Sylvesterlärm

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Autor: Erich Falk
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Titel: Sylvesterlärm
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aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 884–885
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Sylvesterlärm.

Skizzen von Erich Falk.0 Mit Illustrationen von Peter Schnorr.

Vor Jahren war es ... In der Musenstadt, wo wir studierten, sollten mit des Jahres letzter Stunde die alten biederen Nachtwächter ihr beschwerliches Amt der löblichen Polizei abtreten. Ob der lustigste Teil der ewig fröhlichen akademischen Jugend im stillen den Beschluß gefaßt hatte, die „Polypen“ durch besondere Ovationen zu „begrüßen“ – das kann nicht mehr aktenmäßig festgestellt werden. In sichtlicher Spannung vergingen aber die letzten Stunden des dahinscheidenden Jahres an den Biertischen der beliebtesten Studentenkneipen. In unserem Kreise saß auch ein Musensohn, ein eifriger Germanist, der, den alten Deutschen gleich, ehe das alte Jahr ging, immer noch eins trank und – als nun endlich von den Türmen der Stadt die Sylvesterglocken läuteten – in urfideler Stimmung die Straße betrat. Unter den „Prost Neujahr“-Rufern war er einer der lautesten … Einige Tage darauf hatte er sich wegen nächtlichen Lärmens vor dem Universitätsrichter zu verantworten und er verteidigte sich mit der gelehrten Behauptung, es sei ein urgermanischer Brauch, in der Sylvesternacht zu lärmen.

Das moderne Gericht ließ diese Ausflucht nicht gelten, obwohl jene Behauptung an sich nicht ganz und gar unberechtigt war. Seit jeher ließen die alten Deutschen die Jahreswende nicht sang- und klanglos sich vollziehen. Und wenn unsere Uraltvordern auch vom Sylvestertage nichts wußten, so kannten sie doch die Wintersonnenwende und trieben in den Rauchnächten allerlei lauten Mummenschanz. Als nach und nach das Jahr in die Formen unseres heutigen Kalenders sich fügen mußte, als Weihnachten und Neujahr voneinander geschieden wurden, da beging das Volk die althergebrachten Feste hier an diesem, dort an jenem der neuen Feiertage. Weihnachten fiel dabei der Löwenanteil zu, weil es auch ein kirchlicher Feiertag war, der Sylvester kam dabei schlechter weg. Hier und dort haben sich auf diese Weise verschiedene Sitten und Bräuche aus alter Zeit erhalten, die die letzte Nacht des scheidenden Jahres zu einer sehr bewegten gestalten. Wir möchten z. B. nur an das „Zuschellen“ oder „Bröken“ erinnern, das in manchen Gegenden der Schweiz gebräuchlich ist.

Stille liegt über dem Dorfe, während am dunkel gewordenen Himmel die ersten Sterne aufblinken. Da ertönen in einem der dunklen Straßenwinkel durchdringende Töne schriller Blasinstruniente. Das ist ein Weckruf, der aus allen Richtungen vermummte Gestalten herbeilockt. Sie tragen zumeist Weiberkleider, aber es handelt sich nur um einen Mummenschanz, denn in den Unterröcken stecken Mannsleute. Jeder von ihnen schleppt irgend ein Lärminstrument herbei; dieser bringt einen Triangel, jener eine Kuhschelle, der andere ein Kuchenblech und ein anderer wieder rasselnde Ketten. Die Schar wächst, zwanzig, dreißig, ja sechzig Mann kommen zusammen und nun setzt sich der Zug lärmend und polternd in Bewegung. Vor dem Hause irgend eines Bewohners, der im Laufe des Jahres irgend eine That, die von der öffentlichen Meinung gemißbilligt wurde, begangen hat, wird Halt gemacht. Die vermummten Gestalten vollführen eine schauerliche Katzenmusik; dann tritt eine Pause in dem Lärm ein, und nun ergreift ein Volksredner das Wort, der den Missethäter in der allgemeinen Meinung durchzieht, seinen Lebenslauf in Knittelversen bloßlegt. Nach dem Schluß der Strafpredigt wird von neuem gelärmt und an Thüren und Fenster geschlagen. Dann zieht der Trupp vor ein anderes Haus, in dem mißliebige Personen wohnen, um ähnliche Auftritte zu veranstalten. Schließlich verläßt die Schar das Dorf, geht auf die Felder, auf einen erhöhten Punkt und lärmt, damit die Nachbargemeinde es höre.

In anderen Gegenden finden lärmende Umzüge statt ohne das an das oberbayrische Haberfeldtreiben erinnernde „Bröken“ oder Verhöhnen mißliebiger Personen. Da sammeln sich in einem Dorfe gegen Abend Burschen und junge Männer, alle mit rasselnden oder schellenden Werkzeugen ausgerüstet, und unter einem Höllenspektakel wandert die Schar über Berg und Thal nach dem Nachbardorfe, wo sie von der dortigen Jugend mit gleichem Spektakel empfangen wird. In der Mitte der Lärmmacher befindet sich eine als Hexe vermummte Gestalt. In

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Süddeutschland gestalten sich in ähnlicher Weise die Berchteljagd oder das Berchtenlaufen, die am Vorabend des Dreikönigstags, 6. Januar, abgehalten werden. Zweifellos hängen diese Umzüge mit der altheidnischen Verehrung der Göttin Berchta zusammen. Nach und nach verblassten die alten Göttergestalten; die aufgeklärtere Neuzeit war dem wüsten Lärme, dessen Zweck sie nicht verstand, wenig hold und allmählich wurden diese Bräuche verpönt; sie verschwanden gänzlich oder nahmen ruhigere Formen an.

Nun liefen in den Nächten um die Jahreswende Burschen und Mädchen einzeln herum, klopften an Fensterläden und Thüren und heischten Geschenke. Das geschah in der Zeit von Weihnachten bis zum 6. Januar. Alte Sprüche, die dabei hergesagt wurden, haben sich bis auf den heutigen Tag erhalten. In Franken pflegen die Kinder bei ihrem Anklöpfeln zu sagen:

„Klopfe, klopfe, hämmerle!
’s Brot ligt inn Kämmerle
’s Messer ligt derneben:
solt mer eppes geben,
gut tal, gut tal,
und mein Gselln a en toil.“

Der schwäbische Spruch für diesen Brauch lautet:

„Holla, holla, Knöpflesnacht!
Guts Johr, guts Johr, daß ’s Korn grat!
Kraut un Zwiebel
Ischt an net übel.
Bhüet uns got vorm totengrübel!“ (Totengräber.)

In Thüringen hat die Sitte eine andere Form erhalten. Hier laufen in den Tagen nach dem Weihnachtsfest die Kinder in den Straßen umher und schlagen mit Ruten oder grünen Tannenzweigen an die Häuser, indem sie gleichfalls Gaben heischen. Der grüne Zweig, das Symbol des Lebens inmitten der toten winterlichen Natur, wird auch zum Peitschen von Personen benutzt, wobei der Spruch gang und gäbe ist:

„Guten Morgen!
Frisches Grün!
Langes Leben!“

Die schönste Entfaltung gewann diese Sitte gegen das Ende des 15. Jahrhunderts in Nürnberg. Man klopfte dort in der Neujahrsnacht mit einem hölzernen Hammer an die Thüren der Häuser, in welchen Freunde, Bekannte und Geliebte wohnten, und sagte dabei einen gereimten Neujahrswunsch her. Auf diese Weise entstand in Nürnberg eine besondere Art von Neujahrsgedichten, die mit den Worten „Klopf an!“ anfangen; sie wurden vielfach gedruckt und haben sich infolgedessen bis auf unsere Tage erhalten. Eins der kürzesten sei hier als Beispiel angeführt:

„Klopf an, klopf an!
Mein herz hat sich auf getan,
Und wünsch dir glück und alles gut,
Gesunden leib und frischen mut,
Vil guter jar und lank leben:
Das muß dir got auf erden geben!
Ich wünsch dir ein fräulein wolgestalt,
Das dir im herzen wol gefalt
Und dich lieb hat für ander knaben:
Die soltn dir zum neun jar haben.“

Am meisten hat sich in dieser Dichtungsart Hans Folz hervorgethan, der aus Worms stammte, sich in Nürnberg ansiedelte, wo er Barbier war und wahrscheinlich auch eigene Druckerei besaß. Er war als Meistersinger thätig und ist der zwölfte der zwölf alten Nürnbergischen Meister. In der Litteratur nimmt er einen Ehrenplatz als einer der bedeutendsten Fastnachtsspieldichter seiner Zeit ein. Seine „Klopf an“ wurden von Oscar Schade gesammelt und im II. Bande des „Weimarischen Jahrbuchs“ herausgegeben. Diese Neujahrsgedichte sind zum Teil satirisch und geißeln die Auswüchse der zeitgenössischen Sitten; mitunter sind sie sehr derb, ja unflätig, enthalten aber auch wahrhaft poetische Stellen.

Auch ein anderer Nürnberger Dichter, Hans Rosenblüt, unter dem Beinamen Schnepperer oder Schwätzer bekannt, hat ähnliche „Klopf an!“ gedichtet.

In diesen Dichtungen finden wir den Uebergang von der alten lärmenden Art, den Sylvester zu feiern, zu den ruhigeren Beglückwünschungen, die sich vielfach eingebürgert haben. Ganz und gar sind die lauten Bräuche jedoch nicht verschwunden. In den Großstädten drängt sich in der Jahreswende das Volk auf die Straßen und alle wünschen sich gegenseitig ein glückliches Neues Jahr; anderswo, wie z. B. in Süddeutschland, wird der fröhliche Lärm durch Schießen gesteigert. Dieser Sylvesterlärm ist vielleicht in der That nicht nur eine einfache Bethätigung der aufgeregten Stimmung, in der sich so viele am Jahresschluß befinden, sondern ein Nachklang der alten Bräuche. So lange er sich in anständigen Grenzen hält, kann er als ein Volksbrauch gut geheißen werden; ausarten sollte er jedoch nicht. Daran mögen die lustigen lauten Geister der Sylvesternacht denken. In diesem Sinne wünschen wir unsern Lesern und Leserinnen eine lautfröhliche Sylvesternacht und nehmen von ihnen Abschied in dem alten Jahre mit einem Sprüchlein von Hans Folz:

„Got wol dir geben als vil ern
Als der himmel hat manig stern,
Und so du gute zeit
Als vil santkörnlein im mere leit,
Und darnach das ewig leben,
Das muß dir got mit freuden geben.
Das wünsch ich dir zum neuen jar.
Sprich amen, daß es werde war!“