Tafelmusik (Die Gartenlaube 1887/49)
[819] Tafelmusik. (Mit Illustration Seite 809.) Edmund Herger’s Familienbild stellt uns eine der seltsamsten Mutterfreuden vor. Nur Freude ist’s, die aus dem Antlitz der jungen Mutter und eben so verständlich und verständig aus dem der Großmutter spricht, während die Geschwister über die Wehlaute des Brüderchens noch zweifelhaft sind, die Männer aber offenbar dieser Tafelmusik weniger Geschmack abgewinnen können. Wir haben hier eine der weisesten Einrichtungen der Natur zu bewundern. So lange das Kind nicht sprechen kann, ist es das scharfe Auge und das feine Ohr der Mutter, womit sie aus der Art der Bewegungen der Glieder und der Art der Schreilaute das Bedürfniß des Kindes erkennt. Sie weiß sofort, ob ihr Kindchen aus wirklichem Leiden schreit und wo sie den Sitz oder die Ursache der Schmerzempfindung zu suchen hat. In dem vorliegenden Fall ist’s unzweifelhaft, daß ein kerngesunder Hunger das kleine, stramme Bürschchen auf dem Schoße der Mutter zum Schreien zwingt, weil trotz des Fütterns das Schmerzgefühl des Hungers es noch quält und weil ihm eben deßhalb das Füttern nicht geschwind genug geht. Die etwa auftauchende Vermuthung, daß [820] der Kleine in den Mund greift, weil der Brei zu heiß gewesen, müssen wir zurückweisen; denn in einem solchen Fall würde keine Mutter so zufrieden lächeln und noch weniger eine Großmutter so ruhig und stillvergnügt dreinschauen. Daß die Männer vielleicht anderer Ansicht sind und namentlich der Alte innerlich, und vielleicht auch äußerlich, brummt über das ewige Uah! Uah!, das er freilich wohl schon oft gehört haben mag, darf uns weniger Wunder nehmen, denn die Männer verstehen nichts von der Sprache, welche in dem Kleinkindergeschrei liegt.