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Viktor Neßler

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Textdaten
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Autor:
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Titel: Viktor Neßler
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 417, 418
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[417]

Viktor Neßler.
Nach einer Photographie von Karl Bellach in Leipzig.

[418] Viktor Neßler. (Zu dem Bilde S. 417). Aus Straßburg kommt die Trauerkunde, daß daselbst am 28. Mai Viktor Neßler, der Komponist des „Trompeter von Säkkingen“, dessen neuestes Werk „Die Rose von Straßburg“ erst kürzlich seine erste Aufführung erlebt hat, gestorben ist. Neßler ist ein treuer Sohn der Reichslande; dort hat er das Licht der Welt erblickt, dort den größten Theil seines Lebens verbracht, an sie knüpfte sich seine letzte Tonschöpfung. Am 28. Januar 1841 zu Baldenheim bei Schlettstadt im Elsaß geboren als Sohn eines Pfarrers, sollte er wie sein Vater den Beruf des Theologen ergreifen. Aber ein frühentwickelter Trieb zu musikalischem Genießen und musikalischem Schaffen, der durch eine heiße Jugendliebe zu unwiderstehlicher Gewalt entflammt wurde, brachte ihn in einen ernsten Zwiespalt mit dem Vater und mit dem Berufe, den dieser ihm zugedacht hatte.

In Straßburg bestand damals das sogenannte „Sternenkränzel“, ein elsässischer Gesangverein, in welchem der junge Neßler nicht bloß eifrig mit sang, sondern der ihm auch Gelegenheit gab, mit der Geliebten zusammenzutreffen und seine Erstlingskompositionen aufzuführen, zu denen sie ihn begeistert hatte. Der Beifall, den er für seine Leistungen erntete, ermuthigte ihn zu Höherem, und eines Tages sahen die Bürger von Straßburg Neßlers Namen auf dem Theaterzettel prangen. Ein Studiengenosse Neßlers, der stud. theol. Edm. Febvrel, der als junger Prediger später in St. Dié starb, hatte einen die Jugendliebe Heinrichs IV. behandelnden Operntext gedichtet und Neßler hierzu die Musik geschrieben. Die Oper „Fleurette“ wurde im Stadttheater zu Straßburg mehrere Male unter großem Beifall aufgeführt. Selbstverständlich blieb dieses Vorkommniß dem Dekanat der theologischen Fakultät nicht unbekannt. Unerhört fand man es, daß zwei Theologen es gewagt hatten, ein solches weltliches Werk gemeinschaftlich zu ersinnen. Die beiden Missethäter sollten von der hohen Schule verwiesen werden. Als aber Neßler freiwillig schied, wurde dem Dichter das Verweilen gestattet.

Nun ergab sich auch der Vater Neßlers ins Unvermeidliche; nur noch wenige Monate blieb der junge Tondichter in Straßburg, um von dem Komponisten und Dirigenten Ludwig Liebe zu lernen, dann siedelte er im Juni 1864 nach Leipzig über, um dort unter der Leitung von Moritz Hauptmann, Moscheles, David, Reinecke, Bomsdorf, Langer und Jadassohn seine musikalische Ausbildung zu vollenden.

In Leipzig mußte sich Neßler erst mit Musikunterrichtstunden durchhelfen, später aber übernahm er die Leitung der Männergesangvereine „Merkur“ und „Sängerkreis“, und die für diese Vereine von ihm komponierten Chorlieder verschafften ihm bald den Ruf eines begabten Musikers. Er erhielt 1871 die Chor- und Musikdirektorstelle am Leipziger Stadttheater, welches Amt er im Jahre 1879 mit dem eines ersten Musikdirektors am Carolatheater vertauschte. Ein Jahr später übernahm er die Leitung des aus acht Leipziger Vereinen zusammengesetzten „Leipziger Sängerbundes“, in welcher Stellung er bis zum Jahre 1884, wo er wieder nach Straßburg übersiedelte, verblieb.

Die schwere Kriegszeit, welche über das Elsaß 1870 hereinbrach, erfüllte Neßler mit banger Sorge, denn in dem belagerten Straßburg war auch jenes Mädchen mit ihren Eltern eingeschlossen, das Neßler schon in der frühesten Jugendzeit bezaubert hatte und das inzwischen heimlich seine Braut geworden war. Aber es dauerte noch lange, bis er das Ziel seiner Sehnsucht, die Verbindung mit der Geliebten, erreichte. Denn Schwierigkeiten aller Art stellten sich dem Komponisten entgegen. Die Eltern der Braut wollten eine Heirath nicht zugeben, und mit den Kompositionen wollte es auch nicht recht voran gehen. Es waren allerdings 1868 die romantische Oper „Dornröschens Brautfahrt“ und etwas später die Oper „Alfred der Große“, weiter die Einakter „Am Alexandertag“ und „Der Nachtwächter“ erschienen und beide unter Laube am Leipziger Stadttheater mehrmals aufgeführt worden, allein sie hatten nicht den Erfolg, welchen Neßler erhofft hatte. Auch „Irmingard“ wurde in Leipzig zwar freundlich aufgenommen, erfüllte aber ebenfalls nicht ganz des jugendlichen Komponisten Träume. Immerhin durfte er es jetzt, 1872, wagen, mit seiner Werbung hervorzutreten, und sein eigener greiser Vater traute das Paar in der Straßburger Nikolaikirche.

Einen entscheidenden Wendepunkt in Neßlers Leben brachte das Jahr 1879. Sein „Rattenfänger von Hameln“, zu welchem Friedrich Hofmann nach der Dichtung von Julius Wolff das Textbuch schrieb, schlug glänzend ein, in raschem Fluge ging er über alle deutschen Opernbühnen. Neßler hat in diesem Werke zum ersten Mal sein Streben durchblicken lassen, eine deutsche Spieloper, ein Mittelding zwischen der großen Oper, der italienischen Oper und dem Wagnerschen Musikdrama, zu schaffen. Wenn ihm dies nun auch nicht sofort gelang, so ist er doch in seinen folgenden Schöpfungen „Der wilde Jäger“ (Text gleichfalls von Friedrich Hofmann) und „Der Trompeter von Säkkingen“ (1884, Text von Bunge) seinem Ziele bedeutend näher gerückt; was aber den äußeren Erfolg anbelangt, so war dieser bei der letzten Oper ein so bedeutender, daß er die kühnsten Hoffnungen des Komponisten übertraf.

Noch erschien (1887) die Oper „Otto der Schütz“, die an durchschlagender Wirkung allerdings mit dem „Trompeter“ sich nicht messen konnte. Aber unbeirrt hat Neßler weiter gearbeitet an seiner eigenen Vollendung und an der Erreichung des Zieles, das er sich gesteckt hatte. Wie schon erwähnt, ist die letzte Schöpfung seiner Muse, „Die Rose von Straßburg“ (Text von Fritz Ehrenberg), vor kurzem, am 1. Mai d. J., am kgl. Hoftheater in München zur ersten Aufführung gelangt und hat dort, wie ihre Vorgängerin, eine freundliche, wenn auch keine begeisterte Aufnahme gefunden. Die Reise nach München aber ist für Neßler verhängnißvoll geworden. Kaum konnte er die Heimath wieder erreichen, so sehr steigerte sich in diesen Tagen bei ihm ein Herz- und Nierenleiden – und ihm ist er schließlich, ein 49jähriger Mann, dem noch so manches Schöne zu schaffen hätte vergönnt sein können, erlegen.