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ADB:Radowitz, Joseph Maria von

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Artikel „Radowitz, Joseph Maria v.“ von Rochus von Liliencron in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888), S. 141–152, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Radowitz,_Joseph_Maria_von&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 01:48 Uhr UTC)
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Radowitz: Joseph Maria Ernst Christian Wilhelm v. R. ward am 6. Februar 1797 zu Blankenburg am Harz geboren. Er stammt aus einer ursprünglich in Ungarn ansässigen, katholischen Adelsfamilie, welche vielleicht in früheren Jahrhunderten aus Serbien dorthin eingewandert war. Der Name kommt noch jetzt in Serbien und Montenegro vor, ebenso in Rumänien, in Ungarn nicht mehr. In Ungarn reicht die Kenntniß von der Existenz der Familie bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts. 1460 wird Mathias Libak de Radovvicz, Castellan von Orozlanko, als ungarischer Vertreter auf dem Congreß zu Brünn aufgeführt. 1569 erhielt Franciscus Radovicz eine landesherrliche Donation für die Besitzung Zöresök. 1588 wird Petrus Radovitius als Generalvicar des Bischofs von Neitra in einem Decret des Königs Rudolph genannt, 1608 ist ein Radovicz Bischof von Waitzen und Mitglied der von Erzherzog Mathias eingesetzten Commission zur Verwaltung von Ungarn. Thomas und Andreas de Radovicz sind Ende des 17. Jahrhunderts angesessen im Eisenburger Comitat. Von denselben stammt der Großvater Radowitz’s ab, Demetrius (geb. 1717), welcher in österreichischen Militärdienst trat und bei Lowositz 1757 in preußische Kriegsgefangenschaft gerieth. Der Aufenthalt in Deutschland erweckte in ihm die Neigung, sich später ganz dort anzusiedeln, er verkaufte, nach dem Hubertsburger Frieden, seinen Besitz in Ungarn und zog nach Sachsen. Er starb 1772 auf einer Reise in Helmstedt, seine Frau, Maria Karoline, überlebte ihn bis 1786. Dessen Sohn, Joseph Maria, noch in Ungarn geboren 1746, studirte die Rechte in Göttingen, nahm aber keine Dienste, sondern lebte von seinem ererbten Vermögen und ließ sich zu Blankenburg am Harz nieder, wo ihm der Herzog Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig 1796 den Rathstitel verlieh. In demselben Jahre verheirathete er sich mit Friderike Therese, zweiter Tochter des Sachsen-Coburg’schen Oberstlieutenants Freiherrn v. Könitz, zu jener Zeit Commandant von Saalfeld. Sie war in erster Ehe vermählt gewesen mit Curt v. Einsiedel aus dem Hause Wolfftitz. Einige Zeit nach der Heirath nahm Joseph v. R. seinen Wohnsitz in Altenburg; er starb am 25. December 1819 in Kassel. Sein Vermögen hatte er vorher zum größten Theile durch Theilnahme an Speculationen mit Ungarweinen eingebüßt, in welchen schon sein Vater Demetrius, bei der Uebersiedelung aus Ungarn, seine Capitalien angelegt gehabt hatte. – Der junge R. war das einzige Kind seiner Eltern. Er erhielt seinen ersten Unterricht in Altenburg und wurde bis zum 13. Jahre, unter der Leitung der Mutter, protestantisch, dann aber, nach dem Willen seines Vaters, in der Religion seiner Familie erzogen. Als Kind schon [142] fiel er durch eine ganz ungewöhnliche geistige wie körperliche Frühreife und einen unersättlichen Wissensdrang auf. Der Vater bestimmte ihn zum französisch-westfälischen Militärdienst und sendete ihn zunächst 1808 nach Mainz, von da nach Straßburg und Paris, wo er bis 1811 in französischen Kriegsschulen, namentlich der polytechnischen Schule in Paris, glänzende Studien machte. Am 1. Januar 1812 trat er als Eleve-Unterlieutenant in die westfälische Artillerie- und Ingenieurschule in Kassel, Ende des Jahres als Lieutenant in das 1. Artillerieregiment, mit welchem er zur französischen Armee in Sachsen stieß. Bei Bautzen wurde er zum ersten Male durch einen Schuß in die Brust verwundet und erhielt für besondere, persönliche Tapferkeit den Orden der Ehrenlegion. Während der Gefechte im September und in der Schlacht bei Leipzig führte R. eine Batterie, wurde wiederum verwundet und Gefangener der verbündeten Truppen. Nach seiner Wiederherstellung nach Kassel entlassen, trat R. nunmehr in das neu errichtete, hessische Corps und machte als Premierlieutenant den Feldzug von 1814 mit, die Blokirung von Metz, Thionville und Luxemburg, sowie 1815 die Belagerungen der Festungen an der niederländischen Grenze. Nach dem Feldzuge wurde der 18jährige Jüngling als erster Lehrer der mathematischen und militärischen Wissenschaften bei der Kadettenschule in Kassel angestellt und blieb in dieser Eigenschaft (seit 1817 als Hauptmann) bis 1823. Umfassende Studien und Arbeiten auf allen Gebieten des Wissens und Beschäftigung mit Musik legten in diesen Jahren den Grund zu der universalen Bildung, die, getragen durch ein merkwürdiges Gedächtnis, der Persönlichkeit v. R. ihren besonderen Stempel aufdrückte. 1821 führte eine Dienstreise R. zum ersten Male nach Berlin. Weiterhin wurde er in die Familienhändel des kurfürstlichen Hofes verwickelt, indem Wilhelm II. (seit 1821 Kurfürst) durch das Verhältniß mit der Gräfin Reichenbach (Emilie Ortlepp) und die scandalöse Behandlung seiner Gemahlin, Schwester des Königs Friedrich Wilhelm III. von Preußen, R. zur Parteinahme für die Kurfürstin und den Kurprinzen veranlaßte. Im Juni 1823 wurde R. als Gefangener nach der Festung Ziegenhayn geschickt, der Kurprinz nach Marburg verwiesen. R. erhielt kurz darauf seine Entlassung und Ausweisung aus Kurhessen mit einer Pension, die er nicht annahm. König Friedrich Wilhelm III. bot ihm Zuflucht in Preußen an, im December 1823 trat er als Hauptmann in den großen Generalstab in Berlin. Er wurde gleichzeitig militärischer Lehrer des Prinzen Albrecht von Preußen und trat damit in engere Beziehung zum Hofe; die nähere Bekanntschaft mit dem Kronprinzen, so entscheidend für Radowitz’s ganzes, ferneres Leben, erfolgte 1824. Auch mit den Kreisen des Ministers Bernstorff, der Radziwills, des General v. Canitz und der Gerlachs trat er gleich in den ersten Jahren des Berliner Aufenthalts in intime Berührung. Militärisch ging R. schnell vorwärts. seit 1826 wurde er Mitglied fast aller Militär-Studienbehörden, auf die er immer mehr einen bestimmenden Einfluß ausübte, speciell auf die damalige „allgemeine Kriegsschule“, deren Directorium er von 1826 bis 1836 angehörte. 1828 zum Major befördert, wurde R. 1830 Chef des Generalstabs der Artillerie und erwarb sich das Vertrauen des Prinzen August von Preußen, der seinem Einfluß auf die Neugestaltung des Artilleriewesens vollsten Spielraum ließ. In die Jahre 1826 bis 1829 fällt noch eine besondere Stellung, die R. bei dem Kurprinzen von Hessen angewiesen war, welcher nach dem Zerwürfnisse mit seinem Vater sich unter den Schutz des Königs in Berlin stellte. R. verhandelte zwei Jahre lang für den Prinzen, begleitete ihn auf Reisen nach England und Holland, trennte sich aber definitiv und im Unfrieden von ihm, als er 1829 in Bonn die bekannte Verbindung mit der Frau des Lieutenant Lehmann einging. 1828 hatte R. sich mit der Tochter des preußischen Gesandten in Neapel, Gräfin Maria v. Voß, [143] verheirathet und war damit in die hohe Aristokratie des Landes eingetreten. Seine Gattin war eine Urenkelin der berühmten Oberhofmeisterin Gräfin Voß und von mütterlicher Seite eine directe Nachkomme des Cabinetsministers Friedrichs des Großen, Grafen Podewils. Die Heirath mit dem im Lande fremden, katholischen Officier machte großes Aufsehen, befestigte aber endgiltig die hervorragende Stellung, die er bereits durch seine Persönlichkeit gewonnen hatte. Das Jahr 1830 fand R. auf Reisen mit Prinz August, und als unfreiwilligen Zeugen der Revolution in Brüssel. Unter dem Eindruck der Pariser Ereignisse gründete er 1831 mit einem Kreise Gleichgesinnter (Jarcke, Phillips, dem alten Haller, G. W. v. Raumer, Leo, W. v. Gerlach, Graf C. Voß u. a.) das „Berliner politische Wochenblatt“, um „die falsche Freiheit der Revolution zu bekämpfen durch die wahre Freiheit des Rechts, nie aber durch Absolutismus, in welche Gestalt er sich auch kleide“. R. war bis 1835 eifriger Mitarbeiter, namentlich für die auswärtige Politik. 1827 hatte er schon mathematische und militärische Schriften veröffentlicht. – Der wachsende Einfluß von R. auf die militärischen Dinge, in denen er vielfach als Reformator auftrat, schuf ihm im Kriegsministerium und in den Kreisen der Altpreußen von 1813 (Gneisenau, Grolmann, besonders Witzleben und der Sohn Scharnhorst) Widersacher, wie nicht minder seine zunehmende Vertraulichkeit mit dem Kronprinzen Bedenken erregte. Es wurde daher seine Entfernung von Berlin herbeigeführt, jedoch dem gerechten Sinne Friedrich Wilhelm’s III. entsprechend, in Form der ungewöhnlich glänzenden Beförderung zum Militärbevollmächtigten am Deutschen Bunde, eine Stellung, die vor ihm ein General der Infanterie innegehabt hatte. 1836 im Mai kam R. nach Frankfurt und widmete sich fortan dem Studium der Bundesverhältnisse, deren große Schwächen auf politischem, wie militärischem Gebiete bald in ihm einen scharfen Kritiker fanden. Sein Hauptinteresse wendete er der Verbesserung der Bundeskriegsverfassung zu, im besonderen wirkte er für Herstellung der Bundesfestungen Rastadt und Ulm. Der Kölner Kirchenstreit 1839 brachte R. in einen schweren Gewissensconflict mit seinem scharf ausgesprochenen katholischen Bewußtsein. Es gelang ihm aber, die offene Parteinahme zu vermeiden und seine Person ganz aus dem Streite heraus zu halten. Nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelm’s IV. wurde R. Ende October 1840 nach Berlin berufen, wo der König zunächst seinen Rath über die Beilegung des Kirchenconf1icts, sowie über die Möglichkeit einer Bundesreform verlangte. R. lehnte die ihm zugedachte Mission nach Rom zur Verhandlung über die Kölner Wirren ab und schlug dem Könige dazu den Grafen Brühl vor. Schwer beklagte es R., daß nicht in der Zeit zwischen August und October 1840 in Berlin der Entschluß gefaßt worden, den durch Frankreichs herausfordernde Haltung am Rhein angebotenen Streit aufzunehmen, Oesterreich und den Bund mit sich fortzureißen und, unter Ausnutzung der europäischen Isolirung Frankreichs, mit England und Rußland vereint einen in seinem Ausgange nicht zweifelhaften Feldzug zu führen. R. sah davon unberechenbare Folgen für die Weltstellung des deutschen Bundes und das Ansehen der preußischen Krone voraus. Er fand aber, bei seiner Ankunft in Berlin, den Augenblick zur Action schon verloren. Niemand unter den Räthen des Königs hatte den Muth zu so weittragenden Plänen gefunden, man war nur bedacht gewesen, ebenso wie in Wien, für den Augenblick zu sorgen und dem Conflict auszuweichen. Kurz darauf fiel das Ministerium Thiers, Louis Philipp lenkte in andere Bahnen ein. R. wurde mit General Grolmann nach Wien gesendet, um die Vertheidigung der Bundesgrenze und die Verbesserung des Heerwesens im Vereine mit Oesterreich zu ordnen. Gkeichzeitig erhielt er den Auftrag, Fürst Metternich auf die Nothwendigkeit einer durchgreifenden Bundesreform hinzuweisen. Auch in kirchlichen Fragen hatte R. [144] vertraulich zu verhandeln und es ging daraus die Designirung des Bischofs Diepenbrock für Breslau hervor. Demnächst bereiste R. alle anderen deutschen Höfe, um die gemeinsame Grundlage der Mobilisirung festzustellen und kehrte Neujahr 1841 nach Berlin zurück, wo er die (österreichischerseits durch General v. Heß geführte) Verhandlung über die weitere militärische Haltung gegenüber Frankreich leitete. Alle diese Unterhandlungen hatten ein für die preußischen Wünsche befriedigendes Ergebniß, ebenso die, im Lauf des Jahres 1841 theils in Frankfurt, theils auf Specialmissionen in Hannover und Kassel, von R. geführten, welche das Princip der allgemeinen Bundesinspectionen festsetzten. Ende 1841 wurde R. abermals nach Wien gesendet, dann nach München, Stuttgart und Karlsruhe, zur Beilegung des Streites über die Erbauung der Bundesfestungen Ulm und Rastadt, was nach schwierigen Erörterungen vollständig gelang und ihm große Anerkennung von allen Betheiligten eintrug. Auch im März 1842 wurde R. nach Berlin berufen, um zur Beilegung des hannover’schen Verfassungsstreites mitzuwirken, und kurz darauf zum preußischen Gesandten an den Höfen von Baden, Darmstadt und Nassau ernannt, unter Beibehaltung der Functionen als erster Militärbevollmächtigter am Bunde. Fortan lebte R. in Karlsruhe, von dort aus durch Berufungen nach Berlin, Reisen und Correspondenz, in stetem Verkehr mit Friedrich Wilhelm IV. bemüht, den Plänen desselben für deutsche Politik, wie für eine mögliche Gestaltung der von ihm erstrebten ständischen Organisation Preußens festere Formen, seinem Willen zur Durchführung des als richtig Erkannten bestimmteren Ausdruck zu geben. R. suchte vor allem Preußen und den König zum Träger des deutschen Gedankens zu machen, die Verbindung mit dem nationalen Geiste in Deutschland vorzubereiten, die Presse dazu heranzuziehen, das Verlangen der Veröffentlichung der Bundesverhandlungen durchzusetzen. Schon 1842 legte er dem Könige den Entwurf eines neuen Preßgesetzes vor, demzufolge die Censur fast ganz aufgehoben, der Mißbrauch an die gewöhnlichen Gerichte verwiesen, die Zeitungen auf Concessionen gegründet und die Redactionen allein verantwortlich gemacht werden sollten. Alle diese Anläufe begegneten dem Widerstand des preußischen Ministeriums und der Umgebung des Königs, Einflüssen, denen Friedrich Wilhelm IV., meist gegen seine eigene Ueberzeugung, nachgab, und was von den Radowitz’schen Anregungen übrig blieb, scheiterte an dem üblen Willen in Wien. R. hat in der Broschüre „Deutschland und Friedrich Wilhelm IV.“ diesen Kampf, freilich mit vieler Schonung für die Berliner Kreise, gekennzeichnet. Er wurde immer mehr entmuthigt, seit 1843 auch körperlich schwer leidend und 1846 auf das schmerzlichste heimgesucht durch den Tod seiner einzigen, 16jährigen Tochter. 1845 wurde R. zum Generalmajor ernannt, 1846 schrieb er seine berühmten „Gespräche aus der Gegenwart über Staat und Kirche“, die wie in einem Spiegelbilde, in vollendeter Form, die Parteiungen der Zeit auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens schilderten, sein eigenes Wollen und Hoffen für Preußen und Deutschland darlegten und mit prophetischem Blicke die Ereignisse der nächsten, verhängnißvollen Zeit andeuteten. Erst mit 1847 traten größere Aufgaben wieder an ihn heran. Zunächst nahm der Großherzog von Baden bei dem beginnenden Verfassungsconflicte seinen vertraulichen Rath in Anspruch, der ihm im Sinne der Herstellung der monarchischen Autorität durch Verständigung mit den Cabinetten von Wien und Berlin, Recurs an den Bund, Zurückführung des Mißbrauchs der constitutionellen Befugnisse auf das bundesverfassungsgemäße System, Bildung einer neuen Kammer, entsprechende Personalveränderungen, ertheilt wurde. Dies Programm wurde nur stückweise zur Ausführung gebracht und konnte Baden nicht vor der schweren Katastrophe der folgenden Jahre bewahren. An dem preußischen Verfassungspatent vom 3. Februar 1847 hat R. (wie vielfach irrig angenommen wurde) [145] keinerlei persönlichen Antheil. Er war nicht zur Mitarbeit dazu herangezogen worden, hielt zwar den Grundgedanken (der auch als der seinige aus den „Gesprächen“ sich ergiebt) für richtig, aber den Moment für verfehlt, das Patent in der Abfassung nicht tadelfrei und die Durchführung unter den damaligen Verhältnissen nicht für möglich. Was darin, nach Radowitz’s Ansicht, verspätet und ungenügend vorbereitet, geboten wurde, hatte er schon dem Könige gleich bei seinem Regierungsantritte zu geben gerathen und, da Friedrich Wilhelm damals noch davor zurückscheute, ihm wiederholt dargelegt, daß später dieser Versuch der Aufrichtung altfürstlicher, ständischer Monarchie nur Erfolg haben könne, wenn im Volke selbst dafür die Empfänglichkeit durch freiere Entwicklung der Presse, Decentralisation, Beseitigung der kirchlichen Wirren, vor allem durch wirksame Belebung des nationalen Gedankens und eine glanzvolle Aufrichtung des Deutschen Bundes geweckt worden sei. Nach dem von R. vorhergesehenen Fehlschlage des mit dem Patente vor dem vereinigten Landtage angestellten Versuches, drang er um so mehr in den König, seine Stellung durch kräftiges Erfassen des deutsch-nationalen Gedankens wieder zu heben, nachdrückliche Verhandlungen mit Wien darüber zu eröffnen. Am 20. November 1847 legte er dem Könige die berühmt gewordene (in „Deutschland und Friedrich Wilhelm IV.“ zuerst veröffentlichte) Denkschrift vor, welche mit vernichtender Kritik der unhaltbaren Zustände des Bundes, einen klaren Plan für vollständige Reform entwarf und zum ersten Male die Forderung aufstellte: wenn Oesterreich auf diesem Wege nicht mitgehen wolle, solle Preußen ihn allein betreten und sich mit dem besseren Geiste der Nation verbünden. Diese Denkschrift wird der wichtigste Nachweis bleiben dafür, daß R. schon damals in völliger Klarheit die Ziele bezeichnete, welche erst einer so viel späteren, glücklicheren Zukunft auszuführen vorbehalten blieb. Es war immer Radowitz’s feste Ueberzeugung, daß bei damaliger sofortiger und energischer Aufnahme dieses Programms Berlin die Märzrevolution nicht erlebt haben würde. Der König genehmigte den ganzen Inhalt der Denkschrift, aber keiner der einflußreichen Minister, nicht Thile, noch Bodelschwingh, noch Canitz folgten ihm darin, sondern wiesen die Anregung als viel zu weit gehend zurück. Außerdem wurde dagegen geltend gemacht, daß im gegenwärtigen Momente unmöglich bei Oesterreich Entgegenkommen für die deutsche Reform zu suchen sei, so lange die acut gewordenen Schweizer Wirren andauerten. Der König ging darauf zunächst mit dem Gedanken um, R. an Stelle von Canitz ins Ministerium zu berufen. R. mußte es in der Erwägung ablehnen, daß er nicht mehr im Stande sein würde, mit den übrigen Ministern gemeinsam zu handeln und daher erst ein totaler, von dem Könige aber nicht zu erlangender Wechsel des Cabinets erforderlich wäre. Statt dessen wurde ihm die Verhandlung mit Oesterreich über die Schweizer Angelegenheit übertragen, eine Mission, deren Ziel schon, als er sie antrat, verloren war. R. hatte längst, als Gesandter in Karlsruhe, Anlaß gehabt, auf die drohende Verwicklung hinzuweisen und Einschreiten der europäischen Mächte angeregt, um der Eidgenossenschaft Frieden und Neutralität aufzuzwingen, bis eine Conferenz der Großmächte den Streit geregelt haben würde. Dieser Vorschlag scheiterte an der Sonderstellung Englands, dem es erwünscht schien, für die spanischen Heirathen sich an Frankreich durch die Verlegenheiten in der Schweiz zu rächen. Der Kampf brach aus und der Sieg des Radicalismus war entschieden, als R. nach Wien, von dort (December 1847) zu den Conferenzen nach Paris reiste, deren Ergebniß: gemeinsames Einschreiten der drei Mächte gegen die Eidgenossenschaft, durch die Ereignisse der Februar-Revolution 1848 überholt wurde. R. kehrte kurz vor dem Ausbruche von Paris nach Berlin zurück. Die von den [146] demokratischen Zeitungen ihm damals zugeschriebene und hartnäckig aufrechterhaltene Aeußerung, er habe den Thron Louis Philipp’s noch im Januar 1848 als „fest wie Eisen“ bezeichnet, ist längst als eine thörichte Erfindung erwiesen worden. Nunmehr wurde die deutsche Sache in Berlin mit neuem Eifer, selbst von dem Ministerium, aufgenommen, R. mit unumschränkter Vollmacht abermals nach Wien gesendet, um auf Grundlage seiner Denkschrift vom 20. November zu verhandeln. Er kam am 5. März dort an, fand günstige Aufnahme, schnelle Verständigung über die militärischen Verhältnisse und einen in Dresden einzuberufenden Congreß für die weitere Entwickelung der Bundesreform, über die in allen Hauptpunkten die Einigkeit erzielt schien. Da brach der Aufstand in Wien los, es folgte der 18. März in Berlin, das Werk war zunächst gescheitert. R. kehrte am 26. März nach Berlin zurück, nahm sofort seinen Abschied aus dem preußischen Staatsdienste, in der Ueberzeugung, daß sein Verhältniß zum König in der neu eingeschlagenen Richtung der Krone nur Verlegenheiten bereiten müsse, zog sich nach Mecklenburg auf das Land, zu den Verwandten seiner Frau zurück und schrieb, noch im April, zur Rechtfertigung der deutschen Politik des Königs, die Broschüre „Deutschland und Friedrich Wilhelm IV.“ Ohne sein Zuthun erwählte ihn der Kreis Arnsberg (Rüthen) in Westfalen im Mai 1848 zum Abgeordneten für das Frankfurter Parlament, dem er bis April 1849 angehörte. R. zeigte sich bald als einer der bedeutendsten Redner der Paulskirche, obgleich er selten und nur in großen Fragen das Wort ergriff. Er trat an die Spitze der sog. äußersten Rechten, zur Fraction des „steinernen Hauses“, später „Café Milani“, zusammen mit Vincke, Schwerin, Detmold u. a. Ueber seine gesammte Thätigkeit als Abgeordneter hat er durch die, im 3. Theile der „gesammelten Schriften“ abgedruckten Berichte an seine Wähler Rechenschaft abgelegt und damit einen werthvollen Beitrag zur Geschichte des Frankfurter Parlaments geliefert, dem er, aller Irrungen ungeachtet, seine große Bedeutung für die Sache der deutschen Einigung nie absprechen lassen wollte. Seine eigene Persönlichkeit war eine der markantesten der Versammlung, imponirend für Freund und Feind, bewundert von den Einen, verfolgt von dem äußersten Hasse der Anderen. Zahlreiche Schriften aus dieser Zeit bezeugen den Eindruck, den er nach beiden Richtungen hervorrief. Die Bezeichnung „der kriegerische Mönch“ hatte Alfred Meißner zuerst damals auf ihn angewendet und sie ist seitdem am meisten mit seiner Person verknüpft geblieben. Radowitz’s bedeutendsten Reden waren die in den Marine- und Militärfragen, wo seine Autorität die allgemeine Anerkennung fand, in auswärtigen Fragen und über seine Stellung zur Schaffung der provisorischen Centralgewalt (alle Reden abgedruckt im 2. Theile der „gesammelten Schriften“). Wegen der letzten Frage trennte sich R. mit einem Theile seiner Freunde von der Fraction, indem er sich dem Majoritätsvotum nicht widersetzen wollte und sich auf die Erklärung beschränkte, daß er die Zustimmung der deutschen Regierungen für nothwendig halte. Auch bei der schließlichen Entscheidung über die Kaiserwahl gab R. zwar seine Stimme für Friedrich Wilhelm IV. ab, erklärte aber, daß er die Rechtsbeständigkeit der Wahl als nur von der freien Zustimmung der deutschen Regierungen abhängig auffaßte. Bis zum Sieg des Centralisationssystems in Oesterreich durch die Verfassung vom 4. März 1849, war R. für das Verbleiben der österreichischen Monarchie im Bunde eingetreten, dann erklärte er sich entschieden für den Bundesstaat ohne Oesterreich, aber unter gleichzeitiger Herstellung des Staatenbundes mit Oesterreich [der engere und weitere Bund], fortan sein durch alle weiteren Phasen festgehaltenes Programm. R. kannte zu genau die Strömungen am Berliner Hofe, um nicht den Bruch der Nationalversammlung mit Preußen vorherzusehen, vor dem er noch, in seiner letzten, ergreifenden Rede in Frankfurt, am 17. März 1849 eindringlich warnte. [147] Schon hatte er Anstalt getroffen, sich in einer kleinen deutschen Stadt ganz zurückzuziehen und nur noch seinen Studien zu leben, als er, am 23. April 1849, vom Könige nach Berlin berufen wurde, um seine Vorschläge für den neuen, in Frankfurt mißlungenen Versuch zur Gestaltung einer bundesstaatlichen Verfassung zu machen. Den ihm angebotenen Eintritt in das Ministerium Brandenburg-Manteuffel-Strotha glaubte er auch jetzt im Interesse der Aufgabe ablehnen zu müssen, während er zum Generallieutenant befördert und ihm die fernere Leitung der Verhandlungen über die deutsche Frage allein übertragen wurde, eine Ausnahmestellung, die nur möglich blieb, solange R. auf das volle Vertrauen des Königs und des Ministeriums rechnen konnte. Sein Programm wurde von dem Cabinet durchweg gebilligt. R. formulirte es zunächst folgendermaßen: für das Provisorium: Errichtung eines Bündnisses mit den nächstbetheiligten deutschen Regierungen. Für das Definitivum: Vereinbarung einer bundesstaatlichen Verfassung. Diese sollte nach außen vollkommene Einheit wahren, nach innen Selbständigkeit der Einzelstaaten, wo deren Mittel genügen, Centralisation, wo sie nicht ausreichen oder mehrere collidiren. Bildung einer Centralgewalt mit Legislative durch ein Fürsten-Collegium nach Curien, Executive allein an Preußen als Reichsvorstand. Als Form die Frankfurter Verfassung vom 28. März 1849 zu Grunde gelegt, aber im obigen Sinne revidirt. Es folgten die Einladung zu Besprechungen an sämmtliche deutsche Höfe, die Proclamation des Königs über seine deutsche Politik vom 15. Mai 1849, die ersten Verhandlungen in Berlin, die gleich zum Zurücktreten von Oesterreich, später auch von Baiern führten und, nach schwierigem Kampfe gegen die Sonderinteressen von Sachsen und Hannover, das Drei-Königs-Bündniß vom 26. Mai 1849, der Verfassungsentwurf vom 28. Mai und das Wahlgesetz, Arbeiten, von denen R. den wesentlichsten Theil persönlich geleistet hat. Der abermalige Versuch zur Verständigung mit Oesterreich (Mission Canitz; s. A. D. B. III, 759) mißlang; Separatverhandlungen mit Baiern über Bildung einer provisorischen Centralgewalt waren ohne Erfolg, die Zustimmung einiger der kleineren Regierungen, auch nach Beitritt der größeren Mehrzahl der übrigen, blieb aus. R. hielt trotzdem unentwegt an dem Programm fest, seine Hoffnung blieb, innerhalb desselben den Kern des engeren Staatenbundes, wenigstens für Norddeutschland, unter Preußens Führung für die zukünftige Weiterentwicklung zu retten. Noch einmal faßte er den Gang der Dinge, die Ziele Preußens, die ganze Kraft und Bedeutung des nationalen Gedankens zusammen in der berühmten Rede in der zweiten preußischen Kammer vom 25. August 1849, seine größte oratorische Leistung, durch welche, wenn auch nur auf kurze Zeit, überall die Hoffnung auf das Gelingen des Werks neu belebt erschien. Die Dinge nahmen aber in Wirklichkeit einen anderen Lauf. Es kam jetzt zur Separatverständigung mit Oesterreich vom 30. September 1849 über die Bildung der provisorischen Centralgewalt, – hervorgerufen durch österreichische Initiative, ein unverkennbarer Schachzug gegen das ganze preußische Werk der „Union“, vom König Friedrich Wilhelm trotzdem mit Lebhaftigkeit aufgegriffen. R. wurde erster preußischer Commissar bei dem „Interim“ in Frankfurt a/M., in dessen Hände der Reichsverweser sein Amt niederlegte. Die feindliche Haltung der Königreiche offenbarte sich in dem thatsächlichen Abfall von Sachsen und Hannover von der Union, seit Oct. 1849, den geheimen Verhandlungen in München. R., der von Frankfurt aus diese Lage und namentlich den anwachsenden Einfluß der reactionären Partei in Berlin, mit der er seit der Aufstellung der parlamentarischen Verfassung vom 28. Mai persönlich völlig zerfallen war, mit steigender Besorgniß verfolgte, richtete, bei seiner Rückkehr nach Berlin, März 1850, in bestimmter Form an den König und das Ministerium die Frage, ob er ferner an den politischen [148] Geschäften noch Theil nehmen könne und solle, erhielt aber die eben so bestimmte Antwort, daß er bleiben müsse. Er wurde nun Vorsitzender des Verwaltungsraths und hatte die preußische Regierung bei dem Parlamente, März bis Ende April 1850, in Erfurt zu vertreten, wo er schon vorher sich mit seiner Familie, durch Ankauf eines Hauses, ganz niedergelassen hatte. Unter verstimmenden Mißverhältnissen zwischen den Commissarien der preußischen Regierung und der zur Union haltenden Majorität, im Kampfe gegen die preußischen Ultra-Conservativen, die mit dem Entschlusse nach Erfurt gegangen waren, das Verfassungswerk überhaupt zu vereiteln, kam dennoch die Revision des Entwurfes vom 28. Mai 1849 zu Stande, welche alle Bürgschaften für einen möglichen und dem nationalen Bedürfnisse entsprechenden Ausbau des Bundesstaates unter preußischer Leitung enthielt. Es war zu spät, das Vertrauen in die wirkliche Entschlossenheit der preußischen Regierung, an der Union festzuhalten, war leider auch bei den Freunden schon erschüttert. Der Fürstencongreß in Berlin, Mai 1850, stellte nur noch mehr heraus, daß man schwerlich über die Worte hinaus zu Thaten kommen werde, daß, was König Friedrich Wilhelm in der Theorie für die, in seiner Umgebung fast nur noch von R. festgehaltene Union empfand, nicht in seinem innersten Wesen wurzelte, wo immer die Neigung zur Verständigung mit Oesterreich, die Scheu vor Rußland, der Widerwillen gegen eine parlamentarische Verfassungsausgestaltung überwogen. Die erschwerendsten Umstände traten durch die verschärfte persönliche Einwirkung gegen das Unions- und Verfassungsproject von Seiten des Kaisers Nicolaus ein, der in der Berliner Hofpartei eine in dem Maße in der preußischen Geschichte unerhörte Unterstützung und Ermuthigung fand, in dem energischen Vorwärtsgehen des seiner ungarischen Bedrängniß entledigten Wiener Cabinets unter Schwarzenberg, dessen Scharfblick die in der Union ruhende Gefahr der völligen Hegemonie Preußens in Deutschland bald erkannt hatte, und in dem verhängnißvollen Wechsel der Leitung des preußischen Kriegsministeriums, wo der tüchtige Strotha durch den ganz den Zwecken der reactionären Partei ergebenen Stockhausen ersetzt worden, dem es nicht mehr um Beschleunigung der militärischen Vorbereitungen zu thun war, auf welche sich die weitere Geltendmachung der deutschen Politik Preußens hätte stützen müssen. Alle diese Factoren richteten sich mit Erbitterung gegen R., den der König gleichwohl persönlich festhielt und ihm, auf seine wiederholten Bitten, sich zurückziehen zu dürfen, es geradezu zur Freundespflicht machte auszuharren. R. litt um so mehr unter diesen Verhältnissen, als ihn zu derselben Zeit wieder die schwerste Heimsuchung in seinem Familienleben, der Tod einer 1848 geborenen Tochter traf, der größte Schmerz seines ganzen Lebens, wie er selbst es genannt hat. Dazu heftiges, körperliches Leiden, von dem er sich in einem Urlaube, im Mai und Juni 1850, nur unvollkommen erholte. – Inzwischen hatte die von Oesterreich, unbekümmert um Preußen, in Frankfurt erklärte einfache Wiederherstellung des alten Bundes mit ausschließlicher Präsidialstellung für Oesterreich, den König Friedrich Wilhelm, der wenigstens für alle Fälle die Theilung des Präsidiums zwischen Oesterreich und Preußen er!angt wissen wollte, empfindlich verletzt und seine persönliche Entrüstung wuchs, als dem flüchtigen Kurfürsten von Hessen von dem sog. Bundestage ohne Weiteres Schutz und Execution durch bairische Truppen zugesagt wurde. Schwarzenberg’s Entschluß, Preußen vor die Wahl zwischen Nachgeben oder Krieg zu drängen, lag klar vor Augen. Der König berief R. zum auswärtigen Minister, am 26. September. Es schien noch einmal, als ob das Blatt sich wenden, von Preußen mit aller Kraft und Energie die übernommene Mission durchgeführt werden solle. Die Illusion dauerte nicht lange. Dem letzten und stärksten Anprall aller entgegenwirkenden Kräfte, von außen und im Innern, war des Königs Entschlußfähigkeit nicht mehr gewachsen. [149] Der gewichtigste Schlag kam von Rußland. Kaiser Nicolaus stand längst auf österreichischer Seite, er trat in dem Maße jetzt noch schärfer gegen Preußen und die von R. geleitete Politik auf, als diese auch in der schleswig-holsteinischen Sache sich mit Oesterreich in Widerspruch setzte, indem sie die Herzogthümer wenigstens gegen eine zwangsweise Unterwerfung unter Dänemark durch die deutschen Mächte zu decken suchte. Schon im Mai 1850 hatte der Prinz von Preußen, stets in vollem Einvernehmen mit R. handelnd, bei einer Begegnung mit Kaiser Nicolaus in Warschau die preußische Sache diesem gegenüber zu wahren gesucht. Graf Brandenburg ging im October abermals mit derselben Mission nach Warschau, woselbst sich auch der Kaiser von Oesterreich und Fürst Schwarzenberg einfanden. Es kam dort, unter dem Druck des Zaren, während die Lage in Deutschland sich in Folge des bairischen Vorrückens gegen Hessen ernst und kriegerisch zusammenzog, zu einer „vorläufigen Uebereinkunft“ vom 28. October, in welcher Graf Brandenburg thatsächlich die Union aufgeben, den Eintritt Gesammt-Oesterreichs in den Bund und die Execution in Hessen einräumen mußte. Die holstein’sche Sache blieb in suspenso, Kaiser Nicolaus erklärte aber, daß er weiteres Vorgehen von Preußen zu Gunsten der Herzogthümer nicht dulden könne. Zugegeben hatte Oesterreich nur, worauf der König allerdings persönlich immer den größten Werth legte, daß die weitere Regelung der deutschen Sache nicht durch den sog. Bundestag, sondern mittelst freier Conferenzen aller deutschen Regierungen erfolgen solle. In den darauf folgenden Ministerberathungen erhob sich R. energisch gegen diese Zugeständnisse, verlangte augenblickliche Mobilmachung der ganzen Armee, Einrücken in Hessen, Zurückweisen der Baiern, Manifest an die Nation, Einberufung der Kammern. Die Mobilmachung hielt R. noch nicht für gleichbedeutend mit dem Kriege, aber für erforderlich, um die Verhandlungen inzwischen mit größerem Nachdruck fortzuführen. An die kriegerische Parteinahme von Rußland gegen Preußen glaubte er noch nicht, eventuell, daß diese durch Gegenwirkungen anderer europäischer Großmächte zu hindern oder zu compensiren sein werde. – Auf Seite von R. stellte sich in den wesentlichsten Punkten, namentlich betreffend die sofortige Mobilmachung, der König, indem er jedoch gleichzeitig erklärte, er werde sich von dem Ministerium, wenn es in seiner Majorität anders beschließen sollte, nicht trennen. Ebenso erklärte der Prinz von Preußen, es sei unmöglich, die Unionsverfassung auf österreichisches Geheiß jetzt aufzugeben und sich damit dem Wiener Cabinet unterzuordnen. Auch er verlangte sofortige Mobilmachung. Die Politik der Verständigung auf Grundlage der Warschauer Verhandlung vertrat dagegen Graf Brandenburg, dem es nicht rathsam schien, die Eventualität des Kampfes der noch damit zu erreichenden Ziele wegen aufzunehmen. Manteuffel stimmte dem bei, indem er namentlich auf die Gefahr der Entfesselung revolutionärer Elemente hinwies, auf deren Unterstützung Preußen bei einem Kriege angewiesen sein werde. Er nannte dies die „Demüthigung vor der Revolution“, die er mehr fürchte, als wie die Demüthigung vor Rußland. Außerdem bestritt Manteuffel jetzt offen das Recht Preußens zur Einmischung in Kurhessen und räumte ein, daß Oesterreich die völlige Aufhebung der Unionsverfassung verlangen könne. Der Kriegsminister Stockhausen erklärte, seiner Meinung nach werde ein Krieg mit Oesterreich auch den gegen Rußland nach sich ziehen und dieser doppelten Eventualität sei Preußen nicht gewachsen. Mit R. stimmten noch v. Ladenberg und von der Heydt. Die Entscheidung fiel in dem Conseil vom 2. November, R. reichte seine Entlassung ein. Der König richtete an ihn den bekannten, oft citirten Brief voll überströmenden Dankes und gerührter Anerkennung seiner Politik, die er als „musterhafte und geistreiche Ausführung“ seiner Gedanken und seines Willens bezeichnete. – Nur die genaueste Kenntniß [150] der inneren Hergänge, seit 1849, die zu diesem Abschlusse führten, könnte es ermöglichen, Radowitz’s Haltung dabei ganz zu beurtheilen. Diese Aufklärung ist noch nicht vollständig gegeben, trotz werthvoller Beiträge, die neuerdings namentlich durch F. Fischer, Sybel, Herzog Ernst von Coburg, die Memoiren von Bunsen, Metternich, Prokesch, Beust, dazu geliefert worden und trotz der eigenen, leider viel zu viel verschweigenden Mittheilungen von R. selbst (in dem 2. Theil der gesammelten Schriften und in den „Neuen Gesprächen“). Es bedürfte noch der Veröffentlichung aller von R. hinterlassenen, handschriftlichen Aufzeichnungen (von welchen nur ein Theil zu diesen Notizen hat benutzt werden können), namentlich über seinen persönlichen Verkehr und Briefwechsel mit König Friedrich Wilhelm IV., um die Lücke auszufüllen. Es müßte auch noch bestimmter untersucht werden, wie die militärischen Verhältnisse Preußens in den Novembertagen 1850 thatsächlich gewesen sind, respective welcher Grad von Verantwortung den Kriegsminister trifft, der offen beschuldigt wurde, aus Parteirücksichten die Schlagfertigkeit des Heeres gemindert zu haben, als man deren am dringendsten bedurfte. Die Anklagen, welche in den Broschüren „Vier Monate auswärtiger Politik“ und „Der Kriegsminister in der letzten Krisis“ damals in dieser Hinsicht erhoben wurden, sind niemals entkräftet worden. Mit Bitterkeit hatte vor allen der Ausgang der Krisis den Prinzen von Preußen erfüllt, der am festesten zur Politik von R. gestanden war und die militärischen Kräfte jedenfalls nicht für zu gering gehalten haben muß. „Der König ist schmählich von seinem Ministerium im Stich gelassen worden“ – schrieb er am 22. November 1850 an Herzog Ernst von Coburg-Gotha und er beklagte tief die von Graf Brandenburg gemachten Concessionen. Er hoffte noch auf die, bekanntlich nach Radowitz’s Austritt doch angeordnete Mobilmachung, „in Kurzem sind wir gerüstet, dann können wir auch eine festere Sprache führen“. Es kamen aber die Tage von Olmütz und damit für jene Epoche der Abschluß der preußischen Führung für den deutschen Einheitskampf. – Der König sendete R., der gleich nach seinem Rücktritt nach Erfurt zurückgekehrt war, in besonderer Mission nach London. Er sollte dort eine Allianz suchen, als Gegengewicht gegen das, seit Warschau in seiner ganzen Schwere empfundene russische Uebergewicht und die Gefahren des russisch-französischen Einverständnisses. Persönlich mit größter Auszeichnung am Hofe und in allen Kreisen der Londoner Gesellschaft aufgenommen, konnte R. politisch dort nichts mehr ausrichten, nachdem das Resultat von Olmütz bekannt wurde. R. blieb noch bis Februar 1851 in London. Als er, bei der Rückkehr nach Berlin, dort den König wiedersah, mußte er aus seinem Munde hören, daß er die Olmützer Resultate als einen Sieg über die Feinde Preußens betrachte! R. zog sich nach Erfurt zurück und blieb fortan dem politischen Leben ganz fern, nur seiner schriftstellerischen Thätigkeit lebend, trotz wiederholter Anträge des Königs, der im Sommer 1851 ihn durch Verleihung der Kette des neuerrichteten Hohenzollern’schen Hausordens besonders auszeichnete und ihn als Präsidenten des Staatsraths wieder nach Berlin zu berufen wünschte. 1851 gab R. die „Neuen Gespräche aus der Gegenwart“ heraus, 1852 folgten die „Gesammelten Schriften“ 1–5, frühere kleinere, historische und kunsthistorische Aufsätze enthaltend, zu denen 2 Theile „Fragmente“ über Politik, Religion und Kunst hinzutraten, sowie die bereits erwähnte Darstellung der deutschen Politik von 1848 bis Sommer 1850 und die Reden. In diesen Schriften ist, soweit R. es selbst thun zu können glaubte, Rechenschaft über sein politisches Verhalten seit 1848 und die aufrichtige Darlegung seines Entwicklungsganges zur Erkenntniß von der Nothwendigkeit der monarchisch-constitutionellen Regierungsform für Preußen, gleichzeitig sein durch das Mißlingen in Frankfurt und Erfurt unerschüttertes Vertrauen in die Herstellung der deutschen, [151] nationalen Einheit niedergelegt. Sein gläubiger katholischer Standpunkt findet durchweg prägnanten Ausdruck, aber überall im Sinne seines kirchlichen Wahlspruchs: „christianus mihi nomen, catholicus cognomen“. – Im August 1852 erfolgte Radowitz’s militärische Reactivirung als Generalinspecteur der Militär-Bildungs- und Erziehungs-Anstalten und die Rückkehr nach Berlin, die bei der herrschenden Partei großes Mißfallen hervorrief. R. widmete sich jedoch auch dann nur noch den Aufgaben seiner militärischen Stellung, erkrankte im Sommer 1853 und starb, nach schweren Leiden, am 25. December 1853 in Berlin. Der König, mit welchem er bis zu seinem Ende im regsten Verkehr geblieben, umgeben von allen Prinzen des königlichen Hauses, wohnte in tiefer Ergriffenheit der Trauerfeier in der Berliner Garnisonkirche bei, die Leiche wurde im Familiengrabe zu Erfurt, mit den höchsten militärischen Ehren, am 5. Januar 1854 beigesetzt. Dort errichtete Friedrich Wilhelm IV. dem Freunde ein würdiges, einfaches Denkmal. R. hinterließ seine Wittwe und vier Söhne, von welchen der eine gegenwärtig als Generallieutenant der Armee noch angehört, ein anderer als Botschafter des deutschen Reiches in Constantinopel fungirt.

Die Urtheile der Zeitgenossen, welche zu Radowitz’s Lebzeiten, nach den Parteianschauungen gefärbt, oft mit schonungsloser Gehässigkeit sich gegen ihn gewendet, waren zum Theil seit seinem Rücktritt vom Ministerium milder und verständnißvoller geworden und äußerten sich nach dem Tode vielfach auch von Seiten früherer Gegner sympathisch. Die Augsburger „Allgemeine Zeitung“ schrieb am 10. Januar 1854: „Radowitz war als Gatte und Vater eine Erscheinung seltener Vollkommenheit, als Mensch überhaupt so achtungswerth als irgend einer, als Christ und Kathokik von abgeschlossenem Ausbau, als Staatsmann voll großer Ziele und edler Wünsche …“ Die „Spener’sche Zeitung“ vom 17. Januar 1854: „Dem tiefblickenden, verstorbenen Denker gebührt das Verdienst, den Standpunkt, welchen die beiden Großmächte, Oesterreich und Preußen, Deutschland gegenüber einnehmen können, scharfsinnig ermittelt zu haben … seine Ideen werden, weil sie auf die tiefste historische und politische Auffassung des deutschen, europäischen Volkslebens gegründet sind, fortleben und Gelegenheit zur Verwirklichung suchen, … diese Ideen werden nach und nach Gemeingut werden und sich einst verwirklichen.“ Ein warmer Nachruf wurde ihm durch das „Gedenkblatt“ (von dem Abgeordneten Blömer), welches Alexander v. Humboldt’s einige Tage nach Radowitz’s Tode geschriebene Worte mittheilt: „Es ist ein Stolz und Lichtpunkt meines Lebens ihm so nahe gestanden zu sein, mich seines liebevollen Wohlwollens haben erfreuen zu können, ihn begriffen zu haben, zu bewundern, wie so viel Stärke und Hoheit des Willens mit so kindlicher Milde des Gemüths verschwistert gewesen ist“. In späterer Zeit hat es nicht an Stimmen gefehlt, welche Radowitz’s Verdienste um den deutschen Entwickelungsproceß, sowie seine persönliche und schriftstellerische Bedeutung anzuerkennen wußten. So namentlich Blömer und Fischer in den unten angeführten Schriften. Herzog Ernst von Coburg („Aus meinem Leben“) bezeichnet sein Verdienst um die Entwickelung Deutschlands als ein gleichsam prophetisches: „er sei vom Geschick berufen gewesen, den Gedanken der heutigen Gestaltung von Deutschland schon zu einer Zeit (vor 1848) zu modelliren, wo noch keine entfernte Möglichkeit der Ausführung vorhanden“. R. selbst schloß sein Dasein mit der ausgesprochenen Hoffnung, daß er nicht umsonst einer glücklicheren Zukunft vorgearbeitet habe. Eine der letzten bisher nicht bekannt gewordenen Aufzeichnungen von seiner Hand, geschrieben im Anfange der Todeskrankheit, trägt die Ueberschrift „1900“ und gibt das Bild wieder, das R. sich von dem Zustande Europas nach 50 Jahren machte. „Ich sehe“, sagt er darin, „ein hergestelltes deutsches Kaiserthum mit preußischer Spitze, Frankreich, nach [152] verlorenem Elsaß, auf seine wirklichen natürlichen Grenzen gebracht und ungefährlicher geworden“.

Ein Verzeichniß von Radowitz’s Schriften, da es sonst nicht vorhanden ist, sei hier angeführt: „Ueber Theorie der Zuverlässigkeit der Beobachtungen und Versuche etc.“ 1827. – „Handbuch für Anwendung der reinen Mathematik“. 1827. – „Nachrichten über den Schauplatz des Krieges zwischen Rußland und der Türkei“. 1829. – „Ikonographie der Heiligen“. 1834. – „Die Theorie des Ricoschetts“. 1835. – „Die Capelle im Saalhof zu Frankfurt a/M.“ 1837. – „Die spanische Successionsfrage“. 1839. – „Einleitung zu Hefner’s Trachten des christlichen Mittelalters“. 1840. – „Die Autographensammlungen“. 1842. – „Fragmente über Musik“. 1844. – „Gespräche aus der Gegenwart über Staat und Kirche“. 1846 (4. Aufl. 1851). – „Wer erbt in Schleswig?“ 1846. – „Reden, welche im Ständesaal zu Berlin nicht gehalten worden“. 1847. – „Deutschland und Friedrich Wilhelm IV.“ 1848. (1.–3. Aufl.) – „Die Devisen und Motto des späteren Mittelalters“. 1850. – „Neue Gespräche aus der Gegenwart über Staat und Kirche“. 1851. (1.–2. Aufl.) – „Gesammelte Schriften“. Berlin 1852–1853, I–V.

Vgl. E. Frensdorff, Joseph v. Radowitz. 1850. – Joseph v. Radowitz, wie ihn seine Freunde kennen. (Von dem russischen Dichter Joukowsky.) 1850. – Joseph v. Radowitz, ein Gedenkblatt den Freunden. 1854 (von Blömer). – Radowitz, seine politischen Anschauungen und der Einfluß auf Friedrich Wilhelm IV. (Von F. Fischer, Histor. Taschenbuch, 1874.) – F. Blömer, Zur Geschichte der Bestrebungen der preußischen Regierung für eine politische Reform Deutschlands, vom Mai 1849 bis November 1850. – F. Fischer, Preußen am Abschlusse der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. 1876. – H. v. Sybel, Graf Brandenburg in Warschau (Histor. Zeitschrift, 1887) – Herzog Ernst von Coburg, Aus meinem Leben. I. 1887.
R. v. Liliencron. (Nach Mittheilungen der Familie.)