Stephen Crover Cleveland

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Textdaten
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Autor: Max Horwitz
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Titel: Stephen Crover Cleveland
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aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 803–804
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Stephen Grover Cleveland.

Von Max Horwitz.

Seit der ersten Erwählung Abraham Lincoln’s war der Kampf um die Präsidentschaft in den Vereinigten Staaten von Nordamerika nicht so heftig wie in diesem Jahre, so lauten übereinstimmend alle Nachrichten aus der Union. Seit Monaten haben die Vorgänge bei diesem Ringen um die Macht auch Europa in Spannung erhalten. In Deutschland insbesondere nahm man mehr als vorübergehenden Antheil an der Entwickelung der Dinge, und es ergab sich die ihrer Seltenheit wegen auffallende Thatsache, daß in der Beurtheilung der amerikanischen Wahlvorgänge alle Parteien, wie weit sie auch in Bezug auf uns viel näher liegende Dinge aus einander gehen, in diesem Falle sich in merkwürdiger Uebereinstimmung befanden. Von den Zeitungen, die mit Eifer und einer besseren Sache werther Begeisterung für die Rückkehr zu veralteten Zuständen eintreten, bis zu den Kämpen der Socialdemokratie fand nur der eine Wunsch Ausdruck, daß Grover Cleveland gewählt werden möge, der Mann, den wir im Bilde heute den Lesern vorstellen, und der am 4. November dieses Jahres in der That als der Erwählte der amerikanischen Nation aus der Urne hervorgegangen.

Auf vier Jahre hinaus ist Grover Cleveland berufen, die Regierung des großen amerikanischen Freistaats zu leiten. Der Wunsch, etwas Näheres über ihn zu erfahren, ist demnach ein berechtigter. Aber nur in geringem Maße kann diesem Wunsche Rechnung getragen werden. Ist Cleveland ein großer Staatsmann, haben seine hervorragenden diplomatischen Eigenschaften die Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt? Durchaus nicht, denn er hat bisher keine Gelegenheit gehabt, solche Eigenschaften zu bethätigen. Ist er ein in der Parteigeschichte seines Landes erprobter Politiker, ein Führer, der schon zum Siege geführt hat? Auch das nicht, denn er hat sich von jedem Eingreifen in das politische Getriebe fern gehalten. So ist er vielleicht ein Großindustrieller, der durch tiefen Blick und furchtlosen Unternehmungsgeist sich einen Namen gemacht? Auch das wäre falsch, denn bis vor wenigen Jahren war er nur Advocat in der Stadt Buffalo, jener Stadt, die, an der Schwelle der Niagarafälle gelegen, von allen europäischen Touristen Amerikas besucht wird. Auch als Redner hat er keine Erfolge aufzuweisen. Er ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Schweiger, der während der langen Monate des Kampfes auch bei den glänzendsten Ovationen kaum ein paar Worte des Dankes gesprochen. Fragt man nun aber, was in aller Welt Grover Cleveland denn eigentlich sei, wenn alles Das verneint wird, was in erster Reihe bei der höchsten Auszeichnung, die ein Land zu vergeben hat, in Frage zu kommen pflegt, so kann die Antwort in drei Worten gegeben werden: Er ist „an honest man“ – ein ehrlicher Mann.

Seit dem Ausbruche des Bürgerkrieges in der Union, seit 1860, als der unvergeßliche Abraham Lincoln gewählt wurde, hat sich – ein in der Geschichte der Vereinigten Staaten noch nie dagewesener Fall – die republikanische Partei ununterbrochen in der Regierung behauptet. Es war ihr eine heilige und weitausschauende Aufgabe zugefallen. Der Befreinng der Neger aus schmählicher Knechtschaft mußte die Sicherstellung gegen ihre früheren Besitzer, ihre Erziehung folgen. Den Männern, welche ihre Ketten zerbrachen, fiel ganz naturgemäß die Aufgabe zu, sie in den Stand zu setzen, sich ihrer Freiheit auch zu erfreuen. Und nicht allein das! Im besiegten Süden gährte es noch lange. Mit starker Hand mußte jeder Versuch einer neuen Erhebung niedergehalten werden. Es galt, durch eine vernünftige Finanzwirthschaft den verpfändeten Credit des Landes einzulösen, die gewaltige Schuldenlast zu tilgen. Es kam darauf an, die ruhige, friedliche, glückverheißende Weiterentwickelung des Landes wieder anzubahnen, welche durch die Secession der Südstaaten eine so lange und gewaltsame Unterbrechung erlitten. Wem anders konnte diese Aufgabe zufallen, als der Partei, welche den Zerfall der Union verhindert hatte?

Mit gewaltigen Majoritäten entsandte denn auch die amerikanische Nation nach der zweimaligen Erwählung Lincoln’s zweimal den Generalissimus der Armee, General Grant, in das Weiße Haus zu Washington. Schon damals machten sich starke Anzeichen bemerklich, daß der lange Besitz der Macht – es waren nun sechszehn Jahre vergangen – die Inhaber der Regierungsgewalt übermüthig gemacht. Grant selbst ging leider nicht ohne Makel aus dem Amte. Während seiner Verwaltung griff das Piratenthum unter den Beamten in erschreckender Weise um sich. Er selbst, so beschuldigen ihn seine Gegner, hat es nicht verschmäht, sich auf Kosten der Nation Vortheile zu verschaffen. Das war’s auch vornehmlich, was ihn beim dritten Versuch, das Amt zu behaupten, unterliegen ließ, denn damals schon beschlossen die um das Heil ihrer Partei besorgten Republikaner, reine, makellose Männer als Candidaten aufzustellen, indem sie darin die einzige Möglichkeit fanden, den etwas locker gewordenen Halt im Volke zu befestigen. Zweimal hinter einander gelang das auch. Rutherford B. Hayes [804] und der von Guiteau’s Kugel niedergestreckte James A. Garfield waren Männer, die, wenn sie auch die Corruption innerhalb der Partei nicht ganz zu beseitigen vermochten, so doch mit aller Kraft für die Unterdrückung des Uebels eintraten. Auch der durch Garfield’s frühen Tod in seine Stelle aufrückende nachmalige Präsident Arthur erwies sich als ein unentwegter Feind der Corruption.

Es war nothwendig, so weit auszuholen, um die jetzige gewaltige Erhebung des Volkes verständlich zu machen. Seit jenem Zurückschlagen Grant’s bei seiner dritten Bewerbung um die Präsidentschaft erschien jedesmal in der Nationalconvention der Republikaner eine Anzahl republikanischer Männer, die sich freiwillig als eine Art politische Polizei constituirt hatten. Unter der ausgesprochenen Führung unseres Landsmannes Karl Schurz wachten sie darüber, daß zu dem höchsten Amte nur ein Mann in Vorschlag gebracht werde, dessen Ruf makellos und unantastbar ist. Bei Hayes und Garfield gelang es ihnen; in diesem Jahre aber unterlagen sie mit ihren Reformvorschlägen, und der übermüthig gewordene Theil der Republikaner proclamirte als seinen Candidaten für die Wahl James A. Blaine.

Der republikanische Candidat ist ein Mitglied des Senats; er war unter Garfield zuerst Minister des Auswärtigen. Er ist ein Mann von hinreißender Rednergabe, der seine Hörer berauscht, er übt eine bezaubernde Gewalt auf die Massen aus. Seine Begabung ist eine phänomenale; er hat sich als Schriftsteller bewährt; ehrgeizig und hochstrebender Pläne voll, hat er stets dahin gearbeitet, den Einfluß der Union auf die südliche Hälfte des amerikanischen Continents auszudehnen.

Ein felsenfester Republikaner, ließ er sich nicht um Haaresbreite vom Programm seiner Partei abdrängen. Und doch erhob sich bei den unabhängigen Republikanern und in den Reihen der Deutschen in der Union ein sofortiger tausendstimmiger Protest, denn es war in einigen früheren politischen Processen erwiesen worden, daß James A. Blaine alle diese glänzenden Eigenschaften in den Dienst des Eigennutzes gestellt zu haben schien, daß er zum Mindesten von dem Verdachte, aus amtlichen Handlungen persönlichen Vortheil gezogen zu haben, nicht frei sei.

Unmittelbar unter dem Eindruck dieser Candidatur schwenkten Tausende von Republikanern ab. Aber sie erklärten, zunächst keinen eigenen Candidaten aufstellen zu wollen, sie gaben deutlich zu verstehen, daß sie abwarten wollten, wen denn die Demokraten auf den Schild erheben würden, denn mittlerweile war in den Reihen derselben bereits der Name Grover Cleveland’s aufgetaucht.

Stephen Grover Cleveland.

Und damit sind wir bei dem Gegenstand dieser Skizze angelangt. Grover Cleveland’s Lebensgeschichte ist in wenigen Zeilen erschöpft. Er steht jetzt in seinem fünfzigsten Lebensjahre, wurde von Hause aus – einer nicht unbemittelten Familie entstammend – zum Advocaten bestimmt, schlug diese Laufbahn ein, ließ sich in Buffalo als Advocat nieder und prakticirte dort, ohne viel von sich reden zu machen. Vor sechs Jahren zuerst übertrugen ihm seine politischen Freunde das Amt des Sheriffs der Stadt Buffalo. Der Sheriff ist der Director des Gerichts-Vollziehungsamtes. Der Posten gilt in der Sprache der amerikanischen Politiker als ein „fetter“. Wer da versteht, die Rechte nicht wissen zu lassen, was die Linke thut, kann aus diesem Amte, wenn er es wenige Jahre versehen, als wohlhabender Mann herausgehen. Cleveland’s Amtsführung aber war eine musterhafte. In der Stadt erkannte man bald, daß man in ihm einen ehrenhaften Beamten besitze, und als nach Ablauf seiner Dienstzeit es sich darum handelte, einen Bürgermeister zu wählen, der Ordnung in die verfahrenen Angelegenheiten der Stadt bringen sollte, fiel die Wahl auf ihn, und er wurde mit einer überwältigenden Mehrheit gewählt. Was der Sheriff versprochen, das hielt der Mayor. Unter seiner Verwaltung verbesserten sich die Finanzen der Stadt. Unnachsichtig verfolgte er jedes Unrecht, auch wenn es von Parteifreunden begangen worden. Die Straßen wurden verbessert, das Schulwesen gehoben, vielfach vorhandene Mängel abgestellt, dabei verminderten sich die Kosten der Verwaltung, kurzum Buffalo zog die Augen des ganzen Staats New-York als eine musterhaft verwaltete Stadt auf sich. Und nach wiederum zwei Jahren, im Jahre 1882, boten ihm die Delegirten der demokratischen Partei das Amt des Gouverneurs des Staats New-York an, zu dem er mit etwa 150,000 Stimmen Mehrheit gewählt wurde.

Wie in der Stadt Buffalo, so unterzog er sich dann auch in dem Staate New-York der Riesenaufgabe, den Augiasstall der Corruption zu säubern. Wo immer er seinen Fuß hinsetzte, fuhr er zwischen den alten Schlendrian wie ein reinigendes Gewitter. Rücksichtslos gegen seine Genossen, wenn sie ihm unwürdig erschienen; selbstlos und von peinlichster Gewissenhaftigkeit, nahm er keinen Anstand, sich auf Seite der politischen Gegner zu stellen, wenn die Sache es erforderte. Ob er sich selbst dadurch die Gunst mächtiger Freunde verscherzte, galt ihm gleich. Und er erlebte es denn auch, daß bei seiner Candidatur für die Präsidentschaft sich zuerst eine heftige Opposition bei einer Fraction seiner ehemaligen Parteigenossen, bei der sogenannten Tammany-Hall-Demokratie des Staats New-York kund gab, auf deren unsaubere Absichten als Gouverneur von New-York einzugehen er sich geweigert hatte.

So erhielt er die Ernennung zum Candidaten der demokratischen. Partei auf einen sehr einfachen Titel hin: Ein ehrlicher Mann! Nicht mehr, nicht weniger! „Er hat keine Erfahrung in großen politischen Dingen,“ so riefen die Gegner. „Thut nichts,“ antworteten die Freunde, „er wird den rechten Weg schon finden, wie er ihn bis jetzt gefunden, denn er ist ein ehrlicher Mann.“ In der That ist seine Carrière eine selbst für amerikanische Verhältnisse verblüffend schnelle. Vor sechs Jahren noch ein ziemlich unbekannter Advocat, in der Zwischenzeit Sheriff, Mayor, Gouverneur und jetzt Präsident! Im Sturmschritt hat er die Leiter zum Höchsten Amte in den Vereinigten Staaten erklommen, und was die Gegner ihm auch vorwarfen, wie sehr man ihn auch bemängelte und seine Befähigung bezweifelte, das Volk jauchzte ihm zu, wo er sich blicken ließ, und jubelte dem Banner zu, das ihm voraus flatterte: Sparsamkeit, Ehrlichkeit, Unbestechlichkeit!

Dann, wie die Zeit bis zur Wahl vorschritt, mehrten sich die Anklagen gegen den republikanischen Candidaten Blaine in erschreckender Weise. Immer zahlreicher wurden die Beschuldigungen der Mißbräuche seiner amtlichen Thätigkeit, und in demselben Maße, wie er befleckt erschien, wurde der Schild Cleveland’s reiner und glänzender. Ein seltsamer Enthusiasmus kam über das Volk. Das Zauberwort: „Wir haben einen ehrlichen Mann“ lockte die Hunderttausende hervor, die, trauernd über den Verfall der guten Sitten, sich für Jahre abseits von der Politik gehalten. Sie alle kamen wieder hervor und stellten sich in den Dienst Cleveland’s und der von ihm ausgegebenen Parole. In hellen Haufen gingen die unabhängigen Republikaner und die Deutschen zu ihm über. Die hervorragendsten Geistlichen sprachen öffentlich zu seinen Gunsten, selbst die Thatsache, daß in irgend einem Standesregister ein Knabe eingetragen war, dessen Mutter er zu seinem Weibe hätte machen sollen, vermochte ihn nicht zu schädigen. In der Wahlcampagne hat dieses Kind eine große Rolle gespielt. Es wurde Monate lang durch die Spalten der Zeitungen geschleift, die Mutter war, nachdem sie längst sich mit Hülfe Cleveland’s ein bescheidenes Heim gegründet, der Schande preisgegeben; eine Jugendverirrung wurde benutzt, um den widerlichsten Schlamm persönlicher Besudelung aufzurühren. Aber all das hatte keinen Erfolg. Man hatte geglaubt, daß der tausendköpfige Riese Corruption nicht mehr getödtet werden könnte, aber der Erfolg hat gezeigt, daß ein Volk, wenn es nur den ernstlichen Willen hat, im Dienst der Wahrheit zu kämpfen, auch mit den anscheinend unüberwindlichsten Gegnern fertig wird.

Darum hat Grover Cleveland’s Erwählung auch eine weit tiefergehende Bedeutung, als es auf den ersten Anblick scheint. Sie ist ein Sieg nicht des einen Candidaten über den andern, nicht ein Sieg der einen Partei über die andere, sie ist ein Sieg des guten Genius des Landes über die finsteren Gewalten, die sich seiner zu bemächtigen drohten. Das ob seines Materialismus verschrieene Amerika hat bewiesen, daß es sich für eine ideale Aufgabe sehr wohl noch begeistern kann. Grover Cleveland, der Erkorene, hat die Ehre gehabt, der Bannerträger in dieser Bewegung zu sein und ihr seinen Namen zu geben. Er ist unverheirathet, eine Nichte wird die Pflichten der Repräsentation im Weißen Hause übernehmen.

Die Wünsche des deutschen Voltes aber geleiten ihn auf seinem neuen Wege. Nahmen doch unsere Brüder jenseit des Decans seit Jahren in dem Kampfe gegen die Corruption eine so hervorragende Stellung ein, daß die im Trüben fischenden, von Bestechungen lebenden Gegner die ganze Reformbestrebung höhnisch „eine deutsche Idee“ nannten, um sie bei den Yankees verhaßt zu machen. Möge nun diese deutsche Idee, die dem deutsch-amerikanischen Namen nur zur Ehre gereicht, unter der Regierung Cleveland’s den endlichen Sieg davontragen! Möge dem „ehrlichen Manne“ seine große Aufgabe, strenge Zucht auch in der Verwaltung der ganzen Union einzuführen, so gut gelingen, wie in seinem Heimathstaate und in seiner Heimathstadt!