Unsere Schulprüfungen

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Titel: Unsere Schulprüfungen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 676–678
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Das Königl. sächsische Volksschulgesetz und die Kirchengesetze vom 15. und 16. April 1873 nebst der Kirchenvorstands- und Synodalordnung vom 30. März 1868, SLUB Dresden
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Unsere Schulprüfungen.

Wenn wir uns in unsere Kinderjahre zurückversetzen, so spielt gewiß in den Erinnerungen an dieselben die Schule eine große Rolle. Die Meisten denken gern an ihre Schulzeit zurück, an Lehrer und Mitschüler, an die heiteren und ernsten Erlebnisse jener Jahre. Da tauchen auch die Tage vor uns auf, an denen wir Examen hatten. Wie klopften die kleinen Herzen in banger Erwartung der kommenden Dinge, wie jubelten wir, wenn Alles gut gegangen war! Waren nun gar Vater und Mutter zugegen, so wurde der Examentag der feierlichste Tag des ganzen Jahres. Die Schule der Gegenwart ist aber eine andere als die der Vergangenheit. Wie Alles fortschreitet, so auch die Schule, und manche frühere Einrichtungen sind verschwunden und haben besseren Platz machen müssen. Leider verschwindet auch der familiäre Zug, welcher der alten Schule eigen war, mehr und mehr. Die Ursache davon liegt vorzugsweise in unsern socialen Verhältnissen, besonders in dem gewaltigen Wachsen der größeren Ortschaften. Es geht nicht anders, als daß in den großen Schulkasernen unserer Städte auch straffe, militärische Zucht herrschen muß. Lehrer und Schüler aber stehen sich fremder gegenüber als in der früheren Zeit. Wie ist dies auch anders möglich, wenn ein Kind während seiner Schulzeit ein Dutzend Lehrer hat? Selbstverständlich werden auch die Beziehungen zwischen Schule und Haus immer schwächer. Ist es doch in großen Städten kaum möglich, daß die Eltern die sämmtlichen Lehrer ihrer Kinder kennen lernen! Die Zahl derselben ist zu groß, der Wechsel – alle Jahre ein anderer Lehrer – zu häufig. Um so mehr müssen daher die wenigen Berührungspunkte, die Schule und Haus noch mit einander haben, beachtet und gepflegt werden.

Eins der wichtigsten dieser Bänder ist die bereits erwähnte öffentliche Schulprüfung. Und gerade hierüber ist jetzt ein lebhafter Streit entstanden. Eine große Zahl Lehrer hält es für besser, wenn diese Prüfungen ganz beseitigt werden; andere wollen sie beibehalten wissen, denselben aber eine zeitgemäße Form geben. Auf der letzten deutschen allgemeinen Lehrerversammlung in Gotha entschied sich der größere Theil der Lehrer für Wegfall der bisherigen öffentlichen Schulprüfungen. Hier müssen aber auch die Eltern gehört werden.

Aus welchen Gründen will man eine so alte Einrichtung beseitigen?

Man sagt, die öffentlichen Schulprüfungen haben sich überlebt, sie seien zu einer Art Schaustellung herabgesunken, durch welche die Würde der Schule nicht gehoben, sondern eher geschädigt würde. In einer so kurzen Spanne Zeit sei es unmöglich, dem weiteren Publikum auch nur annähernd einen entsprechenden Begriff von der Schwierigkeit der wirklichen Schularbeit zu geben. Alles gehe da so flott, daß es für den Laien den Anschein gewinnen müsse, als sei das Schulehalten etwas sehr Leichtes und Unterhaltendes. Auch für die Leistungen der Schüler seien die Prüfungen nicht maßgebend, da die Censuren vom Ausfall derselben nicht abhängig gemacht würden. Mancher Vater, manche Mutter hören ihr Kind recht hübsch antworten und wundern sich nachher über die ungünstige Censur. Das führe zu Verstimmungen und Mißhelligkeiten zwischen Schule und Haus. Manche Eltern wären sogar der Meinung, die Prüfungen seien nur dazu da, um ein Urtheil über den Lehrer zu gewinnen, und befähigten nun den Zuhörer, in allen Schulangelegenheiten ein verdtändnißvolles Wort mitreden zu können. Eitle Mütter erblickten auch in den Schulprüfungen eine erwünschte Gelegenheit, die lieben Kinder, namentlich die Mädchen, hübsch herausputzen zu können, und das gebe wieder Veranlassung zu Klatschereien und Zänkereien, wecke in den Herzen der Kinder Neid und Selbstsucht und schüre in bedenklicher Weise den Klassenhaß.

[677] Man weist auch hin auf frühere Zeiten, wo einzelne Lehrer gewissenlos genug waren, ihre Schüler zur Prüfung monatelang zu drillen, damit ja Alles Schlag auf Schlag gehe. Da leben alte Anekdoten wieder auf, wie die, wo der Lehrer die Antworten der Reihe nach vertheilt hat und nun, weil durch Krankheit eines Schülers diese Reihe zerstört worden ist, die lächerlichsten Antworten erhält, oder es wird erzählt, daß bei einer Prüfung die Schüler bereits antworteten, als der Lehrer eben zu fragen angefangen, etc. In Folge aller dieser Umstände sei das Ansehen der öffentlichen Schulprüfungen derartig gesunken, daß einsichtsvolle Eltern dieselben längst nicht mehr besuchten, da sie namentlich auch durch die Hausarbeiten der Kinder, durch Aufsätze, Rechenaufgaben etc. einen viel besseren und richtigeren Einblick in die Thätigkeit der Schule gewännen.

Alle diese Vorwürfe und Einwendungen, die man gegen die öffentlichen Schulprüfungen erhoben hat, mögen hier und da begründet sein. Was beweisen sie aber? Nicht, daß diese Prüfungen an und für sich verwerflich sind, sondern daß dieselben an manchen Orten in verfehlter Weise abgehalten werden. Die öffentlichen Schulprüfungen sind ernste Schulfeierlichkeiten, werden sie zur Posse erniedrigt, so tragen in der Hauptsache die Leiter und Veranstalter die Schuld. Werden dieselben aber in würdiger Weise abgehalten, so wird sie auch das Publikum beachten und besuchen. In Leipzig ist dies wenigstens der Fall. Hier nehmen die Eltern und Behörden an den öffentlichen Schulprüfungen lebhaften Antheil, und es werden nicht nur die der unteren, sondern auch die der oberen Klassen stark besucht.

Hier kann aber auch kein Schwindel getrieben werden. Die Lehrer erhalten die Aufgaben, die sie zu behandeln haben, nach Entlassung der Schüler. Sie kommen vor der Prüfung mit denselben nicht wieder zusammen, es ist hier also ein Drillen und Einpauken nicht möglich. Werden nun diese Aufgaben nicht zu eng begrenzt, so kann in der Prüfung recht wohl gezeigt werden, was die Schule leistet. Wie es in Leipzig gehalten wird, so ist es auch in anderen Städten, z. B. in Dresden und Chemnitz, der Fall. Auch dort werden die Prüfungen von den Eltern gern besucht. Es ist ferner nicht richtig, daß der Ausfall der Prüfungen ohne Wirkung auf die Censuren sei. Im sächsischen Schulgesetz – bekanntlich einem der besten – ist ausdrücklich gesagt, daß die Censuren erst nach der Prüfung und mit Beziehung auf den Ausfall derselben gegeben werden sollen.

Wenn man weiter angeführt hat, daß manche Eltern durch die Prüfungen ein falsches Urtheil über die Schule erhalten, so kann man mit mehr Recht das Gegentheil behaupten und nachweisen, daß dadurch viele Väter und Mütter ein regeres Interesse für die Schule erlangt haben. Hier ist ihnen Gelegenheit geboten, ihr Kind mit anderen zu vergleichen. Hier liegen die Aufsatzhefte, die Rechenhefte, die Schreibhefte aus, hier sind die Zeichnungen der Schüler ausgestellt, die Handarbeiten der Mädchen laden zur Besichtigung ein – vergleicht und prüfet nun selbst, was euer Kind leistet! Es ist richtig, daß manche eitle Mutter ihr Kind etwas herausputzt. Wird aber nicht gerade bei dieser Gelegenheit oft gezeigt, daß das Kleid nicht den Mann macht? Die Schule ist eine demokratische Einrichtung, der Tüchtigste gilt am meisten und von dem Besten wird der oberste Platz eingenommen, wenn er auch der Aermste ist. Bei der Prüfung tritt dies offen zu Tage. Da wird nicht selten das schlichte Kleid zu Ehren gebracht, da sitzt gar oft der Sohn armer Leute hoch über dem Sohne des reichen Mannes.

[678] Wie in der Schule, so darf auch bei der Prüfung weder Stand noch Rang gelten; hier heißt es: gleiches Recht für Alle. Anstatt den Klassenhaß zu schüren, wird demnach eine gerechte öffentliche Prüfung denselben mindern, und wie früher, so ist auch jetzt noch für viele Familien der Tag der Schulprüfung einer der wichtigsten Tage des ganzen Jahres. Fällt dieser Tag weg, so wird die Trennung zwischen Schule und Haus eine immer größere. Was will man denn an Stelle der Prüfungen setzen? Da hat man vorgeschlagen, es möge von Zeit zu Zeit den Eltern gestattet sein, dem Schulunterrichte beizuwohnen. Welche Störungen des Unterrichts würden aber damit verbunden sein. Und würden diese Besuche aber auf einige bestimmte Tage verlegt, so dürfte in der Schulstube kaum Raum dafür sein; es müßte der Schulsaal benutzt werden, und wir wären wieder bei den öffentlichen Prüfungen angelangt. Andere wollen dieselben einfach abschaffen und halten es für unnöthig, dafür einen Ersatz zu bieten. Es haben sich dies auch manche Gemeinden bereits gefallen lassen. Wir können uns aber kaum denken, daß dies als ein Zeichen des Interesses für die Schule gelten kann. Andere Gemeinden, namentlich in Sachsen, werden sich’s nicht so schnell gefallen lassen. Und gerade die, welche gern zu den größten Opfern für die Schule bereit sind, werden sich am schwersten entschließen, eine Einrichtung aufzugeben, die – in rechter Weise ausgeführt – so großen Nutzen gestiftet hat.