Tiefenau

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Textdaten
<<< >>>
Autor: Alois Wilhelm Schreiber
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Tiefenau
Untertitel:
aus: Badisches Sagen-Buch II, S. 421–422
Herausgeber: August Schnezler
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Creuzbauer und Kasper
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Karlsruhe
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons, Google
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[421]
Tiefenau.

Nahe bei der Burg Tiefenau, eine halbe Stunde vom Rhein, lag einst ein dunkler tiefer See. Auf der Burg lebte ein Ritter, der hatte eine einzige Tochter von so wunderbarer Schönheit, daß weit und breit ihr Preiß erscholl und viele Herren kamen, um sie zu werben. Eines Tages kehrte sie nicht wieder von ihrem Lieblingsspaziergange unter den Bäumen am Seegestade zurück. Der besorgte Vater eilte, sie selbst dort aufzusuchen und rief mehrmals so laut er konnte ihren Namen; da klangen ihm endlich aus dem See die Worte in klagendem Ton entgegen:

„Ach, Vater, liebster Vater!
Im See bin ich versunken,
Weil ich von seinem Wasser
Aus Unbedacht getrunken.
Nie mehr darf ich mich heben
Zum goldnen Sonnenglanz,
Hier unten muß ich leben,
Bis er vertrocknet ganz.
Ach Vater liebster Vater,
Trink ja nicht aus dem See!“

Kaum war die Stimme leise verhallt, als plötzlich ein engelholdes Knäblein vor den Ritter von Tiefenau hinhüpfte, ihm einen goldenen Becher darreichte und sang:

„Da trink’ du alter Degen,
So wird dein Töchterlein,
Die sie gefangen hegen,
Bald wieder bei dir seyn!“

Der Ritter wollte rasch den Becher an die Lippen führen, als er seinen Arm von einer fremden Hand zurückgehalten fühlte. Er wandte sich um und erblickte einen Jüngling von edler Gestalt, wiewohl in sehr bescheidener Tracht. Dieser hatte die Tochter des Ritters längst im Stillen geliebt, doch seiner Armuth wegen es nie gewagt, ihr seine Minnegluth zu gestehen. Mit den Worten:

„Trinkt nicht, mein edler Ritter!
Das Wasser ist vom See;“

[422] entwand er ihm den goldnen Becher und leerte ihn selbst auf einen Zug. Kaum war dies geschehen, als ihn das Knäblein bei der Hand faßte und mit ihm in den See hinuntersprang. Umsonst war der Jammer des trostlosen Vaters. Das Pärchen kam nimmer zum Vorschein, verzweifelnd stürzte auch er sich in die Fluthen. –

Der See ist längst ausgetrocknet, aber auf dem Moorboden, den er zurückgelassen, sieht man oft in stiller Nacht helle Flämmchen auf und nieder schweben und hört mit Geisterstimmen die Worte singen:

Das Wasser ist fast ganz alle,
Bald werden erlöst wir seyn,
Und gehn in die himmliche Halle
Zum lieben Vater ein.

Nach Aloys Schreiber.