Spatzenweihnachten in Norwegen

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Titel: Spatzenweihnachten in Norwegen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 845, 851
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[845]

Juleneg – Spatzenweihnachten in Norwegen.
Nach einer Skizze auf Holz gezeichnet von Emil Schmidt.

[851] Spatzenweihnachten in Norwegen. (Dazu die Illustration auf S. 845.)

„Ich bin wohl ein gemeiner Wicht;
Das Singen gar versteh ich nicht;
In schönen Kleidern geh’ ich nicht –
Es sieht mich auch kein Mensch nicht an;
Nur böse Buben dann und wann –
Die werfen mich mit Steinen.“
  Julius Rodenberg.

Sprechen sie nicht laut genug zu uns, diese armen gefiederten Proletarier, welche doch nicht nur die frohe Sommerszeit, nein, auch den schlimmen Winter getreulich mit uns theilen? Sollten wir sie wohl umsonst bitten lassen? Vielleicht, daß Jemand noch mit ihnen abzurechnen hätte, mit jenem da wegen des kecken Kirschenraubes, und mit diesem hier wegen des dreisten Stibitzens der vollsaftigen Weinbeeren. All diese gestrengen Richter mögen Gnade für Recht ergehen lassen und dem armen Schelm verzeihen, auf den jetzt Hunger und Kälte eindringen. Seht doch nur: da sitzt der Aermste, geduckt im Kreise der Seinen, die Federn ringsum aufgeblasen, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, sodaß nur Schnabel und Auge aus dem Pelze hervorlauern. Jener hockt einsam im geschützten Winkel, sucht einen Fenstersims, einen Schornstein, um den Strahl der Wintersonne oder den Hauch des Herdfeuers aufzufangen; hier klopft gar einer mit kläglicher Miene an unser Fenster und fleht um ein Almosen. Ach, die Aermsten!

Wir wissen ein Land, wo die Spatzen es besser haben, als bei uns, wo ihnen im Winter auch einmal der gedeckte Tisch lacht, daß das sonst so lustige, in der Kälte aber so bekümmerte Vogelherzchen aufgeht vor eitel Lust und Freude.

Wohl sind wir in deutschen Landen mit Recht stolz auf unsere Weihnachtsfeier, die keine Nation in gleich innig sinniger Weise zu einem Feste der frohen Freude und Dankbarkeit zu gestalten weiß. Aber heute wollen wir von einem germanischen Brudervolk erzählen, das jenseits der Baltischen See wohnt, wo die Küste hoch aufsteigt, wo der Waldfinne seine Renthiere auf den Schnee-Alpen treibt und den hungrigen Wolf, den grimmigen Bären jagt, daß donnernd der Knall seiner Büchse aus düsteren Meeresbuchten widerhallt; im fernen Norwegen giebt es eine gute alte Sitte: Am Weihnachtsabend, wo Jeder besser lebt, als gewöhnlich, gedenkt man dort liebreich der armen Spatzen, die nicht gleich den Zugvögeln von dannen ziehen können. An jenem Abende nimmt in Norwegen jeder, auch der ärmste Mann, aus dem Erntevorrath ein volles Garbenbündel und befestigt dasselbe, wie unsere Abbildung zeigt, hoch auf einer Stange am Wohnhause. Es ist, als ob zu einer Zeit, wo die Schneedecke den armen Spatzen nur kümmerlichen und spärlichen Vorrath bietet, jeder dazu beitragen wollte, die schönen Trostesworte zu verwirklichen: „Sehet die Vögel unter dem Himmel an! Sie säen nicht; sie ernten nicht; sie sammeln nicht in die Scheunen, und euer himmlischer Vater nähret sie doch.“

Diese Vogelfreude selbst heißt auf nordisch „Juleneg“, das heißt Weihnachtsbüschel. In weiter Entfernung schon wird man aufmerksam auf den Jubel, auf den Lobgesang des frohen Vogelhaufens in einem solchen Weihnachtsbüschel. So läßt Henrick Wergeland die Vogelschaar sich folgendermaßen über den Weihnachtsbüschel aussprechen:

„Ein Käthner, der arm im Walde wohnt,
Gab uns den Büschel, der am Pfahle thront.

Er hatte nur drei, gab einen uns hin:
Das Jesuskind regt ihm den stillen Sinn.

Der Schnee stürzt über das niedrige Dach –
Wir hausen im Büschel, bewahrt und gemach.

Kein Körnchen geht unserem Schnabel verloren,
Auch uns ist hier der Erlöser geboren.

Gott segne den Geber, sein Herz und sein Handeln,
Möcht’ ihm dieser Büschel in Gold sich verwandeln!“

Man möchte glauben, daß die auf- und abkletternden, hin- und herhüpfenden, kopfunter und kopfüber purzelnden Thierchen bei ihrer Seelenfreude ganz vergäßen, auch ihren Leib zu laben: jedenfalls ist es sicher, daß sie nicht darnach fragen, ob wir uns in mythologische Forschungen vertiefen, woher diese hübsche, uralte Sitte ihren Ursprung habe. Wahrscheinlich ist es hiermit, wie bei manchem der norwegischen Volkslieder, in denen es heißt:

„Das Lied, das hat sich selber gemacht;
Hoch vom Gebirge haben’s die Stürme gebracht.“

Im ganzen Norwegen und auch in Schweden bringt man, wenn Waldungen in der Nähe sind, die zusammengebundenen Garben von Hafer und Gerste, der Sonne zugewandt, auf 1,9 bis 2,5 Meter hohen Stangen an, um in Fall von Regenwetter geringerer Gefahr ausgesetzt zu sein. Von diesen Garbenbündeln giebt dann auch der, dem nicht viel gegeben ist, ab, sodaß es mit Hebel von der hungrigen Vogelwelt heißen darf:

„Sie seihe nit un ernte nit;
Sie hen kei Pflueg un hen kei Joch,
Un Gott im Himmli nährt sie doch.“