Zum Inhalt springen

Sylvesternacht (Hans Hopfen)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Hans Hopfen
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Sylvesternacht
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 15–16
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[15]

Sylvesternacht.

Von Hans Hopfen.

0 Die Uhr tickt an. Nun kommt heran
0 Ganz nah zu meinem Herzen!
0 Wir zünden auf der Weihnachtstann’
0 Noch einmal an die Kerzen.
0 Gebt Acht, daß alle schön entbrannt,
0 Wenn nun die Uhr den Hammer spannt
0 Zu zwölf gemess’nen Schlägen!
0 Dann gehn wir fröhlich Hand in Hand
0 Dem neuen Jahr entgegen.

Hat es nicht eben Zwölf geschlagen? …
Noch nicht?! … Mir war, als kläng’s von draußen her.
Wie wird mir’s heuer seltsam schwer,
Dem alten Jahr Valet zu sagen.
’s war auch ein Jahr! nicht so wie andre mehr!
Und viel Besondres hat sich zugetragen.
Uns und manch Andren hat es Glück bescheert.
Doch wieder Andern all ihr Glück verheert!

Der Zeiger rückt … Noch etliche Minuten,
Und ob der Welt steht eine neue Zahl.
Mir ist dabei zu Muth, als wollte noch einmal,
Was ich des Schlimmen und des Guten
In diesem Jahr erfuhr, auf mich zusammenfluthen,
Gleich einem Strom, der durch geborstne Dämme quillt.
Dann festet sich die Fluth zu einem Bild,
Und es ersteht ein armer, armer Mann
Vor meines Geistes Aug’ und sieht mich an
So voller Gram und bitterstem Verdruß,
Daß ich bei solchem Anblick weinen muß.

Kennst du den Gau? Kein andrer ist ihm gleich
In Deutschland nicht und nicht in Oesterreich.
An Schönheit ist und Fruchtbarkeit kein Land
So wundervoll, so überreich.
Zwei große Völker reichen sich die Hand,
Und zwei Naturen werden hier verwandt;
Der Gletscher Eis, der Fluren Ueppigkeit
Die haben hier den alten Streit vergessen;
Des Nordens Tann’ und Eiche messen
Sich mit des Südens Feigen und Cypressen.
Oel, Obst, Getreid und Weinbau weit und breit!
Vom Brenner ziehn und von der Walserhaide
Eisack und Etsch ein Paradies entlang.
Am Rebgelände steht die Vogelweide,
Wo einst Herr Walther seine Lieder sang.
Noch klingt und singt es dort. Du kennst ihn wohl,
An Deutschlands Kleid den goldnen Saum: Tirol!

Es war im Herbste dieses Jahr, da kehrte
Ein Mann aus Grigno heim von seiner Reise,
Die schon den langen Sommer über währte.
Er war nach der Tiroler Weise
Weit in der Welt herumgewesen.
Heim wollt er sein, wenn sie die Trauben lesen.
Im Elsaß hat mit Bildern er gehandelt.
Beladen nun mit mäßigem Gewinn
Kommt fröhlich er in’s Valsugan gewandelt.
Die Sehnsucht malt vor seinen Sinn
Das Gütchen und den Weinberg lockend hin,
Sein liebes Weib, die lieben Kleinen.
O Wonne, nach der Trennung lang und bang
Am eignen Herd zu rasten bei den Seinen!

[16]

Die Hoffnung zog mit ihm den Weg entlang.
Doch immer schlimmer ward der Weg. Das Wasser drang
Aus hundert Bächen hin und wieder;
Geröll und Stämme führt es nieder.
Es wälzt den Stein, zerbricht den Stamm;
Sumpf wird das Feld, die Wiese Schlamm,
Und wo ein Mensch zu sehen war,
Der jammert: welch entsetzlich Jahr!

So unter Mühsal und Bedrängniß,
Blei in den Füßen und im Herzen Bängniß,
War jener Mann bis Pergine gekommen.
Dort hat vom Ersten, den er angesprochen,
Die Schreckensbotschaft er vernommen:
Die große Schleuse bei Santangel sei durchbrochen,
Es wälze sich der Wildbach Fersina
Ein unbarmherz’ger Katarakt zu Thale;
Der Stadt Trient sei schon das Unheil nah.

O Heimath, mußt du in so bittrer Schale
Das süße Wiedersehen mir kredenzen!
Von Festen träumt ich und von Winzertänzen,
Als mir die Liebste schrieb zum letzten Male,
Daß bis Ala, bis an die Landesgrenzen
Sich unter ihrer Ueberlast von Trauben
Krumm bögen unsre vollen Rebenlauben!
Und nun! Von Bozen bis zur Ebene
Der Venetianer ist das Land ein See,
Darin des reichen Sommers Gottesgaben
Mit allen unsren Hoffnungen begraben.

So denkt der Mann und macht auf’s Neu’ sich fort.
Und in der Angst spricht Hoffnung noch ihr Wort:
Es sei sein Dorf, sein Gut mit seinen Lieben
In all der Noth doch wohl verschont geblieben!
Doch kaum in Borgo, klagt man ihm die Noth:
Aus ihren Ufern sei die Brenta schon getreten,
Die Ortschaft Grigno just zumeist bedroht.
Die Hände faltet er zu stillem Beten,
Dann stürmt er fort, das arme Herz voll Bangen;
Nun muß er zu den Seinigen gelangen
Rechtzeitig, um zu helfen und zu retten.
Er eilt dahin. An seine Füße ketten
Sich Angst und Sorge, doch er eilt dahin,

Schweiß auf der Stirne, Bitterniß im Munde.
Da wälzt auf einmal gegen ihn –
Er war kaum eine halbe Stunde
Von Grigno mehr entfernt – sich eine schlamm’ge Masse,
Wildschäumend, ein Gebräu von Fluthen und Gerölle;
Als ob aus allen Ritzen Wasser schwölle,
So überströmt’s in einem Nu die Gasse.
Und auf den tollgewordnen Wellen kommen –
Vier Särge nach einander hergeschwommen.
Die Fluth hat ihre Deckel abgethan.
Wie schwarze Schifflein schwimmen sie heran.
Er reißt die Augen auf. Er sieht genau:
Was ihm vorüberschwimmt … die Leiche seiner Frau!
Er wußte nicht einmal, daß sie gestorben!

Den Friedhof hat das Wasser unterwühlt,
Und was es nicht zertrümmert und verdorben,
Mit fortgerissen und zu Thal gespült.
O bittre Schale! Bittrer noch der Trank!

Sein klein Besitzthum war ein Trümmerhaufen,
Der mehr und mehr in Schlamm und Wasser sank.
Nichts mehr zu retten, nichts mehr zu verkaufen,
Die Wiesen und die Felder weggeschwemmt!
Die Kinder waren in den Wald gelaufen,
Das nackte Leben und das bloße Hemd –
Sie hatten weiter nichts gerettet
Und unter Moos und altem Blätterfall
Wie müdgehetzte Thiere sich gebettet,
Derweil die Fluth, die überall
Durch die geborstnen Wände brauste,
Breit in den eingestürzten Hütten hauste …

Und denken müssen, daß dieselbe Noth
Im Westen wie im Süden uns bedroht,
Daß auch am Neckar und am Main und Rhein
Die Flüsse sich zu Seeen weiten
Und hier wie dort dieselbe Noth verbreiten …
Hart wahrlich waren diese letzten Zeiten!
Gott geb’s, daß sie zu Ende sei’n!

Die Uhr tickt an; der Zeiger, sieh’, bewegt
Sich nah’ an Zwölf. Doch, eh’ es schlägt,
Macht Euch den Vorsatz fest und klar:
Wir wollen in dem neuen Jahr
Was man entbehren kann, verschenken
Und niemals uns bedenken,
Um unter dieser Erde Kindern,
Was an uns ist, die Noth zu lindern.

Nicht wahr, das gilt? Drauf stoßet an
Und rücket dicht an mich heran,
Ganz nah zu meinem Herzen!
Wie glühn so hübsch im Weihnachtstann
Die Stümpfchen noch der Kerzen!
Wenn draußen Sturm die Welt verheert,
Schätzt man noch eins so hoch den Herd.
Bleibt alle mir erhalten –
Deß soll der Herrgott walten!

Hört Ihr: die Uhr hebt rasselnd aus
Zu zwölf gemess’nen Schlägen.
Ein Klingen geht durch’s ganze Haus,
Ein Jubel und ein Segen.
Nun hurtig, schenkt die Gläser voll!
Ihr Jungen schreit mir nicht so toll!
Die Glocke schlägt; aus rinnt der Sand,
Wir wollen fröhlich Hand in Hand
Dem neuen Jahr begegnen,
Das soll uns Gott gesegnen!

Und nun, ihr Wilden, seid fein still
Und schleicht mir auf den Zehen!
Der Vater mit der Mutter will
Auch nach den Kleinen sehen.
Sie schlafen in den Bettchen fein
Getrost in’s neue Jahr hinein …
Prost Neujahr, Schätzchen! und so guck’
Mich an! Ein Küßchen und ein Schluck!
Prost Neujahr, liebe Seele mein!
Und jetzt schlaf ruhig wieder ein!

Wir aber gehn zum Saal zurück
Und singen uns ein altes Stück,
Das Gott für uns geschrieben:
Es lebe, was wir lieben!
Glückauf für heut und immerdar!
Ein recht glückselig neues Jahr!