Unter deutschen Officieren in Amerika

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Autor: A. Sch-e
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Titel: Unter deutschen Officieren in Amerika
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aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 233–238
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Unter deutschen Officieren in Amerika.
Erinnerung aus dem Hauptquartiere des General Blenker.


Es war an einem Octobertage in den ersten Jahren des Krieges. Die Sonne sandte ihre hellen Strahlen über die waldbedeckten Hügel auf die weißen Zeltreihen unseres Lagers. Ein kleiner Gebirgsbach stahl sich, in dunkles Gebüsch von blumenreichen Schlinggewächsen versteckt, am Fuße der Höhen um die Lagerstätten hin; eine Mühle in Trümmern, welche dem Platze den Namen Roach-Mills verlieh, gab trauriges Zeugniß von den Verwüstungen des Bürgerkrieges; auf einem großen, dunklen Holzgebäude, die Factory genannt, zu welchem Washington selbst, der in der Nähe seine väterliche Besitzung hatte, den Grundstein gelegt, wehte das Sternenbanner der Union. Im fernen Hintergrunde gegen Nordost sah man die vergoldete Riesenkuppel des Capitols, zu deren symbolischer und wirklicher Vollendung nichts mehr fehlte, als die kolossale bronzene Statue der Freiheit, welche sie jetzt schmückt; im Südwest entdeckte ein geübtes Auge auf einem mit Wällen gekrönten Hügel (Munson Hill) die Fahne der Rebellen. Sie wehte stolz, höhnend und herausfordernd im Angesicht des Capitols und der zahlreichen Heerschaaren, welche M’Clellan damals für die weitere Entwickelung des blutigen Dramas zu organisieren begann.

Im Lager selbst war ein buntes, belebtes Treiben. Ein langer Zug vierspänniger Wagen mit weißen Planen und schwarzen (Neger-)Fuhrknechten wand sich mühsam durch die bodenlosen Wege zu der benachbarten Bäckerei, wo täglich zehn- bis zwölftausend Laibe deutsches Brod, halb Roggen, halb Weizen, in improvisirten Feldöfen gebacken wurden. Auf den Zwischenräumen der einzelnen Regimentslager standen Marketender-Zelte, welche dem wohlgenährten Soldaten Alles boten, was das Herz verlangen konnte, vom rothbäckigen Apfel und dem saftigen Pfirsich bis zum verbotenen Branntwein und erlaubten Lagerbier. Hier und dort sah man auch eine hochgeschürzte Marketenderin aus dem polyglotten Garibaldi-Regimente, deren lautes Lachen auf den grünen Höhen der Nachbarschaft und in den Herzen der muthwilligen Soldaten sein Echo fand.

Im Mittelpunkte dieser belebten Scenerie lag das Hauptquartier des General Blenker, an einem Platze, der mit ebensoviel [234] militärischem Takte wie künstlerischem Geschmacke gewählt war. Es bestand aus einem ungeheuren, fünfundsiebenzig Fuß langen und fünfundzwanzig Fuß breiten, von weißem Segeltuch angefertigten Zelte, das inwendig himmelblau angestrichen war, wie ein Kiosk der Sultane am Bosporus. Schlanke Pyramiden der virginischen Ceder umschatteten es in geordneten Reihen; die schwarz-roth-goldene Fahne des achten Regiments wehte darüber und schlang brüderlich und schmeichelnd ihre seidenen goldbetreßten Falten um die stolze Trikolore der großen Union. Zu beiden Seiten gruppirten sich die Zelte der Stabsofficiere; hinter ihnen schlossen sich die kleineren Spitzzelte der Ordonnanzen und Bedienten an, gleichfalls von Cedern umgeben und von Kuppeltannen beschattet. Etwas ferner auf dem grünen Rasenteppich eines Obstgartens hauste das Quartiermeisteramt mit seinen „Schreiberseelen“.

Es ist neun Uhr Morgens. Eine schön uniformirte Musikbande, aus dreißig wirklichen Künstlern bestehend, begiebt sich im Taktschritt zum Hauptquartier, stellt sich vor den noch nicht geöffneten Vorhang des Generals-Zeltes und spielt den Rakoczy-Marsch. Da werden die Falten des Vorhangs zurückgeschlagen, das blaue Sanctum öffnet sich und Blenker erscheint im Vordergrunde – auf der Bühne. Eine stattliche, hohe Gestalt, schlank in den Hüften und doch breitschulterig: aufrecht und edel in Haltung, sichtbarlich strebend zu imponiren, steht er da. Die weiten Hosen von dunkelrother Seide erinnern an seine griechische Vergangenheit, auf die er nicht wenig stolz war; ein grauer Rock mit goldenen Knöpfen und grünen Aufschlägen mahnt an bekannte Bilder berühmter Feldherren; die edle Burgunderrebe hat auf seinem Gesichte eine frische Röthe zurückgelassen, welche ihn jünger erscheinen läßt, als er ist. Jeder Zoll ein General, ein General, wie ihn wenige Schauspieler auf der Bühne zu realisieren vermögen.

Und als der Rakoczy Marsch zu Ende, rief er mit Stentorstimme in das Zelt hinein:

„Weichel, Wein her; das ist ja eine Götterlust, solche Musik zu hören. Die teilte spielen famos, himmlisch, besser als die Palombini in Mainz. Bring’ ihnen Wein, Weichel, in meinem großen silbernen Pocale, und wenn’s meine letzte Flasche kostet.“

Sich dann umwendend zu den Stabsofficieren in seinem Zelte, überließ er sich, von der Kriegsmusik hingerissen, ganz den Gefühlen superlativen Wohlbehagens.

„Ja, meine Herren, ich sage Ihnen, nichts Schöneres auf Erden als der Krieg: der Krieg ist ein wahrer Segen für die verfaulte Menschheit, die scrophulös crepiren würde, wenn wir ihr nicht von Zeit zu Zeit die Blutadern öffneten. Ist es nicht so, Herr Oberstlieutenant?“

Diese Worte waren an einen jungen Stabsofficier gerichtet, der in seiner Nähe stand. Es war eine hohe, schlanke Gestalt, wie sie Garde Ulanen Lieutenants als Ideal träumen, mit seinem geformtem, jugendlichem Gesicht, hellblondem, schmächtigem Schnurrbart; in blauer Uniform der Vereinigten Staaten, elegant, à quatre épingles. Es war Paul von Radowitz, der Sohn des bekannten preußischen Diplomaten und Ministers v. Radowitz, dessen feine Dialektik in der Paulskirche eben so gefährlich und mit Recht gefürchtet war, wie in Berlin seine politisch religiöse und wissenschaftlich systematisirte Reactionstendenz. Wenn der Vater in Gestalt und Gesichtsform noch unverkennbare Spuren seiner kroatischen Abkunft zeigte, so hatte dagegen der Sohn offenbar das Blut seiner Mutter geerbt, einer Gräfin Voß aus dem Mecklenburgischen, wo bekanntlich die Edelleute durch höhere Gestalt und edlere Gesichtsformen, als sie der obotritische Plebs besitzt, nicht allein ihre legitime, sondern auch ihre „physikalische“ Berechtigung zur patriarchalischen Anwendung der Peitsche oder des Stockes beurkunden.

Radowitz stand gerade vor dem Spiegel und drehte mittels ungarischer Wichse seinen Schnurrbart in jene elegante Wellen form, wie sie die „jeunesse dorée" der Salons so geschult zu bilden weiß.

Ein kurzes „Sie haben Recht, Herr General,“ endigte die Unterhaltung und Blenker wandte sich zur anderen Seite, wo ein Adjutant emsig beschäftigt am Schreibtische saß.

„Herr v. Züschen, haben Sie den Morgen-Rapport fertig?“

Und wie von einer Feder aufgeschnellt sprang der kleine Züschen (ein fähiger Officier aus sächsischen Diensten) auf, nahm Position, wie es sich für den Untergeordneten im Dienste gebührt, und verbeugte sich mit den Worten: „Zu befehlen, Herr General.“

In diesem Augenblicke trat mit etwas leisem Tritte, sich schon nach der hochadeligen Sippschaft umsehend, Gustav Struve ein, früher Mitglied der deutschen provisorischen Regierung, jetzt Lieutenant im achten Regiment, worin er sich, um für die Sache der Freiheit und Menschenrechte auch in seinem neuen Vaterlande zu kämpfen, als Gemeiner hatte einreihen lassen. Er trug, wie immer, etwas Gedrucktes in der Hand – eine Zeitung, und setzte sich auf Einladung des Generals zu diesem an den Tisch, um an dem frugalen Frühstücke, das aus Handkäse und Rettig (Blenker war im Felde für seine Person immer äußerst frugal, im Essen wie im Trinken) bestand, Theil zu nehmen. Nachdem er mit der ihm eigenthümlichen feinen Diskantstimme einige Worte mit Blenker gewechselt, händigte er ihm das Blatt ein.

Es war eine Nummer von Earl Heinzen's „Pionier“, worin dieser seiner Gift und Galle gegen Blenker und seine Landsknechte in einer Fülle sich entleert hatte, wie sie nur von der kranken Leber eines Bruno Bauer oder Marx, jener talentbegabten Rehberger, deren Motto ist: „Alles muß verrungenirt werden“, naturwüchsig erzeugt wird.

Blenker las-, die schöne Röthe seines Gesichtes wich einem dunklen, purpurnen Zornesroth: sein Auge strahlte, seine Faust ballte sich, und seine Wuth machte sich nach einer Minute tragischer Stille mit den Worten Luft: „Ich werde dem Menschen alle Knochen an seinem Leibe zu Brei schlagen lassen.“

„Aber, General,“ entgegnete Struve ruhig, „die Freiheit der Presse –“

„Was Presse! diese elende Schreiberseele wiegelt mir meine Soldaten auf: ich werde ihn zermalmen, so wahr ich Blenker heiße.“

Struve kannte Blenker zu gut; er schwieg einige Augenblicke und reichte ihm dann ein Papier mit den Worten hin.

„Ich habe, Herr General, eine Entgegnung geschrieben, die scharf und vernichtend ist. Hier, lesen Sie gefälligst.“

Blenker nahm das Blatt, las es; seine Aufwallung verrauchte sichtbar, und sich zu mir umwendend, rief er in jenem ihm eigenthümlichen, langgedehnten Ton, der stets etwas an eine verbesserte Auflage des Gardelieutenants erinnerte: „Herr Stabsquartiermeister, lesen Sie hier und sagen Sie mir Ihre Meinung.“

Ich las Heinzen’s Artikel und Struve’s Antwort und erwiderte : „Meine Meinung ist, man antwortet auf solche Angriffe gar nicht.“

„Sie haben Recht, einen solchen Burschen muß man anders wie, nicht mit der Feder, tractiren.“

„Auch das nicht, General. Ich denke, ich werde heute für’s Hauptquartier dreihundert Exemplare des ,Pioniers’ beim Heinzen bestellen; er hat nur vierhundert Abonnenten im Ganzen, und dreihundert Exemplare baar bezahlt, werden das bittere Gift Heinzen’s in die Milch sanfter Denkungsart verwandeln. Außerdem möchte ich nicht gern den einzigen Mann zu Brei zermalmt sehen, der hier zu Lande noch ein gutes Deutsch schreibt. Der Artikel ist brillant geschrieben und enthält nebenbei auch manches Wahre.“

„Haben Sie denn gar kein Blut in Ihren Adern, Herr Stabsquartiermeister?“

Kaum war das letzte Wort gesprochen, als ein Heidenspectakel am Eingänge des Zeltes unsere Aufmerksamkeit auf sich zog.

Zwei Reiter kamen in wildem Galopp angesprengt, schwangen sich von ihren Pferden und traten ein mit Sporengeklirr und Säbelgerassel, bestaubt und schweißtriefend. Der erste war ein kleiner, blutjung scheinender Mensch, mit rundem, ewig lachendem Gesicht, in voller österreichischer Husaren-Uniform, hellblau mit silbernen Knöpfen, eine riesige Reitpeitsche in der Hand. Es war der Graf Ingelheim von Rhein. Der zweite war aus dem Sachsenland, Baron v. Brandenstein; eine athletische Gestalt mit gebräuntem Kroaten-Teint. Er war früher in der österreichischen Marine gewesen, hatte die Welt umsegelt und dann in der italienischen Campagne im kaiserlichen Heer gedient, sich später in päpstlichen Diensten bei der Vertheidigung von Ancona und Gaeta ausgezeichnet und trug römische und neapolitanische Orden.

„Herr General!“ schrie Ingelheim in reinsten Lerchenfelder Dialekt, „wir hoben holt die Kerle wieder.“ [235] „Was für Kerle ?“ fragte Blenker.

„Die Nigger, die Nigger; Sie wissen doch, Jupiter und den alten Neptun; da sind sie.“

Und zwei rabenschwarze Negergesichter kamen zum Vorschein; ihr grinsendes Lachen zeigte eine Perlenschnur von schneeweißen Zähnen. Sie machten vortretend einen Entrechat, um den Hoguet und die Rigolboche sie beneidet hätten, schlugen einen Purzelbaum und verschwanden auf meinen Wink links in die Büsche des Quartiermeister-Amtes.

Blenker streichelte sich bedächtig und scheinbar tief nachsinnend den Schnurrbart.

„Aber, meine Herren, wer hat Ihnen denn die Ordre gegeben, die Leute zurückzubringen?“

„Der Quartiermeister,“ entgegnete Ingelheim, mit dem Finger auf mich deutend.

Blenker’s Gesicht färbte sich dunkler.

„Sind Sie denn ganz von Gott verlassen, Herr Stabsquartiermeister? oder ist Ihnen der Kamm zu sehr geschwollen? Wissen Sie denn nicht, daß die Ordre für die Auslieferung dieser Neger vom General-Commando contrasignirt war?“

„Herr General, die Ordre, welche ich leider erst nachträglich zu Gesichte bekommen, war nicht vom Kriegsdepartement, sondern von einem Secessionisten-Civil-Gerichtshof in Maryland ausgestellt, und die Unterschrift des General-Adjutanten bestätigt nur die Richtigkeit des Gerichtsbeschlusses. In Ihrem Lager aber hat kein Civilgericht eine Executivgewalt, und wir können uns nicht zu Schergen dieser Menschenfänger hergeben. Außerdem waren die Leute in meinem Departement als Fuhrknechte in Dienst der Vereinigten Staaten genommen, und ich habe die Leute auf meine Gefahr zurückbringen lassen, weil ich keine Ordre für ihre Auslieferung erhalten. Dann war ja auch der alte Neptun unersetzlich für Ihren Hector.“

Blenker suchte in seinen Papieren nach der Ordre, warf einen flüchtigen Blick darauf, und mit den Worten: „All right; aber wenn was daraus kommt, es kommt alles auf Ihre Kappe,“ war die Sache erledigt.

Sich dann zu Ingelheim und Brandenstein wendend, die unterdeß eine Flasche „Apple-Jack“, welche auf dem Tische des Generals stand, mit nobler Nonchalance geleert hatten, fragte er mit einer Miene, aus der man lesen konnte, daß ein „Ja“ die erwünschte Antwort war:

„Aber Ihr habt die Leute doch nicht durchgehauen? Ich meine die Häscher.“

„Wir nicht,“ entgegnete der Ingelheim lachend, „aber der da“ – auf meinen Bedienten Adolph zeigend.

Adolph war ein fünfzehnjähriger bildhübscher Junge. Er trug die geschmackvolle grau und grüne Jägeruniform des achten Regiments. Sein eigentlicher Name war Asher Levi aus Hamburg, wo seine alte Mutter, der er monatlich fünf Thaler von seiner Löhnung zu schicken pflegte, noch wohnt. Er hatte sich als Freiwilliger anwerben lassen, um den Krieg zu sehen, und war im ganzen Lager bekannt, als „Asher der smarte Jüd“. Außerdem war er ein kühner, ganz vortrefflicher Reiter; er hatte im Circus auf dem Hamburger Berg schon „Kunst“ geritten.

„Adolph!“ schrie Blenker dem vor dem Zelte bei den Pferden stehenden Jungen zu, „sag’ mir, was hast Du mit den Kerlen gemacht?“

„Ach, Herr General, als ich dem guten alten Neptun, der Ihren Hector so trefflich wartet, die dicken Handschellen abnahm, da konnte ich mich nicht halten. Ich nahm die Handschellen bei der Kette in die Hand, sprang auf’s Pferd und versetzte dann mit den schweren Eisen den Häschern einen oder zwei Schläge in ihre langen, verblüfften Gesichter – blos zum Abschied, Herr General – und galoppirte davon.“

Blenker lachte, sagte aber nichts, sondern griff auf den Tisch, nahm einen dicken, schwarzen Rettig, und mit den Worten: „Hier, Junge, jetzt troll’ Dich!“ verabschiedete er Asher Levi, dessen Hamburger Mütterchen sich gewiß herzlich darüber freuen wird, ihren Jungen in diesen Blättern gedruckt zu sehen.

Es war jetzt Mittag geworden und die Hitze drückend. Im Generalszelt war ein ewiges Ab- und Zugehen von Officieren, Ordonnanzen, Marketendern und civilen Besuchern aus nah und fern. Der General selbst wandelte schweigend auf und ab, zeichnete dann und wann eine Ordre, einen Rapport oder eine Requisition mit seiner charakteristischen lapidarischen Unterschrift, in so kolossalen Zügen, daß das kaum geschnörkelte B oft das halbe Papier einnahm, und rauchte dabei eine Cigarette nach der anderen, welche ihm Graf Valentini mit der stets devoten Verbeugung eines geborenen Kammerherrn anfertigte und hinreichte. Keiner verstand einen solchen Kammerherrndienst besser, als dieser lange, dürre steiermärkische Graf. Er war von Kindheit an dienstthuender Officier in der Suite der Kaiserin-Mutter, der frommen Gemahlin des guten Ferdinand, dann im Gefolge des Erzherzogs Max gewesen, welcher jetzt den Thron der Montezumas einnimmt, und freute sich unendlich, daß er hier im Lande der Heine’schen „Freiheitsflegel“ noch einen Mann gefunden, der devote Dienste mit souverainer Huld entgegenzunehmen verstand.

Plötzlich erscholl im Zelte das Wort: „Die Herren Stabsofficiere!“ und Alle umringten den General.

„Meine Herren!“ fuhr dieser fort, „wir sind heute zu einem Frühstück beim Obersten des achten Regiments eingeladen. Sie werden mir folgen. Ordonnanzen, die Pferde herbei!“

In zwei Minuten war die ganze Gesellschaft hoch zu Roß; der General auf seinem Hector an der Spitze, ihm zur Seite auf einem kostbaren Rappen Oberst Prinz Felix Salm-Salm von Anholt im Münsterland – in der alten Heimath gewiß noch manchem „Manichäer“ in schmerzhaftem Angedenken – die übrigen à la suite. Vor dem großen Officierszelte des achten Regiments wurde abgesessen, und wartend der guten Dinge, die da kommen sollten, traten wir ein.

Hier bot sich ein Götteranblick dem Auge des psychologischen Beobachters dar. An einer langen Tafel, mit Weinflaschen aller Formen und Größen und Länder bedeckt, saß eine ganze Tafelrunde von Kriegshelden in glorreicher Weinseligkeit.

 Wer kennt die Länder, nennt die Namen,
Die gastlich hier zusammen kamen?

An der Spitze der Tafel Oberst Wutschel, der „schöne Legionär“ von Wien, den ich vor dreizehn Jahren, als er zum ersten Male an der Spitze eines Juristen-Bataillons von der Aula ausrückte, in der Kärnthnerthor-Straße so von Blumen und Kränzen der enthusiasmirten Wiener Schönen überschüttet sah, daß sein Pferd kaum noch vorwärts konnte. Sein damals volles, glänzend-schwarzes Haar hatten die Stürme und Sorgen der Flüchtlingszeit ihm von dem jetzt kahl glänzenden Scheitel geweht, aber sein Auge hat noch den alten Glanz, seine Wange die Fülle und Röthe der Jugend. Ihm zur Seite saß der schnurrbärtige Hetterich aus dem Schwabenland, offenbar schon im ersten Stadium angehender Seligkeit; daneben v. Hammerstein aus dem Hannöverschen, jetzt Oberst vom siebenundachtzigsten Regimente; der dicke Major Pokorny aus Wien; der lange Hans v. Nostiz aus Sachsen, der edle, leider zu früh dahingeschiedene Mengersen aus Mecklenburg; der sarkastische, goldbebrillte Theuerkauf aus Schlesien; der männlich schöne Schumacher, ein „Meerumschlungener“, ein Fürst „in Würfelspiel und Kartenlust“; der geschickte Stabsarzt Dr. R. Welcker, der Sohn des bekannten deutschen Patrioten, und ihm zur Seite sein Famulus, der Apotheker, der wohlbeleibte Sumpfmeier, dessen Auge schon etwas umschleiert und versteinert in ein Glas perlenden Feuerbergers wollüstig vertieft war.

Alle diese waren Officiere des achten Regiments. Außerdem aber hatten sich noch manche Landsknechte und Helden anderer Regimenter zusammengefunden; denn Alle wußten, daß es beim Wutschel immer lustig und hoch zuging. Da saß der hellblonde Gilsa mit kahler Glatze, der gefürchtete Disciplinär des De Kalb-Regiments; der geniale, aber stets müde Brigadier von Steinwehr aus Braunschweig; der Millionär Bohlen aus Philadelphia, welcher auf eigene Kosten ein ganzes Regiment in’s Feld stellte und einen frühzeitigen Tod auf dem Schlachtfelde am Rappahannock fand; Oberst Cantador vom neunundzwanzigsten Regiment, früher Commandant der Düsseldorfer Nationalgarde, der „Adonis vom Rhein“; Oberstlieutenant Ripetti, der Freund Mazzini’s und sein geheimer Verleger aus Mailand; die gespenstige Don Quixote- Gestalt des Quartiermeisters Biscacienti, dessen Name als Opernsänger und Impresario in beiden Welttheilen bekannt ist; der dickbäuchige, dünnbeinige Meusebach von den schwarzen Jägern; Oberst von Amsberg, der neun lange Jahre in Eisen auf dem Kuffstein verlebt, und endlich mit pockennarbigem Gesicht und Tigeraugen und mehr maurischem als spanischem Typus, Don Carlos Carvallo, gewesener Räuberhauptmann aus der Sierra [236] Nevada, jetzt Capitain der spanischen Compagnie in der Garibaldi-Garde.

An einem kleinen Extratischlein, wie Regiments-Aschenbrödel, vor vielen schon leeren Flaschen, saßen in tiefe Gespräche versunken, wahrscheinlich über ein sublimes Dogma – ein Mysterium – der Kirche ihre Gedanken austauschend, Ehrwürden Bürgele, den wir zum Caplan des Achten gemacht und der ehrwürdige, sprachkundige Pater Gela aus Siebenbürgen, gleichfalls trinkender Regimentspfaff.

Geschäftig zwischen den Zechern, nimmer sitzend, nimmer ruhend, nimmer schweigend, bewegte sich „Gustav mit dem Barte“, Lieutenant, Adjutant, Quartiermeister und Marketender zugleich, der vielverleumdete Mann mit dem guten Herzen und der bösen Zunge, den die Berliner ,,Tienenmüller“, die Geschichte Lindenmüller nennt. Der andere Gustav, der aus dem badischen „Ländle“, welches er so sehr liebt, der Verfasser der radicalen Weltgeschichte, der treue Patriot, welcher im Lager, wie jetzt in Coburg, seinem Hinduglauben treu geblieben und nur Vegetabilien ißt, fehlte, denn

„er haßte die Gelage und das wüste Treiben der Kumpane“.

Ebenso mein Leidensgefährte aus Komorn und Josephstadt, der gelehrte, mäßige, opferfähige Kinzel aus Wien.

Kaum hatten wir Platz genommen, als Wutschel, den wir den „Herzog von Sonora“ titulirten, nicht so sehr wegen seiner sonoren Stimme als wegen seiner „Conquistadores“-Ideen und -Tendenzen, in folgender Weise eine Rede anhub:

„Ihr wißt wohl nicht, meine Freunde, was mich bewogen, Euch gerade heute zu mir freundschaftlichst zu entbieten. Es ist der 7. October, der Tag, an welchem vor dreizehn Jahren das überströmende Freiheitsgefühl der Wiener die anfangs glorreiche, dann so unglückliche Octoberrevolution zum Ausbruch brachte. Das Andenken Aller zu feiern, welche dort mitgestritten und mitgelitten, besonders aber das Andenken jener Männer zu ehren, die mit ihrem Blute ihr Leben und Streben besiegelt, hielt ich eines deutschen Festes und Gelages würdig. Ist es nicht wunderbar, erhebend und rührend zugleich, hier auf Virginiens reichen Gefilden, unter dem sternbesäeten Banner der großen Republik so viel deutsche Männer versammelt zu sehen, denen das deutsche Herz noch stets warm für deutsche Einheit und Freiheit schlägt? Das erste Glas den theuern Todten! Robert Blum, Messenhauser, Jellinek und Becher! Mögen ihre Geister sich aus den Gräbern der Brigittenau glorreich erheben und mit Wohlgefallen auf uns, mit Befriedigung auf unsere alte Heimath herabschauen!“

[237] Ein donnerndes, dreifaches Hoch erfolgte aus hundert kräftigen Kehlen; die Musikbande blies den Tusch, die Gläser schwangen und klangen und in Strömen

„Floß das Naß,
Aus dem Faß
In das Glas.“

Wutschel redete noch viel in der ihm wie allen Wienern eigenthümlichen blumen- und blüthenreichen Weise, welche Quintilian mit dem Ausdruck „color asiaticus“ charakterisirt.

Gegen fünf Uhr hatte sich der größte Theil der Gesellschaft in Weinseligkeit aufgelöst und zerstreut; die Meisten hatten sich mit langen, schweren Haarbeuteln in die benachbarten Quartiere verzogen. Blenker aber und sein Stab waren schon um vier Uhr wieder in dem himmelblauen Zelte des Hauptquartiers, denn es galt sich vorzubereiten, um in voller „grande tenue“ einer Soirée in Washington beizuwohnen. Schon um sechs Uhr war Alles wieder hoch zu Roß, und im wilden Galopp ging es über Fort Albany, über die meilenlange, wacklige Brücke (Long Bridge) des Potomak, durch die breite Pennsylvania Avenue, an dem Capitol vorbei nach der D-Street, wo in einem hübschen Garten zwischen tropischen Bäumen und Rosen versteckt, die niedliche Villa des Grafen Pourtalès lag.

Die schöne Wirthin – ein geborenes Fräulein Braun aus Frankfurt a. O., einstens von den Berlinern „die Krone der Mauerstraße“ genannt – empfing mit gewohnter Liebenswürdigkeit die stets willkommenen Gäste. Ihr Auge weilte mit sichtbarem Wohlgefallen auf mancher schlanken Officiergestalt, welche sie an ihre Jugendzeit erinnerte, wo die Gardelieutenants mit obligatem Säbelgerassel, die Lorgnette in’s Auge gekniffen, vor ihrem Fenster die Sehnsuchtsparade machten.

Der Abend verfloß in Frohsinn und Gemüthlichkeit, bei Musik und Tanz und edler Himbeerbowle. Um elf Uhr, der Wirthin und den meisten Gästen zu früh, erscholl Blenker’s Stimme im Saale; eine Minute darauf war die Gesellschaft wieder zu Pferde und in ebenso wildem Trott, wie sie gekommen, ging’s zurück in’s Lager. Die Nacht war prachtvoll; das glorreiche Sternbild des Orion mit Gürtel und Schwert, den silberleuchtenden Hund im Gefolge, glänzte südlich schön über unseren Häuptern; die Plejaden funkelten, wie ein hingesäetes Häufchen Diamanten, in der dunklen Tiefe des Himmels, und daneben stand Mars in seinem blutrothen Lichte.

Und wie wir so dahinsausten, an dem kolossalen Bau des Capitols vorbei, dessen weiße Marmormassen gespenstig durch die dunklen Schatten riesiger Pinien schauten, und über Pennsylvania- [238] Avenue, deren Granitpflaster unter den Hufen der Rosse Funken stob: da öffnete sich manches Fenster mit neugierigen nächtlichen Damengestalten; die Cavalerie-Piquets an den Straßenecken machten erschreckt Platz; die Senatoren, Congreßmänner, Generale und Lieferanten, welche in zahlreichen Gruppen auf den Veranden der Gasthöfe standen, rissen verduzt ihre schon halb benebelten Augen auf und Einer raunte es dem Anderen zu:„Das ist der Blenker mit seinem Stab.“

A. Sch-e