Unser Männe
Unser Männe.
Ich kaufte ihn für schweres Geld von einem Förster – es war an einem Weihnachtsheiligenabend um, wie ich die Ausgabe vor mir selber entschuldigte, doch etwas Lebendiges an diesem Freudenfest zu haben, das ich so ganz allein verleben mußte; denn ich hatte weder Eltern noch Geschwister, und an keinem Abend der Welt ist die „Kneipe“ so kalt, so ungemüthlich wie am 24. December. Ich war im Besitze dieses selbstgespendeten Weihnachtsgeschenkes glücklich wie ein Kind; ich streichelte und fütterte den kleinen Kerl, der sich freilich im Anfang etwas zurückhaltend zeigte; aber, wie gesagt, mit der Zeit wurden wir sehr intim. Des Morgens saß „Männe“ neben mir auf dem Sofa und half mir beim Frühstück; er saß, sagte ich, denn er lehnte aufrecht in den Polstern und zählte mir jeden Bissen in den Mund; und wenn ihrer gar zu viele an ihm vorbeigingen, gab er mir einen kleinen freundschaftlichen Stoß mit der Schnauze und setzte sich noch strammer in Positur. Ging ich in den Dienst, so begleitete er mich traurig bis zur Thür; und kam ich zurück, so hörte ich sein Freudengeheul schon auf der untersten Treppe; er hatte meine Schritte erkannt. War der Bursche so unvorsichtig, ihn herauszulassen, so fiel er mehr, als er lief, die Treppe hinunter und jauchzte und jankte, daß sich die Etagenbewohner über ihn beschwerten. Und nun wußte er, wir gingen aus. Wir spazierten ein paarmal um den Ring der Stadt, auf dem die Militärkapelle zur Parole-Ausgabe spielte; wir bewunderten dabei die jungen Damen, und wenn ich es gar unternahm, die Eine oder Andere anzureden, so setzte sich „Männe“ als Dritter im Bunde dazu und schaute so aufmerksam drein, als verstände er jedes Wort. Oder er zog es vor, auch seinerseits Bekanntschaften zu machen, denn auch die Hundewelt schien sich zur Mittagszeit ihr Rendez-vous auf dem schönen Platz zu geben. Waren wir genug gewandert, ging’s zum Frühschoppen; „Männe“ wußte das genau, er war gewöhnlich schon vor seinem Herrn in dem halbdunklen gewölbten Lokale; sein Herz zog ihn dahin. Er hatte ein zartes Verhältniß mit der feschen Kellnerin; sie bewahrte immer etwas für den „Männe“ auf, und er ließ sich dafür von ihr streicheln, was ich so leicht keinem andern menschlichen Wesen, meinen Burschen ausgenommen, hätte rathen mögen.
Mittags speiste er mit dem Philipp in einem Kellerrestaurant; Nachmittags mußte er sich auf eigene Faust amüsiren. Aber des Abends ward es wieder herrlich für uns Beide! Die Saison abgerechnet, wo der Lieutenant in Gesellschaft gehen muß, kamen viele einsame Abende für mich, der ich nie ein Kneipgenie war und mich auch gern einmal mit etwas Anderem beschäftigte als mit dienstlichen Angelegenheiten, die bekanntlich selbst beim Biere im Kreise der Kameraden verhandelt werden; und da war mir nun der „Männe“ ein wahrer Trost. Ich las; aber ich wußte, hier neben dir, die Schnauze in deine Hand gedrängt, liegt ein lebendes Geschöpf, eines, das dir treu ist, das dich auf seine Art schwärmerisch liebt. Ich wanderte im Zimmer auf und ab, er ging neben mir; es glaubt Keiner, wie klug ein solches Thier ist; er wußte sogar, wenn ich verstimmt war. Dann kam er ganz leise, wedelte, knurrte, um sich bemerkbar zu machen, und wenn Alles nicht half, sprang er auf meinen Schoß und sah mich an, als wollte er sagen: „Was drückt dich denn, du armer Kerl?“ oder: „Könnte ich dir doch helfen!“ Er trauerte mit mir und er freute sich mit mir.
Zu der Zeit, wo ich hangte und bangte in schwebender Pein, weil auf einem Balle Fräulein Grete im weißen Tüllkleide und Rosenkranz es mir angethan und ich nun ganz sicher wußte, daß ich nimmermehr ohne sie würde leben können, und in Folge dessen in weltschmerzlichster Stimmung zu Hause saß, vermeinend, daß dieser Engel sich nie zu mir herabneigen würde: da saß auch „Männe“ still mit hängenden Ohren neben mir, und wenn ich seufzte: „Diese Weiber, Männe, o, diese Weiber!“ dann sah er mich an, als wollte er sagen: „Auch ich, mein Bester!“ – Es war richtig, er hatte vor Kurzem eine grausame Tracht Prügel von der Besitzerin einer verführerischen kleinen Möpsin davon getragen. O Männe, wir können ein Lied davon singen!
Und wie ich eines Abends spät nach Hause kam, selig, wie der Mensch nur einmal in seinem Leben ist, da saß ich bis zum grauenden Morgen mit „Männe“ auf dem Sofa, schwatzend und lachend, und er hörte zu und gab mitunter einen kurzen Blaff mit hinein; den ersten Glückwunsch zu meiner Verlobung nahm ich von Männe entgegen! Ich konnte die Hundesprache verstehen, sein Schweifwedeln, sein Springen. „Nun werden wir nicht mehr lange so allein sitzen, alter Freund; nun wird nächstens eine reizende kleine Frau mit uns zu Abend essen; nun wirst Du nicht mehr in den Keller zu gehen brauchen und ich nicht in das Kasino, und wenn ich im Dienst bin, dann kannst Du vor ihrem Nähtisch auf dem weichen Fellchen liegen, und wenn sie in der Küche revidirt, dann schenkt sie Dir ein Knöchelchen, ein Knöchelchen aus der lieben reizenden Hand – Männe, es wird ein Herrenleben!“
Und Männe sagte: Jap! Jap! Das sollte heißen: „Ich kenne sie, Herrchen, ich kenne sie, die kleine Blonde, die Du immer auf der Straße trafst und grüßtest. Mir sieht sie gut und lieb aus – o Du glückliches Herrchen und ich beneidenswerthester aller Dachse!“
Eines Tages hatte die künftige Herrin ihrem künftigen Hunde sogar ein Halsband gestickt. Männe, als gebildeter Rassehund, fand es zwar nicht recht passend für Einen von seinem Geschlecht; er wedelte: es sei allenfalls für einen Damenhund geeignet, z. B. für die niedliche Möpsin. Aber aus Kourtoisie, und weil ich ihm erzählte, wie viele, viele Stiche die [887] zarten Fingerchen wohl an dem zierlichen Band gethan hatten, ging er so geschmückt in meiner Begleitung um Mittag aus; wir holten die Geberin zum Spazierengehen ab. Herr Gott, war das eine Pracht! Die himmelblaue Schleife flatterte an Männe’s Halse, und ebensolche Bänder waren zum Knoten unter dem weißen Kinn meiner blonden Braut verschlungen. Dazu schien die Sonne, und am Himmel stand keine Wolke, an Männe’s Himmel nicht, und nicht an meinem.
Zum Hochzeitstag hatte der Bursche dem Thiere einen Kranz um den Hals gebunden; so saß er vor dem Bette, als ich das letzte Mal in meiner Junggesellenstube erwachte.
„Der Tausend, Männe!“ rief ich. Da sprang er auf mein Lager. Aber, war es nun, daß ihn der Kranz belästigte, oder daß es auch für Hunde Ahnungen giebt – ich weiß es nicht, er war nicht so wie sonst.
„Na, alter Freund, wir werden uns nun vier Wochen lang nicht sehen, denn die Hochzeitsreise in die Schweiz wirst Du wohl nicht mitmachen können; aber nachher, Du frecher Kerl, dann kommt Deine gute Zeit.“
Ich hatte dem Burschen noch anbefohlen, den „Männe“ gut zu halten; dann habe ich wirklich so an die vier Wochen nicht an ihn gedacht. Nun, es wird mich Jeder entschuldigen. Erst als wir wieder durch die Kiefernadelwälder und das flache Land der Heimath zu fuhren, sagte ich zu meiner Frau: „Wie sich der Hund wohl freuen wird!“ Ich sah ihn ordentlich vor mir, wie er sich wand, wie er an mir hinaufsprang, leckte und schmeichelte und heulte in der Hundesprache: „Gottlob, Herrchen, daß Du wieder da bist; ich habe gedacht, Du kämst nimmer wieder – Gottlob! Gottlob!“
Es kam auch so. Der Bursche hatte ihn auf den Bahnhof mitgebracht; an der Leine zwar, aber was hilft eine Leine bei solch rasender Freude! Es ward ein ordentlicher Auftritt auf dem Perron, die Leute um uns herum lachten und freuten sich, und ich freute mich auch. Im Wagen kletterte er mir auf den Schoß und saß da, rasch athmend mit hängender Zunge, nur dann und wann ein erneutes Freudengewinsel ausstoßend.
„Es ist rührend, nicht, Gretel?“ fragte ich; „solche Anhänglichkeit?“
„Ja! Aber das machen alle Hunde so, Rudolf.“
„Freilich! Freilich! Aber es freut Einen doch.“
„Es scheint so,“ klang es zurück. „Aber halte ihn, er ist schmutzig. Pfui, du Köter! Sieh nur, Rudolf, mein Kleid!“
„Aber Gretchen, wo hast Du das häßliche Wort her? Und zudem, es ist ein Bissel chemisch reiner Schmutz, der abzubürsten geht. Ach, schlag’ ihn doch nicht, das Thier freut sich ja so!“
Meine kleine Frau hatte dem überseligen „Männe“ eine Ohrfeige verabreicht, die, so niedlich auch die strafende Hand war, ihm dennoch wehgethan haben mußte; denn er sprang aufschreiend hinunter vom Schoß und flüchtete sich zu meinen Füßen, wobei er mich verwundert anschaute. Ich konnte nicht anders, ich mußte ihn streicheln: „Alter Kerl, es war nicht bös gemeint.“
„Rudolf,“ sagte die kleine Uebelthäterin und hüpfte ungeduldig an meiner Seite auf, „nun sind wir in der B.-Straße; o Gott, wie freue ich mich!“ Und ihre Augen sahen mich an, so vertrauend, so selig, daß mir das Herz weit wurde. In der B.-Straße lag unser neues Heim.
Sie bog den Kopf aus dem Wagen, während ihre Hand die meine hielt.
„Mama und Mieze sehen aus dem Fenster!“ jauchzte sie, und winkte und nickte, und als der Wagen hielt, war sie wie der Wind hinaus und die Treppen hinauf; ich holte sie erst ein an der blumenbekränzten Flurthür, die zu unserer Wohnung führt. Da lag sie in den Armen der stattlichen Frau, deren ernstes Auge jetzt von Thränen überfloß.
„Mama! Mama – und ich bin so glücklich!“
In Begrüßungsworten, Rührungsthränen und Freudenrufen gingen die nächsten Minuten vorüber, und dann waren wir in unserem Heim, in den molligsten vier Pfählen, die es geben kann. Begreiflicherweise schwammen wir Beide in einem Meer von Seligkeit; Arm in Arm zogen wir aus einem Zimmer in das andere, gefolgt von Mutter und Schwägerin. Von den Lippen der kleinen Frau kamen immer wieder die Worte: „Himmlisch! Rudolf, reizend! O Du gute Mutter!“
Und nun saßen wir bei Tische in dem Eßzimmer; Zwiebelmuster auf der Tafel, Majolikaschüsseln an den Wänden und auf dem stilvollen Kredenztische, vor meinem Platz das silberne Tranchirbesteck, vor Gretchens Platz die Suppenkelle, und mein alter Bursche in brauner Livree mit Silberknöpfen trug schmunzelnd und lächelnd den ersten Gang auf. Es war eine Pracht!
Zwischen mir und meinem Frauchen aber saß kerzengerade auf den Hinterbeinen mein oder vielmehr unser Männe, und seine klugen Augen sahen bittend zu mir empor, als wollte er sagen: „Herrchen, früher, als Du allein aßest und manchmal nur Wurst und Butterbrot hattest, gabst Du mir immer etwas ab. Bekomme ich heute nichts?“ Da nahm ich in meinem Herzensjubel einen Flügelknochen von der Poularde: „Da, alter Schelm; gelt, das gefällt Dir?“
„Aber, Rudolf,“ rief mein Gretchen mit einer Hausfrauenwürde, die ihr allerliebst stand, „weißt Du auch, das ist verschwenderisch!“
„Und der neue Teppich!“ sagte die Schwiegermama, und ihre Augen trafen mich durchbohrend.
„Ja, Rudolf,“ eiferte die junge Schwägerin, „das Thier wird Gretchen alle ihre hübschen Sachen verderben!“
Sie hatten vielleicht Recht – aber es that mir weh, es störte meine Freude. Meine Frau merkte es mir an; sie griff nach meiner Hand: „Sei nicht böse, Rudolf.“
„Nein! nein!“ – Aber ich mußte mich doch wieder umsehen nach dem kleinen Kerl, wie er den Knochen zerbiß. Er bemerkte, daß ich mich zu ihm wandte, und er hob den Kopf und wedelte.
„Nimm Männe mit hinaus,“ befahl ich dem Burschen, „gebt ihm in der Küche zu fressen.“
„Aber keine Poularde!“ schallte die Stimme der alten Dame hinterdrein.
„Zu Befehl!“ sagte Philipp, faßte Männe am Kragen und verschwand mit ihm.
Als die Damen uns verlassen hatten, blieben wir noch Hand in Hand am Tische sitzen. In den Gläsern perlte der Champagner; der Lampenschein blitzte in den neuen Geräthen und lag glänzend auf dem goldigen Haar der kleinen Frau; leise behaglich tickte die Uhr, die Blumen vor uns in der Schale dufteten süß. Daheim! Wie schön, wie schön! Und ich dachte der Abende im verräucherten bierdunstigen Kneipzimmer, der Abende in der kalten Stube meiner Junggesellenwohnung, und dankbar zog ich die zierliche Frauenhand an meine Lippen. Es war mir zu Muthe wie dem Schiffer, der im sicheren Hafen ruht, weit hinter sich das einsame stürmische Meer. Ja, es fehlte nichts zur allerdenkbarsten irdischen Glückseligkeit! Aber Männe, der kleine brave Kerl! Die gestrenge Schwiegermutter war jetzt fort, er mußte her. Im nämlichen Augenblick war ich empor und an der Thür.
[890] „Wo willst Du hin?“ fragte Gretchen.
„Nach dem Hunde sehen.“
„Ach, laß doch das dumme Thier!“
„Es ist vielleicht eine Schwäche von mir, Gretchen, aber ich hänge nun so sehr an dem Hunde,“ entschuldigte ich mich. Sie verzog zum ersten Male den kleinen Mund zum Schmollen, erhob sich und ging in das anstoßende Schlafzimmer; ich, etwas ungeduldig, in die Küche.
„Der Hund?“ fragte die Köchin. „Sie wüßte nicht, sie hätte nicht auf ihn geachtet.“
„Haben Sie ihm nicht zu fressen gegeben?“
„Sie hätte ihm einen Knochen hingeworfen. Aber das müßte sie nun sagen von vorn herein, der Herr Lieutenant möge verzeihen: sie liebe Hunde nicht in der Küche; es sei nicht reinlich, und vom Herrn Major von Z. sei sie deßhalb auch fortgegangen.“
„Wo ist der Hund?“ fragte ich den Burschen, indem ich der Person den Rücken wandte.
„Er hätte ihn nicht gesehen; vorhin sei er noch da gewesen.“
Auf einmal drang ein Schrei der Entrüstung in meine Ohren; zu gleicher Zeit ward die Schlafstubenthür geöffnet, und „Männe“ flüchtete erschreckt in einen Winkel, den zwei riesige Kleiderschränke im Flur bildeten.
„Das ist zu arg, Rudolf,“ schluchzte meine Frau, die auf der Schwelle hinter ihm erschien, und zog mich in das Schlafzimmer.
„Da sieh! Sieh! Dieses gräuliche Thier!“ Und sie zeigte auf den Boden, wo eine Menge blauer und weißer Fetzen verstreut lagen.
„Mieze hat mir die reizenden Pantöffelchen vor das Bett gesetzt, und nun hat dieses Gräuel den Einen gefressen!“ Sie hielt mir den unversehrten Pantoffel unter die Augen, das zierlichste Wunderwerk aus hellblauem Atlas und weißem Pelz. Es war in der That zu arg!
„Ich werde ihn strafen, liebes Kind,“ sagte ich zärtlich und nahm sie in den Arm.
„O, aber mein Pantoffel wird davon nicht wieder ganz!“ weinte sie.
„Aber beruhige Dich doch, Gretchen! Sieh,“ scherzte ich, „das ist Kaninchenpelz. Teckel gehen allemal auf das Zeug los, und zudem, er wird hungerig gewesen sein, Herzchen, die Köchin hat ihm nichts gegeben.“
„Lächerlich!“ erwiderte sie und machte sich los von mir.
„Oder,“ fuhr ich fort, noch immer in scherzendem Tone, „er hatte Mitleid mit seinem armen Herrn und wollte nicht, daß er unter diesen süßen kleinen Pantoffel kommen sollte. Was?“
Sie zuckte die Schultern nnü trocknete die Thränen. „Auf solch dumme Scherze habe ich nicht gerechnet,“ erwiderte sie.
„Aber Liebchen!“
„Nein, ich wünsche nicht, daß die Sache ins Lächerliche gezogen wird, der Hund muß aus dem Hause!“
„Das halte ich wirklich nicht für nöthig, Grete; er wird sicher nicht wieder so etwas thun, wenn er tüchtig Prügel bekommen hat.“
„Du willst ihn behalten, nachdem er – gegen meinen Wunsch, Rudolf?“
„Ja, mein Herzchen; ich sagte Dir vorhin schon, ich hänge an dem Hunde.“
„Wahrscheinlich mehr als an mir!“
„Das sind Redensarten, die eine verständige Frau nicht machen sollte, Grete. Du weißt, das Thierchen habe ich drei Jahre; Du bist da an einen ganz sentimentalen Kerl gekommen; ich könnte es nicht ertragen, den Hund in fremden Händen zu wissen, zu denken, daß er vielleicht schlecht behandelt wird.“ Und da sie trotzig schwieg und mich schier verächtlich mit den thränenfunkelnden Augen anschaute, setzte ich erregt hinzu: „Lieber schieße ich ihn todt!“
„Das ist mir auch recht,“ kam es aus dem rothen Munde, den ich bis jetzt nur liebe gute Worte hatte sprechen hören.
„Nun gut! Dann aber auch sofort!“ rief ich, mich auf dem Fuße umwendend.
„Jawohl, dann wird man ruhig schlafen können!“ scholl es hinter mir, als ich das Schlafzimmer verließ, um meinen Revolver zu holen.
Es kochte in mir. Welche Herzlosigkeit, welche Rücksichtslosigkeit kann so ein Weiberherz bergen! Und um solch lumpigen Pantoffel! „Philipp!“ schrie ich dem Burschen zu, „nimm den Hund auf den Hof, ich komme nach!“
Leichenblaß kam der Mensch herbei und starrte auf die Waffe, die ich eben lud.
„Den Männe? Unsern Männe?“ stotterte er.
Ich antwortete nicht.
„Herr Lieutenant –“
„Marsch! Hinunter mit ihm!“
„Herr Lieutenant, schenken Sie mir den Hund,“ bat der Mann, „er soll auch nie hier herauf kommen; ich werde ihn gut halten,“ und dabei bückte er sich und nahm den kleinen schwarzen Sünder auf den Arm, der eben wieder im Begriff war auf mich loszurasen in einem erneuten Freudenausbruch und keine Ahnung hatte, daß er schuld war an einer bösen, bösen Scene.
„Meinetwegen – aber geh!“
„Danke vielmal, Herr Lieutenant!“
Ich setzte mich vor meinem Schreibtisch nieder; die Waffe lag vor mir, und bitter weh war mir zu Muthe; nicht um den Hund allein, gewiß nicht. Und auf dem Korridor hörte ich die Thür gehen und des Burschen Ruf: „Komm, Männe, komm!“
Zu gleicher Zeit ein Kratzen an meiner Stubenthür, ein Freudengewinsel und ein unterdrückter Fluch des neuen Eigenthümers: „Zum Donnerwetter, Männe, komm!“ Nun hob er ihn wahrscheinlich auf den Arm; dann kurze schwere Tritte, und der kleine vierbeinige Freund war fort. Abscheulich!
Ja, und wenn ich ihr nicht in einem fort gesagt hätte, daß ich das Thier gern habe! Aber freilich, sie ist ein Weib, sie ist eifersüchtig. Ach was, schlimmer als das – ich hatte mich getäuscht in ihrem Charakter! Ich fühlte etwas wie ohnmächtigen Zorn. Was sollte ich thun? Sollte ich unser Glück von vorn herein trüben, indem ich meinen Willen durchsetzte? Vier Wochen nach der Hochzeit den Tyrannen spielen? Gegen die Macht kämpfen, die eine reizende Frau ausübt, mit der man eben verheirathet ist und die jeden Augenblick Hilfstruppen in Gestalt einer sehr stattlichen Schwiegermutter herbeizuführen vermag? Unmöglich! Ich bin ein viel zu rücksichtsvoller Mensch den Frauen gegenüber, und nun gar meiner eigenen! Zudem war die Frage – Friede oder Hund? – ja so leicht beantwortet.
Vielleicht sieht sie ihr Unrecht auch noch ein. Vielleicht gehört sie zu Denen, welche Hunde nicht mögen, wie die Baronin X., die im Stande ist, Krämpfe zu bekommen, wenn sie einen Hund in der Nähe weiß. – Vielleicht!
Aber Eins! Sie war sehr unartig; ich bin wahrhaft gekränkt. Wenn sie nicht zu mir kommt – ich betrete ihr Zimmer nicht, ich muß ihr doch ein für allemal zeigen, wer der Herr ist.
Und siehe – da kam es zierlich über die Schwelle gehuscht, schlang zwei weiche Arme um meinen Hals und legte eine kühle Wange an die meine.
„Rudolf, bist Du mir wieder gut? Sei nicht böse, Rudolf! – Hast Dn ihn todt gemacht, Rudolf?“
„Nein! Der Bursche bat mich, ihm das Thier zu schenken; er hat es mitgenommen.“
Sie sah mir ernsthaft in die Augen. „Wird es Dir wirklich so schwer, den Hund wegzugeben? Wie ist’s nur möglich, Rudolf?“ fragte sie im Tone ehrlichster Entrüstung. „Es ist sündhaft, sein Herz an ein Thier zu hängen, weißt Du, das sagt Mama immer.“
„Ich kann diese Ansicht nicht theilen; Du hast keine Ahnung, was in solch einer armen stummen Kreatur für eine Fülle von guten Eigenschaften wohnt, Eigenschaften, die jeder Mensch sich zum Vorbilde nehmen könnte,“ antwortete ich nicht ohne Schärfe.
Die kleine Frau schlug lachend beide Hände zusammen. „Nun, und was hatte denn dieser Pantoffelfresser zum Beispiel für Tugenden?“
„Er war so anhänglich an mich, Grete.“
„Das bin ich auch,“ versicherte sie schelmisch und küßte mich. „Und sonst?“
„Er ist klug und treu.“
[891] „Das bin ich auch.“
„Ach, Du bist närrisch, Grete!“
„Ja freilich, denn ich habe Dich lieb, Du – Du Hunde-Anwalt; Du solltest Direktor werden in einem englischen Hunde-Asyl.“ Und sie lachte und küßte mich und lachte, bis ich mit einstimmte, und dennoch –
Fahr’ wohl, Männe! Ich hatte es mir anders gedacht.
Der Friede blieb im Hause, der Hund im Pferdestall und in der Burschenstube. Anfänglich lief er noch zuweilen dem Philipp nach und blieb stundenlang vor unserer Flurthür sitzen, geduldig wartend, ob ihm Jemand öffnen werde. Hier traf ich ihn einmal; das glänzend schwarze Fellchen sah verstaubt aus; er hatte ein thränendes böses Auge und sein energisches Kratzen bewies, daß er Einquartierung besaß. Mir drehte sich das Herz um, als das verstoßene Thier sich schier zerriß vor Freude, wie es seinen treulosen Herrn erblickte, „Kerl!“ fuhr ich den Burschen an, „wie hältst Du den Hund! Er sieht ja jammervoll aus!“
„Herr Lieutenant, er liegt den ganzen Tag im Heu; ich habe so wenig Zeit; Sonntags bürste ich ihn zuweilen.“
„Er hat ein schlimmes Auge – geh’ zum Roßarzt mit ihm. Du giebst ihm doch ordentlich zu fressen?“
„Jawohl, Herr Lieutenant. Aber die Anna rückt nicht den kleinsten Knochen heraus, sie verkauft sie; und was sie sonst hat, stellt sie für die Gemüsefrau zurück, es ist eine Verwandte von ihr.“
„So!“
„Es sind immer nur Kartoffeln, Herr Lieutenant, er frißt sie nicht gern.“
„Du wirst dem Hunde jeden Tag Pferdefleisch kaufen, von heute ab!“
„Zu Befehl, Herr Lieutenant! Es wäre aber besser, er thäte sich gleich an die Kartoffeln gewöhnen; bei mir zu Hause –“ er stockte – „ich kann ihm doch kein Pferdefleisch nicht kaufen.“
Ach richtig, ich hatte ihn ja verschenkt! Hätte ich ihn doch lieber todtgeschossen – armer Kerl!
Ob ich noch einmal eine Attake auf Gretchens Herz wage? Ich trat in ihr kleines lauschiges Zimmer; sie saß am Fenster und nähte, die Wangen glühend vor Eifer. Draußen an die Scheiben klopfte der Frühlingsregen; die Linden auf unserer Straße schimmerten im allerersten Grün; im Zimmer roch es süß nach Veilchen.
Sie hatte kaum Zeit, mir die Hand zu geben, so eifrig beschäftigte sie ein winzig kleines Jäckchen; sie sah mich nur an mit glücklichen Augen.
„Grete, wenn es ein richtiger Junge ist, wird er einen Hund haben wollen – meinst Du nicht auch?“ fragte ich forschend.
„O bewahre, Rudolf! Wenn Du etwa denkst, daß er Alles bekommen wird, was er haben will, so irrst Du Dich; ich sehe schon, ich werde ihn allein erziehen müssen.“
„Wild darf er sein, Grete, und seine Passionen soll er haben; ein Duckmäuser darf er nicht werden.“
„Dazu braucht er noch keinen Hund, Rudolf! Meine Brüder sind auch keine Duckmäuser und haben doch nie einen Hund besessen. Und wenn er so darauf erpicht ist, dann doch höchstens einen ganz großen Neufoundländer; das giebt immer ein hübsches Bild – ein blondes Kind und ein schwarzer recht großer Hund.“
„Aber, Gretchen, das sind nicht die treuesten –“
„Ach, Rudolf, ich weiß ja, was Du willst. Du denkst an das kleine Scheusal, das Du früher hattest und um deßwillen wir uns zum ersten Male in unserem Leben zankten; ich kann ihn nun einmal nicht leiden, ihn nicht und alle anderen Hunde nicht und auch keine Neufoundländer.“
Einen Augenblick dachte ich daran, einfach den Befehl zu geben: „Der Hund wird von jetzt ab im Hause bleiben, ohne Weiteres!“ Dann fiel mir die Ermahnung meiner Schwiegermutter ein, meine Frau augenblicklich so schonend als möglich zu behandeln, und fürs Zweite – dem armen Thiere geschah kein Gefallen; er hatte die zarte Weiblichkeit der ganzen Familie gegen sich, die Köchin mit eingeschlossen. Dem war er doch nicht gewachsen; also, der Klügere giebt nach!
„Gut, gut, Gretchen, es wird nie mehr von dem Hunde die Rede sein,“ sagte ich möglichst ruhig und ging aus dem Zimmer.
Es war wirklich nie mehr die Rede von „Männe“; ich sah ihn auch nur selten, und kam er mir einmal in den Weg, so biß ich die Zähne zusammen und hieb ihm Eins mit der Reitpeitsche über, damit er begreifen sollte, daß er nicht mehr zu mir gehöre, und dann sah ich nach der andern Seite. In die Augen hätte ich dem Thiere nicht sehen können: es kann so menschlich vorwurfsvoll blicken.
Oben angelangt vergaß ich gewöhnlich das bittere Gefühl, denn da stand meine Frau und hielt ein blondes Kind auf dem Arme und ihre helle klingende Stimme rief jubelnd: „Wer kommt da, mein Mäuschen? Der Papa! Der Papa!“ Es war ein Bild, so voll strahlenden Scheines, daß es im Herzen keine Spur von Schatten duldete. Vor einem Paar süßer frommer Kinderaugen verfliegt jeder Groll; Gretchens Eigensinn, Männe’s Verbannung – Alles war vergessen.
Unser Fräulein Tochter wuchs allmählich aus dem Stechkissen, trug weiße Kleidchen und gab ganz entschieden Zeichen von sich, daß sie Charakter besaß, d. h. Eigensinn. Sie war kaum ein Jahr alt, da fing sie an hinter dem Rücken ihrer ahnungslosen Eltern zu intriguiren. Ich ertappte sie nämlich bei einem Rendezvous mit – Männe!
Meine Frau war ausgegangen, und zwar zu einem Damenkaffee, der Geburtstagsfeier ihrer Schwester. Vom Dienste heimkehrend hörte ich in der Kinderstube einen ungewöhnlichen Jubel, Lachen, Jauchzen und Bellen, und als ich die Thür aufmachte, erblickte ich mein hoffnungsvolles Töchterchen auf dem Teppiche umherkriechend, das junge Kindermädchen daneben und Männe mit fliegenden Ohren einem Balle nachjagend; er apportirte just die hingeworfene Kugel und rannte im ungestümen Eifer die Kleine über den Haufen.
Ich sprang erschreckt hinzu, aber das Kind jauchzte von Neuem, und die Wärterin erklärte: „Der thut der Kleinen nichts; die spielen gar oft mit einander, Elschen hat den Hund so lieb.“
„Wo hat sich denn die Bekanntschaft angesponnen?“ forschte ich.
„O, drunten auf dem Hofe. Die Kleine schrie einmal so sehr, da brachte ihr der Philipp den Hund; sie war gleich still, und er ließ sich anfassen von ihr, und seitdem habe ich ihn zuweilen heraufgeholt, wenn Elschen schrie.“
„Weiß das meine Frau?“ examinirte ich und setzte mich zu Kind und Hund auf den Teppich.
Ein kleinlautes „Nein!“ war die Antwort. Die gnädige Frau hatte nur einmal den „Männe“ im Flur draußen erblickt und ihn gleich wieder auf den Hof gejagt.
Ich mußte innerlich lachen, indem ich mich mit den beiden kleinen Spielkameraden beschäftigte; es war etwas Schadenfreude. „Das Kind hat viel von seinem Vater,“ dachte ich stolz. „Warte, Du blonde Haustyrannin, wenn wir Zwei uns verbünden, dann sollst Du doch den Kürzeren ziehen!“ – Das ward nun eine Lust; das Baby jauchzte, der Männe bellte – sie konnten Beide nicht mit Worten sagen, wie schön es war, aber ihr Jubel bewies es zu Genüge. Und plötzlich saß der alte treue Kerl aufrecht neben klein Elschen, als wollte er sprechen: „Siehst Du, Herrchen, [892] ich bin Dir nicht böse; ich habe Dein Kind lieb, wenn Du mich auch schlecht behandelst.“ Indeß, das Unglück schläft nicht, sagt ein Sprichwort. Die Thür öffnete sich weit, und auf der Schwelle stand mit großen verwunderten Augen – Mama Gretchen.
„Ich dachte es mir schon,“ sagte meine Frau; „wenn ich nicht im Hause bin, passirt immer etwas. Fort!“ rief sie zornig, und der kleine vierbeinige Eindringling fuhr scheu mit eingezogener Ruthe an ihr vorüber und hinaus.
Aber siehe da! Das Fräulein Tochter brach im nämlichen Augenblicke in ein ohrenzerreißendes Geschrei aus und rutschte zur Thür hin. Mama hob sie vom Boden auf, aber sie brüllte weiter; zuletzt drohte sie gar auszubleiben und wurde blau im Gesichte. Mama und Wärterin klopften sie auf den Rücken.
„Elschen! Elschen! Ei, ei – sieh’ mal hier!“ – Das Schreikindchen wurde ans Fenster getragen; es wurde an die Scheiben geklopft, daß ich glaubte, sie würden zerspringen, die Puppe wurde ihr vorgehalten – umsonst, umsonst.
Ich flüchtete eilends hinaus, öffnete Männe, der wie ein armer Sünder im Entrée saß, die Treppenthür, und wie ein Pfeil schoß er hinunter. Armer Kerl!
Mama und Tochter blieben verstimmt den Rest des Tages; die Wärterin ging mit rothgeweinten Augen umher; sie war als eine unzuverlässige Person bezeichnet worden.
„Warum kamst Du denn so früh zurück, Grete?“ fragte ich beim Abendessen.
„Mich hatte eine sonderbare Unruhe erfaßt,“ erwiderte sie und sah an mir vorüber.
„Du ahnungsvoller Engel, Du!“
„Spotte nur, ich habe nicht Lust, das Kind an Hundewürmern zu Grunde gehen zu sehen.“
„Wie viel tausend Kinder spielen mit Hunden, übertreibe doch nicht,“ sagte ich ärgerlich. „Mit demselben Rechte darfst Du das Kind niemals spazieren tragen lassen aus Furcht, es fällt ihm ein Dachziegel auf den Kopf.“
„Vorläufig liegt der Mutter die Pflege des Kindes ob, und Du verstehst davon nichts,“ erwiderte sie hoheitsvoll. „Ich weiß noch sehr wohl, wie Du den Doktor fragtest, als nicht gleich eine Amme da war, ob wir das Kind nicht mit altem gutem Rheinwein einstweilen aufziehen könnten? Wenn ich es Dir überließe, wäre es in acht Tagen unglücklich oder todt.“
„Bum!“ sagte ich, als sie mit dem letzten grausigen Ausspruche aus der Thür rauschte, und aß allein weiter, und dabei fiel mir ein Vers ein, den ich kürzlich irgendwo gelesen hatte:
„Wer die zarte Myrtenblüthe an dem schwanken Zweige schaut,
Wie sie sanft zum Kranz sich windet um das Haupt der sanften Braut,
Sollte der es möglich glauben, daß sie reift zu harter Frucht,
Als Pantoffel, ungenießbar, bitter, herb und schwer an Wucht?“
Ach, Grete, wo sind die Zeiten geblieben, als Du Männe „ein allerliebstes Thierchen“ nanntest und ihm Halsbänder sticktest?
Und die Zeit ging dahin, es wollte Weihnacht werden. Im Hause war es noch nie so lebendig, so geheimnißvoll, so traut gewesen.
[905] Was wir nicht Alles zu thun hatten in der geheimnißvollen trauten Zeit vor Weihnachten! Abends, wenn die Kleine schlummerte, saß Gretchen in meinem Zimmer auf dem Sofa und nähte Kleider für ein Puppenbaby, das die Augen auf- und zumachen und schreien konnte und den Kopf voller Flachslöckchen hatte. Ich tapezierte eigenhändig eine Puppenstube, zu der meine Schwägerin die Bewohner ankleidete – einen Papa in Uniform, eine Mama im Spitzenschlafrocke und sechs Puppenkinder. Wir waren so eifrig, daß wir das Sprechen fast vergaßen.
„Wie sie sich freuen wird, Rudolf!“ meinte Gretchen endlich und besah entzückt das Hütchen, welches eben fertig geworden war, „es ist doch gut, daß wir ein Mädchen haben; für einen Jungen findet man so schwer Spielzeug.“
„Kinder, Ihr seid närrisch,“ behauptete meine Schwiegermutter, „das Würmchen ist ja noch viel zu klein für diese schönen Sachen, versteht nichts davon und wird sie ruiniren.“
Aber da kam sie schön an!
„Else ist ein außergewöhnlich kluges Kind,“ erklärte Gretchen ganz roth; „sie läuft und spielt mit ihren anderthalb Jahren und weiß ganz genau, was sie will!“
„Sie sagt doch schon: Haben! haben!“ bestätigte ich, „und schreit, wenn sie ihren Willen nicht durchsetzt. Nein, die ist ein Pfiffikus, und das hat sie von ihrer Mutter.“
„Und im vorigen Jahre hat sie schon immer nach den Lichtern gegriffen und gelacht,“ bemerkte die kleine Schwägerin.
„Und sie wiegt ihre alte Puppe schon genau ebenso, wie es die Minna mit ihr selbst macht,“ begann Gretchen wieder; „hast Du das nicht gesehen, Mama?“
Mama nickte. „Wenn sie nur der Minna weiter nichts ablernt.“
„Wieso?“ fragten wir wie aus einem Munde.
„Ich weiß nicht, aber das Mädchen gefällt mir gar nicht.“
„Warum denn?“ fragten wir wieder, „sie spielt mit der Kleinen so nett.“
„Nun, ich kann mich ja auch irren; aber wenn mich nicht Alles täuscht, so hat sie einen Bräutigam,“ versetzte meine Schwiegermutter. „Ich sah sie verschiedentlich auf der Treppe neben einem Menschen stehen, – sie riß zwar immer aus, wenn ich kam –“
„Ja, du liebe Zeit, Mama, warum sollte sie nicht einen Schatz haben?“ entschuldigte Gretchen.
„Nein, das gehört sich nicht, liebes Kind,“ unterbrach ich sie, „ein Kindermädchen mit einem Schatz ist ein Unding, paßt sich nicht; sie denkt dann mehr an ihn als an unsere Maus, und kurz und gut, wenn dem so ist, wird ihr gekündigt.“
„Aber Rudolf!“
„Dabei bleibt’s, mein Herz.“
„Halte ich für sehr richtig,“ erklärte die Schwiegermama, „das wird sich Alles finden. Habt Ihr denn schon einen Baum?“
„Ach, eine herrliche Tanne, und prachtvolles Konfekt!“ rief Gretchen. „Mama, es wird der schönste Weihnachtsabend, den ich je erlebt habe!“
„Freilich! Freilich!“ nickte die stattliche Dame. „Es ist reizend, für ein Kind die Lichter anzuzünden. Habt Ihr Alles besorgt für die Leute?“
„Alles! Alles! Was denkst Du denn, Mamachen, übermorgen ist heiliger Abend!“ erklärte Gretchen. Und nun rechnete sie her: „Die Köchin – ein Kleid; das Kindermädchen – einen Mantel; der Bursche – eine Uhr.“ Dann lief sie hinüber zu der Mutter und wisperte ihr etwas ins Ohr. „Aber vergiß es nur nicht, Mamachen, und bitte, bitte, seid pünktlich um fünf Uhr hier; Kleinchen darf nicht so lange aufbleiben.“ –
Der heilige Abend war angebrochen. War das ein Tag! So viel strahlende Gesichter hatte ich lange nicht gesehen: die Anna lachte in der Küche, die Minna in der Kinderstube; meine Frau koste mit der Kleinen, wenn sie geschäftig an dem Bettchen [906] vorüber kam, und Fräulein Else lag darin, strampelte mit den Beinchen und erzählte sich selbst lange Geschichten. Durch die Fenster sah, ebenfalls lachend, die helle Wintersonne, und im ganzen Hause duftete es nach Tannenbaum, Wachskerzen und Kuchen.
Wie eilig und wichtig die junge Mama war! Sie wußte gar nicht, wo zuerst beginnen. Im Salon stand die Tafel zur Bescheerung bereit; wir hatten für so Viele aufzubauen, für Mamachen und Schwägerin und zwei Brüder meiner Frau, die auf Urlaub daheim waren; für die Dienerschaft und vor Allen für das Kind. Sie würden ja Alle nur das Kind ansehen, und die Brüder kannten das Gretchen noch nicht als Hausfrau und Mama.
Heute nun wollte sie sich zeigen; alles Silber war herausgegeben, der feinste Damast; für das Baby das weiße gestickte Kleidchen mit den himmelblauen Schleifen.
„Rudolf! Rudolf!“
„Ja, mein Kind!“
Sie kam athemlos herein mit einem Billet. „Denke Dir, die Mieze! die Mieze hat sich verlobt mit dem Assessor! Er kommt heut Abend natürlich mit – Rudolf, da steht’s!“
„Nun, das ist allerliebst!“
„Und da schreibt Mama; sie schickt Champagner für heute Abend. Rudolf, ich bitte Dich, Du mußt noch eine Kleinigkeit besorgen für den neugebackenen Bräutigam, eine Meerschaumspitze oder ein Bierseidel oder dergleichen; man kann ihn doch bei der Bescheeruug nicht umgehen.“
„Ja, mein Engel –“
„Aber rasch! Du mußt mir nachher noch helfen beim Anputzen des Baumes.“
„Sofort, Gretchen – das heißt, wenn ich hier fertig bin; ich habe auch meine Geheimnisse.“
So ungefähr drei Uhr Nachmittags machte ich mich auf den Weg, um den Auftrag meiner Frau auszuführen. Ich fand bald, was ich suchte, drängte mich durch die hastig treibende Menge auf den Weihnachtsmarkt, kaufte einen Veilchenstrauß für Grete, freute mich über die erwartungsvollen Gesichter von Alt und Jung, dachte an mein blondes Mäuschen zu Hause und fand, daß ich doch ein glücklicher, ein sehr glücklicher Mensch sei. Wie arm war ich einst, wie reich bin ich jetzt! Die Weihnachtsabende von früher fielen mir ein … wie kalt, wie düster, wie ungemüthlich! Das eine Mal trank ich mir einen Rausch in Punsch; das war die allerhäßlichste Weihnacht. Meistens aber saß ich allein, ganz allein; ich hatte nicht eininal Jemand, der mir eine Weihnachtskiste sandte, die ich auspacken durfte.
Auf einmal fiel mir die Weihnacht ein, an der ich Männe kaufte, Männe, den treuen Freund meiner Einsamkeit. Wie lange hatte ich nicht an den kleinen Kerl gedacht! Der Bursche hatte indessen gewechselt und Männe mitgenommen; aber siehe da! schon anderen Tages war der Hund wieder im Pferdestall. Der neue Bursche hatte es mir gemeldet und gefragt, ob das Thier bleiben solle? Ich hatte kurz genickt. Der Hund war ein Stachel in meinem Gewissen, der einzige wunde Punkt zwischen Gretchen und mir. „Behandle ihn gut!“ – „Zu Befehl, Herr Lieutenant.“
Seitdem hatte ich in der That mich nicht mehr um ihn gekümmert. Diese dumme Sentimentalität! Ich stand plötzlich im Schlächterladen und kaufte eine Wurst; ich wollte noch in den Pferdestall, bevor oben die Bescherung anfing. Im Stalle war weder Männe noch der Bursche; die Stubenthür zu des letzteren Quartier fand ich verschlossen: er half wohl oben in der Küche. Aber ein freudiges Schnuppern und Kratzen drinnen verrieth mir den Aufenthalt des Thieres. „Warte nur, alter Kerl, ich schicke Dir die Wurst nachher.“
Es war schon leichte Dämmerung, als ich die Flurthür öffnete und lautes Gespräch und Lachen mir entgegenscholl. Ich hatte mich natürlich verspätet – sie waren schon Alle da? Richtig, meine Stube voller Menschen; die Brüder, das Brautpaar, die Schwiegermama beim Kaffee.
„Wo ist meine Frau?“ erkundigte ich mich unter Händeschütteln und Glückwünschen.
„Im Salon beim Weihnachtsmann, und sie erwartet Dich. Genire Dich nicht, wir unterhalten uns hier schon.“
Im Salon war es still und feierlich; die Tritte der kleinen geschäftigen Füße hörte man kaum auf dem weichen Teppich; nur die Seide des Kleides raschelte leise, und wir sprachen mit gedämpfter Stimme; das Kind schlief noch.
„Rudolf,“ flüsterte sie, „ist es nicht süß, ist es nicht reizend?“ Und sie zog mich zu dem Plätzchen unter dem Tannenbaum, wo sie alle die bunten Spielsachen aufgebaut hatte. Wir standen Beide davor und sahen uns in die Augen; „Unser Kind! Unser liebes Kind!“ – Dann gaben wir uns einen Kuß, sie wischte sich eine Thräne ab, und wir versicherten uns gegenseitig, es sei zu schön auf der Welt, wir seien zu glücklich, sie und ich und das Kind –.
„Geht’s noch nicht bald los?“ rief draußen die Stimme von Gretchen’s jüngstem Bruder, dem Fähnrich.
Wir fuhren wie ertappte Liebesleute auseinander. Grete verschwand im Kinderzimmer, nachdem sie mich noch ermahnt hatte, nicht unter das Tuch zu sehen, das die für mich bestimmten Gaben verhüllte. Und während ich rasch das Etui mit dem heißersehnten Armbande und noch verschiedene Kleinigkeiten auf ihren Platz legte, hörte ich sie mit dem Kinde im Nebenzimmer plaudern: „Ei, ei, mein Mäuschen, jetzt – jetzt aber hübsch still halten, der Weihnachtsmann ist da.“
Dann brannte ich die Lichter an und klingelte, und das Freuen und Jubeln war genau so, wie Jeder meiner Leser es kennt, wenn er einmal im Kreise glücklicher Menschen einen Tannenbaum brennen sah. Grete und ich hatten nur Augen für die Kleine; Einer nahm sie dem Andern ab; für jeden Freudenlaut küßten wir sie. Großmama und Onkel und Tanten, sogar der neue Bräutigam legten der kleinen Prinzessin so viele Gaben zu Füßen, daß wir uns wie in einem Nürnberger Spielwarengeschäft befanden.
„Hier, laßt sie einmal Champagner kosten,“ rief der jüngste Onkel. „Wahrhaftig, die versteht’s – Grete, hast Du gesehen, wie Deine Tochter schlucken kann?“
„Macht mir das Kind nicht betrunken,“ bat meine Frau.
„Ei, das schadet ihm nichts.“
„Nein, das dulde ich nicht,“ erklärte die Großmama, „seht doch, sie hat schon ganz kleine Augen!“ Und sie entriß uns das Baby fast gewaltsam und verschwand mit ihm in die Kinderstube.
Um sechs Uhr gingen wir zu Tische; Gretchen hatte dem Brautpaar zu Ehren das Souper in ein Diner verwandelt; sie lief noch einmal eilig zu der Kleinen und nahm dann den Platz vor der dampfenden Suppenschüssel ein. „Sie schläft ihren Rausch aus,“ lachte sie, „Minna sitzt an ihrem Bettchen. Ihr habt ihr auch zuviel Champagner gegeben.“
So eine Stunde mochte vergangen sein in fröhlicher Unterhaltung, in Neckerei und Jugenderinnernngen; da stand die Großmama auf und öffnete das Fenster.
„Horcht, die Glocken!“
Wir waren Alle still. Einem Jeden von uns kam wohl ein feierlicher Gedanke. Das junge Brautpaar hatte sich verstohlen die Hände gereicht; Gretchen’s Kopf lag an meiner Schulter; der ältere Schwager dachte hinaus an das Mädchen, das er heimlich liebte, an künftige glückliche Weihnachten, der jüngere schaute ernsthaft in sein Glas. Am Fenster stand eine Frau und wischte sich heimlich die Thränen. „Sie denkt an Papa,“ flüsterte Gretchen mir zu.
Da auf einmal mischten sich in diese Glockenklänge Töne, die mich erschreckt zusammenfahren ließen; – es war das halberstickte Geheul eines Hundes, erbärmlich klagend, Hilfe heischend.
Ich sprang empor. „Männe! das ist Männe’s Stimme! Wo mag er sein?“
[907] „Der unnütze Störenfried! Wie ist er nur wieder heraufgekommen?“ hörte ich noch ärgerlich Gretchen rufen. Dann stand ich im Vorflur und horchte. Aber in diesem Augenblick war Alles still.
„Männe! Männe!“ rief ich und riß die Flurthür auf – Nichts zu sehen. Ich trat in die Küche; der Bursche und die Köchin in vollster Thätigkeit, die Letztere schob eben eine zischende rauchende Pfanne vom Feuer.
„Wo heult der Hund?“ rief ich.
Der biedere Pole stand mit offenem Munde, das Tuch und einen abgetrockneten Teller in den Händen. „Weiß ich nicht, Herr Lieutenant: war ich vorhin unten und gab ihm Wurst, meine ich, er ist im Pferdestall.“
Da – wieder das gedämpfte und doch so heftige Kratzen, das Heulen, Winseln! Im nächsten Augenblick war ich durch den schwach erhellten Salon geeilt und hatte die Thür der Kinderstube geöffnet.
Barmherziger Gott!
Eine Wolke erstickenden Qualmes zog mir entgegen, ein laut klagendes Geschöpf sprang an mir herauf, leckend, winselnd, und floh dann zurück in das raucherfüllte Zimmer. Halb sinnlos vor Angst drang ich nach; dort wußte ich das Bett des Lieblings – ich tastete, mühsam athmend, hinüber, griff in die Kissen und hob das Kiud heraus; schwer lag es in meinen Armen. Und nun eilte ich aus der tödlichen Luft nach dem Salon.
Der Bursche war mir nachgekommen, hatte gesehen und die Schreckenskunde an die festliche Tafel gebracht. Ich saß mit dem leblosen Kinde am Fenster, das ich instinktiv geöffnet, und vor mir lag zitternd, schreckensbleich, keines Wortes mächtig, meine Frau auf den Knieen.
„Mein Kind, Rudolf, mein Kind!“
Ich hörte Rufen und Schreien; ich fühlte, wie meine Schwiegermutter es mir vom Arme nahm, und sprang auf die Füße und richtete die arme kleine Frau empor.
„Komm, Grete, sei stark!“ rief meine Schwiegermutter, „Wasser – Eau de Cologne – einen Arzt!“ Und Gretchen eilte zitternd zu dem Tische, auf den man das Kind gelegt hatte; mit bebenden Händen entkleidete sie es, mit bebenden Händen und angstverzerrtem Gesichte. Das Zimmer hatte man rasch erhellt; sie waren Alle da bis auf meinen älteren Schwager und den Burschen, die den Arzt suchten. Man hörte nur das angstvolle Athmen, das unterdrückte Schluchzen meiner Frau.
„Bleib’ ruhig, Grete,“ tönte die Stimme meiner Schwiegermutter, „ruhig, mein Liebling! So, nun das Hemdchen herunter.“
Ich stand dabei und sah, wie das blasse Antlitz der alten Frau sich zu dem tief gerötheten Gesichtchen des Kindes hernieder beugte, wie sie die Fußsohlen rieb und die kleine Brust. Keiner von uns wagte zu athmen; eine lange Pause, und dann – „es lebt, mein gutes Kind, ich fühle das kleine Herz, wie es schlägt!“ Ein Paar große Tropfen perlten über die Wangen der Großmutter.
„Es lebt!“ rief Gretchen. „Großer Gott, habe Dank!“ Sie nahm es empor, hüllte es in die Decken und eilte wieder an das offene Fenster; frische reine Luft strömte ihr entgegen, und leise, leise begann das Kind zu weinen.
„Weine nur, mein Liebling, weine nur!“ – Es klang mir wie erlösend in diesem Augenblicke. Ich hielt sie Beide umfaßt, Mutter und Kind.
„Gretchen!“
„Rudolf, es wäre auch mein Tod gewesen.“
„Sprich nicht so, Gretchen.“
Sie waren Alle hinausgegangen. Wir standen da, noch immer den neu geschenkten Liebling im Arme, der jetzt blaß, aber mit großen offenen Augen uns anschaute. Ja, rasch kann sich Glück und Unglück wenden!
„Wie ist es doch gekommen, Rndolf?“
Da flog die Salonthür auf, und ein bleiches verstörtes Mädchen eilte herein und fiel Gretchen zu Füßen.
„Gnädige Frau – Verzeihung – barmherziger Gott, vergeben Sie mir!“
Meine Frau wandte den Kopf von ihr und winkte, sie solle sich entfernen.
„Herr Lieutenant,“ jammerte die Minna, und rutschte auf den Knieen zu mir herüber, „ich bin schlecht gewesen! Ich bin zu meinem Bräutigam gelaufen; ich hatte ihm ein Paar Pantoffeln gestickt, die ich ihm bringen wollte; Elschen schlief so schön, und ich habe vergessen, den Wachsstock auszulöschen – das Nachtlicht brannte so trübe, und ich fand keinen Leuchter und stellte ihn in den Nähkorb, und da ist er heruntergebrannt und hat die Wolle angezündet. Ich war aber nur in Angst wegen Männe, der sich in die Stube geschlichen hatte, und lief, so rasch ich konnte, wieder her, und nun – doch zu spät, Herr Lieutenant!“
„Gehen Sie!“ befahl ich, denn eben trat der Arzt ein. Wankend verließ das Mädchen das Zimmer.
„Es lebt, Herr Doktor!“ riefen wir ihm entgegen.
„Was sind das für Sachen!“ sagte er kopfschüttelnd und beugte sich über die kleine Patientin. Er kannte die ganze Unglücksgeschichte bereits von meinem Schwager. „Ein paar Augenblicke später, Herr Lieutenant, dann – welcher glückliche Zufall hat Sie noch rechtzeitig hingeführt?“
„Ja, ein glücklicher Zufall, Herr Doktor!“ und meine Augen sahen ernst in die von Gretchen, die sich langsam senkten.
„Ist das Kind außer Gefahr?“ fragte sie hastig, und ihr blasses Gesicht färbte sich auf einmal dunkelroth.
„Ich sollte es denken, gnädige Frau. Legen Sie die Kleine schlafen in einem andern, frisch gelüfteten Zimmer. Morgen früh sehe ich wieder nach, und – sorgen auch Sie, daß Sie ruhig werden.“
Bald herrschte tiefe Stille in unserer Wohnung. Sie gingen Alle und drückten uns nun ganz besonders fest die Hand. Im Salon neben dem Weihnachtstisch stand jetzt das Bettchen mit dem schlummernden Kinde. Leise schluchzend kniete die Mutter daneben, die Hände gefaltet, den Kopf in die Kissen geborgen.
Dann erhob sie sich. „Komm mit, Rndolf!“
„Wohin?“
„Komm mit!“ Sie zog mich an der Hand hinaus, durch den Korridor, die Treppe hinunter. „Der Hund, Rudolf, der gute Hund!“ flüsterte sie auf der Schwelle des Pferdestalles. „Rufe Du ihn, denn mir wird er nicht gehorchen.“
„Männe!“ rief ich in den dunstig-warmen dunklen Stall hinein; da raschelte es im Stroh und kam zu mir herüber, winselnd und bellend vor Freude.
„Komm, Männe!“ sagte Gretchen und hob ihn auf den Arm, „komm!“ Und als wir Beide wieder über den Hof schritten, da sah ich im Sternenlichte der heiligen Nacht das schwarze Fellchen des Hundes an der zarten Wange der blonden Frau, und sah die großen Thränentropfen, die aus ihren Augen fielen, und die Hand, die das Thierchen streichelte. So stieg sie rasch und stumm die Treppe empor.
„Setz ihn nieder, Gretchen; er kommt schon mit,“ bat ich. Aber sie schüttelte nur den Kopf, und oben verschwand sie rasch im Eßzimmer mit dem Hunde.
Ich folgte ihr nicht; ich stand im Salon am Fenster und dachte der letzten Stunden.
O furchtbar!
Nun im Eßzimmer leise Tritte, Klappern von Tellern; „Komm, Männe!“ sprach Gretchen weich. „Komm!“
Nach einer Weile trat sie an meine Seite und faßte meine Hand. „Vergieb mir, Rudolf!“
„Was denn, Gretchen?“
[908] „Der Hund – der Männe, unser Männe –! Ich weiß es! Es hat Dich jahrelang geschmerzt, daß ich ...“
Ich strich ihr über das weiche Haar. „Laß gut sein, Gretchen, es ist Alles vergessen in – dieser Stunde!“
Eben drängte er sich durch den schmalen Spalt der Thür und lief herüber zu mir. „Guter braver Kerl, sei bedankt!“
Er stand wedelnd vor uns und sah uns abwechselnd an, als wollte er sagen: „Was habt Ihr närrischen Menschen: ich that einfach nur meine Hundepflicht.“
So saßen wir schweigend am Bettchen des Kindes, lange; der Männe lag auf meinem Schoß, wie in vergangenen Tagen.
Fröhliche selige Christnacht senkte sich über die Erde und redete zu uns von Liebe und Frieden. Fest umschlungen hielten sich unsere Hände in echter Weihnachtsdankbarkeit. Ja, Liebe und Frieden über der weiten großen Welt, Liebe und Frieden in der engen Welt unseres Hauses.
Merkst du, wie süß sie walten? Wann haben wir uns je so treu in die Augen gesehen, mein Gretchen und ich? So sonder Schatten, sonder Bitterkeit?
Und auch du, kleiner schwarzer Gesell, auch du hast theil an diesem Frieden. Du wirst nicht mehr frierend und hungernd auf der Schwelle sitzen und mich anschauen mit dem rührenden fragenden Blick der stummen mißhandelten Kreatur – nie mehr!
Leise tickt die Uhr, leise rauscht die Goldfahne des Tannenbaumes: und leise athmet unser geliebtes Kind. Bleibt bei uns, Liebe und Frieden immerdar!