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ADB:Voß, Sophie Marie Gräfin von

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Artikel „Voß, Sophie Marie Gräfin von“ von Hermann von Petersdorff in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 361–366, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Vo%C3%9F,_Sophie_Marie_Gr%C3%A4fin_von&oldid=- (Version vom 8. Oktober 2024, 00:02 Uhr UTC)
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Voß: Sophie Marie Gräfin v. V., geb. v. Pannewitz, die Oberhofmeisterin der Königin Luise von Preußen, eine Urpreußin und eine der anziehendsten deutschen Frauengestalten, wurde am 11. März 1729 zu Schönfließ bei Oranienburg in der Mark geboren. Ihr Vater war der General Wolf Adolf v. Pannewitz, ein braver preußischer Haudegen, der bei Malplaquet (1709) eine schwere Wunde empfangen hatte († 1750). Ihre Mutter, Johanne Marie, geb. v. Jasmund, eine Mecklenburgerin († 1771), war eine Vertraute der Königin Sophie Dorothee, der Gemahlin Friedrich Wilhelm’s I., und weilte viel in ihrer Umgebung. Die junge Sophie v. Pannewitz entwickelte sich früh zu einer großen Schönheit. Freilich fällt die Angabe, welche ein klatschsüchtiger und verbitterter hoher Mund, der der Markgräfin von Ansbach-Baireuth, nach langen Jahrzehnten über sie verlautbart hat, das schöne Mädchen habe die Zudringlichkeit König Friedrich Wilhelm’s, der ihr ein ganzes Jahr den Hof gemacht hätte, schließlich recht thatkräftig abgewehrt, als haltlos in sich zusammen. Denn abgesehen von der sonstigen Unwahrscheinlichkeit der Nachricht, da Friedrich Wilhelm der sittenstrengste Monarch seiner Zeit war, genügt wol der Hinweis darauf, daß Sophie beim Tode des schon lange schwer leidenden Monarchen eben erst das 11. Jahr zurückgelegt hatte, um die Ueberlieferung der malitiösen Schwester Friedrich’s des Großen in das Reich ihrer übrigen Lügen zu verweisen. Der vortheilhaften äußeren Entwickelung des Kindes that ein Pockenanfall, den es im J. 1743 zu bestehen hatte, keinen Eintrag. Bald nachher wurde sie, vierzehnjährig, Hofdame bei der hohen Gönnerin ihrer Mutter, der Königin-Wittwe Sophie Dorothee. Doch wurde sie erst seit 1744 wirklich zu Dienstleistungen herangezogen. Die Person des neuen Herrschers, des jungen Helden Friedrich II., mochte für das fromme Mädchen etwas Abstoßendes haben. So gab es ihr einen Stich ins Herz, als Friedrich sich einstmals (1743) nach dem Befinden ihres Vaters erkundigte und auf ihre Antwort: „Es geht besser durch Gottes Gnade“ sich umwendend sagte: „Sie ist noch recht unschuldig, daß sie dabei auch vom lieben Gott spricht“. Ueberhaupt fühlte sie sich anfänglich in der Hofluft höchst unsicher. Sie hat das später mit den Worten bekannt: „Das eigentliche Treiben der Welt war mir noch so fremd und unbekannt, daß ich alle Menschen, einen wie den andern für fromm und gut hielt, ohne Falsch noch Schminke noch irgend eine Bosheit; die Folgezeit hat mich durch bittere Erfahrungen aber bald das Gegentheil gelehrt“. Am Hofe der Sophie Dorothee blieb sie sieben Jahre, abwechselnd in Monbijou und Oranienburg weilend. Dort in Oranienburg hielt August Wilhelm Prinz von Preußen, der zum Thronfolger bestimmt war, Hof. Ihm fiel das blühend schöne Mädchen bald auf, das in ihrer Erscheinung einer Diana vergleichbar in der Umgegend seines Wohnsitzes, im Park von Rheinsberg und anderswo mit Wonne umherritt und sich dem Vergnügen der Jagd hingab. Sie war 17-, er 23jährig, als sie sich kennen lernten. Rasch entflammte sich sein Herz für sie und diese Neigung hielt an. Umsonst war aller Widerstand und alle Kälte, die Sophie dem bereits verheiratheten Manne entgegenstellte. [362] Die Treue seines Gefühls zu ihr ist niemals erschüttert worden. Er wurde nur unglücklicher und stürmischer. Sophie vermied, ja floh seine Nähe, begegnete ihm nie anders als mit Unfreundlichkeit und Härte. „Und als dies Alles ihn nicht abschreckte, habe ich ihn mit Thränen gebeten und beschworen, mich aufzugeben und mich zu vergessen – es war Alles umsonst“. Er folgte ihr überall hin. Die übelwollende Fama des Hofes bemächtigte sich bald der Sache und von der Mutter und einem älteren Bruder hatte sie Hartes zu erdulden. Aber mit dem wahrheitsverkündenden Antlitz der Unschuld konnte sie später bekennen: „Ich habe niemals der strengsten Sittsamkeit und Tugend nur einen Augenblick vergessen“. Als ein Graf Neipperg, ein Sohn des österreichischen Feldmarschalls, um die Hofdame anhielt, wußte es Prinz August Wilhelm zu hintertreiben, daß die Verbindung zu Stande kam. Die Verlobung mit einem Fürsten Lobkowitz (1750) ging aus religiösen Rücksichten auseinander. Da entschloß sich das geängstete Gemüth, in dem allmählich auch eine heiße Neigung für den treuen Prinzen erwacht war, gewaltsam zur Heirath mit ihrem Vetter, dem Geheimrath Ernst Johann v. V. auf Gr. Giewitz, Schönau u. s. w. und rettete sich damit vor den Verfolgungen des Prinzen. Es war eine reine Achtungs-, keine Liebesheirath ihrerseits, während freilich ihr Gatte von hoher Liebe und Verehrung für das edle Geschöpf, das er heimführte, durchdrungen war.

Der Geheimrath v. V. war anfänglich im preußischen Justizdienst beschäftigt gewesen und eben von einem Gesandtschaftsposten aus Polen zurückgekehrt. Jetzt wurde er wieder im Ministerium des Auswärtigen beschäftigt. Aus seiner Ehe mit Sophie v. Pannewitz entsprossen eine Tochter und zwei Söhne, von denen der älteste bald starb, der zweite den Namen des unglücklichen Verehrers der Mutter, Wilhelm August, erhielt. Der Prinz von Preußen stand selbst Pathe bei dem Kinde. Als dieser Sohn in jungem Mannesalter starb, ging sein Name auf den nachgeborenen Enkel der Angebeteten des Prinzen August über. 1753 wurde der Geheimrath v. V. als Chefpräsident an die Regierung zu Magdeburg versetzt, wo er zehn Jahre blieb. Dort gefielen sich die Gatten durchaus nicht sehr. Das anregendste Element daselbst war der Gouverneur der Festung, Herzog Ferdinand von Braunschweig, Friedrich’s berühmter Feldherr. Mehrmals wurde der Hof hierher geflüchtet, so 1759, 1760 und 1761, ohne daß dadurch das geistige Leben sehr gewonnen hätte. Die übellaunige, unendlich langweilige arme Königin Elisabeth Christine und die boshafte bizarre Prinzessin Amalie bereiteten der regsamen, natürlichen und feinfühligen Regierungspräsidentin manche schwere Stunde. Ein Lichtstrahl war in diesem Kreise die reizende Prinzessin Heinrich aus dem Hause Hessen-Kassel und an sie schloß Frau v. V. sich besonders an. Ein Zeitvertreib war ihr die Musik und sie componirte gern und mit Erfolg. 1761 las sie Rousseau’s eben erschienene Heloise und fühlte sich frappirt von der „seltenen und eigenthümlichen Beredsamkeit“ des Buches. Die jugendliche Frau liebte es wohl auch hin und wieder eine lustige Reise zu unternehmen, wie sie denn mit ihrer Wilhelmine von Hessen-Kassel einmal nach Helmstedt gefahren ist und dort so recht nach Herzenslust mit den Musensöhnen vergnügt war. In diesen Jahren stiller Zurückgezogenheit fühlte sie aber auch zum ersten Male, wie innig sie mit den Geschicken ihres Vaterlandes verkettet, daß sie eine Patriotin durch und durch war. Als Berlin von den Feinden bedroht und erobert wurde, da schrieb sie in ihr Tagebuch: „Der Schmerz um Berlin ließ mich nicht schlafen“ und ein ander Mal: „Mein Herz war so bewegt und voll Kummer (wegen Berlin), daß ich kaum hörte, was um mich herum gesprochen wurde“. 1763 wurde ihr Gatte zum Hofmarschall bei der Königin Elisabeth Christine ernannt. Später (1783) erhielt er den Titel eines Obersthofmeisters der Königin mit dem Range eines Staatsministers. Bis zu seinem Tode (1793), also dreißig Jahre, [363] blieb Frau v. V. in der Umgebung der Gemahlin König Friedrichs des Großen. Den Frühling und die erste Hälfte des Sommers pflegte sie als deren Begleiterin in Schönhausen zuzubringen, während sie sich im Spätsommer und Herbst gewöhnlich auf die Güter ihres Gatten in Mecklenburg zurückzog. Das geistlose und inhaltsarme Leben am Hof der Elisabeth Christine war manchmal geradezu eine Prüfung für sie. Aber auch traurige Erfahrungen sollten ihr wiederum nicht erspart bleiben. Der Sohn ihres früh verstorbenen ersten Verehrers, der nachmalige König Friedrich Wilhelm II., war von der höchsten Verehrung für die Liebe seines Vaters erfüllt. Es war nun ein eigenthümliches Geschick, als die Obersthofmeisterin denselben Herzensroman, den sie mit dem Vater des Prinzen durchlebt hatte, jetzt sich zwischen ihrer seit 1783 am Hofe lebenden Nichte Julie v. V. und dem leichtentzündlichen und dabei recht unbeständigen Thronfolger wiederholen sah, allerdings mit so anderem Ausgange. Das geübte Auge der treuen Tante erkannte sehr bald die aufkeimende Neigung Friedrich Wilhelm’s. Kraft ihrer Stellung als mütterliche Freundin hielt sie sich befugt, ihm sein Unrecht, das arme schöne Mädchen mit seiner Leidenschaft zu verfolgen, eindringlich vorzuhalten (December 1784) und er versprach ihr auch, sich zu ändern und sich nach ihren Wünschen zu richten. Aber bald loderte seine Leidenschaft für sie wieder in ihm auf. Frau v. V. wollte das gefährdete Geschöpf jetzt von Berlin entfernen, doch drang sie bei deren Familie nicht mit ihrem Willen durch. Die Tagebuchaufzeichnungen der Oberhofmeisterin über den Roman der unglücklichen Julie spiegeln die tieftraurigen Empfindungen der edlen, hoheitsvollen Frau deutlich wieder und können nicht ohne das größeste Mitgefühl gelesen werden. Der Ausgang der Sache ist bekannt. So scharf Frau v. V. des Königs Schwäche verurtheilte, so viel Liebe behielt sie jedoch für sein liebenswürdiges, chevalereskes Wesen übrig. In der Erinnerung an ihren verstorbenen Verehrer übertrug sie offenbar auf den Sohn einen Theil ihrer zärtlichen Gefühle.

Als ihr Gatte am 26. Mai 1793 starb, da ergriff die 64jährige Matrone mit Freuden die Gelegenheit sich in die Stille des Landlebens zurückzuziehen und fern vom geräuschvollen Hofleben mit seinen düsteren Schattenseiten dahinzuleben, nur mit der Erziehung ihres jetzt dreizehnjährigen Enkels beschäftigt. Aber es war anders mit ihr beschlossen. Mit feinem Tacte bestimmte König Friedrich Wilhelm II. die treue Lebensgefährtin des preußischen Königshauses zur Oberhofmeisterin der im April 1793 mit dem Kronprinzen verlobten Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz. Kaum hatte sie also dem Hofe den Rücken gekehrt, da mußte sie auch schon wieder dorthin zurückeilen und obwol im Beginn des Greisenalters stehend, sollte sie jetzt erst ihren eigentlichen Wirkungskreis finden, in dem sie noch mehr als zwei Jahrzehnte thätig war. Im December 1793 ging sie nach Berlin und nahm im kronprinzlichen Palais (dem späteren Palais des Kaisers Friedrich) in den Parterrezimmern links vom Eingange ihre Wohnung, die sie bis zu ihrem Lebensende innegehabt hat. Während sie bisher nur den Titel einer Oberhofmeisterin gehabt hatte, übernahm sie jetzt die Functionen einer solchen. In ihrer von Pflichttreue erfüllten Art hat sie damals schriftlich fixirt, wie sie sich die Erfüllung ihrer Aufgabe dachte. Das Blatt, das diese Aufzeichnungen enthält: „Eine Oberhofmeisterin wie sie sein soll“ ist ein rührender Beweis ihres seelenguten Charakters. Da heißt es u. a.: Nicht zu streng gegen die Jugend, nicht vergessen, daß auch sie einst jung war und die Macht der Liebe gefühlt hat“. „Weil die Jugend eine Oberhofmeisterin nicht mehr zu drücken pflegt und sie deren Reize entbehrt, muß sie dieselben durch jene Reize ersetzen, die eine immer gute Laune und heitere Unterhaltung mit sich bringt und auch die langen Erzählungen und Wiederholungen vermeiden, die jedermann [364] ermüden“ u. s. w. Freilich verhinderten diese guten Vorsätze nicht, daß auch Frau v. V. manchmal gegen sie fehlte, wenn sie in ihrem großen Wirkungskreise in echter Weiblichkeit vielleicht hier und da ein wenig des Guten zu viel im Sprechen that oder wenn sie einige leichtlebige Hofdamen zur Vernunft zu verweisen für gut fand. In der That mag sie dazu recht häufig begründeten Anlaß und dadurch eine schwierige Stellung gehabt haben. Nach alter Hofessitte hielt sie streng auf die Etiquette und konnte sich schwer darein finden, wenn die neue Zeit sich über manches hinwegsetzte. Durch ihre Stellung als Empfängerin aller Hofbesuche und Vermittlerin der Vorstellungen beim Königspaare kam sie, zumal in den bewegten Jahren, die nun bald begannen, in Beziehungen mit aller Welt, und ihr empfänglicher und regsamer Geist gestaltete das Verhältniß mit den bedeutenderen Menschen bald zu einem engeren.

Einige Jahre lebte sie noch in der bescheideneren Stellung der Oberhofmeisterin der Kronprinzessin. Zu Weihnachten 1793 nahm sie theil an dem Einzuge der Braut und den darauf folgenden Festen. Die Strapazen des Trubels kamen ihr wol hart an, aber sie überwand sie. Nicht zum wenigsten machte ihr das holde Wesen ihrer Prinzessin ihre Aufgabe leichter. Schon am 31. December vermerkte sie: „Die Prinzessin ist wirklich anbetungswürdig, so gut und so reizend zugleich“. Mit Sorge fühlte sie die Gefahr, als der stürmische Prinz Louis Ferdinand dieser reinen Seele nahe zu kommen suchte. Aber es war zum Glück ein schnell vorbeihuschender Schatten. Ehe jedoch die alte Dame das ganze Vertrauen der Prinzessin erwarb, vergingen noch mehrere Jahre. Ein Zeichen, daß dies geschehen, war der Besuch des kronprinzlichen Paares auf dem Landsitz der Oberhofmeisterin, Gr. Giewitz, im Juli 1796. Bald gab es kein herzlicheres Verhältniß als zwischen dem Herrscherpaare und der Oberhofmeisterin. Sie durfte (1797) den Prinzen Wilhelm über die Taufe halten. Als König Friedrich Wilhelm II. starb (16. November 1797), da war sie die erste, die der neuen Königin „im Pudermantel, wie sie war“ die Todesnachricht überbrachte. In dem Trubel der Trauerfeierlichkeiten aßen König und Königin wol in der trauten Stube der Oberhofmeisterin eine Hühnersuppe, um sich den Menschen zu entziehen. Am Tage ihres 72. Geburtstages, am 11. März 1800 erhob sie König Friedrich Wilhelm III. zur äußeren Bekundung seiner Verehrung in den erblichen Grafenstand. In treuem Dienste, der manchmal auch einer jüngeren Kraft beschwerlich fallen konnte, durchlebte sie dann die Zeit, wo das Napoleonische Unwetter heraufzog. „Ein furchtbarer Tag“ war es, als sie am 13. October 1806 mit der Königin auf Auerstädt zu fuhr und umkehren mußte zu eiliger Flucht. Am 19. war sie in Stettin, am 25. in Danzig. In den nächsten Wochen schwankte sie hin und her zwischen Furcht und Hoffnung. Erst hielt sie alles für verloren. Schon am 30. prophezeite die fromme und patriotische Frau indeß: „Auch Napoleon wird eines Tages untergehen, aber vielleicht zu spät für uns, zu spät für unser geliebtes Deutschland“. Zwei Tage darauf schreibt sie: „Alle Nachrichten sind entsetzlich; es scheint die heilige Vorsehung hat beschlossen, uns vollkommen zu vernichten: ihre Wege sind nicht unsere Wege“. Als die Kunde von Stettins und Küstrins Uebergabe kam, entfuhr ihrer empörten Seele der Auszruf: „Das ist eine wahre Niederträchtigkeit“. Am 29. December wieder heißt es in ihrem Tagebuche: „Ich ärgere mich, wenn ich diese übermäßige Furcht und Verzagtheit sehe“. In bitterer Winterkälte ging es im Januar 1807 nach Memel. Es kam vor, daß die tapfere Greisin dabei auf kalter Erde schlafen mußte. Und so durchlebte sie die ganze große Leidenszeit des Königshauses in dessen nächster Umgebung mit. Ihr patriotisches Herz war mehr um ihre junge Königin als um ihre eigene unbequeme Lage bekümmert. „Gott allein weiß, was sie leidet!“ schrieb sie von ihr. Die herzenberückende Freundlichkeit des Czaren, der sie sich [365] auch erst sehr zugänglich erwies, kam ihr schließlich doch etwas „artificiell“ vor. Sein Benehmen in Tilsit fand sie recht schwächlich. Am 6. Juli 1807 lernte sie Napoleon kennen. Er mißfiel ihr höchlichst, während ihr Murat’s posenhaftes Wesen erst zusagte. Im übrigen zeigte sie im allgemeinen höchst treffendes Urtheil über die einzelnen Personen. Die Frondeurs Kalkreuth, Schulenburg und auch Köckritz sind von ihr sehr scharf gezeichnet. Ihren eigenen Neffen, den Minister v. V., beurtheilte sie garnicht wie eine Verwandte, sondern geradezu etwas ungerecht. Für Hardenberg’s Galanterien erwies sie sich empfänglich. Doch schauderte ihr vor seiner leichtfertigen Umgebung. Der Unterschied der bildschönen Schwester der Königin Luise, der mit dem Prinzen Ludwig von Preußen, dann mit dem Prinzen von Solms-Braunfels und schließlich mit dem König Ernst August von Hannover verheiratheten Prinzessin Friederike, von der preußischen Königin war ihr bald klar. Ihr reines Wesen fühlte sich abgestoßen von dem Prinzen Wilhelm von Braunschweig: „Er hat etwas Rohes und einen Anstrich von schlechter Gesellschaft“. Als sich die Königin im November 1807 durch das Schicksal Berlins tief erschüttert zeigte, faßte die gute Gräfin sich ein Herz, an Napoleon zu schreiben, und der Freiherr v. Stein, der ihr auch persönlich nahe gestanden zu haben scheint (vgl. Pertz, Stein I, 129), rieth ihr dazu, den Brief abzusenden. Wie empört war sie aber, als sie nachher erfuhr, daß der schwachherzige Gesandte Brockhausen nicht gewagt hätte, das Schreiben abzugeben. Natürlich konnte Stein, dem sie davon Mittheilung machte, dies auch nur „insolent“ im höchsten Grade finden. Die Gräfin war mittlerweile eine europäische Berühmtheit geworden und galt vielfach als eine sehr einflußreiche Persönlichkeit am preußischen Hofe, wobei zuweilen einige Ueberschätzung mit unterlief. Wollten die Diplomaten irgend eine Nachricht verbreiten, so glaubten sie am besten dafür zu sorgen, wenn sie sie ihr übermittelten. Manchmal suchte ihr der eine oder der andere wol einen Streich zu spielen. Doch war die kluge alte Dame wol auf der Hut und wußte solche Leute gar trefflich abzufertigen. Selbst ihr Papagei wurde ein Gegenstand von politischem Interesse. Von ihm erzählte man sich allerhand Schwänke, daß er unpassende Reden über Napoleon führte und dergl. mehr. Ihre arglose Gutherzigkeit veranlaßte sie denn auch hin und wieder einmal zu plaudern, so als der sächsische Lieutenant Langenau, der Bruder des späteren Feldmarschalllieutenants, vom sächsischen Obersten Thielmann gesandt ins königliche Lager kam und sie über die preußische Noth aushorchte. Als sie vernahm, daß ihr Enkel V. Rekruten für Schill werben wollte, schrieb sie richtig blickend: „Das ist mir sehr leid; es ist doch umsonst“. Ein unendliches Weh überkam sie, als ihre „Engelskönigin“ an ihrem Gram starb. Sie drückte ihr die Augen zu – der letzte Liebesdienst, den sie ihr erweisen konnte (19. Juli 1810).

König Friedrich Wilhelm hat der Gräfin nach dem Tode seiner Gemahlin die alte Anhänglichkeit bewahrt. Aber mit ihr ging es nun auch zu Ende. Die Natur forderte ihre Rechte von der müden Greisin. Im J. 1812 verfiel sie in schwere Krankheit, deren Folgen sie nicht mehr überwand. Einige Spötter hielten es für erlaubt, mit der alten Dame ihren Spaß zu treiben, so Wittgenstein, der zu ihrer Ankunft in Berlin im November 1813 ein Extrablatt ausgeben ließ. Sie lachte darüber mit. An den Ereignissen nahm sie noch lebhaft theil. Der erste für Frankreich so vortheilhafte Pariser Friede (1814) erfüllte sie mit Entrüstung. Am 16. September 1814 wurde sie von ihrem König mit dem Luisenorden geschmückt. Einer ihrer letzten Briefe (Berlin, 13. Oct. 1814) war an Theodor v. Schön gerichtet. In ihm empfahl die 85jährige Greisin ihrem „lieben Neveux und Freund“ Schön ihren jungen Enkel zur Anstellung. Nachdem wenige Wochen darauf (3. November) noch eine Feuersbrunst in ihrer Wohnung [366] arge Zerstörungen unter ihren Kostbarkeiten angerichtet hatte, hauchte sie am 31. December 1814 müde ihre Seele aus.

Sophie Marie Gräfin v. Voß. 69 Jahre am preußischen Hofe (hauptsächlich ihre ursprünglich französisch geschriebenen Tagebücher enthaltend, eine classische Quelle zur Geschichte des preußischen Königshauses, von großer Lauterkeit, reich an trefflichen Charakteristiken.) 5. Aufl. Leipzig 1887. Bevorstehend die Veröffentlichung von Briefen der Königin Luise an die Gräfin durch P. Bailleu i. d. Deutschen Rundschau. Hier noch nicht benutzt. Lebensgroßes Jugendbild von Pesne im Kgl. Schlosse zu Berlin. Das Titelbild des Buches zeigt sie im Alter, Güte, Klugheit, Schalkhaftigkeit und Schönheit vereinigend.