wenn er Dich damals drei Tage lang hinter Schloß und Riegel behielt. Ja, ja, darauf bezog sich’s! Hätte der Leibarzt nicht mehrfach ein gutes Wort für Dich eingelegt, Du säßest vielleicht noch heute im Strafraum. Ueberhaupt kannst Du von Glück sagen. Der Stein fuhr unmittelbar am Kopfe des Gärtners vorbei, und der Oelbaum, dem Dein cyklopischer Wurf die Rinde bis auf das Holz abschälte, legt dafür Zeugnis ab, wie toll Du gewütet hast! Um ein Haar wärst Du zum Mörder geworden!“

„Wie gut Du in dieser Geschichte bewandert bist! Eins nur siehst Du nicht oder willst Du nicht sehen: daß mich der Gärtner gereizt hat. Und ich hasse den Kerl!“

„Ein vortrefflicher Grund! Wahrhaftig, es könnte mir vor Dir grauen. Anstatt Reue zu fühlen und den Göttern zu danken, daß sie Dein Opfer beschützten, rufst Du in störrischem Trotz: ,Ich hasse den Kerl‘!“

„Das thu’ ich auch,“ murmelte Geticus. „Und doppelt vielleicht, weil Du mir’s vorhältst! Er schaut mich jetzt immer so falsch von der Seite an! Und ich weiß, er verleumdet mich. Er hetzt den Menenius wider mich auf – er und noch andere! Zum Henker, ich wollte, der Steinwurf hätte ihn kalt gemacht!“

[683] „Nun hab’ ich genug,“ sagte das Mädchen empört. „Glaubst Du denn nicht an Jupiter und sein Rächeramt?“

„Pah! . . . Ich glaube daran. Aber ich weiß auch von dem ägyptischen Priester Selencius, daß man sich loskaufen kann.“

„Loskaufen? Wieso?“

„Die Tötung eines verhaßten Gegners zählt zu den Sünden, für die’s eine Buße giebt. Weißt Du denn nicht, daß selbst Orestes, der Muttermörder, zuletzt noch den Furien entging? Ein Drittel dessen, was man besitzt, auf den Altar der Allmutter Isis gelegt und vier Wochen Kasteiung – dann spricht Selencius den blutigsten Mörder frei.“

„Und das leuchtet Dir ein?“ frug Afra entsetzt.

„Vollkommen! Weshalb nicht? Der Priester muß es doch wissen! Er trägt die Vergebung in seiner Hand. Nur eine Unthat giebt es, die er nicht lösen kann: das ist der Meineid. Alles übrige tilgt er hinweg.“

„Warum just nicht den Meineid?“

„Sehr einfach. Wer da schwört und die oberste Gottheit zum Zeugen und Rächer anruft, der spricht wörtlich oder doch nach dem Sinne zu Jupiter: ‚Strafe, hetze, jage, verfolge mich jetzt und ewig, falls ich den Schwur nicht halte!‘ Die Gottheit aber nimmt diesen Vertrag an, und so ist sie denn unauflöslich gebunden, als hätte sie selber beim Styx geschworen.“

Afra starrte zu Boden.

„Wohl, das begreife ich,“ sprach sie nach langer Pause. „Aber das andere – nein! Auch der Mord hetzt und jagt uns in alle Ewigkeit. Erst wenn die Götter zu Fall kommen, sterben die Furien. Du hast den Priester wohl mißverstanden. Was überhaupt suchst Du bei diesem Selencius? Ich bin höchlich erstaunt . . .“

„Wenn Du schweigen willst . . .“

„Ich verspreche Dir’s.“

„Ich hab’ ihn besucht im Auftrag des jungen Menenius. Eine heikle Geschichte . . . Das entzückendste junge Weib war im Spiele. Du weißt, Cajus Menenius treibt es ein wenig bunt. Er ist jung . . .“

„Und dazu giebst Du Dich her? Du kennst die unerbittliche Strenge des Vaters und schämst Dich nicht, der strafbaren Thorheit des Sohnes Vorschub zu leisten?“

„Muß ich nicht? Er ist mein Gebieter.“

„Lucius Menenius ist Dein Gebieter. Aber es scheint, es lockt Dich mehr, mit dem Sohne zu freveln, als mit dem Vater ehrbar zu leben und pflichtgetreu.“

„Ja, begreifst Du denn nicht. . . . Wenn ich den Cajus verpflichte, so weiß ich bestimmt – er hat mir’s auf Handschlag versichert – daß er mir, eh’ noch zwei Jahre vergehen, bei Menenius die Freiheit erwirkt. Und dann – ach, himmlische Afra, laß uns doch endlich zur Sache kommen! Wir streiten uns hier um die Gaiswolle, wie es im Sprichwort heißt, und stöbern Geschichten auf, die doch mit dem, was mir im Herzen brennt, gar nichts zu thun haben! Endlich muß es heraus, obgleich Du mir’s wider alle Vernunft schwer machst. Schon im verflossenen Jahr, als wir auf dem albanischen Landgut zusammen die Feigen pflückten – weißt Du noch, hinter dem Hügel des Herakles, wo Du mit Deiner ganzen Last auf den Rasen fielst und so reizend wehklagtest, weil Du Dein helles Gewand fleckig gemacht – damals schon war es bei mir beschlossen: Afra, die Blühende, Blonde wird meine Lebensgefährtin! Ich sagte nur nichts, weil Du so kindlich thatest und so schwesterlich, daß mir der Mut ausging. Später kam dann die Reise dazwischen und anderes. Jetzt aber hast Du’s gehört – und nun leg’ ’mal die Rosen beiseite und schling’ mir die Arme recht fest um den Hals und gieb mir einen recht wonnigen Brautkuß!“

„Unmöglich!“ stammelte Afra erschrocken.

„Unmöglich? Waren wir nicht befreundet von Jugend auf? Und ich will Dich doch heiraten, denn ich liebe Dich wie ein Verrückter!“

„Schlimm, sehr schlimm!“

„So verschmähst Du mich?“

„Verschmähen, das klingt so hart. Aber – wie soll ich mich ausdrücken? – Wir passen nicht zueinander!“

„Weshalb nicht? Wenn Du mich lieb hast . . .“

„Du bist zwanzig Jahre, ich sechzehn. Wir Frauen verblühen so rasch. Für Dich paßt Lydia, die zwölfjährige, oder ein Mädchen, das jetzt noch ein Kind ist. Auf so eine warte!“

„Thorheit! Vier Jahre Unterschied, das ist vollauf genug. Zudem, wenn zwei Menschen sich lieben, wär’ es da nicht die blödeste Narrheit, das Glück von der Anzahl der Lebensjahre abhängig zu machen? Ich würde Dich heiraten, Afra, selbst wenn Du noch zehn Jahre älter wärest.“

„So muß ich Vernunft haben für uns beide. Nicht nur das Alter zieh’ ich hier in Betracht: auch sonst wären wir beide ein sehr ungleiches Paar. Cajus – Du hast es ja selber gesagt – will Dir demnächst die Freiheit erwirken. Ein Freigelassener und eine Sklavin – wie fügt sich das? Nein, Geticus, gieb den Gedanken auf! Und verarge mir’s nicht, daß ich so gerade heraus bin! Da, nimm hier die Rose als Friedens– und Freundschaftszeichen!“

Geticus packte das Mädchen über dem Handgelenk. Sein Mund zuckte. „Afra“ raunte er, tonlos vor Aufregung, „Du liebst einen andern!“

„Laß doch, laß!“ wehrte sie ängstlich. „Du zerdrückst mir ja fast den Arm! Willst Du wohl aufhören?“

„Nicht eher, als bis Du mir alles gebeichtet hast!“

„Fällt mir nicht ein! Laß mich los, Du gewaltthätiger Mensch, oder ich rufe um Hilfe!“

„So also steht’s mit Dir?“ murmelte Geticus totenbleich. „Elende Gauklerin! War ich Dir gleichgültig – weshalb thatest Du früher so schön mit mir?“

„Ich? Du bist wohl von Sinnen? Es scheint, Du verträgst es nicht, wenn man freundlich gegen Dich ist und harmlos mit Dir verkehrt wie mit den übrigen! Ich sage Dir, laß mich, oder ich schreie! Diesmal ergeht’s Dir schlecht! Menenius duldet nicht, daß man im Haus hier den Frieden bricht!“

„Gut, ich lasse Dich los! Aber das schwüre ich Dir beim allwissenden Jupiter: es geschieht ein entsetzliches Unglück, wenn Du nicht augenblicklich gestehst, wer Dich so in der Stille erobert hat! Ein feiner Geselle, dessen bin ich gewiß! Vielleicht gar ein Erlauchter – wie? Cajus Menenius hat ja ein weites Herz, und er sieht nicht auf Rang und Geburt, wenn eine Blüte ihm lockend erscheint.“

„Du irrst,“ versetzte sie frostig. „Der, den ich liebe, wird mein Gemahl werden. Ich bin kein Spielzeug für den Uebermut senatorischer Jünglinge.“

„Also – wer ist’s?“ forschte er drohend. „Früh oder spät erfahr’ ich’s ja doch – und dann erwürg’ ich den Buben! Beim Jupiter, dem Rächer der Meineide, schwör’ ich Dir heilig zu: sprichst Du jetzt nicht und ich hör’ es demnächst von andern, so stirbt er durch meine Faust!“

Afra war blaß geworden. Sie überlegte. „Wohl!“ sagte sie zögernd. „Wenn Du mir bei dem nämlichen Jupiter schwörst, nie und nirgends wider den Mann meiner Wahl die Hand zu erheben, ja mehr noch, mit keiner Silbe ihn merken zu lassen, daß Du um unser Geheimnis weißt, so will ich Dir’s offenbaren. Anderenfalls tret’ ich noch heute vor unsern Herrn und fleh’ ihn um Schutz an. Lucius Menenius ist mild, aber den Frevler, der uns hier offen Gewaltthat und Mord ankündigt, wird er nicht schonen. Er verkauft Dich vielleicht nach Sardinien. Vertraure Dein Leben dann in den Bergwerken!“

„Afra!“ stöhnte der Sklave, zurückprallend. „Ich vergehe vor Liebe und Du drohst mir den Untergang!“

„Nur aus Not.“

Er wandte sich ab. Dann plötzlich wieder an sie herantretend, sprach er mit heiserer Stimme: „Also ich schwöre.“

„Nicht so!“ wehrte ihm Afra. „Leiste den förmlichen Eid! Rufe Du für den Fall, daß Du ihn brichst, den Zorn der allwissenden Gottheit auf Dich herab und den Fluch der Rastlosigkeit bis zum Tage des Weltuntergangs! Du weißt, was dieser Schwur zu bedeuten hat!“

Geticus, nur von dem einen Gedanken erfüllt, in dieser Minute noch zu erfahren, wer ihm bei Afra den Rang abgelaufen, sträubte sich nicht. Afra sprach ihm die Worte vor und er, die Rechte zum Himmel hebend, wiederholte sie eintönig.

„So!“ keuchte er, als er zu Ende war. „Du hast Deinen Willen gehabt . . . Und nun der Wahrheit gemäß – wer ist’s?

Afra drückte ihr Antlitz tief in die Rosen.

„Ninus!“

Ein wildes Gelächter scholl von den Lippen des Geticus. „Ninus!“ wiederholte er mit gemachter Geringschätzung. „Der Grieche! Der Kleinasiate! Der Halbbarbar! Vor kaum drei Monaten hat ihn Lucius Menenius gekauft, und nun bist Du schon eins mit ihm! Und so ganz ohne Aufsehen, still und geheim, wie’s [684] zu dem elenden Schleicher und Giftmischer paßt! Beim Herkules, eher hätt’ ich mir träumen lassen, Du könntest den breitnasigen Küchengesellen, der sich da gestern verbrüht hat, zum Adonis erwählen! Ein Gaukler und Komödiant, der sich mit seinem Firlefanz überall aufspielt und das Vertrauen stiehlt wie der Marder die Vögel! Und dazu noch ein grämlicher unfrischer Tropf, hoch in den Dreißigen . . .“

„Einunddreißig, wenn Du erlaubst!“ sagte die junge Sklavin, der dieser eine Punkt wichtiger schien als die maßlosen Schimpfereien, mit denen sich Geticus an den Charakter ihres Geliebten wagte. „Einunddreißig im vorigen März!“

„Auch das ist um zehn Jahre zu alt für Dich – dazu noch bei dieser Blutlosigkeit und Oede! Jämmerlich! Ein Gesicht wie ein Leichnam! Kein Hauch darin, der von Leben und Liebe spricht!“

Afra wiegte bedächtig den Kopf. Ein Zug von Mitleid spielte um ihren Mund. „Wie Du Dich erbosest, Geticus,“ sagte sie gleichmütig. „Laß es doch meine Sorge sein, ob Ninus alt oder jung, schön oder häßlich ist! Du redest ja so doch nur aus Groll- und Bitternis. Innerlich bist Du Dir vollständig klar darüber, daß unter sämtlichen Hausgenossen keiner mit Ninus sich messen kann. Ninus ist stattlich und edel wie ein Senator, dabei die Güte und Liebe selbst und ein richtiger Mann, kein thörichter Knabe, der sich vom Sturm der Leidenschaft hin und herrütteln läßt. Er hat Selbstbeherrschung gelernt und beherrscht dadurch andere. Von seinen Talenten, von seinem großen Verdienst um das Haus des Menenius will ich hier gar nicht reden . . .“

„Da steckt’s!“ rief Geticus. „Das bißchen Gelehrsamkeit, und weil er’s verstanden hat, sich bei Lucius Menenius gehörig einzuschmeicheln, das hat Dir den Kopf verdreht. So sind die Weiber! Ein Schauspieler trägt immer den Sieg davon, wo er mit einem ehrlichen Menschen zusammentrifft!“

„Du ehrlicher Mensch!“ erwiderte Afra spöttisch. „Ich bitte Dich, sei doch künftighin lieber ein Schauspieler wie dieser Halbbarbar! Dann wird Dich Lucius Menenius nicht einsperren, sondern mit Thränen im Auge Dich in die Arme schließen und Dir die Freiheit schenken, auch ohne daß Du den Umweg über die Leichtfertigkeiten des Sohnes nötig hättest . . . Ja, staune Du nur! Zum kommenden Saturnalienfeste wird Ninus, der Gaukler, nicht nur den Freibrief erhalten, sondern das volle römische Bürgerrecht!“

„Unmöglich! Wofür?“

„Du kannst noch fragen? Besinne Dich doch! Ninus allein, wie Du weißt, hat die verzehrende Sucht unserer Gebieterin richtig erkannt und die Kranke geheilt, während die übrigen Aerzte, sogar der berühmte Chaldäer des Quästor Camillus, ratlos im Finftern tappten! Das bißchen Gelehrsamkeit hat ihr das Leben gerettet – und den Menenius vor der Verzweiflung bewahrt. Und wie bescheiden, wie schlicht bleibt Ninus trotz alledem! Geh’ und bitt’ ihm Deine Gehässigkeit ab! Mich aber sollst Du nicht wieder anreden, wenn Du in dieser kläglichen Mißgunst verharrst! Merk’ Dir das, Geticus!“

Sie warf ihm einen empörten Blick zu und schritt achselzuckend an ihm vorbei. Der letzte Schimmer der Abendsonne lag breit und goldig über den Buchsbaumhecken und spielte in tanzenden Lichtern auf den schneeweißen Armen, die aus der krokusfarbigen Tunika warm und wonnig hervorblühten. Das schön geknotete Haar mit den beiden Metallreifen, die rotverschnürten Sandalen, die zierlich geformten Knöchel – alles schien herrlicher, holder, lebendiger . . .

Geticus verschlang dieses Bild mit brennenden Augen. Als sie verschwunden war, schüttelte er mit einem furchtbaren Schrei die geballte Faust. „Fluch ihm!“ knirschte er durch die Zähne. „So lang’ ich noch atme, niemals – – und müßt’ ich die Welt aus den Angeln heben!“

[702] Als Lucius Menenius zu Anfang der zweiten Nachtwache heimkam – Cajus verweilte noch etwas länger bei dem lebenslustigen Gastgeber – fand er die beiden Kammersklaven, die er zu seinem persönlichen Dienst bestellt hatte, auf den Ruhebänken vor dem teppichverhangenen Eingange fest entschlummert.

Die jungen Leute, zwei straffe Sigambrer, Zwillingsbrüder, hatten während der musikalischen Vorträge im Xystus nach altgermanischem Brauch eifrig gebechert, zumal der Tag außerordentlich heiß war.

Lucius Menenius, der wohl wußte, daß er, wenn’s galt, auf diese zwei blondmähnigen Löwen da unbedingt zählen konnte, war in derartigen Ausnahmefällen nachsichtig wie ein gütiger Philosoph. Er wehrte den Fußfolgern, die bei dem Anblick der beiden Schläfer Miene machten, sie unsanft zu wecken, und hieß sie die Fackeln löschen und alsbald ihre Lagerstatt aufsuchen.

„Seid unbesorgt!“ sagte er lächelnd. „Drinnen brennt ja die Ampel, und von den Feldzügen gegen die Parther bin ich wohl Schlimmeres gewöhnt, als mir ’mal eigenhändig die Schuhe zu lösen. Nein, geht nur! Ich danke Euch! Jeder nach seinem Amt! Ich will nicht, daß meine Leute mir hinterrücks nachsagen: der Alte mißbraucht uns! Euch Spitzbuben kennt man!“

„Herr,“ stammelte einer der Fußfolger, der die liebenswürdige Scherzhaftigkeit dieses Tones nicht gleich begriff, „ich beteure Dir …“

„Rebellisches Volk!“ lachte Menenius. „Ob Ihr gehorcht! Zudem geh’ ich noch gar nicht zu Bett. Ihr kennt ja meine Gepflogenheit, erst noch ein Weilchen zu lesen. Marsch! Weckt mir die beiden Flachsköpfe nicht! Ein Skandal! Ich werde befehlen, daß ihnen künftighin mehr Wasser unter den Wein gemischt wird! Freilich, er lockt, der süße dunkelrote Kampanier! Gute Nacht, Kinder!“

„Friede und Schlaf und allen Segen der Gottheit über Dein Haupt!“ sagten die Fußfolger.

Sie hatten die Handlampe auf dem steinernen Postament hinter der Säule angezündet und ihre Fackeln mit dem Asbesttuche ausgedrückt. Nun schritten sie durch den Schlundgang ins Peristyl und erklommen auf schmaler Holzstiege das Obergeschoß, wo sich die Wohnungen der Sklaven befanden.

Lucius Menenius trat in sein Schlafgemach. Hier herrschte eine erquickliche Temperatur. Den ganzen Tag über war das Zimmer verhangen gewesen. Nach Sonnenuntergang hatte Afra den Vorhang zurückgeschoben und das einzige Fenster geöffnet, das, ein kleines vergittertes Viereck, dicht unter den Balken der reich kassettierten Decke lag. Ein kühlender Luftzug strömte durch den behaglich eingerichteten Raum und bewegte das Licht der Ampel, die an drei silbernen Ketten über dem Einfußtische zu Häupten des Lagers hing.

Auf der Tischplatte stand eine Metallschüssel mit Früchten, eine etrurische Kanne mit einem citronenduftigen Trank, der noch frisch sein mußte – denn das Gefäß war mit Tau beschlagen und ein Ebenholzkästchen mit der vergoldeten Aufschrift „DELICIAE MEAE“. Unter diesen „deliciae“, dieser „Wonne“ des Lucius Menenius waren seine vier Lieblingsschriftsteller gemeint, deren Hauptwerke er in prächtig ausgestatteten Exemplaren hier aufhob: Ennius, Tacitus, Plato, Homer.

Vor dem Kästchen aber, auf einer waasergefüllten Schale, prangten die herrlichen Rosen Afras, deren köstlicher Duft, nicht stark und betäubend, sondern nur wie ein träumerisch sanfter Hauch, ihm leise entgegenwehte.

Ein Lindenholztäfelchen barg sich halb zwischen den Blüten. Menenius zog es hervor und las da in schlanken rötlichen Buchstaben:

„Erstlinge seines Geheges, begrüßen wir fromm den Gebieter,
0 Fleh’n der Unsterblichen Huld heiß auf den Teuren herab.
Himmlische Gnade bedeutet der Nachtgruß blühender Rosen:
0 Schenk’ ihm das Beste, o Zeus! Keiner verdient es wie er!“

Menenius nickte gerührt. Er kannte die Handschrift. Es war nicht das erste Mal, daß die dankbare Afra ihn mit solchen Aufmerksamkeiten erfreute, ihn und seine geliebte Gattin, die jetzt fern am Gestade von Bajä volle Genesung suchte. Das reizende Kind! Und wie hübsch sie die wohlklingenden Verse da zusammengefügt hatte! Wirklich, das blonde Geschöpf mit den großen nachdenklichen Augen war ein Stück von einer Dichterin!

Lucius Menenius warf die Toga von seinen Schultern und setzte sich auf die Bettstatt. Noch einmal überlas er die Verse, langsam und andachtsvoll. Kam es ihm nur so vor oder lag wirklich in diesen Worten ein tieferer Sinn verborgen? Frauengemüter haben ja oft etwas Rätselhaftes und Ahnungsvolles.

Mit halblauter Stimme sprach Lucius Menenius das letzte der beiden Disticha vor sich hin:

„Himmlische Gnade bedeutet der Nachtgruß blühender Rosen:
0 Schenk’ ihm das Beste, o Zeus! Keiner verdient es wie er!“

Und plötzlich versank er in eine wehmütig ernste Stimmung. Das Festmahl beim Quästor Camillus war heiter gewesen, fast übermütig. Ein geistreicher Deklamator hatte die Gäste mit launigen Epigrammen und witzsprühenden flott gedrehten Satiren ergötzt. Menenius selbst neigte durchaus nicht zur Düsterkeit, wenn er auch mäßig war und nicht jeden Kelch ungestüm bis zur Hefe genoß. Jetzt aber fühlte er ein heimliches Weben und Rauschen wie vom Walten des Schicksals.

Das nächtliche Haus mit seinen Höfen und Säulengängen lag in schweigsamer Finsternis. Von der Schwelle her klangen die regelmäßigen Atemzüge der beiden Sigambrer. Verschlafen regte sich der kaum noch plätschernde Strahl des Alabasterbeckens im Peristyl. Sonst alles lautlos und feiernd, müde gleichsam von den Gluten des Tages, der heiß und wolkenlos über der Weltstadt dahingezogen …

[703] War es der Gegensatz dieser Einsamkeit zu dem Lärm des Gelages, von dem er kam? Und führte der zufällige Umstand, daß Afra in ihren Versen die oberste Gottheit mit dem hellenischen Namen Zeus genannt hatte, die Einbildungskraft des Menenius nach Griechenland?

Mit einem Mal gedachte er jener griechischen Jünglinge, des Biton und des Kleobis, die so berühmt geworden durch ihre kindliche Liebe zur Mutter und durch ihr seltsames Ende ... Gerührt über die Pietät dieser vortrefflichen Söhne, die ihren, der Priesterin, Wagen bei der festlichen Prozession zu Ehren der Göttin Hera fünfundvierzig Stadien weit fortzogen, weil das Gespann ausblieb, hatte die Mutter zur Göttin gebetet, sie möge den teuren Kindern aus dem unendlichen Schatz ihrer Gnade das Beste spenden – das Beste, ganz wie es hier in dem Distichon hieß! Und siehe, die Söhne, nachdem sie geopfert hatten, legten sich nieder und schliefen ein, um nicht wieder aufzuwachen. Die gütige Göttin hatte das Flehen der Mutter erfüllt und das Beste gespendet, was sie zu geben hatte – den Tod!

Menenius fuhr sich über die Stirne. Ein sonderbares Spiel seiner Gedanken! Sterben! Wie kam er darauf, er, der Mann der ruhigen sonnigen Lebensfreude, der so ganz in der Gegenwart aufging? Und noch dazu jetzt, nachdem sich die Wogen, die ihm sein Glück bedroht hatten, dank dem Scharfblick und dem rastlosen Eifer des Ninus, völlig zu glätten begannen?

Er dachte nach Bajä hinüber, wo Plotina und seine dreizehnjährige Tochter wohl längst schon entschlummert waren. Sein Herz schwoll in heißer Liebe zu dieser unvergleichlichen Lebensgefährtin und zu der Kleinen, die so ganz das Ebenbild ihrer Mutter war. Wie gern hätte er die beiden nach dem Strande Kampaniens begleitet! Aber die Pflicht fesselte ihn einstweilen noch an die Hauptstadt, so sehr es ihn südwärts zog . . .

„Die Staatsgeschäfte!“ sagte er zu sich selbst. „Sie legen uns mitleidlos Ketten an!“

Nun stand er auf und wandelte, die Hände auf dem Rücken gefaltet, langsam durch das Gemach. Es war kein Wunder, wenn er sich nachgerade etwas vereinsamt fühlte. Cajus ging wie die meisten vornehmen jungen Leute tagsüber seinen eigenen Weg. Das würde sich ändern, wenn noch ein paar Jahre ins Land zogen und der Ernst des Lebens strenger an ihn herantrat. Vorläufig konnte der Sohn die Lücke nicht ausfüllen, die durch die Abwesenheit Plotinas im Haus und im Herzen des Vaters klaffte. Drei Wochen lang war Plotina jetzt fort! Wie freute sich Lucius Menenius auf ein baldiges Wiedersehen! In vierzehn Tagen schloß der Senat seine Sitzungen, und dann auf nach der Golfstadt!

Wie sich so ein Gedanke ihm aus dem andern herausspann, schwebte ihm deutlicher als bisher die heitere Jünglingsgestalt seines Cajus vor, der sich vom Zechgelage des Quästors Camillus trotz der schon vorgerückten Nachtstunde noch immer nicht hatte trennen können.

Menenius befand sich zu seinem eigenen Befremden in jener Gemütsverfassung, die allem die ernsthafte Seite abgewinnt. Zum erstenmal seit Jahren vielleicht schien ihm der Lebenswandel des Sohnes nicht ganz dem zu entsprechen, was von dem Sproß einer so alterlauchten Familie verlangt werden durfte. Menenius ahnte zwar nicht, in welche gefahrvollen Schlingen Cajus verstrickt war und wie der leichtfertige junge Mann just im Begriff stand, mit Hilfe des ägyptischen Priesters Selencius ein geradezu strafbares Gaukelspiel in Scene zu setzen; aber er sagte sich doch, daß Cajus viel zu wenig Teilnahme an den öffentlichen Geschäften, viel zu wenig Interesse an den Dichtern und Philosophen bekunde, während er auffällig wohl beschlagen war in der Kenntnis der neuesten Pantomimen, in der Beurteilung aller Zirkusverhältnisse und im Abschätzen samischer, chiischer und kampanischer Weine. Die Sorge stieg in Lucius Menenius auf, er habe sich seinem Sohne gegenüber wohl zu nachsichtig und zu arglos erwiesen. Die Milde war gut bei der Behandlung gefesteter Charaktere, die durch Nachgiebigkeit und Huld nicht verdorben wurden. Ein Jüngling wie Cajus dagegen bedurfte der streng führenden Hand, wenn er nicht unversehens auf Abwege oder gar ins Verderben geraten sollte.

Gewisse Anzeichen, die Lucius Menenius bis jetzt unbeachtet gelassen, zeigten sich ihm nun plötzlich in kaum geahnter Beleuchtung. Kein Zweifel, Cajus selbst war innerlich unbefriedigt von seinem Treiben; um der Schalheit und Oede neuen Reiz zu verleihen, verfiel er jetzt in das Ausgeklügelte, Kühne und Abenteuerliche. Hierfür sprach schon die Wahl seines Umgangs. Einige dieser Gefährten hatten es niemals gewagt, die sonst so gastliche Schwelle des Lucius Menenius zu überschreiten, weil sie wohl Grund zu der Voraussetzung hatten, daß der Senator sie unwirsch empfangen würde ...

Unter diesen Betrachtungen hatte sich Lucius langsam entkleidet. Er löschte die Ampel, sprach ein kurzes Gebet und streckte sich tief atmend auf seine Ruhestatt. Aber er konnte nicht einschlafen. Es lag über ihm wie ein bängliches Vorgefühl, wie der Druck eines unklaren Gedankenkreises, dessen Mittelpunkt Cajus war. Wenn er nur eine Aufgabe für den Jüngling gewußt hätte, die ihn sofort und mit Nachhaltigkeit in Anspruch nahm! Der Weg zu den Staatsämtern mußte für Cajus langwierig sein, denn Leute, die sich bis in ihr dreiundzwanzigstes Jahr so ganz und gar nicht um diese Laufbahn gekümmert haben, werden natürlich, wenn sie dann plötzlich einlenken, nicht sofort von der Staatsregierung mit weit geöffneten Armen aufgenommen. Auch die Schriften der hellenischen Weltweisen kann man nicht heute zum Lebensberuf machen, wenn man sie gestern kaum eines Blickes gewürdigt hat.

„Allgütiger und allmächtiger Jupiter, lenk’ es zum Besten!“ murmelte Lucius Menenius mit einem Seufzer, nachdem er sich fast eine Stunde lang auf den Polstern herumgewälzt hatte.

Und wieder berührten ihn die Worte „zum Besten“ ganz eigentümlich ...

Wie sich aus einem Punkte eine ganze Kette von Bildern und Vorstellungen entwickelt! Lächerlich! Afra mit ihrem freundlichen Blumengruß hatte ihm also die Ruhe der Nacht geraubt! Die kleine hübsche Unheilstifterin! Auch Ninus, der Leibarzt, hatte ja ihrethalben, wenn auch in anderem Sinne, lange Nächte hindurch den Schlaf eingebüßt! Nun waren sie einig, und Lucius Menenius hatte die schöne Gelegenheit, dem Leibarzt, der sich alsbald ihm anvertraut hatte, seine unendliche Dankbarkeit für die Rettung Plotinas durch die That zu beweisen. ...

Lucius Menenius schmiegte sein Antlitz etwas beruhigter gegen das Kissen. Die Aussicht, mit freigebiger Hand für das Glück anderer sorgen zu dürfen, scheuchte das dumpfe Unbehagen, das ihn bis dahin gebannt hielt. Auch Afra hat es um uns verdient, dachte er frohmütig. Afra ist mir wie eine Tochter. Schade um sie, daß sie von unfreier Geburt ist! Eine seltsame Welt, die ihre Gaben so ungleich verteilt und oft die Sklavin mit Tugenden schmückt, deren die Edelgeborene entraten muß!

Bleischwere Müdigkeit senkte sich ihm nun plötzlich über das Haupt. Im Halbschlaf hörte er noch, wie draußen der Klopfer wieder die Pforte schlug. Schritte hallten gedämpft durch das Atrium, Fackelschein fiel eine Sekunde lang durch die halb nur verhangene Thür, an deren Eingang die beiden Sigambrer noch immer bewegnugslos auf den Polstern lagen. Das war Cajus mit seinen Begleitern, der nun endlich, lange nach Mitternacht, vom Gelage des übermütigen Quästors nach Hause kam.

Menenius lächelte. Sein fast schon erloschenes Bewußtsein war doch noch klar genug, um zu bemerken, daß Cajus trotz der zahllosen Becher, die er vertilgt haben mochte, ehrfürchtige Rücksicht auf den Schlaf seines Vaters nahm: er schlich auf den Zehen! Wohl, ein solcher Sohn war noch nicht aufzugeben, ob auch sein Leichtsinn und seine Trägheit üppig in Blüte standen!


Zwei Tage später hatte Lucius Menenius Morgenempfang. Der ehemalige Prätor und Konsul lebte zwar im Vergleich mit der Mehrzahl seiner Standesgenossen beinahe zurückgezogen; völlig indes konnte er sich den gesellschaftlichen Verpflichtungen seiner bevorzugten Stellung nicht wohl entziehen.

Vor Sonnenaufgang bereits wogte es in dem blumengeschmückten Atrium von weißen Galagewändern. Die senatorische Toga mit purpurnem Rande war dabei ebenso zahlreich vertreten wie die streiflose des Ritters und die grobwollige der Leute, die „nichts“ waren. Heliodorus, der Obersklave, dem die Geleitung der Gäste vom Eingange her oblag, glühte vor Aufregung, denn der lebendige Wunsch, dem Hausherrn Ehre zu machen, wirkte hier mehr als anderswo die Furcht vor der Strafe.

Einer der letzten, die von Menenius begrüßt wurden, war der Quästor Quintus Camillus. Der unverwüstliche Zecher hatte auch in der jüngstverflossenen Nacht gründlich geschwelgt; er würde sich ganz gewiß in seiner Morgenruhe nicht haben stören lassen, wenn es sich nicht um den Empfangstag gerade des allverehrten Lucius Menenius gehandelt hätte.

[704] Der Hausherr machte ihm halb scherzhaft Vorwürfe, daß Quintus Camillus ihm neulich seinen Cajus verführt habe.

„Lucius,“ versetzte der Quästor lachend, „ich wäre stolz darauf, wenn ich dem Bacchus einen so glorreichen Priester wirklich erzogen hätte! Dazu aber fehlt so gut wie alles. Vor Deinem Cajus beuge ich demutsvoll dies ruhmstrahlende Haupt. Er zecht für Dreie, Dein Sohn – und weißt Du, mit jener Grazie, die unerlernbar ist. Selbst im Rausch bleibt er noch Herr seiner Anmut!“

Lucius Menenius fühlte sich von den Worten des Quästors unangenehm berührt, zumal ihm tags zuvor ein Brief zugegangen war, der keine Unterschrift trug und nur die Worte enthielt: „Sorge dafür, o Vater, daß Dein Sohn keinen Schaden erleide!“

Cajus galt also, wie es schien, ganz allgemein für ein „Tier von der Herde des Epikur“!

Da nun Menenius absichtlich das Gespräch über Cajus ausspann und einen ernsteren Ton anschlug, merkte er in der That, daß der Quästor von der Befähigung und dem Charakter des jungen Mannes keine sehr glänzende Meinung hatte, obschon sich Camillus der größten Artigkeit und Rücksicht befliß und nur unfreiwillig den wahren Kern seiner Gedanken durchschimmern ließ. Auch das fühlte Menenius heraus, daß Quintus Camillus durchaus nicht die Unbekanntschaft des Vaters mit allerlei kleinen Thorheiten des Sohnes voraussetzte.

Dergleichen war also stadtkundig! Nur er, Lucius Menenius, hatte bisher im Finstern getappt! Verknüpft mit den Mahnworten jenes eigentümlichen Briefes, fiel ihm diese betrübende Wahrnehmung schwer auf das Herz. Er warf sich eine strafbare Lässigkeit vor – und ein plötzliches Bangen ergriff ihn, ob sein wohlgemeinter Entschluß, noch heute mit Cajus zu sprechen und Aufklärung zu heischen nicht etwa zu spät komme.

Der Jüngling, um den sich das inhaltsvolle Gespräch des Vaters mit Quintus Camillus drehte, war unterdes, nur wenige Schritte von Lucius Menenius entfernt, eifrig am Werk, den geselligen Pflichten eines erwachsenen Haussohnes Genüge zu leisten. Er unterhielt sich aufs angelegentlichste bald mit einem der Großgrundbesitzer des zweiten Standes, bald mit einem Vertreter des Hochadels und vernachlässigte nur mit einiger Absichtlichkeit die Leute, die „nichts“ waren, die Klienten und Schutzbefohlenen.

Wer den Gesprächen gelauscht hätte, die Cajus mit diesen Rittern und Senatoren führte, dem wäre allerdings aufgefallen, wie sehr die Rede des jungen Mannes nur gerade die Oberfläche der Dinge streifte, ja wie er, trotz aller Beflissenheit, den unverkennbaren Stempel einer gewissen Unruhe und Zerstreutheit trug. Wiederholt schweifte sein Blick dem Thürgang zu, wo noch von Zeit zu Zeit neue Ankömmlinge ins Atrium traten . . .

Nun plötzlich wandte sich Cajus mit einem raschen „Herr, Du verzeihst!“ von dem breitschulterigen Thonwarenfabrikanten, mit dem er geplaudert hatte, hinweg, um einem auffallend hageren Mann in ausländischer Tracht entgegenzugehen, der jetzt eben vom Obersklaven Heliodorus hereingeführt worden war.

„Sei mir gegrüßt!“ sprach er, dem Fremdling die Hand reichend.

Der Mann beugte sein Haupt, das auf dem Wirbel eine hühnereigroße Tonsur zeigte.

„Hast Du den edlen Menenius auf meinen Besuch vorbereitet?“ fragte er mit einem nicht unschönen Aufflackern seiner tiefliegenden Augen.

„Noch nicht, Seleucius,“ versetzte der Jüngling errötend. „Es bot sich bis jetzt keine Gelegenheit. Aber sei unbesorgt: Lucius Menenius wird Dich empfangen wie alle die übrigen. Er ist die Gastfreundschaft selbst.“

„Es wäre mir lieber gewesen, Du hättest zuvor mit Deinem Vater geredet,“ versetzte der Orientale. „So ging die Verabredung. Ich pflege zu halten, was ich verspreche, und ich erwarte das Gleiche von jedermann.“

„Ich wiederhole Dir . . .“

„Sei’s darum! Führe mich zu ihm!“

Abermals stieg dem Sohn des Hauses eine glühende Blutwelle ins Gesicht. Der Ton dieses Mannes verletzte ihn. Außerdem aber war es ihm bänglich zu Mute bei dem Gedanken, wie denn sein Vater diesen höchst unverhofften Besuch aufnehmen würde. Lucius Menenius huldigte in religiöser Beziehung einer gewissen Schlichtheit und Einfachheit. Sein Glaube hielt an dem altehrwürdigen Gotte Latiums fest, obschon er unter dem Namen des Jupiter etwas Höheres begriff als der Pöbel. Die sonstigen Mythen der Staatsreligion hielt er für das, was sie waren: für symbolische Märchen. Die Gottheit, deren Odem das All durchdrang, konnte nur eine sein, der menschlichen Unvollkommenheit war es zu danken, wenn sie sich die verschiedenartigen Offenbarungen dieser Gottheit unter dem Gleichnis verschiedenartiger Götter vorstellte. Geradezu peinlich jedoch war ihm das Ueberhandnehmen ausländischer Kulte, zumal der ägyptischen. Mehrfach schon hatte er im Senat seine Stimme dagegen erhoben, daß man den Priestern der Isis, des Horus, des Serapis und des schakalköpfigen Gottes Anubis so ungehindert nicht nur die Ausübung ihrer religiösen Gebräuche – das hätte er gelten lassen – sondern auch die rastlose Werbung unter den römischen Bürgern gestattete. Seinem gewichtigen Einfluß war es zu danken, daß man jüngsthin wieder von der Erneuerung halbvergessener Edikte sprach, die sämtlichen orientalischen Priestern, mit Einschluß der chaldäischen und babylonischen Wahrsager und Mathematiker, den Aufenthalt in der Hauptstadt bei schwerer Strafe verboten.

Und diesem ausgesprochenen Gegner führte nun Cajus den vornehmsten und vom Standpunkt des Lucius Menenius gefahrvollsten Vertreter der orientalischen Propaganda, den Isispriester Seleucius, als Gast beim Morgenempfange zu! Es war nicht abzusehen, wie sich Lucius Menenius in dieser befremdlichen Lage verhalten würde.

Cajus ging ein paar Schritte voran. Seleucius folgte. Ein selbstgefälliges menschenverachtendes Lächeln spielte um seinen Mund. Gerade weil Menenius sein Gegner war, hatte Seleucius eine Beziehung zu diesem Hause so angestrebt. Gewohnt, über die Geister zu siegen und fremden Willen sich dienstbar zu machen, glaubte er den Gefahren, die von Menenius ihm drohten, die Spitze abbrechen zu können, falls es ihm nur gelang, mit dem erlauchten Feind in Verkehr zu kommen. Eine verführerische Beredsamkeit, Welterfahrung und philosophische Bildung, persönliche Liebenswürdigkeit und ein Schauspielertalent ersten Ranges – das waren die Vorzüge, auf deren unfehlbare Wirkung er baute.

„Mein Vater,“ hub Cajus an, „der würdige Priester Seleucius von Alexandria wünscht Dir seinen Gruß zu entbieten.“

Lucius Menenius war außerordentlich überrascht. Sofort aber wußte er sein berechtigtes Staunen zu meistern.

„Seleucius ist mir willkommen“ sagte er höflich, „willkommen wie jedermann, der in friedlicher Absicht meine Schwelle betritt.“

Seleucius verneigte sich.

„Ich hoffe, erlauchter Menenius, Du scheuchst mich auch dann nicht von hinnen, wenn ich die Absicht eines ehrlichen Kriegs mit mir hereintragen sollte.“

In dem Ton dieser Worte lag ein so schmeichelhaftes Vertrauen auf die Großmut und die Gastfreundschaft des Senators, daß Lucius Menenius angenehm davon berührt wurde.

„Wie verstehe ich das?“ fragte er lächelnd.

„Herr,“ versetzte der Priester, „ich kenne die Anschauungen, die Du mit so zündender Ueberzeugungskraft im Senate vertrittst. Die meinigen brauche ich hier nicht zu erörtern. Du weißt, daß sie den Deinen schnurstracks zuwiderlaufen. Es lockte mich nun, dem Mann gegenüber zu stehen, der für mich und meine Genossen eine so ungeheure Gefahr bedeutet. Mit dem einzelnen Denker darf man die Fehde wagen; mit der geräuschvollen Menge kämpft man leider vergebens. Ich setze voraus, daß es dem edlen Menenius nur um die Wahrheit zu thun ist, nicht um den äußerlichen Triumph des Rechtbehaltens. Uebrigens,“ fügte er eilig hinzu, da er bemerkte, daß Lucius Menenius beunruhigt auf seine Umgebung blickte, „selbstverständlich war es durchaus nicht mein Wunsch, Deinen Morgenempfang durch philosophische Diskussionen zu stören. Ich weiß, ein Römer in Deiner Stellung gehört um diese Stunde der ganzen glänzenden Schar, die sein Atrium füllt. Es galt mir nur, mein Erscheinen, das Dich erstaunen ließ, zu begründen. Wenn Du mir späterhin – bei Gelegenheit – eine Weile Gehör schenkst, hoff’ ich Dir darzuthun, daß ich nicht ganz jenem unheimlichen Gespenst gleiche, für das Du mich ausgiebst.“

„Ich kann Dir nicht abstreiten,“ sagte Menenius, „daß die Freimütigkeit Deines Auftretens durchaus meinen Beifall hat. Wenn Deine Lehre mir gleichermaßen genehm schiene – was allerdings nicht zu hoffen steht – so würde ich heut’ noch Dein eifrigster Schüler werden. Aber lassen wir das! Meinem Grundsatz getreu, daß auch der Gegner gehört werden müsse, will ich Dir gerne im Lauf dieser Woche ein paar Nachmittagsstunden [705] widmen. Bringe das ganze Rüstzeug Deiner Redekunst mit – ich gedenke ihm stand zu halten.“

„Dank, edler Menenius! Anders hab’ ich dies von dem erlauchten Manne, den ganz Rom als den Gerechten und Milden preist, nicht erwartet. Und selbst, wenn ich Dich nicht überzeuge, ein Gewinn bleibt mir doch: das Glück, eine echt männliche Seele kennengelernt zu haben, an der kein Falsch ist.“

Seleucius von Alexandria verneigte sich wieder mit jenem gewinnenden Lächeln, das über sein hohlwangiges Angesicht einen Glanz goß wie vom Schimmer der Morgenröte. Hiernach wandte er sich zu einem der Umstehenden, der ihm, so schien es, seit lange befreundet war.

„Woher kennst Du den Priester?“ fragte Menenius den Cajus.

„Ich traf ihn . . .“ stammelte Cajus, „bei . . . dort bei dem Ritter, mit dem er sich jetzt unterhält. Findest Du nicht, Vater, daß er ein Mann von ungewöhnlichen Gaben des Geistes ist?“

„Er macht den Eindruck,“ versetzte Menenius.

Nun kam der breitschulterige Thonwarenfabrikant auf den Hausherrn zu und erkundigte sich mit warmherziger Teilnahme nach dem Befinden Plotinas. Während Menenius leuchtenden Auges dankte – sobald von Plotina die Rede war, strahlte er wie ein beschenktes Kind – mischte sich Cajus, froh, weiteren Fragen entgangen zu sein, mit erneuter Lebhaftigkeit unter die Gäste und erreichte nach fünf Minuten den Isispriester, der sich just anschickte, das Atrium zu verlassen.

Cajus trat mit ihm in den Thürgang.

„Also es bleibt dabei?“ fragte er flüsternd.

„Es bleibt dabei!“ versetzte der Priester.

„Sie kommt?“

„Eine Stunde nach Sonnenuntergang.“

„Wie in aller Welt hast Du’s nur fertiggebracht? Sie, die Spröde, die Tugendhafte!“

„Pah, das wäre ein kläglicher Magier, der einem Weibe nicht einreden könnte, was er für gut findet! Meine betäubenden Wunder haben sie mürbe gemacht.“

„Und Du stehst mir dafür, daß keine Gefahr der Entdeckung droht?“

„Keine!“

„Ich weiß es nicht,“ murmelte Cajus, „mir ist nicht wohl bei der Sache. Ueber dem Herzen liegt mir ein Druck . . . Ich wage zu viel, Seleucius!“

„So tritt doch einfach zurück!“

„Um keinen Preis! Versteh’ mich doch: es ist nur der Rest noch des alten Vorurteils. Eine Jungfrau vom heiligen Feuer, eine Vestalin! Es steht ein schmachvoller Tod darauf!“

Steht nicht der Tod auf allem, was Du auch treiben magst? Zum Tode bist Du verurteilt mit der Sekunde, da Du geboren wirst. Er schwebt über uns wie ein Raubvogel, der seine Beute wählt. Uebrigens hüte Dich vor dem Blick Deines Vaters. Mach’, daß Du jetzt wieder hineinkommst, und benimm Dich so harmlos wie möglich! Fällt das Gespräch auf mich, so singe nur ja nicht mein Loblied, sondern verhalte Dich gleichgültig! Du möchtest sonst seinen Verdacht wecken. Gehab’ Dich wohl!“

[706] Seleucius von Alexandria trat ins Freie und bestieg seine Sänfte, die mit zahllosen anderen vor dem Vestibulum wartete, während der Jüngling nach dem menschenerfüllten Empfangsraum zurückschritt. Vergeblich kämpfte er wider die Bangigkeit an, die ihm seit heute früh schon das Herz beklemmte. Ruhig und friedsam in seiner leuchtenden Milde lehnte Menenius zwischen den Säulen und sprach mit dem Proprätor Aulus Tibullus. Und wieder vernahm Cajus den teuren Namen der Mutter. . . . Dieser Name verkörperte ihm das ganze reine makellose Familienleben, das hier inmitten der sonst so verderbten Weltstadt so herrlich emporgeblüht war. Und nun stand er, der Sohn dieses Vaters und dieser Mutter, allen Grundsätzen der Religion, des Rechts und der Ehre zum Trotz, im Begriff, eine Missethat zu begehen, die darum nicht minder schwer in der Schale des göttlichen Zornes wog, weil seine Mitschuldige in unerhörter Leichtmütigkeit ihm entgegenkam . . .

Ein paar Augenblicke noch schwankte er. Noch war es ja Zeit, noch konnte er, wie Selencius spöttisch ihm vorgeschlagen, zurücktreten. Gleich danach aber siegte der Drang seiner unseligen Leidenschaft. Er hatte die schöne Vestalin Rutilia vor etwa sechs Wochen bei den großartigen Kampfspielen gesehen, die der Quästor Camillus im Flavischen Amphitheater zum besten gab – und sofort war er in unauslöschlicher Liebe entbrannt. Alle die zahlreichen Hindernisse, die einer so strafbaren und gefahrvollen Neigung im Wege standen, hatte der schlaue Seleucius glücklich hinweggeräumt. ... Und nun sollte sich Cajus, da er am Ziele war, jämmerlich abschrecken lassen? Er sollte das aufgeben, was er in so verzehrender Inbrunst erstrebt hatte? Lieber das Schlimmste!

Er schüttelte mit Aufbietung aller Kraft die peinvollen Anwandlungen dieser Minute ab. „Lieber das Schlimmste!“ wiederholte er sich, die Fäuste ballend.

Bei der Rastlosigkeit seines Gemüts aber litt es ihn fürder nicht in der Nähe des Vaters. Er verließ heimlich das Haus, noch ehe sich das Atrium völlig geleert hatte, und sandte dann zwei Stunden nach Mittag einen Boten mit einer Wachstafel, auf der die Worte standen: „Ich speise beim Quästor Camillus.“

In der Gesellschaft dieses humorvollen Mannes fand er noch am leichtesten Balsam für seine Ungeduld und Ablenkung von dem heimlichen Bohren und Nagen seines Gewissens.

[719] Seit dem Zwiegespräche mit Afra, das ihm klar gemacht hatte, wie schwer er sich in den Gesinnungen dieses Mädchens täuschte, war Geticus nur von dem einen Gedanken beseelt: wie hintertreib’ ich, was Afra plant? Denn daß sie um keinen Preis die Gattin jenes verhaßten Ostländers werden dürfe, das stand ihm so fest wie der Glaube an das Rächeramt Jupiters.

Sonst nicht eben boshaft geartet, kannte er jetzt in seiner schäumenden Wut gegen den Leibarzt kein Maß mehr. Abergläubisch bei all seiner Schlauheit, gab er dem Ninus schuld, durch unlautere Kunstgriffe, Liebestränke und sonstige Zaubermittel bei Afra erreicht zu haben, was er, Geticus, nun vergeblich anstrebte; denn nur so schien es ihm faßlich, daß seine Jugendgespielin einem so ernsten und schweigsamen Manne, der fast doppelt so alt war als sie, den Vorzug gab. Im Kampfe mit einem so schmachvollen Gaukler jedoch war jedes Mittel erlaubt. Geticus befand sich im Zustand der Notwehr: thöricht, wenn er da irgend welches Bedenken trug!

Sein erster Einfall war der gewesen, dem Nebenbuhler unvermerkt Gift in den Wein zu mischen. Der wütende Grimm und die wahnwitzige Sehnsucht nach dem Besitze Afras, die ihm jetzt doppelt begehrenswert schien, da er sie fast schon dem Gegner verfallen sah, raubten ihm jede Fähigkeit, das Schurkische dieses Planes klar zu beurteilen. Ninus war für seinen erbitterten Haß kein menschliches Wesen mehr, sondern ein tückischer Dämon, nicht viel besser als das Geziefer in Kammer und Keller, dem der Proviantmeister schierlingdurchtränktes Brot streute. Auch für die große Gefahr, die ihm selber aus dieser Unthat erwachsen mußte, war er jetzt vollständig blind.

Plötzlich jedoch fiel ihm der Eid aufs Herz, den ihm die bangende Afra, wie in Voraussicht seiner unglaublichen Niedertracht, in so furchtbarer Form abgenommen. Er hatte geschworen dem Manne, den sie ihm nennen würde, nie und nirgends feindlich entgegenzutreten, niemals die Hand wider ihn zu erheben oder sonstwie eine gewaltsame That an ihm auszuüben. Jupiter selbst sollte ihn friedlos machen in Zeit und Ewigkeit, wenn er den Schwur brach! Das überkam ihn jetzt wie eine vollständige Lähmung. Alles, was ihm die Unabwendbarkeit dieses Fluches bestätigen konnte, tauchte in bunter Verworrenheit aus der Erinnerung empor und erschreckte ihn mit den furchtbarsten Larven. Die Furien sterben nicht! Am Grabmal des Gnejus Vitruvius, der vor mehr als neunzig Jahren zu Pästum verstorben war, ging es noch heute allnächtlich um und erfüllte die Gärten der Via Appia mit dem entsetzlichen Klageruf: „Wehe dem Meineidigen!“ Und dann klirrten die Ketten, und ein Stöhnen erscholl, herzzerreißend wie der Sterbelaut eines Gefolterten. Auf der Insel des Tiberstroms, unweit des Hafens, stand ein verfallenes Haus, das der Eigentümer, ein Ritter aus Corduba, weder neu aufzubauen noch vollständig niederzureißen wagte; denn ein Blitz, der nicht zündete, hatte die Rückwand just an dem Tage in Trümmer gelegt, da dreißig Jahre verstrichen waren seit dem entsetzlichen Meineid des Tullius Celer, der vor dem Prätor unter Anrufung der rächenden Gottheit die Richtigkeit eines von ihm gefälschten Testamentes beschworen hatte und, auf der Stelle von einem Blutsturz niedergeworfen, im Angesichte des Tribunales verstorben war. Am Tage nach jenem zermalmenden Blitzstrahl fand man auf einem Kalkstück, das von der berstenden Wand losgebröckelt war, seltsame Schriftzeichen, die von den Kundigen als die Kürzung eines unheimlichen Bekenntnisses ausgelegt wurden. Dies Bekenntnis lautete: „Den verwaisten Kindern des Bruders, denen dies Haus gehört, wollte ich Meineidiger ruchlos entziehen, wo sie ihr Haupt hinlegen könnten. Nun hetzt mich die furchtbare Hekate durch die Schlünde der Unterwelt.“

Diese und andre Erinnerungsbilder jagten sich in dem aufgeregten Gemüte des Sklaven wie unheilverkündende Wolken. Vornehmlich jedoch hallten die Worte des Isispriesters in seinem Ohr, die ihm so grausenhaft und so überweltlich geklungen hatten wie nichts zuvor. Daß der Aegypter ihm diese Lektion nur in sehr eigensüchtiger Absicht erteilt hatte, um ihn demnächst desto sicherer zu [720] binden, wenn er ihn bei seinen Plänen gegen den isisfeindlichen Lucius Menenius gebrauchen würde, das benahm der Lektion nichts von ihrer gewaltigen Wirkung; denn Geticus ahnte nicht den Zusammenhang, und so war diesmal ein überzeugungsloser Verächter der Wahrheit ihr starker Prophet gewesen.

An dem Vormittage, an dem Lucius Menenius den großen Empfang hatte, war bei Geticus nachgerade ein Zustand eingetreten, welcher an Irrsinn grenzte. Immer und immer wieder drehten sich seine Gedanken im nämlichen Kreislaufe: Ninus darf die holdselige Afra niemals besitzen – aber er wird sie besitzen! Ich, Geticus, will und muß ihm gewaltsam den Weg verlegen – aber ich kann nicht! Den Mord würde der Totenrichter verzeihen, wenn er in mein zerrissenes Herz blickte. Für den Meineid jedoch giebt’s keine Sühne, bis dereinst nach Aeonen die uranfängliche Nacht zurückkehrt.

Dabei malte sich seine selbstquälerische Einbildungskraft vorschauend die ganze Entwicklung der Zukunft – die Freilassung des Ninus sowohl wie der Afra; den unerschöpflichen Dank der Plotina, die es natürlich für ihre Pflicht hielt, der Braut ihres vermeintlichen Retters eigenhändig die Hochzeit zu rüsten; das Festmahl im Xystus, an dem die ganze Familie, vom Hausherrn bis herab zu dem niedrigsten Kehrsklaven, teilnehmen würde; den Hochzeitsgesang und den Reigen der Tänzerinnen; die Wegführung der verschleierten Braut, deren rosige Glut durch das leichte Gewebe von Kos hindurchflammte wie die Sonne durch Nebelrauch. ... Und er, Geticus, würde das alles mit ansehen, den Stachel der Qual im Herzen, ohnmächtig, in starrer Verzweiflung!

Nein, das war undenkbar!

Vorübergehend schwebte ihm eine Lösung vor, die zwar beinahe so fürchterlich wie der Meineid, aber immer doch eine Lösung war . . . Er mußte die treulose Afra töten und dann sich selbst. Kaum aber hatte er diesen Gedanken gefaßt, als er ihn auch mit Ungestüm über Bord warf. Die Vorstellung, dies bezaubernde Mädchen, das ihm der Inbegriff alles Holden und Wonnigen war, grausam dahinzuschlachten, flößte ihm den unsagbarsten Schauder ein. Beide Hände streckte er von sich, als nahe ihm die Versuchung in Gestalt einer grausenhaften Lemure. „Nie, nie!“ stöhnte er durch die Zähne. „Fluch mir, daß ich’s auch nur sekundenlang denken konnte!“

Und dann, von dieser Unmöglichkeit abgesehen: Ninus würde sie überleben, würde ihr Grab pflegen, ihrer verewigten Seele Totenopfer und Kränze darbringen! Das wäre ein schlechter Trost für den Verzweifelten, der sie getötet hätte. Nein! Er gönnte dem Nebenbuhler nicht einmal den Schmerz um die Abgeschiedene. Ninus selbst mußte fallen, das war der einzige Ausweg! Und dieser einzige Ausweg schien ewig versperrt.

Zwei Stunden vor Mittag, nachdem sich die Scharen der Morgenbesucher im Atrium längst schon verlaufen hatten, befand sich Geticus allein im Bibliothekzimmer. Der Bibliothekar hatte ihm den Auftrag erteilt, die letzten Nummern des römische Nachrichtenblattes, der „acta diurna“, die hier bunt durcheinander auf einem der broncenen Tische lagen, chronologisch zu ordnen und in die eigens dazu bestimmten Kästen zu legen.

Die „acta diurna“, das offizielle Amtsblatt der Stadt und des Staates, das, teils durch die sogenannten Diktiersklaven, teils durch Privatunternehmer vervielfältigt, bis in die fernsten Provinzen des Weltreichs versandt wurde, brachten die wichtigsten Mitteilungen aus dem Gebiet des politischen, gesellschaftlichen und litterarischen Lebens; die Erlasse der Verwaltungsbeamten, die Senatsverhandlungen unter wörtlicher Wiedergabe einzelner besonders interessanter Reden, bedeutsame Botschaften aus allen Weltgegenden, Prozeßverhandlungen; und schließlich eine bunte Rubrik, in der bemerkenswerte Ereignisse aus dem öffentlichen Verkehr, Unglücksfälle, Naturerscheinungen, Heiraten hervorragender Persönlichkeiten, Verbrechen, sowie die Programme der Wettrennen, der Gladiatorenkämpfe und sonstiger Schauspiele mitgeteilt wurden.

Die Exemplare, die Lucius Menenius unmittelbar von der Expedition empfing, waren, ungleich den für die große Masse bestimmten, von besonders geübten Schreibern auf das feinste alexandrinische Pergament geschrieben, schwarzbraun auf hellgelb, und ganz nach Art größerer Manuskripte je um ein Stäbchen gerollt, dessen hervorstehende Knöpfe in Pupur und Silber glänzten.

Geticus, dem diese Arbeit erwünscht kam, denn sie lenkte ihn einigermaßen von seinen hirnzerwühlenden Selbstbetrachtungen ab, rollte die Exemplare einzeln auf, um nach dem Datum zu schauen.

Da fiel ihm, als er die Nummer vom siebenten Mai in der Hand hielt, gleich auf der Titelseite der mehrfach wiederholte Name des Lucius Menenius ins Auge. Es handelte sich um eine Senatssitzung, die sich vorwiegend mit der Anklage wider einen ungetreuen Provinzbeamten beschäftigt hatte. Die Spitzbübereien, die hier zur Erörterung gelangten, waren so überraschend, daß Geticus weiter las. Und wie er so unter dem Lesen merkte, daß die bohrende Pein seines Gemüts nachließ, fuhr er mit Lesen und Blättern fort und griff in die anderen Rubriken hinüber, wo von der Freisprechung eines Aedilen die Rede war. Und dann kam eine Angelegenheit der spanischen Provinz Bätica und eine Nachricht von der germanischen Grenze ...

Er las und las. Da plötzlich stutzte er. Eine glühende Blutwelle stieg ihm jäh in die Stirne. Er mußte sich mit der Hand auf die Tischplatte stützen. Gierig, zitternd, mit vorquellenden Augen verschlang er nun jede Silbe. Dann glitt der Ausdruck eines wilden Triumphes über sein Antlitz. Er rollte das Pergament zusammen und schwang es in seiner Faust wie eine Waffe.

Das war’s! Das mußte alles ins rechte Geleis bringen – wenn anders sich Afra nicht völlig verblendet und jeder Furcht vor dem Zorn eines Verzweifelten unzugänglich erwies. Und blieb sie dauernd verstockt – gut! Hier hatte er, was ihn rächen würde! Auf jeden Fall war nun das Schicksal des Ninus endgültig besiegelt. Der elende Schleicher würde niemals die reizende Blume pflücken, an deren Duft er sich so glühend berauscht hatte! Niemals! Und Geticus brauchte trotzdem seinen Eid nicht zu brechen.

Er unterdrückte kaum einen Jubelschrei. All die Bilder, mit denen er sich noch eben gequält hatte, waren nun hinfällig. Kein trautes Familienfest und kein prangendes Hochzeitsmahl! Kein Hymenäus für den widerlichen Asiaten und keine verschleierte Braut mit schmachtenden Glutaugen! Es war ein Umschwung wie vom Elysium zum Tartarus!

Geticus überlegte. Die Drohung, mit der er nun Afra in seine Gewalt bekam, würde wohl ausreichen, den Barbaren hinwegzudrängen. Aber was dann? Durfte er sich mit der Hoffnung tragen, ihr Herz zu erobern, wenn er sie auf diese Weise von dem Mann ihrer Wahl riß? Ihr Herz! Was lag ihm daran! Zunächst galt es, ihren Besitz zu erlangen. Sie mußte ihm ihre Hand zuschwören bei dem nämlichen Jupiter, bei welchem er ihr geschworen hatte. Nur dann, wenn sie sich ihm feierlich angelobte, würde er von der Verwirklichung seiner Drohung zurückstehen! Pah, und wenn er sie erst besaß, sie selbst vom Scheitel zur Sohle, dann wollte er mit der Zeit auch ihr Herz gewinnen!

Verzerrten Gesichts ging er ans Werk, die „acta diurna“ in die Buchkästen zu verteilen. Die eine Nummer jedoch hielt er zurück und barg sie im Bausch seiner Tunika. Hiernach verließ er den einsamen Raum und begab sich nach dem Speisegemach der „Ordinarii“, wo man für die bevorzugten Sklaven eben das Mahl verabreichte.

Da saßen nach altlatinischer Weise auf Holzstühlen Heliodorus und Ninus, Afra und die kunstbegabte Coronis, der Bibliothekar und der feiste Proviantmeister – und mit ihnen wohl noch ein Dutzend der „Angeseheneren“, plaudernd, essend und trinkend, formvoller im Verkehr, als neulich die buntgemischte Gesellschaft der Xystus-Zecher, aber doch weit entfernt von jener nachäffenden Vornehmheit, wie sie dem Sklaven eignet, der sich beständig als willenloses Besitztum seines Gebieters fühlt. Auch ward kein unwirsches Wort gegen die Kleinsklaven laut, welche bei Tisch bedienten.

Geticus warf dem Leibarzt einen verschleierten Blick zu. „Warte nur!“ stand in dem Blicke zu lesen, „eh’ noch die Sonne sinkt, wird sich Dein Uebermut abkühlen!“ Dabei wunderte sich Geticus über die Maßen, wie wenig Ninus und Afra ihre Beziehungen merken ließen.

Als die Mahlzeit beendet war, fand sich für Geticus die Gelegenheit, unbemerkt an Afra das Wort zu richten.

„Mädchen, ich habe mit Dir zu reden! Ganz unter vier Augen! Beim Jupiter, es handelt sich um Dein Leben! Du weißt, Afra, ich schwöre nicht falsch! Wo und wann bist Du zu treffen?“

Afra, die schon im Begriff war, ihm spöttisch den Rücken zu kehren, stutzte bei diesem Ton.

„Wo und wann?“ wiederholte er unheimlich.

Die Sklavin starrte ihm ratlos in die wild funkelnden Augen. Sie zögerte, dann sagte sie achselzuckend:

„In anderthalb Stunden. Hinter dem Rosengehege.“

„Gut! Sei pünktlich!“


[722] Bis zu der Frist, die Afra ihm festgesetzt hatte, trieb sich Geticus, dessen Obliegenheiten im Hause erledigt waren, ruhelos unter den Säulengängen des Peristyliums und des Xystus umher. Als er für einen Augenblick sich auf die polsterbelegte Bank gestreckt hatte, wo ehvorgestern der Obersklave das „Heilmittel“ des Ovid in Empfang genommen, kam der Leibarzt vorüber und grüßte ihn.

Geticus gaffte ihm breit ins Gesicht, ohne den Gruß zu erwidern.

„Ist Dir nicht wohl?“ frug Ninus, da ihn der glanzlose Blick des Jünglings befremdete.

Die Lippen geschlossen, wandte sich Geticus ab, während der Leibarzt kopfschüttelnd seinen Weg fortsetzte. . Geticus hörte noch, wie der Verhaßte beim Durchgang zum Atrium ein paar freundliche Worte mit der Sklavin Coronis wechselte. Der Ton, in dem Coronis dem Leibarzt antwortete, klang so lebendig und warm, daß Geticus wütend emporfuhr. Wie mochte erst Afra zu diesem verwünschten Gaukler sprechen, wenn schon dies Mädchen da, dem er doch gleichgültig war, so unwiderstehlich von der einschmeichelnden Art seines Wesens bethört wurde! Der niederträchtige Komödiant, der sich mit seiner geschraubten Bedächtigkeit und dem pfiffigen Lächeln überall wichtig machte! Wie jetzt Coronis ihm nachschaute! Dankbar und voll abgeschmackter Bewunderung, als schreite ein gnadenspendender Gott über die Fliesen! Beim Herkules, man mußte die Blütezeit hinter sich haben und auf die steif pathetische Haltung des opfernden Agamemnon geschult sein, wenn man den Weibern von heute noch gefallen wollte!

„Nun Coronis, was treibst Du hier?“ fragte er ingrimmig, da sich die junge Sklavin noch immer nicht rührte.

„Geticus! Du erschreckst mich zu Tode!“ sagte Coronis, aus ihrer Verträumtheit erwachend. „Was ich hier treibe? Du siehst, ich stand just im Begriff, den Blumen da Wasser zu geben.“

Ein leichtes Rot stieg ihr jetzt warm ins Gesicht. Geticus stutzte. Hatte er sich am Ende getäuscht, als er Coronis für gleichgültig hielt? Diese fliegende Glut – kam sie nicht einem Geständnis gleich? Der verlogene Halbbarbar machte also Eroberungen, wo er nur hintrat! Er winkte – und alles, was lange Haare trug, lag ihm girrend zu Füßen, während er, Geticus, nicht einmal das erreichte, was ihm doch einzig auf dieser Welt noch von Wert erschien! Wer konnte denn wissen, ob der Asiate nicht heimlich auch mit Coronis getändelt hatte und sich nur deshalb für eine Verbindung mit Afra entschied, weil Afra vor allen übrigen Sklavinnen bei Lucius Menenius in Gunst stand?

Kaum gedacht, schien ihm diese Erklärung auch zweifellos. Das Ganze war elende Berechnung! Nun, um so rückhaltsloser mußte er durchführen, was er sich vorgesetzt!

Er tastete mit der Hand nach der Stelle der Tunika, wo er die „acta diurna“ verwahrt hielt. Was Afra für Augen machen, wie sie sich bäumen und winden und wehren würde! Aber was half’s ihr! Diesem entscheidenden Schlag konnte sie nicht widerstehen; sie mußte sich fügen wie einer Bestimmung des Schicksals. Und wenn sie trotz alledem Nein sagte? Wohl! Dann mochte alles toll über den Haufen stürzen und zwar sofort!

Jetzt erst kam ihm zu Sinne, daß er für diese Möglichkeit noch nicht gerüstet war. Einen Augenblick überlegte er. Hiernach rief er der Kammersklavin Coronis ein spaßhaftes Wort zu, als gelte es ihm, die Harmlosigkeit seiner Gemütsverfassung recht glaubhaft zu machen. Während Coronis, die jetzt eifrig am Werk war, die Blumen und Blattpflanzen des Peristyls mit frischem Quellwasser zu begießen, ihm lachend antwortete, schritt er ins große Eßzimmer und kehrte nach zwei Minuten zurück, um dann abermals mit Coronis einige Scherzreden zu wechseln. Seine Stimme jedoch hatte sich eigentümlich verändert. Sie klang so unsicher und gedrückt, daß Coronis, in ihrer Beschäftigung innehaltend, die Frage that: „Wie bist Du nur, Geticus! Hast Du ’was auf dem Herzen?“

Geticus lachte. „Wie käm’ ich dazu? Nun vollends Dir gegenüber! Oder erwartest Du gar eine Liebeserklärung?“

„Da müßt’ ich verrückt sein!“

„Weshalb hältft Du das für so unmöglich?“

„Pah! Eine Liebeserklärung von Dir! Da doch alle Welt weiß, daß Du für Afra glühst.“

„So? Das weiß alle Welt?“ stammelte Geticus. „Nenne mir doch die verlogenen Schufte, die dergleichen in Umlauf setzen!“

„Niemand setzt das in Umlauf, aber man hat seine Augen . . . Ja, beim heiligen Feuer, weshalb wirst Du so blaß, Geticus? Mich dünkt, es ist doch just keine Schande, die Afra bezaubernd zu finden. Wir alle schwärmen für sie. Ich glaube, sogar Ninus, der Leibarzt, giebt ihr den Vorzug.“

Geticus wandte sich ab; er schäumte. Jetzt kam zu allem, was ihn zerfraß, noch die wühtende Eitelkeit und der Zorn über sich selbst, daß er, der Verschmähte, seine Empfindungen so schlecht zu verbergen gewußt, während doch Ninus, der Glückliche, sich so meisterhaft in der Gewalt hatte.

„Weibergewäsch!“ knirschte er vor sich hin. Dann verließ er das Peristyl. Die anderthalb Stunden waren jetzt nahezu um. Er schritt nach dem Park.

Dort angelangt, ging er in keuchender Unrast hinter dem Rosengehege auf und ab, immer von Zeit zu Zeit nach der Pergamentrolle und dann weiter links nach einem andern, ebenso vorsichtig eingebauschten Gegenstand fühlend.

Afra kam. Sie hatte sich umgekleidet. Eine lichtblaue Tunika schmiegte sich fest um die schlanke Gestalt. Lichtblau waren die Bänder im Haar, das überdies noch mit einer tiefdunkeln Mohnblume geschmückt war, und lichtblau die schöngezackten Sandalenschnüre.

„Ich habe nur wenig Zeit,“ sagte sie schon von weitem. „Lucius Menenius schickt die Lysandra und mich zur jüngeren Paulina, um eine Botschaft seiner Gemahlin auszurichten. Also beeile Dich!“

„Ein paar Minuten wirst Du wohl opfern können. Ich sagte Dir schon, wie viel von dem, was ich Dir mitteilen muß, abhängt. Dein Leben und meines – und mehr noch, wie Du sofort begreifen wirst. Afra, aus Deiner Heirat mit Ninus kann unter keiner Bedingung etwas werden. Trittst Du nicht freiwillig sofort zurück – – Aber gestatte mir, daß ich zunächst Dir ein fesselndes Bruchstück der ‚acta diurna‘ vom siebenten Mai vorlese!“

„Und darum bestellst Du mich hier in den Park?“

„Just darum. Du wirst mir einräumen, daß die Neuigkeit, die Du hören sollst – oder vielleicht ist es für Dich keine Neuigkeit mehr – eng im Zusammenhang steht mit der Unmöglichkeit Eurer Hochzeitspläne.“

„Du sprichst wie ein Prätor, so kühl und so siegesgewiß. Ich bitte Dich, laß doch die Possen und sag’ mir kurz und bestimmt . . .“

„Hör’ zu!“

Er nahm die Rolle aus seiner Tunika und las mit gedämpfter Stimme:

„Gestern wurden die sieben Sklaven des Ritters Tullius Corvinus, der, wie man weiß, auf seinem Landhaus zu Alsium von einem der Sieben meuchlings ermordet wurde, zum Anger der Frevler geführt und dort durch den Beilhieb des Henkers dem Tod überantwortet. Die Unthat des Mörders fand somit ihre gesetzliche Sühne. Seit Anfang des laufenden Jahres ist dies nunmehr schon der zweite Fall, daß unser altes Gesetz über die Mitschuld der Nichtthäter in Anwendung kommt.“

Afra rückte mit ihren rosigen Fingern das überquellende Haar zurecht.

„Was soll’s damit?“ fragte sie gleichmütig, als Geticus geendet hatte.

„Das rechne Dir aus, mein Kind!“

„Ich bin auf solche Exempel nicht eingeschult.“

„So wia ich Dir’s klar machen. Beim Rächer der Meineide hab’ ich geschworen, dem götterverhaßten Buben, der Dich gekirrt hat, nicht an die Gurgel zu springen. Auf diese Art also kann ich das zärtliche Bündnis, das ihr Euch vorgesetzt, nicht vereiteln. Dich selbst zu erdolchen – wie Du’s verdient hättest – dazu fehlt mir der Mut. Wenn Du mich ansähest mit Deinen verschwimmenden Rehaugen, dann würd’ ich den Stahl wider mein eigenes Herz kehren – und dann bliebet ja Ihr beide übrig und könntet Euch ungestört Eurer Liebe freuen, während ich moderte. Aber es giebt hier ein Drittes, und dieses Dritte – das schwör’ ich Dir abermals bei dem allrächenden Jupiter – dieses Dritte führ’ ich Dir aus, falls Du nicht jetzt, in dieser Minute noch, Dein verruchtes Verhältnis zu Ninus lösest und mir gelobst, mein zu sein mit Leib und Seele bis an mein Ende!“

„Geticus!“ schrie Afra entsetzt, denn sie hatte den Dolch gewahrt, dessen vergoldeten Knauf er jetzt mit der Hand berührte.

„Du hast nichts zu besorgen!“ raunte er, tonlos vor Leidenschaft. „Ich sagte Dir schon: Dich zu töten, fehlt mir der Mut! Tritt nur heran! Beim Jupiter (Du nötigst mir Eid um Eid auf) beim Jupiter sei Dir beteuert: wie Dein Entschluß auch ausfalle, [723] diese Faust wird Dir kein Haar krümmen! Afra, Du siehst doch, wie die Verzweiflung mir die Nerven zerwühlt! Sprich ein vernünftiges Wort, eine Silbe nur, die mir Hoffnung giebt . . .“

Afra hatte sich wieder gefaßt. „Was soll ich Dir sagen?“ murmelte sie, beinahe von Mitleid ergriffen. „Ich bin doch für mein Herz nicht verantwortlich. Siehst Du, Geticus, wenn Du den Ninus kenntest, wie ich ihn kenne …“

„Schweig’! Nenne mir diesen verruchten Namen nicht! Ich Narr, daß ich nochmals in diesen kläglichen Ton zurückfiel! Ich konnte es vorher wissen, daß ich in Güte hier nichts zu erwarten habe! Aber ich will nicht – hörst Du, ich will nicht, daß er Dich je besitzt, und da nur der eine Weg mir noch übrig ist, so beschreite ich ihn! Schau’ Dir die Klinge hier an! Syrischer Hartstahl! Sie zerschneidet ein Gitter! Wohl denn, Afra: mit dieser Klinge durchbohr’ ich die Brust des Lucius Menenius, wenn Du mir nicht sofort als mein ewiges Eigentum in die Arme sinkst. Starr’ Du nur wie betäubt! Ich halte Dir Wort! Und was diese That Dir besagt, Dir und dem heuchlerischen Barbaren, das weißt Du!“

„O Du Erbärmlicher!“ stöhnte das Mädchen, die Hand vor die Augen pressend. „So also meinst Du mich um mein Glück zu betrügen? Und Du redest Dir ein, ich würde aus Furcht nun die Deine werden, nachdem Du dies ruchlose bübische Wort gesprochen? Siehst Du, wenn mich in dieser Minute der Mann, den ich anbete, treulos im Stich ließe und ich stünde allein und verwaist und hätte kein lebendes Wesen, das meiner sich annähme. ich stürzte mich lieber zwischen die Bestien des Amphitheaters, als daß ich mit Dir, dem Verworfenen, alle Genüsse der Welt teilte! Wahrlich, fein und überachlau hast Du das ausgeklügelt! Kein Missethäter, seitdem die Erde steht, hat es Dir gleichgethan …“

„Rede nicht, sondern entscheide Dich! Du kennst das Gesetz. Du weißt, daß es hier kein Erbarmen giebt. Sämtliche Sklaven, die sich zur Zeit der Ermordung im Hause befinden, fallen dem Henker anheim! Dein angebeteter Ninus wird ebenso zuverlässig dahingeschlachtet wie Du und die abgeschmackte Coronis, die ihn so herrlich und hehr findet! Alle, alle sterben den qualvollen Tod gemeinschaftlich mit dem Thäter! Nur ich selbst komme dem Henker zuvor, denn mit der nämlichen Klinge, die den Mord vollführt, bring’ ich dies pochende Herz für ewig zur Ruhe! Schmerzlos und rasch werd’ ich hinabsinken, während Ihr übrigen … Afra, denk’ an die Folter! Denk’ an den himmelschreienden Jammer so vieler Schuldlosen!“

„Ich denke daran und verfluche Dich!“

Sie war auf ihn zugesprungen. Eh’ er sich dessen versah, hatte sie ihm das Handgelenk fest umklammert. Mit übermenschlicher Anstrengung suchte sie ihm den Dolch zu entwinden, während sie laut und verzweifelt um Hilfe rief.

„Närrin!“ ächzte der Sklave, der sich ersflglos mühte, seine Hand zu befreien. „Das also ist Deine Antwort! Nun, Du hast es gewollt!“

„Was geht hier vor?“ klang eine ernste Stimme vom Hause her.

Es war Lucius Menenius, der, seine Wachstafel zwischen den Fingern, höchst erstaunt in den Park trat.

„Hüte Dich, Herr!“ schrie Afra, deren Kraft zu erlahmen begann. „Geticus droht Dir mit Mord!“

Eh’ noch Menenius Zeit hatte, über den Sinn des befremdlichen Ringkampfes und die Berechtigung dieses Warnrufs klar zu werden, hatte sich Geticus losgerissen. Mit einem kräftigen Stoß vor die Brust warf er das junge Mädchen zurück, daß sie taumelte.

„Du hast es gewollt!“ knirschte er wie ein Rasender.

Im nächste Augenblick hatte er sich mit voller Gewalt auf den Hausherrn geworfen und ihm den haarscharfen Dolch bis ans Heft in die Brust gebohrt. Gleichzeitig aber war ihm der eiserne Griffel des Ueberfallenen, der sich zur Wehr gesetzt, zolltief in die linke Schläfe gedrungen.

Wie vom Donner gerührt, stürzte Getikus über den Haufen, die syrische Waffe in der Brust des Menenius zurücklassend.

Ein paar Schritte noch wankte Menenius in der Richtung einer moosüberkleideten Bank. Er besaß noch die Kraft, sich würdevoll in die Toga zu hüllen, die ihm bei dem bestialischen Angriff des Geticus von der Schulter gesunken war. Dann glitt er leise und langsam auf den geschorenen Rasen.

[738] Afra stand wie eine versteinerte Niobe auf dem sonnüberstrahlten Parkweg. Alles rings um sie her war so unheimlich still geworden. Der Wind selbst in den Zweigen der hundertjährigen Ahornbäume klang wie gedämpft. Was hier geschehen war, schien die Unmöglichkeit selbst, und doch sah sie es greifbar vor Augen: Geticus, der wahnwitzige Mörder, tot auf dem Kies, das Gesicht grausig entstellt, die Fäuste geballt, die Stirne von Blut überströmt und dort, den matt hingesunkenen Kopf wider die Bank geschmiegt, schwer atmend, der unglückliche Menenius!

Menenius atmete noch. Und jetzt zuckte er mit der Schulter und bewegte den linken Arm und schien sich aufrichten zu wollen.

Diese Wahrnehmung brachte das junge Mädchen sofort zur Besinnung. Wie ein Wirbelwind flog sie an Lucius Menenius vorüber und schrie in den Xystus hinein, daß die Kolonnen von ihrem Angstrufe widerhallten.

Der Erste, der auf sie zukam, war Nonus Quintilius, der alte Klient. Ihm folgte Ninus, dessen Hilfe ja hier am nötigsten war, und die eben zum Ausgang gerüstete schleifengeschmückte Coronis nebst einigen Kammersklaven. Der Worte unfähig, geleitete Afra die tödlich Erschreckten nach dem Schauplatz der unheimlichen That.

„Geticus . . .“ brachte sie endlich über die Lippen. „Er überfiel ihn . . . der Bube!“

Nun kniete sie neben Lucius Menenius nieder und schluchzte, die Hände ringend. „Ach, mein geliebter Herr! Sprich nur ein Wort! Ein einziges Wort nur, das uns verrät, ob Du noch bei Bewußtsein bist!“

„Gutes Kind!“ hauchte Menenius.

Von allen Seiten strömten die Unfreien jetzt in den Park. Zu Dutzenden umstanden sie, Statuen gleich, den Verwundeten. Geticus, ihr Mitsklave, war der Mörder! „Weh uns, wir alle werden die Missethat büßen!“ Diese Empfindung prägte sich unverkennbar auf den ratlos verstörten Gesichtern aus. Hier und da indes malte sich deutlicher noch das herzinnigste Mitleid. Welch eine Laune des Schicksals! Ein so gütiger und gerechter Herr ward hier vom Lose jener Tyrannen ereilt, die ihre Sklaven wie Tiere behandelten! Er, der Beste, Edelste und Vollkommenste! Er, der treusorgende Vater auch für den Geringsten!

Manch eine drohende Faust hob sich voll Wut gegen den toten Geticus, dessen Frevel so unverständlich, so gegen alle Natur schien.

Einzelne maßen mit unsicheren Blicken den Park, als dächten sie, sich dem drohenden Unheil durch die Flucht zu entziehen. Aber wie aussichtslos war die Flucht eines Sklaven in dieser tausendfach überwachten Weltstadt, wo jeder Freigeborene ein Interesse daran besaß, daß man des Flüchtlings sofort habhaft wurde; wo es neben den zahllosen Polizeisoldaten noch Privatunternehmer gab, die aus dem Einfangen der Entflohenen ein hoch bezahltes Gewerbe machten! Und das alles kam ja so plötzlich! Die Ungeheuerlichkeit des Vorfalls wirkte so lähmend! Kurz, sie verharrten alle wie regungslos, bis auf zwei blutjunge Griechen, die sich am Leichnam des Geticus langsam vorbeischlichen, im Strauchwerk verschwanden und dann, von rasender Angst gehetzt, die Mauer des Parks überkletterten, wo sie alsbald von einigen Schergen des Stadtpräfekten, die eben des Wegs kamen und bei dem Anblick dieser verhetzten Gesichter Verdacht schöpften, angehalten, zur Rede gestellt und verhaftet wurden.

Während der Leibarzt die knieende Afra langsam hinwegschob und mit Hilfe des Heliodorus und des Proviantmeisters den Verwundeten nach dem Schlafgemach trug, hatte sich Nonus Quintilius, der Vermögensverwalter des Hausherrn, hastig entfernt. „Ich gehe den Cajus holen!“ sprach er mit dumpf bebender Stimme.

Diese Absicht jedoch beschäftigte sein erregtes Gemüt erst in zweiter Linie. Wichtigeres für die Interessen des Staates und der Gesellschaft, Bedeutsameres schwebte ihm vor. Er, als ein Freigeborener, hatte von dem Gesetz, das so bedrohlich über den Häuptern der Sklaven schwebte, nichts zu befürchten. Um so mehr lag ihm die Sühnung dieser unglaublichen Missethat und die Bestrafung derer am Herzen, die sich vielleicht mit Geticus heimlich verschworen hatten, jedenfalls aber der gröbsten Versäumnis gegen die Hauptpflicht der Unfreien schuldig waren. Diese Hauptpflicht bestand darin, das ruchlose Vorhaben ihres Mitsklaven rechtzeitig zu entdecken und die That zu vereiteln. Von der Anschauung, diese Vereitlung sei bei redlichem Wollen jederzeit möglich, ging ja die Gesetzgebung aus, wenn sie die Gesamtheit der Sklaven für das Verbrechen des Einzelnen mit so barbarischer Härte verantwortlich machte. Afra zumal schien dem Klienten durchaus nicht so unbeteiligt. Wer, beim Herkules, konnte denn wissen, ob nicht ihre Verzweiflung elende Schauspielerei war? Nonus Quintilius, ein ehrlicher aber beschränkter Mensch, hatte gegen das Mädchen ein Vorurteil. Afra, im Uebermut ihrer Jugend, war unvorsichtig genug gewesen, den wackeren Vermögensverwalter manchmal zu hänseln, besonders seitdem sie wahrgenommen, daß er ihr ab und zu einen zärtliche Blick zuwarf. Der Klient verschmerzte das nicht. Auch für den Leibarzt hegte er keinerlei Sympathie. Als eingefleischter Latiner, der seine Ahnen bis in die Zeit des ersten punischen Krieges zurückführte, konnte sich Nonus Quintilius nicht mit dem Umstand befreunden, daß hier ein Grieche – dazu noch ein Mann aus Kleinasien – so plötzlich ins Haus geschneit kam und sich alsbald in der Gunst des Menenius den vornehmsten Rang sicherte. Auch hielt der Klient sich insgeheim überzeugt, der Leibarzt sei ein durchtriebener Ränkeschmied, der mit den Isispriestern und Mathematikern am nämlichen Seil ziehe. Die Vorgänge heute morgen im Atrium, das unverhoffte Erscheinen des Isispriesters, sein kurzes Zwiegespräch mit Menenius, die eigentümliche Art, wie sich Selencius mit Cajus benahm – alles das war dem Klienten Beweis für die Richtigkeit seiner Vermutung. Einem Asiaten jedoch, der gegen den eigenen Herrn intrigierte, war das Verwerflichste zuzutrauen, selbst eine Blutthat. Geticus spielte vielleicht nur die Rolle des Werkzeugs. Diese Verschwörung mit all ihren Einzelheiten mußte enthüllt werden! Und dann freie Bahn für den zermalmenden Gang des Gesetzes!

So hatte sich Nonus Quintilius denn aufgemacht, um die Soldaten der Stadtwache zu holen. Das Haus sollte umzingelt, sämtliche Sklaven in Haft genommen, der Folter unterworfen und schließlich dem schmählichen Tod überantwortet werden. So heischte es die Gerechtigkeit und die staatserhaltende Klugheit; Nonus Quintilius wollte sich nicht bis ans Lebensende den Vorwurf machen, etwas versäumt zu haben, was für die Sicherheit der Gesellschaft und ihrer Ordnung notwendig schien.

Zweihundert Schritte nur von dem Hause des Lucius Menenius befand sich ein Standplatz der Sänftenträger, die hier für wenige Silberstücke zu mieten waren. Nonus Quintilius wählte sich rasch ein leichtgezimmertes Langbett, das vier stämmige Aethiopier auf die lederbekleideten Schultern nahmen.

„Lauft! Rennt! Fliegt!“ rief er den Leuten zu. „Ich zahle Euch dreifach!“ Die krauslockigen Schwarzen sprengten dahin wie jagende Hirschhunde. Nach sechs Minuten waren sie schon am Ziel. Nonus Quintilius setzte den Polizeikommandanten des Viertels mit hastig hervorgestoßenen Worten von dem Verbrechen in Kenntnis. Die nötigen Maßnahmen wurden alsbald angeordnet. Quintilius hatte nachdrücklich betont, daß hier Gefahr im Verzug sei.

Hierauf ließ der Klient sich mit der gleichen Geschwindigkeit nach dem Vicus Adoricus tragen, wo Cajus Menenius ahnungslos bei dem Quästor Camillus zu Tisch lag. Mitten aus dem vergnüglichen Uebermute des Mahles heraus rief er den Sohn an das Schmerzenslager, vielleicht an das Sterbebett seines Vaters.

Es war ein erschütternder Augenblick, als Cajus, im faltigen Umwurf, das Haupt noch mit Rosen bekränzt, von persischer Koston-Salbe und griechischem Wein duftend, zu Nonus Quintilius ins Ostium trat und hier die furchtbare Botschaft vernahm. Kein Wort brachte er über die Lippen; Totenblässe umflorte sein marmorstarres Gesicht. Die Hand griff mit der Unsicherheit eines Gelähmten nach dem Blumengewinde und zog es langsam aus dem Gelock herab. Das war nun zu Ende für ewig! Ach, und nie, nie würde der Sohn sich verzeihen, daß er geschwelgt und gejubelt hatte, während sein Vater unter dem Dolche des Mörders dahinsank! Dies alles lag in der einen trost- und hoffnungslosen Gebärde.

[739] „Fasse Dich, Cajus!“ stammelte Nonus Quintilius. „Noch ist ja vielleicht Rettung möglich! Sollten aber die Götter es anders beschließen, so stärke Dich im Gedanken, daß Du ihm allzeit ein guter Sohn gewesen, treu und ehrlich und eines so glorreichen Vaters würdig!“


Ninus, der Leibarzt, hatte sich unterdes, ohne des Schicksals zu denken, das ihm als einem unfreien Hausgenossen des Ueberfallenen ebenso unabweislich bevorstand wie dem geringsten der Untersklaven, eifrig um Lucius Menenius bemüht, ihm einen kühlenden Trunk bereitet und ihn mit schonendster Vorsicht dann untersucht. Die Wunde war höchst gefährlich. Ninus trug ernste Bedenken, die Waffe herauszuziehen, ehe Cajus zur Stelle war; denn die Wahrscheinlichkeit einer sofortigen inneren Verblutung lag außerordentlich nahe. Eine Zeitlang schien Lucius Menenius besinnungslos. Dann schlug er, schwer seufzend, die Augen auf und drückte dem Ninus, der sich gerade über ihn beugte, kaum bemerkbar die Hand.

„Er lebt!“ jubelte Afra.

„Dank, Ihr Getreuen!“ hauchte Menenius. „Ich lebe . . . gerade noch lange genug . . . um Euch ein Wort des Abschieds zu sagen . . . Nochmals, ich danke Euch . . . Allmächtiger Jupiter – was that ich dem Geticus, daß er . . . Arme Plotina! Ach, und mein Töchterchen! Und Cajus, Cajus!“

„Gieb nicht die Hoffnung auf!“ sagte der Leibarzt mit erkünstelter Gleichmütigkeit. „Dein Sohn Cajus wird im Augenblick hier sein. Liege nur ruhig, Herr! Ganz still! Rege auch keinen Finger! Wenn uns die Götter beistehen . . .“

„Nicht doch!“ seufzte Menenius. „Ich fühl’ es . . . der Tod. Keine Stunde mehr, Ninus . . . O, dieser Knabe! Der Gottlose! Euch alle ... stürzt er ins Elend. Wenn ich nur ahnte, weshalb!“

„Herr,“ wimmerte Afra, „wenn Du es hören willst: ich, ich trage die Schuld daran.“

„Du?“

„Ja, Herr, und so sterb’ ich mit Freuden.“

Kurz und in fliegender Hast erzählte sie nun, was Geticus ihr gedroht und in welcher unglaublichen Absicht er die Unthat vollführt hatte. Lucius Menenius schloß wieder die Augen. „Der Unglückselige!“ raunte er durch die Zähne. „Seine Vernunft war umnachtet ...“

Es entstand eine lange Pause. Dann beugte sich Afra dicht an das Ohr des Verwundeten und flüsterte bebend:

„Herr, gedenke des Ninus! Ich bitte ja nicht für mich, Herr! Ich war die heimliche Ursache dieser That und will gerne als Opfer bluten. Ach, wenn nur er dem furchtbaren Schicksal entgeht! Gnade, Herr, für den Mann, der Plotina gerettet hat und auch Dich retten wird, wenn ihm die Götter die Kraft verleihen! O, das grauenhafte Gesetz! Vielleicht, vielleicht wird ihn der Kaiser begnadigen, wenn Du ein Wort hier in die Tafel schreibst!“ Sie hatte dem Ninus mit zitterndem Griff die Tabellä aus dem Gewandbausch genommen und hielt sie nun flehentlich dem Verwundeten hin. Ninus aber zog die Geliebte zurück. „Nicht jetzt,“ sagte er halblaut. „Hier handelt es sich zunächst um das Wohl des Menenius, nicht um das meine!“

„Es wäre auch fruchtlos,“ stöhnte Menenius. „Kein Cäsar begnadigt, wo ein Sklave die Hand wider den Herrn erhob. Weh’ mir, daß ich so in Verzweiflung dahinfahre . . . und verflucht bin ... sterbend ... ich ... ich ...“

Da erscholl vom Atrium her Waffengerassel. Die Stadtsoldaten!

Afra warf sich mit einem ächzenden Aufschrei in die Arme des Ninus und legte den Kopf schauernd an seine Brust.

„Armes Kind!“ flüsterte Ninus und strich ihr liebevoll über das quellende Blondhaar. „Wie Du erzitterst! Freilich, Du bist noch so jung! Aber was grämst Du Dich? Deine Seele ist rein, Dein Gemüt ohne Makel, Du hast vom Totenrichter nichts zu befürchten. Stirb mutvoll, teure Afra! Daß wir auf Erden Hand in Hand giugen, hat nicht sein sollen. Weine Du nicht! Jenseit des Todes giebt es ein Land der Freiheit, wo wir uns wiedersehen!“

Er küßte sie heiß auf die zuckenden Lippen.

In diesem Augenblick fuhr Lucius Menenius, der Wunde uneingedenk, heftig auf. Erschreckt schob ihm der Leibarzt den Arm unter den Rücken, um ihn sanft wieder zurück zu betten.

„Nein!“ rief Menenius mit einer Stimme, die kräftiger klang als bisher. „Ich rette Euch ... Euch und die andern. Horch ... sie kommen, Euch abzuführen ... Reich’ mir die Hand, Ninus! Afra, bete zu den Unsterblichen, daß sie mir noch so viel Atem gönnen, bis ich gesprochen habe.“

Das Mädchen sank in die Knie. Schluchzend stammelte sie zusammenhangslose Worte, den wirren Ausdruck ihrer unsäglichen Angst.

Gelles Jammergeheul tobte jetzt grauenerregend durch alle Räume des Hauses. Die Sklaven und die Sklavinnen, wo man sie fand, wurden von den Soldaten der Stadtkohorte gefesselt und in der Mitte des Atriums wie eine Tierherde zusammengetrieben.

„Ruft mir den Anführer!“ sagte Menenius. Sein bleiches Gesicht hatte sich machtvoll belebt. Es war wie das letzte Aufflackern eines Holzstoßes, eh’ er in Asche sinkt.

Afra sprang auf. An der Schwelle jedoch prallte sie wider den blutlosen Cajus, der mit verglastem Blicke hereintrat und einer Bildsäule gleich am Fußende des Lagers stehen blieb. Hinter dem Jüngling erschien ein Centurio mit zwei Bewaffneten. Ehrfürchtig kam der Stadtoffizier näher.

„Hochedler Menenius,“ sprach er mit sorglich gedämpfter Stimme und neigte sein Haupt, „ich komme im Namen des Kaisers und des Gesetzes! Bist Du imstande, auf einige Fragen Auskunft zu geben?“

„Ja,“ versetzte Menenius, „und zwar eine Auskunft, die jede Erörterung unnötig macht. Du hast Dich umsonst bemüht, wackerer Centurio! Wer hat Euch hergerufen?“

„Dein Klient Nonus Quintilius.“

„Ich danke ihm für den rühmlichen Eifer, aber der Mann irrt. Ein Verbrechen, wie es Quintilius vermutet, liegt keineswegs vor, sondern ein Unglück, ein Zufall, ein Mißverständnis. Cajus, mein Sohn, tritt heran! Höre mich – und sorge dafür, daß hier kein Unrecht geschieht! Der Irrwahn des Nonus Quintilius würde mein Andenken schmählich entweiht und mir die Ruhe im Grabe geraubt haben! Centurio der Stadtwache! Wie Du siehst, hab’ ich nicht lange mehr bis zu dem Augenblick, der mich von dannen ruft. Um so weniger wirst Du bezweifeln, daß ich die Wahrheit rede. Hör’ und bewahre das Wort eines Sterbenden! Ich schwöre hier bei dem allwissenden Jupiter, dem ich zeitlebens in Treue gedient habe, der Dolchstoß des verblendeten Geticus galt nicht mir, sondern dem Leibarzt!“

Lautlose Stille folgte auf diese Eröffnung. Afra, die Hände gefaltet, regte unmerklich die Lippen. Unter den thränenumflorten Wimpern hervor richtete Ninus einen nur für Menenius erkennbaren Blick unendlicher hingebungsvollster Dankbarkeit auf das Angesicht seines Retters.

„Ja,“ fuhr Lucius Menenius fort und raffte noch einmal die sinkende Kraft zusammen, „wahrlich, so ist’s! Ninus und Afra lieben sich . . . Geticus war tollwütig aus verzehrender Eifersucht ... er wollte dem Ninus ein Leids thun.... Hörst Du, Centurio? Dem Leibarzt Ninus! Das Gesetz also greift hier nicht Platz! Nimm nur den Schuldlosen schleunigst die Fesseln ab! Unter den Leuten des Lucius Menenius findet sich kein Verräter! Cajus, mein Sohn . . . in Deine Obhut befehle ich Deine Mutter und Deine Schwester . . . und all die Genossen des Hauses! Schirme und schütze sie! Euch aber, Dir, Ninus, und Dir, meine Afra schenk’ ich die Freiheit . . . und mein albanisches Landgut. Cajus, Du wirst diesen letzten Willen des sterbenben Vaters . . . ehrlich vollstrecken! Das gelobe mir in die Hand!“

„Ich gelob’ es Dir!“ schluchzte Cajus verzweiflungsvoll.

„Weine nicht, Cajus! Sieh’, wer weiß, wozu das alles Dir gut ist. ... Wenn Dich der vorzeitige Tod Deines Vaters zum Manne schmiedet, dann . . . hat das Wort vielleicht doch einen Sinn . . . das Wort . . . von dem ,Besten‘. . . . Sei ein getreuer Sohn . . . ein milder gerechter Herr gegen die Deinen . . . und ein tüchtiger Staatsbürger . . .“

„Vater, Vater, mein letzter Blutstropfen soll in Zukunft der Pflicht gehören . . .“

Das Antlitz des Jünglings flammte bei allem Schmerz heilig und wie in wundersamer Verklärung auf. Es hatte sich auf dem Grund dieser tief erschütterten Seele eine Wandlung vollzogen für immer; sie war erstarkt in dem männlich festen Entschluß, dem Vorbild nachzueifern, das so herrlich und rein vor ihr her geleuchtet und das jetzt erlöschen sollte für immer.

„Geh’, Centurio, und laß die Gefangenen los!“ flüsterte Lucius Menenius. „Schnell, damit sie noch aufatmen, ehe ich dahinscheide ...“

[740] Der Centurio wollte noch an den Sterbenden eine Frage richten. Lucius Menenius aber winkte ihm ab. Er war zu hinfällig, um weitere Auskunft zu geben. Die Hauptsache stand ja nun über jeden Zweifel erhaben: auf das Einzelne kam es nicht an. Der Polizeioffzier entfernte sich schweigend. Als dann fünfzehn Minuten später Lucius Menenius mit einem klagenden Seufzer hinsank und seinen Atem verhauchte, trug keiner von seinen Sklaven mehr Fesseln, sondern mit freien Händen und mit freien Gemütern vereinigten sich alle im frommen Gebet für den Abgeschiedenen.

Cajus aber vollzog den letzten Willen des teuern Vaters mit ängstlicher Gewissenhaftigkeit und erfüllte auch sonst die Hoffnungen, die Lucius Menenius auf eine gedeihliche Zukunft gesetzt hatte. Er kehrte seinem bisherigen Treiben den Rücken, vermählte sich noch im folgenden Jahr mit der jüngeren Paulina und ward ein mustergültiger Hausvater, Beamter und Patriot. Im Senate griff Cajus die Traditionen des verewigten Lucius auf und machte sich so zum Haupturheber jener Gesetze, die dem Uebermut der „Chaldäer und Mathematiker“ Einhalt geboten.

Ninus und Afra verblieben nach wie vor im Verband der Menenischen Häuslichkeit – ein glückliches und Glück verbreitendes Paar. Ninus aber konnte es nicht übers Herz gewinnen, dem edleu Cajus, der ihn, wie einst der Vater, mit Güte und Wohlwollen überhäufte, den wahren Sachverhalt zu verschweigen. Cajus, aufs tiefste erschüttert, staunte, wie klar und wie sicher dem unvergleichlichen Manne in jenem entsetzlichen Augenblick das Herz eine Lösung zeigte, die dem Verstand und dem klügelnden Scharfsinn vielleicht entschlüpft wäre. Die Wahrheit, die Lucius Menenius unter Anrufung der unsterblichen Götter beteuert hatte, war nicht die kleine alltägliche Wahrheit gewesen, die mit den Steinen des Abacus rechnet, sondern die Wahrheit im höheren ewigen Sinne, die vielleicht mit den Ergebnissen eines gewöhnlichen Zahlenexempels in Widerspruch steht, aber eins ist mit dem allwaltenden Willen der Vorsehung.



  1. Der mit Säulen umgebene innere Hof des römischen Hauses.
  2. Tischchen mit einem Fuße, Konsolentischchen.