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Ueber die chronologische Eintheilung des historischen Stoffes

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Autor: Ernst Bernheim
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Titel: Ueber die chronologische Eintheilung des historischen Stoffes.
Untertitel:
aus: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Bd. 1 (1889), S. 61–74.
Herausgeber: Ludwig Quidde
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Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Akademische Verlagsbuchhandlung J.C.B. Mohr
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Erscheinungsort: Freiburg i. Br
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Quelle: Scans auf Commons
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[61]
Ueber die chronologische Eintheilung des historischen Stoffes.
Von
Ernst Bernheim.


Seit Büdingers Abhandlung in der Historischen Zeitschrift, herausgegeben von H. Sybel 1862, Band 7, und dem Programm der königlichen sächsischen Landesschule zu Meissen 1864 von Oertel über Periodisirung der allgemeinen Geschichte ist das oben genannte Thema lange Zeit nicht behandelt worden. Erst jüngst hat dasselbe wieder mehrfache Bearbeitung erfahren, theils historischer[1], theils theoretischer[2] Richtung. Es wird daher nicht unangebracht sein, den Lesern dieser Zeitschrift eine zusammenfassende und beurtheilende Uebersicht des Gegenstandes vorzulegen.

Die chronologische Eintheilung ist die einzige allgemeine Eintheilung des historischen Stoffes, welche gemäss der eigenartigen Natur desselben möglich ist. Eine systematische Gliederung lässt derselbe nicht zu. Seine charakteristische und allgemeinste Erscheinungsform ist die in zeitlicher Folge, die Ereignisse sind Veränderungen in der Zeit. Um darauf eine einheitliche Periodisirung [62] zu gründen, muss die Anschauung vorhanden und wirksam sein, dass eine innerlich zusammenhängende Einheit in diesen Veränderungen besteht, oder mit anderen Worten, die Anschauung von der Einheit des Menschengeschlechts und seiner Entwicklung muss vorhanden sein. Diese Anschauung fehlte durchweg im Alterthum, und wo dieselbe uns einmal entgegentritt, wie bei Diodorus Siculus, der in der Einleitung seines allgemeinen Geschichtswerkes von dem verwandtschaftlichen Zusammenhang aller Menschen spricht[3], ist sie nicht innerlich fundirt, nicht ausgebildet, nicht triebkräftig genug, um ein leitendes Eintheilungsprincip hervorzubringen. Auch die weitestblickenden Historiker auf der Höhe der alten Universalgeschichte identificirten die Geschichte des universus orbis doch mit derjenigen des Römerreiches und behandelten die verschiedenen Völker nur je nach ihrer Berührung mit jenem. Eine allgemeinere Periodisirung des historischen Stoffes ist im Alterthum nicht erreicht worden.

Erst im Gefolge des Christenthums konnte eine wahrhaft allgemeine Eintheilung aufkommen. Ueber die Schranken der nationalen Unterschiede hinwegsehend, lehrte es ja den Gedanken einer Menschheit, welche durch die gemeinsamen Erlebnisse und Schicksale des Sündenfalls, der Erlösung, des Weltgerichtes innerlichst zusammenhing. Mit der ganzen Energie dieser transcendentalen Weltanschauung erfasste man alsbald auch die Geschichte und empfand das Bedürfniss, die historischen Begebenheiten der heidnischen Welt den grossen Etappen der biblischen Geschichte einzuordnen, oder vielmehr unterzuordnen. Es kam zu dem Zwecke darauf an, gewisse synchronistische Haltpunkte zu bestimmen, und hier setzte die Arbeit der Chronologen ein.

Nach Vorgang des Sextus Julius Africanus, dessen im Anfange des 3. Jahrhunderts verfasste χρονογραφίαι uns nicht erhalten sind[4], löste Eusebius von Caesarea zuerst diese Aufgabe. In der Vorrede seines chronologisch-chronikalischen Werkes fixirt er folgende synchronistische Haltpunkte:

Die Zeiten Abrahams     –     die Zeiten des Ninus,
die Zeiten Moses     –     die Zeiten des Cecrops,
die des Labdon und Samson     –     Einnahme Trojas,

[63]

die des Jesaja und Hosea     –     erste Olympiade,
Wiederherstellung des Tempels     –     das zweite Regierungsjahr des Darius,
Christi Predigt     –     das fünfzehnte Regierungsjahr des Tiberius.

Von diesen Punkten aus berechnet er noch einige dazwischen liegende Hauptdaten, sowie die wesentlichsten Daten der wichtigsten Culturreiche, und entwirft darnach seine weltgeschichtliche Chronik, oder vielmehr seine synchronistische Tabelle (κανών χρονικός nennt er’s selbst) von der Geburt Abrahams bis zum Jahre 325 n. Chr. Die biblische Geschichte von der Weltschöpfung bis zu Abraham schliesst er von dem Kanon aus, weil sich in diesem Zeitraum keine gentilis historia finde; er behandelt dieselbe kurz im Exordium. Am Rande zählt er die Jahre fortlaufend von der Geburt Abrahams an, und zwar in Dekaden; an den erwähnten Haltpunkten gibt er jedesmal summarisch an, wieviel Jahre von Abraham an und auch wieviel von einem Haltpunkt zum anderen verflossen sind. Hieronymus behielt in seiner bearbeitenden Uebersetzung und Fortführung des Kanon bis 378 diese Grundlage ganz bei und führte dieselbe so in die lateinische Literaturwelt ein. Augustin hob in seinen verschiedenen Werken[5] auf dieser gegebenen Grundlage einige andere Eintheilungspunkte heraus, die er dem Evangelium Matthaei 1, 17 entnahm, wo es heisst: Alle Glieder von Abraham bis David sind vierzehn Glieder, von David bis auf die babylonische Gefangenschaft sind vierzehn Glieder, von der babylonischen Gefangenschaft bis auf Christum sind vierzehn Glieder. Und zwar so, dass er diese Zeiträume je als eine Aetas auffasste und durch Hinzufügung von noch drei Aetates zu den aus dem Evangelisten entnommenen im Ganzen sechs Aetates der Geschichte gewann, die er bald mit den sechs menschlichen Lebensaltern, bald mit den sechs Schöpfungstagen verglich[6]:

1. Aetas von Adam bis Noah,
2. Aetas von Noah bis Abraham,

[64]

3. Aetas von Abraham bis David,
4. Aetas von David bis zum babylonischen Exil,
5. Aetas vom Exil bis zu Christi Geburt,
6. Aetas von Christi Geburt bis zum Finis saeculi.

Als 7. überirdische Aetas bezeichnet er den ewigen Sabbath des Himmelreiches. Diese Eintheilung Augustins führte Isidor von Sevilla in seiner Weltchronik durch[7], indem er über die betreffenden Epochen die Bezeichnung Prima aetas u. s. w. setzte, die Jahre fortlaufend von Adam an zählend. Ebenso verfuhr Beda in seinen Chronicon sive de sex aetatibus mundi. Durch diese weitverbreiteten Chroniken drang jene Periodisirung allgemein durch. Der wichtigste Haltpunkt derselben, die Geburt Christi, erhielt noch eine besondere Stütze dadurch, dass die bürgerlich-kirchliche Jahresbezeichnung, welche Dionysius Exiguus in seiner Tabelle der Osterfeste für die Jahre 532–626 zuerst anwandte und welche in der Folge allmählig allgemein recipirt wurde, eben von diesem Datum ausging.

Das durchaus transcendentale Princip, welches diese Eintheilung beherrscht, spricht sich am bezeichnendsten darin aus, dass man die Zeit von Christi Geburt bis zum Weltende als einen Zeitabschnitt, eine Aetas auffasste. Es mochte das noch angehen zur Zeit des ersten Aufkommens dieser Periodisirung, da man sich noch in der Epoche der ununterbrochenen Römerherrschaft befand, doch es musste immer schlechter zu dem realen historischen Verlauf passen, da das Römerreich zerfiel und neue Völker, neue Reiche an die Stelle traten. Ungeachtet dessen hielt man an dem transcendentalen Eintheilungsprincip fest, welches nun gerade an diesem schwachen Punkte eine mächtige Stütze erhielt durch jene bekannte Conception des Hieronymus von der Dauer des römischen Reiches als der letzten der vier Weltmonarchien. Bekanntlich legte Hieronymus in seinem Commentar zum Propheten Daniel die beiden Traumdeutungen Daniels 2, 37 ff. und 7, 3 ff. von den aufeinanderfolgenden Reichen so aus, dass das erste das Regnum Babylonicum bedeute, das zweite das Regnum Medorum atque Persarum, das dritte das Regnum Macedonum successorumque Alexandri, das vierte das [65] Imperium Romanum. Diese Auslegung lag nahe, da man bereits seit Claudius Ptolemaeus im 2. Jahrhundert gewohnt war, die Reihenfolge der Weltherrscher nach der Aufeinanderfolge der assyrisch-medischen, persischen, griechisch-makedonischen, römischen Dynastien aufzuzählen[8]. Da das letzte der Reiche gemäss Daniels Prophezeihung bei der Auferstehung vergehen sollte, so ergab sich daraus die Dauer des römischen Reiches bis zum jüngsten Gericht. Diese Interpretation des Hieronymus ward alsbald Gemeingut der historischen Anschauung: Sulpicius Severus gibt dieselbe in seinem um 400 verfassten Chronicon (2, 3) wieder, Augustin operirt besonders in seinem Werke De civitate dei damit, Orosius nimmt dieselbe in seiner Römischen Geschichte mit der Modification auf, dass er das medisch-persische Reich in das babylonische einbezieht und statt dessen nach dem makedonischen ein Regnum Africanum ansetzt, seiner Theorie (2, 1) zu Liebe, dass in jeder der vier Himmelsgegenden eine Hauptmonarchie erstanden sei; doch hat diese Modification keinen besonderen Anklang gefunden. Die derartig transcendental begründete Ansicht von der Dauer des Imperium Romanum entsprach übrigens so sehr dem realen Eindruck der gewaltigen römischen Cultur, dass auch die germanische Welt sich von dieser Vorstellung nicht losmachen konnte und dass dieselbe, wie man weiss, im Mittelalter geradezu eine politische Macht geworden ist. Man half sich über den Sturz Roms hinweg, indem man zunächst die Kaiser des byzantinischen Ostreichs als Vertreter des Imperium ansah und dann durch Karl des Grossen Kaiserkrönung das Imperium Romanum auf die Franken übertragen sein liess; durch diese Fiction war die Continuität gewahrt. Uebrigens hat die Monarchientheorie die Periodisirung nach Aetates keineswegs verdrängt; man begnügte sich, wie gleich der erste Historiker, der jene anwandte, Orosius, die Theorie zu entwickeln und an den betreffenden Zeitpunkten zu bemerken, dass nun dies Regnum zerstört sei, jenes seinen Anfang genommen habe; ausserdem theilte und rechnete man nach den Aetates.

Das ganze Mittelalter hindurch herrschte diese theologische Periodisirung der Geschichte. Die Verfasser grösserer Chroniken pflegten mehr oder weniger ausführliche Excerpte der Chronik des [66] Hieronymus oder deren Bearbeitungen, namentlich durch Isidor und Beda nebst Fortsetzungen, ihren Werken zu Grunde zu legen, indem sie bis auf Adam beziehungsweise Abraham zurückgingen oder wenigstens mit dem römischen Reich begannen. Seit dem Aufkommen der Jahresrechnung nach Christi Geburt zählte man die Jahre von diesem Zeitpunkt an fortlaufend, während man die Zeiten vorher fortlaufend von Adam an oder innerhalb der einzelnen Aetates je nach deren Anfangspunkten zählte. Es wäre ungerecht, die Verdienstlichkeit dieser Eintheilung des historischen Stoffes für ihre Zeit in Abrede zu stellen; treffend hat das O. Lorenz l. c. S. 221 f. betont. Allein die Schattenseiten derselben traten immer stärker hervor, als trotz des von Jahrhundert zu Jahrhundert wachsenden Stoffes und trotz alles Wandels der weltgeschichtlichen Gesichtspunkte das Vorurtheil von der Fortdauer des heiligen römischen Reiches jede sachliche Eintheilung hemmte. Nur ganz vereinzelt taucht das Bewusstsein auf, dass das Eintreten des germanischen Elementes in die Geschichte epochemachend sei: ein Historiker des 9. Jahrhunderts, Frechulf von Lisieux, lässt in seinem Geschichtswerk (2, 5, 17) das Römerreich enden mit der Besiegung des Romulus Augustulus durch Odoaker und inaugurirt damit die Herrschaft der reges gentium; Ekkehard von Aura, den Kaiser Heinrich V. aufgefordert hatte, ihm eine Chronik von Karl dem Grossen an zu liefern, ging, als auf den natürlichen Anfangspunkt, auf die Urgeschichte der Franken zurück und begann damit sein erstes Buch, welches er bis zur Zeit Karls des Grossen führte, während er das zweite Buch bis zu Heinrichs V. Regierung ausdehnte[9]; in einer späteren Recension seiner Weltchronik theilte er den Stoff in fünf Bücher, welche je abschlossen mit der Gründung Roms, der Geburt Christi, der Herrschaft Karls des Grossen, der Thronbesteigung Heinrichs V., dessen Regierung das fünfte Buch gewidmet war[10]; in den übrigen Recensionen seiner Chronik folgte er jedoch dem altherkömmlichen Schema; bei Otto von Freising bricht ebenfalls die sachliche Erkenntniss der epochemachenden Bedeutung der germanischen Eroberung durch die traditionelle Anschauungsweise hindurch, ohne dieselbe ganz zu beseitigen: er hält an der Monarchientheorie [67] fest, aber er spricht doch im Chronicon 4, 31 ff. von der Vernichtung des Römerreiches durch die Barbaren und von der Aufrichtung der Monarchia Francorum, mit der er ein neues, das fünfte Buch beginnt. Diese vereinzelten Anläufe blieben indess ohne Nachfolge.

Erst die grosse Umwandlung der allgemeinen und der historischen Anschauungsweise seit dem 15. Jahrhundert bahnte eine sachgemässere, weltliche Periodisirung an. In Verfolg des Studiums der classischen Literatur ward man sich mehr und mehr des historischen Unterschieds zwischen der antiken Cultur und der des barbarisch erscheinenden Mittelalters bewusst. Macchiavelli eröffnete seine florentinische Geschichte eindrucksvoll mit der Eroberung des Römerreiches durch die Germanen als der Grundlage der neueren Geschichte Italiens; Jean Bodin widerlegte in seinem 1566 erschienenen methodologischen Buche Methodus ad facilem historiarum cognitionem cap. 7 mit bündiger Schärfe bereits die ganze Monarchientheorie. Doch dauerte trotz dieses und anderer Angriffe der Bann der Tradition noch lange fort[11]; war derselbe doch so mächtig, dass selbst ein Sleidan trotz aller von ihm aufgeführten Zeichen der Auflösung des heiligen römischen Reiches den Glauben an dessen unentwegtes Fortbestehen festhält, weil eine fünfte irdische Weltmonarchie zu Folge der Prophezeihung Daniels unmöglich sei[12]. Im 17. Jahrhundert kam man zuerst zu einer rationelleren Eintheilung des Stoffes. Namentlich den Philologen und Literaten drängte sich das Bedürfniss auf, für den starken Unterschied zwischen der classischen und mittelalterlichen Literatur und Sprache einerseits, sowie zwischen letzterer und der literarischen Bildung seit der Renaissance andererseits einen stehenden Ausdruck zu finden, und es bildete sich so die Bezeichnung media aetas oder medium aevum für die Literaturepoche von Augustus oder von den Antoninen bis ins 15. Jahrhundert[13]. Der Hallenser Professor Christoph Cellarius (1634–1707) war es, der in seinen Compendien dieses Eintheilungsprincip auf die Geschichte im Allgemeinen anwandte, indem er unterschied:

[68]

Historia antiqua bis zur Zeit Constantins des Grossen, und zwar bis dahin, weil, wie Cellarius ausdrücklich erklärt, die innere und äussere Blüthe des Römerreiches noch weit über des Augustus Zeit hinausreiche;
Historia medii aevi bis zur Eroberung Constantinopels durch die Türken;
Historia nova.

Diese Eintheilung drang allmählig, wenngleich nicht ohne lebhaften Widerspruch durch. Die End- und Anfangspunkte der genannten Epochen wurden zwar verschiedentlich bestimmt, doch durchweg von demselben Gesichtspunkte aus: die classisch-römische Welt von der barbarisch germanischen und diese von der des neueren Bewusstseins zu scheiden. In unserem Jahrhundert erst ist die Begrenzung der alten Geschichte durch das Jahr 476 als dem Zeitpunkt der Einnahme des römischen Thrones durch Odoaker vorherrschend geworden, während man das Mittelalter ja bald durch die Eroberung Constantinopels 1453, bald durch die Entdeckung Amerikas 1492, bald durch die Reformation 1517 zu begrenzen pflegt.

Diese Termine, für deren Festsetzung man zwar nicht Gatterer und[WS 1] Schlözer verantwortlich zu machen hat, wie Lorenz l. c. S. 243 ff. nachweist, sondern den allmählig übereinstimmenden Usus späterer Compendien, mögen etwas äusserlich angesetzt sein; das ist bei jeder Periodisirung, sobald sie bestimmte Jahreszahlen ansetzt, unvermeidlich, weil ja die historischen Entwicklungen nie in einem bestimmten Moment abbrechen, beziehungsweise anfangen. Allein man wird nicht verkennen können, dass der Gesichtspunkt dieser Eintheilung durchaus sachlich dem inneren Wesen des Stoffes entspricht. Denn wenn wir den geschichtlichen Stoff überhaupt sachgemäss chronologisch eintheilen wollen, so müssen es durchgreifende Veränderungen in dem vorherrschenden Gesammtcharakter der menschlichen Entwicklung sein, welche den Gesichtspunkt der Eintheilung abgeben. Der Gesichtspunkt, von dem die jetzt übliche Eintheilung ursprünglich ausging, ist, wie wir sahen, die Veränderung in der Sprache und Literatur der vorherrschenden europäischen Culturwelt. Nun gehören unleugbar Sprache und Literatur zu den wichtigsten Kriterien der allgemeinen Entwicklung der Völker, und wenn [69] man sich das Anfangs bei der Anwendung dieses Eintheilungsprincips auf die Geschichte im Allgemeinen auch nicht klar gemacht hat, so hat man doch damit instinctiv ein ausschlaggebendes Kriterium getroffen. Denn wer wollte leugnen, dass wie in Sprache und Literatur so auf den verschiedensten Lebensgebieten sich Alterthum, Mittelalter und Neuzeit in ihrem Gesammtcharakter epochemachend unterscheiden?

Abgesehen von der willkürlichen oder unzweckmässigen Ansetzung dieser oder jener bestimmten Jahreszahl als End- oder Anfangstermin können wir daher weder die Entstehung noch die Festhaltung unserer jetzigen Eintheilung für zufällig, unsachlich oder gar widersinnig erachten, wie Lorenz l. c. S. 228 ff. es thut, indem er die eben hervorgehobenen Momente übersieht und die Schwierigkeit einer bestimmten Begrenzung der einzelnen Epochen zum Dilemma zuspitzt. Wir können gern auf den Ansatz bestimmter Grenzen verzichten, ohne den Begriff des Mittelalters, auf den es dabei ja am meisten ankommt, in dem eben bezeichneten Sinne fallen zu lassen.

Dieser Begriff stellt keineswegs, wie Lorenz l. c. S. 257 sagt, „eine ganz inhaltsleere Kategorie“ dar, welche „keinen anderen Sinn hat, als in der langen Reihe von Jahrhunderten eine Pause eintreten zu lassen“, sondern beruht, wie vorhin gezeigt, auf dem durchaus sachlichen und sachgemässen Gesichtspunkt, dass die betreffende Entwicklungsphase unserer Cultur einen eigenartigen Gesammtcharakter an sich trägt, der sich von dem der vorhergehenden und nachfolgenden Entwicklung in den wesentlichsten Zuständen und Bethätigungen unterscheidet. Es mag schwierig sein, diesen Gesammtcharakter allseitig zutreffend zu definiren, es mag in einseitigen Definitionen desselben viel gefehlt werden – das ist aber kein Grund, das Vorhandensein desselben zu ignoriren, vielmehr wird die immer eindringendere Forschung uns den Charakter des Mittelalters immer besser begreifen lehren und jenen Mangel beseitigen. Andere Gesichtspunkte der Eintheilung als die allgemeine Differenz im Gesammtcharakter der Entwicklungsphasen darf man von einer sachgemässen chronologischen Eintheilung, die auf den Veränderungen der Zustände und Begebenheiten in der Zeit beruht, nicht verlangen; sobald man zu systematischen Eintheilungsprincipien greift, geräth man in das Gebiet von Abstractionen, welche den concreten Veränderungen [70] in der Zeit nicht genügend Rechnung tragen. Wir kommen weiterhin hierauf zurück.

Noch ein anderer Einwand wird zuweilen gegen unsere übliche Eintheilung erhoben: es müsse dieselbe im Fortgange der Zeiten nothwendig überholt werden, ja sie sei es vielleicht schon heutzutage, insofern man Anlass haben könne, mit der Revolution von 1789 eine neue Epoche anzusetzen. Dagegen ist geltend zu machen, dass es in der Natur des historischen Stoffes liegt, keine endgültig abschliessende Eintheilung zuzulassen, weil derselbe sich stets vermehrt und daher nach dem Ablauf längerer Zeiträume so bedeutende Veränderungen aufweist, dass die ja eben aus der Gesammtheit der Veränderungen zu entnehmenden Gesichtspunkte der Periodisirung sich nothwendig verschieben müssen. Keine chronologische Eintheilung kann desshalb eine absolute und ewig dauernde Geltung beanspruchen, es muss genügen, wenn wir dem jeweiligen Stande des historischen Wissens gerecht werden. So genügte die Eintheilung in die Aetates wohl der Zeit ihrer Entstehung, als das Römerreich noch bestand, allein nach dessen Untergang, bei der steten Zunahme des Stoffes im Laufe der Zeit wurde sie mehr und mehr unbrauchbar, wie wir gesehen haben. Die lebhafte Erkenntniss von der nur relativen Bedeutung aller chronologischen Eintheilungen wird uns am sichersten davor schützen, durch dieselbe zu schematisch beschränkter Auffassung verleitet zu werden, und wir brauchen dann das erwünschte Hilfsmittel zu besserer Uebersicht des Stoffes, welches eine sachgemässe Eintheilung uns gewährt, nicht zu fürchten (vergl. E. A. Freeman, The methods of historical study, 1886, S. 21 ff., 191 ff.).

Ein Einwand gegen unsere jetzt gebräuchliche Periodisirung, den ich in der Literatur wenig betont finde, liesse sich vielleicht noch erheben: ob dieselbe nicht etwa zu einseitig vom Gesichtspunkt der europäischen Sondercultur ausgeht, da unser Eintheilungsprincip ja nur die Gesammtveränderung im Charakter unserer europäischen Culturentwicklung berücksichtigt. Allerdings halten wir diese unsere Cultur für die vorherrschende und massgebende des Erdballs, jedoch bei der stets innigeren Verbindung der verschiedenen Erdtheile und bei der stets allgemeineren Entfaltung einer Weltcultur dürfte die Zeit nicht fern sein, da wir uns einen umfassenderen Gesichtspunkt der weltgeschichtlichen [71] Eintheilung zu eigen machen müssen. Jedenfalls erlaubt uns unsere Ansicht von der nur relativen Gültigkeit aller chronologischen Eintheilung, verändertem Bedürfniss vorurtheilsfrei zu entsprechen.

Entgegengesetzt dieser hier vertheidigten Ansicht hat O. Lorenz in dem angeführten Abschnitt seines Buches ein absolut gültiges Eintheilungsprincip aufzustellen versucht.

Es sind öfter Eintheilungen und Periodisirungen des historischen Stoffes mit dem Anspruch absoluter Gültigkeit unternommen worden, und zwar von geschichtsphilosophischen Systematikern, welche den historischen Verlauf, als liege derselbe abgeschlossen vor, von einem Begriff, einer Idee oder einem Gesetz aus erklären und den gesammten Stoff systematisch gliedern zu können meinten. Am durchgreifendsten hat Hegel in seiner Geschichtsphilosophie diesen Versuch gemacht, den noch jüngst Michelet in seinem System der Philosophie[14] ergänzt und bis ins Detail des Stoffes ausgeführt hat; andererseits operiren die Sociologen der „positiven“ Richtung Auguste Comte’s gern mit allgemeingültigen Entwicklungsstufen und -perioden, die sie aus ihren vermeintlichen Fundamentalgesetzen ableiten. Es würde viel zu weit führen, wenn wir hier die Unzulässigkeit solcher systematischen Eintheilungen und Gliederungen der Geschichte darlegen wollten; ich darf desswegen auf meine Schrift Geschichtsforschung und Geschichtsphilosophie, Göttingen 1880, verweisen, wo ich gezeigt habe, dass all’ solche Systeme mit dem concreten Stoff in Widerspruch gerathen und denselben je nach verschiedenen Beziehungen vergewaltigen müssen.

Eine scheinbar ganz andere Art absoluter Eintheilung will Lorenz durchgeführt wissen. Er geht von der Bemerkung aus, die er einem Aufsatz von G. Rümelin Ueber den Begriff und die Dauer einer Generation[15] entnimmt, dass immer drei Generationen vom Vater bis zum Enkel in einem Zusammenhang unmittelbarer Einwirkung aufeinander stehen, so dass der mittleren jedesmal die Aufgabe zufällt, auf die Kinder fortzupflanzen, was sie von den Eltern überkommmen hat, bezw. von jenen fernzuhalten, was sie bei diesen Abstossendes findet. Die durchschnittliche [72] Dauer dreier Generationen in historischem Sinne berechnet L. auf 100 Jahre und vindicirt demgemäss dem Begriffe des Jahrhunderts die Bedeutung, dass dasselbe eine gewisse geistige Einheit historischen Geschehens darstelle, welche auf dem elementaren „Gesetz der drei Generationen“ beruhe. Dieses Gesetz, meint Lorenz, lasse sich in der Geschichte hervorragend wirkender Persönlichkeiten, wie der Regentenfamilien, besonders deutlich erkennen, doch beherrsche es nicht minder die Ausbreitung oder das Zurücktreten historischer Ideen und Anschauungen, ja die ganze geschichtliche Entwicklung. Nur müsse man dann über das Mass des Jahrhunderts hinausgehen. Dasselbe sei zwar „das objectiv begründete Zeitmass aller geschichtlichen Erscheinungen“, insofern es der chronologische Ausdruck für die geistige und materielle Zusammengehörigkeit je dreier Generationen sei; allein „für die lange Reihe geschichtlicher Ereignisse wäre das Jahrhundert eine nur zu geringe Masseinheit, als nächsthöhere Masseinheit erscheint daher die Periode von 300 und 600 Jahren, d. h. dreimal 3 und sechsmal 3 Generationen“. Diese epochemachende Bedeutung von 300 bezw. 600 Jahren erschliesst Lorenz aus der beispielsweise ausgeführten Betrachtung einiger in sich zusammenhängender Ereignissreihen, wie der Geschichte des Christenthums, und er findet diese Bedeutung gesetzmässig erklärt und begründet in der „Periodicität der Menschenproduction“, welche er für eine erwiesene Thatsache annimmt. Die Genealogie, in diesem Sinne erfasst, meint er, werde als Lehre von den physischen und geistigen Qualitäten die eigentliche „Zukunftslehre“ der Geschichtswissenschaft werden, in fünfzig Jahren werde jeder Schulknabe mit dem Massstabe der Generationenrechnung umzugehen wissen.

Wir glauben das nicht, denn wir erachten diese ganze Theorie für haltlos in ihren Fundamenten wie in ihren Beweisen.

Unerwiesen ist zunächst die Bedeutung des Generationscyklus für den geschichtlichen Verlauf. Was Lorenz an einigen Beispielen zeigt, ist nichts als die Thatsache, dass sich zuweilen der natürliche Zusammenhang mehrerer Generationen in den Ereignissen bemerklich macht; das Beweismaterial genügt noch nicht einmal, um nur von einer Regelmässigkeit der Erscheinung zu reden, geschweige denn von einer Gesetzmässigkeit derselben; [73] Lorenz hebt selber S. 285 f. umsichtig hervor, wie vielfach der Zusammenhang im Wirken je einer bestimmten Generation durchkreuzt und gehemmt wird – nach unserer Meinung ist das in so hohem Grade der Fall, dass überhaupt eine Gesetzmässigkeit, wenn solche vorhanden, nicht mehr erkannt werden kann. Noch weniger reicht das Beweismaterial für die Annahme, dass nun gerade dreimal 3 oder sechsmal 3 Generationen Epoche machen sollen: bei der völlig willkürlichen Abwechslung und Abrundung von 300- und 600jährigen Abschnitten machen die Periodisirungsversuche, die Lorenz zum Beweise und Beispiel seiner Theorie anstellt, fast den Eindruck von Zahlenspielen.

Ganz haltlos ist aber die eigentliche Grundlage der Theorie, die gesetzmässige Periodicität der Menschenproduction; denn die Annahme 300-, bezw. 600jähriger Perioden der Bevölkerungsbewegung stützt sich auf so vereinzelte Beobachtungen, dass sie sich über das Niveau einer Hypothese nicht erhebt; ausserdem sind die Bevölkerungsstatistiker einstimmig der Ansicht, dass die Frequenz und Qualität der Heirathen und Geburten, d. h. also eben die Bevölkerungsbewegung, ebenso von socialen, politischen und anderen ideellen Factoren wie von physischen abhängig ist, mit anderen Worten, dass die Qualität der Generationen selber einer der Factoren ist, welche die Menschenproduction bedingen. Wenn es demnach auch richtig ist, dass die letztere wiederum die Qualität der Generationen bestimmt, so kann man sie doch nicht als die elementare Ursache der wechselnden Beschaffenheit der Generationen hinstellen, wie Lorenz es thut; vielmehr handelt es sich da um Wechselwirkungen.

Der durchschlagendste Einwand gegen die ganze Theorie ist indess noch übrig. Wenn das „Gesetz der drei Generationen“ das „objectiv begründete“ Periodisirungsprincip der Geschichte oder gar „ein der menschlichen Natur innewohnendes Princip“ sein soll, so müsste es doch unfehlbar auf alle Geschichte Anwendung finden können. Zu unserer grossen Ueberraschung bemerkt indess Lorenz am Ende seiner Auseinandersetzungen S. 310, dass dieses „Gesetz“ nur unter der Voraussetzung von Familieneinrichtungen gelte, wie sie die Monogamie mit sich bringt! eine Bemerkung, die allerdings schon Rümelin l. c. gemacht hat, die indess für Lorenz’ Generationenlehre selbstmörderisch ist. Denn dem zu Folge gehören entweder nur die monogamischen Völker in [74] die Geschichte oder die Generationentheorie ist kein allgemeingültiges historisches Eintheilungsprincip und am allerwenigsten ein historisches „Gesetz“.

So kommt dieser Versuch absolut gültiger Periodisirung des geschichtlichen Stoffes denn im Grunde auf denselben Conflict mit dem concreten Stoff hinaus, wie alle Versuche, die von einer Idee oder einem Gesetz ausgehen. Es ist wohl auch einleuchtend, dass Lorenz sich täuscht, wenn er meint, sein Periodisirungsprincip recht eigentlich objectiv dem concreten Stoff entnommen zu haben, da dasselbe doch auf der vagen Hypothese von der Periodicität der Menschenproduction basirt ist. Und selbst wenn man von dieser Basis absieht und nur die epochemachende Bedeutung dreier Generationen, je eines Jahrhunderts, ins Auge fasst, so ist diese Conception im günstigsten Falle eine Beobachtung, die unter gewissen Umständen (also z. B. bei monogamischen Völkern, in der ungestörten Nachfolge gewisser Herrschergenerationen) Geltung hat, die jedoch als allgemeines Princip der geschichtlichen Bewegung nicht mehr Geltung beanspruchen kann als so manche unberechtigte Verallgemeinerung einzeln zutreffender Beobachtungen auf dem Gebiet der Geschichtsbetrachtung.

Durch diesen verfehlten Versuch von Lorenz, wie durch alle ähnlichen Versuche, gewinnen wir nur die verstärkte Ueberzeugung, dass eine absolut gültige Eintheilung und Periodisirung der Geschichte sich nicht mit deren unbegrenztem Stoff verträgt und eine Gefahr für die unbefangene Auffassung desselben mit sich bringt, weil damit versucht wird, die Auffassung systematisch festzulegen, während dieselbe, wie oben betont, freie Bewegung haben muss, dem stetigen Anwachsen des Stoffes und der Erweiterung unseres Gesichtskreises stetig zu folgen.



Anmerkungen

  1. H. Gelzer, Sextus Julius Africanus und die byzantinische Chronographie, zwei Teile 1880 und 1885, speciell über Eusebius Theil 2, S. 23 ff.; L. von Ranke, Zur Chronologie des Eusebius, in Weltgeschichte 1881 Theil 1, Abtheilung 2, Beilage S. 281 ff.; F. X. von Wegele, Geschichte der deutschen Historiographie seit dem Auftreten des Humanismus 1885, S. 481 ff.; O. Lorenz, s. Note 2; Ad. Böhm, Ueber Periodisirungen der Weltgeschichte, im Jahresbericht des katholischen Gymnasiums zu Sagan für das Schuljahr 1887/88.
  2. O. Lorenz, Die Geschichtswissenschaft in Hauptrichtungen und Aufgaben 1886, Abschnitt 6, S. 217–311, Ueber ein natürliches System geschichtlicher Perioden.
  3. S. Ad. Böhm l. c.
  4. S. H. Gelzer l. c.
  5. Z. B. in De civitate dei, Buch 22, cap. 20, und an zahlreichen anderen Stellen, welche aufzählt H. Hertzberg, in Forschungen zur deutschen Geschichte 1875, Band 15, S. 329, Note 2.
  6. Ueber die bildliche Auffassung des Begriffes Aetas handelt O. Lorenz l. c. S. 233 ff.
  7. Dass Isidor dieselbe nur von Augustin entlehnt, nicht geschaffen hat, beweist H. Hertzberg l. c.
  8. Vgl. Oertel l. c. S. 28 f.
  9. M. G. SS. VI, 9.
  10. M. G. SS. VI, 10.
  11. Vgl. F. X. Wegele l. c. S. 481 f.
  12. Vgl. F. X. Wegele l. c. S. 211 f.
  13. Die Entwicklung des Begriffes „Mittelalter“ ist gründlich dargelegt bei Wegele l. c. und bei Lorenz l. c. S. 236 ff.
  14. Des Systems der Philosophie vierter Theil, enthaltend die Philosophie der Geschichte, 2 Abtheilungen 1879 und 1881.
  15. G. Rümelin, Reden und Aufsätze, Tübingen 1875 S. 285 ff.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: nnd