Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen/T1H2A7 Schleifer

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Sechste Abtheilung. Von dem Anschlage Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen – Erster Theil (1759) von Carl Philipp Emanuel Bach
Siebente Abtheilung. Von den Schleifern
Achte Abtheilung. Von dem Schneller


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Siebente Abtheilung.
Von den Schleifern.

 §. 1.  Die Schleifer kommen ohne und mit einem Puncte vor. Ihr Vortrag liegt im Worte angedeutet. Sie machen die Gedancken fliessend.

 §. 2.  Die Schleifer ohne Puncte bestehen theils aus zweyen, theils aus dreyen Nötgen, welche man vor der Haupt-Note anschläget.

 §. 3.  Die erstern werden durch zwey kleine Zweyunddreyßigtheile angedeutet Tab. VI. Fig. LXXXVIII. Bey dem Allabreve-Tackte können es auch Sechzehntheile seyn (*). Man findet diese Manier bisweilen so bezeichnet wie wir bey (a) sehen. Oft wird sie auch mit ihrer Ausführung ausgeschrieben (b).

 §. 4.  Die Schleifer von zweyen Nötgen unterscheiden sich noch von denen mit dreyen Nötgen auf zweyerley Art; (1) kommen jene allezeit vor einem Sprunge vor, allwo sie die Intervallen darzwischen ausfüllen Fig. LXXXVIII, diese hingegen, wie wir bald sehen werden, kommen auch ausser diesen vor; (2) werden jene allezeit geschwinde gespielt (b), diese aber nicht.

 §. 5.  Bey Fig. LXXXIX. (a) sehen wir die Ausführung dieses Schleifers von dreyen Nötgen. Die Geschwindigkeit dieser Manier wird von dem Inhalte eines Stückes und dessen Zeit-Maasse bestimmt. Da man von diesem Schleifer noch kein gewöhnliches Zeichen hat, und seine Ausführung einem Doppelschlage in der Gegen-Bewegung vollkommen gleich ist; so habe ich ihn viel bequemer durch das bey (b) befindliche Zeichen angedeutet, als wenn ich statt dessen drey kleine Nötgen hätte setzen [95] wollen, wie man zuweilen antrift (c). Das Auge kan unsere Bezeichnungs-Art leichter übersehen und die Noten bleiben in der Nähe beysammen.

 §. 6.  Diese Manier, liebt das sehr geschwinde und das sehr langsame, das gleichgültige und das alleraffectuöseste, und wird also auf zweyerley sehr verschiedene Art gebraucht. (1) Bey geschwinden Sachen zur Ausfüllung und zum Schimmer; hier stellt sie bequem einen Triller von unten ohne Nachschlag vor, wenn die Kürtze der Note zu diesem Triller nicht hinreichen will Fig. XC, und wird allezeit geschwinde gemacht. Die folgenden Noten können gehen oder springen.

 §. 7.  Im andern Falle wird dieser Schleifer als eine traurige Manier, bey matten Stellen, besonders im Adagio, mit Nutzen gebraucht. Er wird alsdenn matt und piano gespielt, und mit vielem Affecte und mit einer Freyheit, welche sich an die Geltung der Noten nicht zu sclavisch bindet, vorgetragen. Sein gewöhnlichster Sitz ist auf der wiederholten Note Fig. XCI. (a). Ausserdem kommt er auch im hinaufgehen und springen vor (b). Man siehet hieraus, daß dieser Schleifer alsdenn ein langsam ausgefüllter Anschlag mit dem Tertien-Sprunge ist. Man kann durch ihn eine Haltung ebenfalls mit Affecte ausfüllen (c).

 §. 8.  Weil die Dissonantzien geschickter sind, Leidenschaften zu erregen als die Consonantzen, so trift man diese Manier auch am öftersten über jenen an, und zwar bey einer langsamen Note, welche mit Fleiß entweder nicht völlig, oder wenigstens schleppend ausgefüllt wird. Sie wird mit eben diesen Umständen auch im Allegro gebraucht, wenn zumahl eine Versetzung der harten Ton-Art in die weiche vorkommt. Die kleine mangelhafte Septime, die überflüßige Sexte wenn sie die Quinte bey sich hat, ingleichen die Sexte mit der übermäßigen Quarte und kleinen Tertie und dergleichen [96] harmonische Zusammenklänge mehr, leiden diesen Schleiffer besonders. Da die Folge bey allen Manieren hauptsächlich aus dem Basse zugleich mit erkannt wird, so kan man leicht urtheilen, daß diese Manier sich herunter neiget.

 §. 9.  Wir lernen bey Gelegenheit dieses Schleifers zweyerley: (1) daß man bey gewissen Gedancken mehr auf einen ungekünstelten matten Ausdruck, als auf die Ausfüllung sehen müsse, und daß man also bey langsamen Noten nicht eben allezeit verbunden sey, Manieren von vielen Noten zu wählen, indem man sonst statt dieses Schleifers den Doppelschlag von unten brauchen könnte, welcher einige Aehnlichkeit in Noten mit ihm hat, (2) Daß man im Gegentheil auch nicht allezeit das affectuöse einer Manier aus der Wenigkeit ihrer Noten erkennen müsse, weil sonst folgen würde, daß ein Anschlag, welcher nur aus zweyen Noten bestehet, mehr Affect enthielt, als unser Schleifer, oder, welches einerley ist, wenn dieser Anschlag ausgefüllet wird.

 §. 10.  So bequem dieser aus dreyen Nötgen bestehende Schleifer eine Traurigkeit erwecken kan, so viel Gefälligkeit erregt der Schleifer aus zweyen Nötgen mit einem darzwischen stehenden Puncte.

 §. 11.  Bey Fig. XCII. sehen wir ihn angedeutet. Seine Eintheilung ist so verschieden als bey keiner andern Manier. Sie wird ebenfalls durch den Affect bestimmt. Ich habe deswegen in den Probe-Stücken bey dieser Manier eben so wohl, als bey dem Anschlage mit dem Puncte, die Andeutung, auch zuweilen die Ausführung so deutlich, als es nur möglich gewesen ist, ausgedrückt.

 §. 12.  Bey Fig. XCIII. finden wir unterschiedene Exempel mit ihrer verschiedenen Ausführung. Wir sehen bey (*) daß diese Eintheilung wegen des Basses besser ist als die drauf [97] folgende. Ueberhaupt können die meisten von diesen Exempeln einen eigentlichen Sitz von dieser Manier vorstellen, indem man bey Anschauung der simpeln Noten bald aus der Härte der anschlagenden Dissonantz, bald aus dem Leeren der Octaven leicht mercken kan, daß dahin etwas gehöre. Es kan aber keine andere Manier alsdenn wohl angebracht werden als diese. Die folgende Noten nach dieser Manier pflegen gemeiniglich herunter zu gehen, ob wir schon aus dem Exempel (x) sehen, daß der Gesang in demselben Tone bisweilen auch fortfahren kan.

 §. 13.  Das übrige zum Vortrage dieser Manier ist bey Fig. XCIII. unter (1) und (2) abgebildet. Wir finden allda, daß die Note mit dem Puncte starck, die darauf folgende hingegen sammt der Haupt-Note schwach gespielt wird. Der Punct über dem kleinen Bogen (1) bedeutet, daß über dieser Note der Finger eher aufgehoben werden muß als die Geltung dauret, folglich wird, wie bey (2) zu sehen ist, aus dem Puncte nach der Haupt-Note eine Pause.


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