Unser Totenkopfschmetterling

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Autor: B. Theinert
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Titel: Unser Totenkopfschmetterling
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 706–707
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Unser Totenkopfschmetterling.

In einem älteren Bande der „Gartenlaube“ – Jahrgang 1889, Nr. 26 – fand ich kürzlich über unseren Totenkopfschmetterling einen Aufsatz, dessen interessantem Inhalt meine Beobachtungen in einigen Punkten widersprechen. Da der Herr Verfasser jenes Artikels am Schluß desselben zur Veröffentlichung weiterer Wahrnehmungen aufgefordert hat, gestatte ich mir, folgendes mitzuteilen. Es ist inzwischen die interessante Frage, ob der Totenkopfschwärmer in Deutschland heimisch ist, in naturwissenschaftlichen Kreisen von neuem erörtert und im großen und ganzen bejahend beantwortet worden. Manches ist aber noch dunkel in der Lebensgeschichte dieses stattlichen Schmetterlings, der namentlich von unseren jungen Sammlern als König der Falter betrachtet wird. Nur fortgesetzte Beobachtungen können volles Licht über alle Zweifel ausbreiten und so wünschen wir, daß diese Zeilen beitragen mögen, die Naturfreunde unter den Lesern der „Gartenlaube“ zu neuen Forschungen anzuregen.

Der oben erwähnte Artikel giebt das südliche Europa, die Länder am Mittelmeer, als die Heimat von Acherontia atropos an. Dort kommt der Totenkopf in zwei Generationen vor, deren erste Ende Mai bezw. Anfang Juni, deren zweite ausgangs Juli fliegt. Nur von Weibchen der letzteren, die nach Norden versprengt worden sind, werden die in Deutschland gefundenen Raupen hergeleitet. Dieser Annahme widerspricht die Thatsache, daß ich in unserem Vaterlande häufig schon Mitte August ganz ausgewachsene Raupen, ja sogar Ende dieses Monats und anfangs September einigemal frisch geschlüpfte Falter gefunden habe. Es ist geradezu unmöglich, daß sich in einem einzigen Monat, von Ende Juli bis Ende August, die ganze Entwicklung dieses großen Schwärmers vom Ei an vollzogen haben kann.

Hiernach bin ich der Ansicht: unser Totenkopf verläßt, wie die meisten deutschen Dämmerungsfalter (Sphingiden), zwischen Mai und Juli die überwinterte Puppe, weshalb man auch die Raupen vom Juli bis September findet, gerade wie die vom Ligusterschwärmer, welcher wohl gleich dem Windig oder Windenschwärmer dem Totenkopf am nächsten steht.

Auch ich habe allerdings den Totenkopf als Falter noch niemals vor August gefunden, was für ein Zufliegen aus dem Süden zu sprechen scheint, aber hierfür als kein Beweis gelten kann, da mir in vierzigjähriger Sammelpraxis auch nur einmal ein Windenschwärmer im Juni in die Hände geraten ist. Und diesen Falter hält doch wohl niemand für einen Fremdling. Uebrigens ist seit dem Erscheinen des erwähnten Artikels in der Zeitschrist „Natur“ (Jahrg. 1894) eine Reihe von Fällen zusammengestellt worden, in welchen im Mai und Juni in Deutschland Totenkopfschmetterlinge teils im Freien gefangen, teils aus im Freien überwinterten Puppen gezogen wurden. Das seltene Vorkommen dieser Schmetterlinge in jener Jahreszeit läßt sich ungezwungen erklären. Die überwinternden Puppen dieser Falterarten sind im norddeutschen Acker zu vielen Gefahren ausgesetzt, um eine zahlreiche Frühjahrsgeneration ergeben zu können. In Süddeutschland, wo die Kleinfelderwirtschaft, die vielen Grasraine zwischen den meist terrassierten Aeckern und die vom Pfluge verschonten Stellen unter den Obstbäumen den Raupen ungestörte Verpuppungsplätze gewähren, tritt sowohl der Totenkopf wie der Windig im Herbst fast alljährlich auf. Ich habe z. B. im August 1892 und 1893 in der Nähe von Konstanz mehrfach an einem Vormittag über ein Dutzend Totenkopfraupen gesammelt, und zwar in beiden Jahren auf derselben Feldmark, was doch wohl für das Vorkommen des Totenkopfs als Standfalter sprechen dürfte. Im Juni bin ich leider nie in jener Gegend gewesen, kann also nicht sagen, ob dort auch in dieser Zeit der Falter so zahlreich vorkommt, daß man gelegentlich ein Exemplar findet. Ich möchte aber hieran nicht zweifeln, denn wiederholt haben Bekannte von mir, welche am Bodensee wohnen, aus in eiskalten Kammern überwinterten Puppen im Juni tadellose Falter erhalten. Allerdings waren diese Puppen in den mit hoher Bodenschicht versehenen Raupenbehältern in ihren natürlichen Erdhöhlen ungestört belassen worden.

Aber auch für Norddeutschland widersprechen meine Erfahrungen der vielverbreiteten Ansicht, daß vor Mitte Oktober in diesem Teile [707] unseres Vaterlandes niemals Totenköpfe erscheinen. In der Nähe meines gegenwärtigen Wohnsitzes zu Lübben am Spreewald habe ich 1893 und im vorigen Jahre je einen frisch geschlüpften Falter am 7. bezw. 8. Oktober gefunden. Raupen, nach denen ich anfangs August suchte, fand ich nicht, dagegen vielfach Fraßstellen und Kot, kam also zu spät, weil die Tiere schon zur Verpuppung geschritten waren. Wie könnten diese Raupen aus Eiern stammen, welche ausgangs Juli aus dem Süden zugeflogene Weibchen hier abgelegt haben!

Hierbei möchte ich den nicht minder verbreiteten Irrtum berichtigen, wonach die Totenkopfraupe sich am Tage in der Erde verbergen und nur des Nachts fressen soll. Ich habe die Tiere im glühendsten Sonnenschein frei an der Kartoffelstaude sitzend, oft schon von weitem, gesehen und an den verlassenen Fraßstellen stets nur den Kot ganz ausgewachsener, also sicher schon verpuppter Raupen gefunden.

Als einen weiteren Grund, dem Totenkopf das Heimatsrecht in Deutschland abzusprechen, führt der Herr Verfasser des oben angezogenen Aufsatzes den Umstand an, daß die Raupen niemals von den bei uns vorkommenden Schmarotzern heimgesucht würden. Ich habe zu meinem Leidwesen mehrfach eine entgegengesetzte Erfahrung gemacht, indem statt des schönen Schwärmers der Erde eine ganze Sektion gemeiner, grauer, rotäugiger Schmeißfliegen entstieg, deren Maden die Raupe schon vor der Verwandlung zur Puppe derart aufgezehrt hatten, daß nur noch kaum erkennbare Hautreste übrig waren. Dagegen war, um dies bloß als Gegenstück anzuführen, von einigen dreißig Oleanderschwärmerraupen – also unzweifelhaften Fremdlingen –, die ich in einem Jahre in Norddeutschland fand, auch nicht eine angestochen oder mit Schmarotzereiern belegt. Fritz Wachtl in Wien hat übrigens schon 1882 aus einer Acherontiaraupe eine Schlupfwespe (Masicera pratensis) gezogen.

Nach dem Vorstehenden möchte ich meine Ansicht über die Heimat und Lebensweise von Acherontia atropos wie folgt zusammenfassen. Der Totenkopf ist ein in ganz Deutschland heimischer Schwärmer, kommt aber häufiger im Süden unseres Vaterlandes vor, weil er dort bessere Entwicklungsbedingungen findet und zuweilen wohl auch über die Alpen aus den Ländern am Mittelmeer oder aus Oesterreich, wo er z. B. bei Wien keineswegs selten ist, Zuflug erhält. Die in Norddeutschland gefundenen Raupen stammen zwar zum Teil von Weibchen, die aus Süddeutschlaud zugeflogen sind, können aber auch norddeutschen Müttern ihren Ursprung verdanken, Wenigstens schließt dies die Winterkälte in Norddeutschland ebensowenig aus, wie die auch in Süddeutschland oft recht niedrige Wintertemperatur Acherontia atropos verhindert, dort Standfalter zu sein. Der Totenkopf kommt normal jährlich nur in einer fortpflanzungsfähigen Generation, und zwar von Mai bis Juli, vor, welcher sämtliche bei uns vom Juli bis September gefundenen Raupen entstammen. Die von August bis Oktober erscheinenden Falter sind durch ungewöhnliche Wärme getriebene, für die Nachzucht verlorene Exemplare. Alles, was von der Entwicklung des Windenschwärmers bekannt ist, gilt auch für den Totenkopf. Wenn letzterer gleichfalls in der Dämmerung auf Blumen schwärmte, so würde man ihn auch bei uns in warmen Jahren an Herbstabenden überraschend häufig fangen, namentlich wenn die Feldmäuse nicht zu zahlreich sind, denn diese verzehren sicherlich eine große Menge der in der Erde liegenden Puppen. Blieben einmal unsere norddeutschen Aecker einen Herbst, Winter und Frühling über undurchwühlt, so würden wir wahrscheinlich in dem darauffolgenden Mai bis Juli den Totenkopf und den Windenschwärmer ebenso oft finden, wie dies alljährlich mit dem Ligusterschwärmer geschieht, dessen Puppen unter der Bodenkultur selten zu leiden haben.

Der Hauptgrund für den so häufigen Mißerfolg bei Ueberwinterung der in den Aeckern gefundenen Totenkopf- und Windigpuppen ist der Verlust des Erdkokons und der hohen darüber lagernden Bodenschicht. Diese Schutzmittel erhalten die ungestörten Puppen auch während der Winterkälte genügend warm und feucht; sie sind künstlich durch Ofenwärme und Besprengen mit Wasser nur unvollkommen zu ersetzen. Auch die neuerdings verwendeten sogenannten Brutapparate bringen zwar die Falter zu einer ziemlich sicheren, frühzeitigen Entwicklung, begünstigen aber nicht eine volle Ueberwinterung, wie sie für eine Weiterzucht erforderlich ist. Wer fortpflanzungsfähige Totenkopfschmetterlinge im Frühjahr erhalten will, muß die im Herbst vorher verpuppten Raupen ungestört in der Erde lassen und die betreffenden Puppenbehälter, am besten große Blumentöpfe, in einem kalten Raume überwintern.

Schließlich noch eine von mir gemachte Wahrnehmung, die ich noch nirgends erwähnt gefunden habe. Fast derselbe Laut, wenn auch schwächer, welchen der Totenkopffalter bei der Berührung hören läßt, ist auch seiner Raupe eigen. Sie giebt ihn, anscheinend mit den Freßzangen, fast stets von sich, wenn man die Staude abschneidet, an welcher das Tier bei der Auffindung sitzt. Merkwürdigerweise wiederholt sich dieser Ton später in der Gefangenschaft beim Futterwechsel nach meiner vielfachen Beobachtung niemals. B. Theinert.