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Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Vom Iselberge und Rennsteige

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„Karle quintes Funn“ Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Die weiße Frau auf Tennberg
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[273]
141.
Vom Inselberge und Rennsteige.

Im schönsten Theile Thüringens erhebt der Inselberg sein mächtiges Haupt. Lange Zeit hielt man ihn für den höchsten der Berge des Thüringer Waldes, ja überhaupt für den höchsten Berg in ganz Thüringen, und mühte sich mit allem Fleiße seinem Namen eine falsche Ableitung zu geben. Da sollte er „Heunselberg“ heißen, von den Heunen, und Emsenberg, weil ihm ein Flüßchen entspringt, das die „Emse“ genannt wird. Einzelberg klang auch nicht übel, da sein Gipfel vereinzelt über die Nachbarberggipfel emporragt, sonst liegt der Berg gar nicht vereinzelt. Oft aber hebt sich dieser Gipfel, einer Insel gleich, über dem ihn umwogenden Nebelmeere, das hat ihm den Namen verschafft. [274] Das Volk spricht insgemein Inselsberg, wie es schmerzensreich, demuthsvoll etc. spricht.

Ueber den Inselberg nicht nur, sondern auch über den ganzen Kamm des Thüringer Waldes hin, zieht sich der Rennsteig, Rennstieg, Rennweg, Rinneweg, Reinweg, über dessen Namen früher ebenfalls viel fabulirens war. Vor alten Zeiten mußte nach früher, wichtiger Sitte, jeder Landgraf, sobald er zur Regierung gekommen war, mit seinen Vasallen diesen Rennsteig reiten, denn derselbe galt als Landesgrenze und Völkerscheide zwischen Thüringen und dem Frankenlande, daher findet man auch noch in Büchern die Benennung „Reiterstraße“. Man überblickt vom Inselberg, schönste Aussicht genießend, einen großen Theil des Thüringer Landes mit zahlreichen Hochwarten der Sage wie der Geschichte: Wartburg und Hermannstein, Harz und Hainig, Sachsenburg und Kiffhäuser, Tenneberg, Hörseelenberg und die drei Gleichen, Schaumberg und Altenberge mit dem thüringischen Candelaber, Dolmar und Geba; Beerberg und Schneekopf, den Krainberg und den fernen Meißner – diese alle umziehen in weitem und mannichfaltig mit Städten, Dörfern, Schlössern und Bergen geschmücktem Rundbilde den Hochgipfel.

Um den Inselberg ist die Venetianersage vorwaltend; mehrere Bergklüfte und Höhen werden genannt, in denen Walen gehaust haben sollen, und den Reichthum des Gebirges fortgetragen, Sagen, die sich in gleicher Weise in den engen Thalrinnen um dem Schneekopf wiederholen, wie auf allen deutschen Gebirgen, und die auch in Tirol nicht minder häufig sind. Meist heftet die Sage diesen Venetianern etwas Dämonisches an, schreibt ihnen übernatürliche Kenntniß und Künste zu. Von einigen Orten [275] am Fuße des Inselberges berichtet die Sage, daß sie Bergleuten, die vom Harzgebirge herüber gekommen, ihre Gründung verdanken, insonderheit Kawarz und Tabarz, die am Ausgange des Laugegrundes liegen, der einst Goldkörner geführt haben soll.