Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Der grünende Pfahl

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Das ewige Licht in der Lorenze Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Vom Berge Volmar
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49.
Der grünende Pfahl.

Wie in der Welt der Mythe die Wuotans-, Hulda- und Wichtleinsagen einen äußerst zu beachtenden wichtigen Grundzug abgeben, so ist ein solcher auch im Bezug auf das Stabwunder vorhanden, das in der Legende vom heiligen Christoph, in der Bekehrungssage vom h. Bonifacius in Thüringen, in der Tanhäuser Sage u. A. vor Augen tritt, und sich in der ungleich späteren Hexensage sogar noch einmal verjüngte.

Nahe über dem schon einigemale genannten Dorfe Untermaßfeld bei Meiningen, dicht über dem rechten Ufer der Werra, erhebt sich der Hexenberg, dessen Gipfel in den Zeiten der Hexenbrände als Feuergerichtsstätte dienen mußte. Gleich wenn man über die Werrabrücke herüber war, kam man an einer alten verfallenen steilen Staffel vorbei, welche noch immer die Hexentreppe heißt. Nun war ein armer Jüngling aus Leutersdorf Namens Hans Schau als der Hexerei verdächtig, eingezogen worden, und wurde im Amte zu Maßfeld schrecklich gefoltert, betheuerte lange seine Unschuld, bis die Folter ihm dennoch ein Geständniß abpreßte, und da kam bald darauf von Jena das Urtheil des hochweisen und stets unfehlbaren Schöppenstuhls, daß der Hans Schau brennen sollte. Er wurde zum Dorfe hinausgeführt, über die Werrabrücke, die Hexentreppe hinauf, den Hexensteig hinan. Etwa auf des Weges Mitte schlug man Pfähle ein, um Bäume daran zu pflanzen und zu befestigen, da blieb bei einem dieser Pfähle der Jüngling stehen, und rief dem Volke zu: So gewiß ich unschuldig bin, so wahr wird Gott der [79] Herr ein Wunder thun, und Leben geben diesem dürren Pfahle, und ihn zum grünenden Baume ausschlagen lassen. Man lachte seiner, führte ihn vollends hinauf zum Gipfel und verbrannte ihn.

Wie aber die Leute wieder herunter kamen, siehe, da sproßten schon braune Zweiglein aus dem dürren Pfahle, und Knospen daran, die brachen auf, und es trieben grüne Blättlein hervor – und da war schon das Wunder geschehen. Das wunderte sich jedermänniglich und den Richtern wurde seltsam zu Muthe, und es ist hernach niemand mehr im Amte Maßfeld Hexerei halber oder sonst verbrannt worden. Der Pfahl aber wurde eine starke Buche, und zwar am ganzen Hexenberg die einzige, und sie steht noch immer, und kann sie jedermann sehen, und von jedem Kinde sich die Mär erzählen und bestätigen hören.