Unter den Palmen des Val di Sasso bei Bordighera
[148] Unter den Palmen des Val di Sasso bei Bordighera. (Zu dem Bilde S. 133.) Bei den Dichtern, Malern und Wanderern aller Nationen genießt das durch seine Scheffel- und andere Palmen männiglich bekannte Städtlein Bordighera an der Riviera di Ponente den wohltönenden Namen des „italienischen Palmyra“, d. h. „Palmenstadt“, oder des „ligurischen Jericho“. Es ist schon richtig, man braucht kein besonders phantastisches Hirn zu haben, um sich hier alsbald nach Syrien oder Palästina zu träumen: unzählbare Palmbäume kommen uns zu Hilfe, Palmen, im Freien geboren und erwachsen.
Wie sie da stehen, einzeln, in Gruppen wie das Dutzend Scheffelpalmen um die alte Cisterne her, zu Gebüschen, zu Wäldern zusammengeschlossen, anspruchslos in ihren Standorten, nicht bleichsüchtig oder zimperlich und ausstellungskokett wie ihre warmhausgeborenen Schwestern, hier dicht gegen die Wellen vorschreitend, dort auf dem Hügel über die Oliven hinausragend, unter Orangen und Citronen gemischt, als Alleebaum, als Heckenpflanze, als Handelsartikel in Reih’ und – Kübel gepflanzt! Die Landschaft sieht fast nicht mehr italienisch aus; uns ist, als wären wir ins Morgenland versetzt, und die bräunlichen Mädchen von Bordighera, die da herabsteigen zu den palmenumschatteten Brunnen, das Wasser zu schöpfen, werden krügetragende Rebekken, zu denen wir als Eleazar aus dem Norden herantreten würden, sie um einen Trunk zu bitten, wenn der köstliche Wein der Küste nicht dem Cisternenwasser vorzuziehen wäre.
Am wirkungsvollsten erscheint die Palme allein und in der Einsamkeit:
über eine Klippe meerwärts wie ein Pilger zum Trinken über den
Bach geneigt, in den stillen Seitenthälern, wie eine Oase aus dem silbergrauen
Meere der Olivenwaldungen hervorragend. Der verständnisinnige
Wanderer steigt in die nahen Thäler hinein; bequem in das kleine Thal
des Sasso, das östlich von der Stadt eine Strecke in die Hügel hineinbringt
und sich eine Menge schöner Palmen mitgenommen hat. Seine
Schwesterthäler sind Valle Crosia und Valle Nervina. Hundert Maler
können nicht in hundert Jahren die Schönheiten malen, die hier sich
unter der mächtigen Sonne zusammendrängen. W. Kaden.