Sprachliche Mißverständnisse
[448] Sprachliche Mißverständnisse. Eine äußerst merkwürdige Erscheinung in der Sprache ist die, daß sich so oft Wörter fortpflanzen, verbreiten und Boden gewinnen, welche, an und für sich der „reine Unsinn“, daraus hervorgegangen sind, daß irgend ein Ignorant das ursprüngliche Mutterwort nicht verstand und nun lustig verdrehte. Aus den vielen Beispielen wählen wir nur zwei. Es giebt im Plattdeutschen ein ziemlich bekanntes Sprüchwort, welches heißt: „De Kiärl höllt viel d’t Mul oapen,“ und vorzugsweise von solchen Leuten, die es lieben, mit offenem Munde müßig zu gaffen, wenn Andere arbeiten, gebraucht wird. Gott weiß, welcher Berliner oder Tiroler dies Sprüchwort hörte und nicht verstand, genug, es hörte es Einer und übersetzte dasselbe: „De Kiärl = der Kerl, höllt = hält, viel = feil, Mul = Maul, oapen = Affen,“ also: „Der Kerl hält Maulaffen feil!“ Seit der Zeit ist unsere Zoologie mit einer Species bereichert, von der sogar Brehm in seinem „Thierleben“ nichts weiß. Ein anderes Beispiel, auch aus dem Plattdeutschen, ist folgendes. Ein allgemein bekannter, in Deutschland häufiger Vogel heißt in diesem Dialekt: „Hiägenmöhner“, Heckentödter, weil er gefangene Insecten, bevor er sie verspeist, an den Dornen der Hecken aufzuspießen, zu tödten pflegt. Der Vater des hochdeutschen Namens unseres Vogels hörte dieses Wort und übersetzte es, „Hiägen“ mit dem in dem breiten, mundfaulen Dialekt gleichklingenden „Niägen“ (Neun) verwechselnd: Neuntödter. Der Vogel muß sich von jetzt an Neuntödter nennen und die Sage gefallen lassen, er spieße mit tödtlicher Sicherheit jedesmal neun Insecten auf. Ebenso mißverstanden, wie der Name des Dorndrehers, ist gewöhnlich auch der des Eisvogels (Alcedo). Eis heißt Gleiß, und das Thier mithin Glanzvogel.