Tullia

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Textdaten
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Autor: Br.
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Titel: Tullia
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 344–345, 356
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[344–345]

Tullia fährt über die Leiche ihres Vaters hinweg.
Nach einem Gemälde von E. Hildebrand.
Photographie im Verlage von Franz Hanfstaengl in München.

[356] Tullia. (Zu dem Bilde S. 344 u. 345.) Vieles, was ehemals „römische Geschichte“ hieß, ist in das Reich der Sage verwiesen worden. Ihr Schleier deckt das feindliche Brüderpaar Romulus und Remus, den weisen, halb göttlichen Numa Pompilius sammt der Nymphe Egeria. Aber mit historischer Deutlichkeit tritt schon aus dem Nebel der Dichtung das Bild des alten Tarquinius, an dessen Namen die ältesten römischen Bauten anknüpfen, sowie seines ebenso tüchtigen Schwiegersohnes und Nachfolgers Servius Tullius. Durch volksthümliche Einrichtungen zog sich dieser letztere den Haß der Geschlechter zu, sie sannen auf seinen Untergang und fanden den Vollstrecker der ruchlosen That in seiner eigenen Familie. Nach dem Bericht der alten Schriftsteller hatten die beiden Töchter des Servius Tullius die beiden Söhne des alten Tarquinius geheirathet. Lucius, der ältere, ein lasterhafter und unbändiger Mensch, hatte die sanfte und fromme ältere Schwester, Aruns, sein redlicher und treuer Bruder, die wilde und ruchlose Tullia zum Weibe. Diese konnte den Tod ihres alten Vaters nicht erwarten, und da sie ihren Mann nicht zur Ermordung des Königs bewegen konnte, wandte sie sich an Lucius Tarquinius und wurde rasch genug mit ihm einig. Sie vergifteten vorerst beide ihre Ehegenossen und zündeten an deren Scheiterhaufen ihre Hochzeitsfackeln an. Hierauf trat Lucius in die Verschwörung der unzufriedenen Edeln zum Sturze des Königs Servius Tullius ein. Er erschien plötzlich im Senat mit den Abzeichen königlicher Gewalt und umgeben von einem bewaffneten Anhang. Auf das Gerücht davon eilte der König in die Versammlung und nannte entrüstet den Tarquinius einen Verräther; dieser aber wandte sich um, ergriff den schwachen Greis und stürzte ihn die Treppe hinab. Blutend und schwerverwundet ward Servius von seinen Getreuen fortgetragen; ehe er aber sein Haus erreichte, ereilten ihn die nachgesandten Mörder und machten ihn vollends nieder. Der blutige Leichnam blieb dann auf der Straße liegen.

Tullia aber litt es nicht länger zu Hause; sie fuhr zum Forum, ihren Mann als König zu begrüßen. Ihm selbst war das Frohlocken des ruchlosen Weibes gräßlich, und er schickte sie heim. Als aber ihr Gespann durch die Mordgasse kam, scheuten die Pferde vor dem dahingestreckten Leichnam, der Knecht hielt die Zügel an. Tullia jedoch richtete sich hoch auf und gebot mit gellendem Ruf, über den Todten wegzufahren. Dies geschah, und das Blut des Vaters spritzte über ihr Gewand. Die Gasse aber, in der ein solcher Greuel geschah, hieß noch in späten Zeiten „die verruchte“.

Diesen schauerlichen Vorgang führt uns Hildebrands Bild in dramatischer Bewegung vor Augen. Hochauf bäumen, zurückgerissen von dem kräftigen Wagenlenker, die prächtigen Pferde vor der liegenden Greisengestalt, in wildem Zuruf streckt das Weib den Arm empor, und rings herum aus der Volksmenge und den Fenstern heben sich gegen sie andere Arme, wehklagend und verdammend. Selbst die Mutter, die ihr Söhnchen vor den daherstürmenden Pferden rettet, hat noch einen Blick des Abscheus für die Frevlerin, welche hier straflos triumphirt. Und nicht ohne tiefe Symbolik wendet sich wie anklagend nach ihr das Haupt der Wölfin, welche die Zwillinge säugt; aus dem Hintergrund der hohen düstern Straße aber glänzt bedeutungsvoll das Capitol, das Wahrzeichen der Herrschaft über Rom, später über die Welt, um dessentwillen noch vieles Blut fließen sollte!

Das mehrfach durch Preise ausgezeichnete reiche und farbenprächtige Gemälde bildete vergangenen Sommer einen der Hauptanziehungspunkte der Münchener Jubiläumskunstausstellung. Br.