Unsere Vertretung im Ausland

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Friedrich Gerstäcker
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Unsere Vertretung im Ausland
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 590–591
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[590]
Unsere Vertretung im Ausland.
Ein offener Brief an alle deutschen Regierungen und besonders an das deutsche Volk.
Von Friedrich Gerstäcker.

Mein unruhiges Leben hat mich in den verschiedensten Ländern der Erde mit unseren deutschen Landsleuten im Auslande zusammengeführt und mir erlaubt, einen Blick über alle die Verhältnisse zu werfen, in denen sie, zerstreut in der Welt, leben. Besonders kenne ich auf dem großen amerikanischen Continent, nördlich und südlich von der Linie, die meisten Staaten und Reiche, und habe dort, aber auch in anderen Erdtheilen gesehen, wie unsere Landsleute im Auslande vertreten sind – oder besser gesagt, wie sie eigentlich nicht vertreten sind.

In ganz Deutschland giebt sich jetzt, Gott sei Dank, ein reges Streben nach Einigung kund, ein Streben, unser großes deutsches Vaterland zu der Stellung emporzuheben, die es verdient, und Deutschland in Wahrheit so stark und groß zu machen, wie es jetzt, leider Gottes, schwach und klein dasteht. – Das muß anders werden, wenn wir nicht darüber zu Grunde gehen wollen – und das wollen wir nicht.

Die deutschen Regierungen behaupten allerdings, daß sie im Auslande vertreten wären, und berufen sich auf ihre Consuln in fremden Ländern. Machen wir uns vor allen Dingen erst einmal klar, welche Bedeutung ein Consul im überseeischen Lande nicht hat, denn die Bedeutung, die er wirklich hat, ist außerordentlich gering. – Ein Consul dort hat nie die geringste diplomatische Gewalt; er vertritt nie sein ganzes Land, sondern nur die Privatrechte einzelner Individuen untereinander, und er hat nicht die geringste Macht oder Autorität, wenn diese von der betreffenden fremden Regierung trotzdem nicht anerkannt werden sollten, seinem Wort oder Ausspruch dennoch Geltung zu verschaffen. – Ein Consul ist im Auslande nur da nützlich, wo es sich um Ansprüche, Klagen und Streitigkeiten zwischen Deutschen selber handelt (soweit diese nicht das Land angehende Verbrechen betreffen), also ganz speciell Privatconflicte, in deren Ausgleichung und Bestrafung ihn dann die dortigen Regierungen mit Vergnügen unterstützen – z. B. Streitigkeiten zwischen Passagieren oder Seeleuten deutscher Schiffe. Wo auch immer der Consul dem Staat selber entgegentreten soll, um die mißachteten Rechte eines Deutschen anerkannt oder geachtet zu sehen, ist er vollkommen machtlos und kann auf der Gottes Welt nichts weiter thun, als einfach protestiren.

Ich rede hier nicht von der Levante und den Reichen im Südosten, an welche Oesterreich mit seinem tüchtigen Heere und seiner weit festeren und entschlosseneren Politik stößt; erstlich kenne ich jene Länder zu wenig, und dann zweifle ich auch keinen Augenblick, daß sich gerade Oesterreich seine Rechte dort zu wahren weiß. Ich rede hier von den überseeischen Ländern, besonders aber von Süd-Amerika, wo die ewigen und ununterbrochenen Revolutionen die schutzlosen Deutschen ganz besonders gefährden.

Fast alle jene Consuln sind Kaufleute, die bei Annahme einer Consularwürde natürlich eigene Interessen haben müssen, denn die Würde selber bringt nichts ein und macht ihnen eine Menge Schererei. Viele thun es aus Ehrgeiz, um den Titel eines Consuls und die große bunte Flagge auf dem Hause, wie das hübsch gemalte Schild über der Thür zu haben. In solchen Staaten aber, wo die politischen Verhältnisse sehr unsicher sind, hoffen die Meisten auch – und sie haben sich darüber vielfach gegen mich ausgesprochen – von der aufgezogenen Flagge bei einer Revolution Schutz für ihr Privateigenthum, da die fremden Flaggen überhaupt von jenen Völkern respectirt werden. – Damit sprechen sie aber schon ganz deutlich selber aus, daß sie als Consuln das andere deutsche Eigenthum, was nicht unmittelbar von der Flagge geschützt ist, auch nicht vertreten oder im Fall der Noth Ersatz dafür verlangen können.

Noch mehr – alle diese Consuln sind, wie gesagt, Kaufleute, besitzen dort eigene Geschäfte und haben eine oder die andere Lieferung für den Staat, oder hoffen sie zu bekommen. Treten sie selber aber für irgend einen unterdrückten Landsmann zu schroff in die Schranken und gegen die Regierung auf, so machen sie sich dadurch persönlich Feinde, und ihr eigenes Geschäft muß darunter leiden. Wo es also nur möglicher Weise angeht, mischen sie sich in gar nichts, was sie mit der Regierung in unangenehme Berührung bringen könnte – und kein Mensch in der Welt kann ihnen das unter den obwaltenden Umständen verdenken.

Glaube auch um Gotteswillen Niemand, daß ich damit einen Tadel gegen jene Consuln aussprechen wollte, unter denen ich in allen Ländern die geachtetsten und bravsten Männer gefunden habe. Sie können gar nicht anders handeln, denn nur die deutschen Regierungen haben ihnen eine so verkehrte Stellung angewiesen, daß sie scheinbar als ihre Vertreter zu betrachten sind und in Wirklichkeit nicht mehr Macht haben, als jeder Auswanderer selber. Fremden Regierungen gegenüber können sie nur bitten, nicht fordern, sie würden sich sonst blamiren, und dazu sind sie zu vernünftig, und nur deshalb müssen sie bitten, weil unser armes Vaterland eine ganze Musterkarte von Wappenschildern als seine Vertreter hinübergesendet hat, unter denen jeder Consul die entsprechende Landesecke nicht etwa vertritt, sondern befürwortet.

Was sich diese fremden Völker mit ihren sehr verworrenen geographischen Kenntnissen für einen Begriff von Deutschland machen, wenn sie die Anzahl bunter, von dort herkommender Wappenschilder und Flaggen sehen, ist schwer zu sagen. Es ist ihnen dabei vollständig unmöglich gemacht, mit Deutschland selber in eine directe Handelsverbindung zu treten, d. h. bindende Verträge mit dem ganzen Reich abzuschließen, was jetzt allein mit einzelnen Theilen möglich ist. Um das aber möglich zu machen, wäre vor allen Dingen die deutsche Flagge auf allen deutschen Schiffen nöthig, und dagegen sträubt sich Schwarzweiß, Blauweiß, Grünweiß, und wie die Mischungen alle heißen mögen, aus Leibeskräften. Wie aber können wir von einem fremden Lande verlangen, daß es uns als Nation betrachten soll, wenn wir es selber nicht thun? Die Consuln der verschiedenen Staaten werden deshalb auch von jenen Regierungen keineswegs als politisch zu berücksichtigende Vertreter irgend einer Nation, sondern nur allein als Privatpersonen angesehen, die, als irgend eine ehrenvolle Auszeichnung, die Flagge ihres Heimathlandes auf dem Hause wehen haben, und deshalb aus Rücksicht für dieses befreundete Ländchen persönlich geschützt werden müssen. Ich rufe die Consuln aller jener Länder zu Zeugen auf, ob das nicht der Fall. ist. – Wagte z. B. in Peru ein Einziger von Allen mich persönlich bei dem Präsidenten Castilla einzuführen, der als ein etwas derber und rücksichtsloser alter Herr bekannt war? Nein. Sie wußten, daß ich von der Leber weg mit dem Präsidenten reden und ihm die Mißbräuche seiner Beamten im Einwandererwesen aufdecken wollte, und fürchteten für sich die Consequenzen.

Hätte ich, wenn ich ein Engländer oder Franzose gewesen wäre, wohl fast vierzehn Tage zu diesem Zweck in der Stadt herumlaufen und es endlich doch noch allein und persönlich durchsetzen müssen? Wahrhaftig nicht – aber so war ich natürlich nur ein Deutscher.

Die Ursache, weshalb dem so ist, liegt aber nicht allein in unseren unglücklichen zerrissenen Verhältnissen, obgleich diese selbstverständlich die größte Schuld tragen, sondern auch noch in der kleinlichen Politik, welche die meisten Regierungen treiben, indem sie die Auswanderung selber als eine Art indirecter Beleidigung [591] als eine gewisse Grobheit des Auswanderers ansehen, der ihnen dadurch sagt: es gefällt mir nicht mehr bei Euch, ich gehe in ein anderes Land. Sie vergessen dabei ganz, oder wissen es vielleicht nicht einmal, daß eine Masse wackerer Deutsche in fremden Welttheilen leben, die sich als nichts weniger als Auswanderer betrachten, sondern die weite Reise nur unternommen haben, um deutschen Handel da draußen zu fördern und später daheim im Vaterland die Früchte ihrer Arbeit zu verzehren.

Und was hat England denn so groß gemacht und ihm die prachtvollen Colonien gegeben? Was anders als seine Auswanderung und seine große Politik, jeden im Auslande lebenden Engländer noch als heimathsgehörig zu betrachten und zu schützen und nicht, wie unsere Regierungen, sich augenblicklich und ängstlich von ihm loszusagen und ihn der Willkür anderer Staaten zu überlassen.[1]

Das Alles zeigt deutlich, daß derartige von den heimischen Staaten selber unbesoldete und deshalb auf ihren eigenen Verdienst angewiesene Consuln die Rechte unserer Landsleute nie vertreten können und werden, sondern daß wirkliche Gesandte oder für die kleineren Staaten wenigstens Legationssecretaire, die eine vollkommen unabhängige Stellung einnehmen, dazu verwandt werden müssen – wenn das Ganze nicht eine bloße Farce bleiben soll.

Etwas Derartiges ist aber durch alle unsere einzelnen kleinen Staaten nicht denkbar, denn wirklich angenommen, daß wir das Geld für solche enorme Ausgaben hätten – was wir aber nicht haben – könnten wir uns nicht so bloßstellen, einige dreißig Gesandte für Deutschland nach einem fremden Staat zu schicken, während Frankreich und England nur einen einzigen haben.

Gesandte dürfen deshalb nur von dem ganzen deutschen Land und also – wenn es denn einmal nicht anders sein kann – vom deutschen Bund geschickt werden, und Deutschland muß dann auch entschlossen sein, irgend eine seinen Landeskindern angethane Unbill aufzunehmen und zu strafen. – Wenn das der deutsche Bund aber nicht kann, wenn er die Vertretung der Deutschen jedem einzelnen kleinen Staate überlassen muß, dann frage ich, im Namen jedes gesunden Menschenverstandes: wozu ist er dann überhaupt da? – und das haben noch viele Andere gefragt.

Es muß einmal ein Ende nehmen, daß jeder kleine deutsche Binnenstaat sich als Großmacht gerirt, und dabei nicht sieht oder nicht sehen will, daß darüber nicht einmal das ganze Deutschland eine Großmacht werden kann – wenn man dem Kind auch dann und wann den Namen giebt.

Für deutsche Schiffe deshalb die deutsche Flagge (in der sich, oben in der Ecke am Flaggenstock, jeder verschiedene Staat sein eigen Wappen oder seine Farben wahren kann) für deutsche Interessen aber eine einige Vertretung Deutschlands. Beides ist eine Nothwendigkeit, und gebe Gott, daß deutsche Regierungen sie endlich einsehen und danach handeln wollen.


  1. Es giebt allerdings ein Mittel für deutsche zeitweilige Auswanderer, sich ihre Rechte als deutsche Unterthanen zu wahren, Wenn sie sich nämlich ihren Paß stets von daheim Verlängern lassen. Hier nur ein solches Beispiel, wie unbequem und lächerlich zugleich das ist: Ein deutscher Gastwirth in Valparaiso, ein preußischer Unterthan, hatte aus irgend einem Grunde das Verlangen, anerkannter preußischer Unterthan zu bleiben. Sein Paß war abgelaufen, und er schickt ihn zur Verlängerung nach Deutschland zurück. Dort wird ein solcher Paß nur auf zwei Jahre ausgestellt, auf dem Amt geht es aber auch nicht so rasch, die Reise ist ebenfalls lang, und als der auf zwei Jahre verlängerte Paß endlich wieder nach Chili zurückkommt, war er in wenigen Wochen zum zweiten Mal abgelaufen. Der arme Teufel von Wirth läuft jetzt zum preußischen Gesandten und bittet den, ihm zu helfen, denn er könne doch den Paß nicht umgebend zurückschicken, der auf diese Art ja nur immer unterwegs bliebe. Der preußische Gesandte zuckt aber die Achseln, und der Wirth mußte richtig wieder seinen aufs Neue abgelaufenen Paß an die heimische Behörde zurückgehen lassen.